Gewalt frisst die Sprache auf – Matthias Hartmann inszeniert Kleists „Familie Schroffenstein“ in Bochum

Von Bernd Berke

Bochum. Ringsum zugemauert, sieht die Bühne aus wie das Innere eines Mausoleums. Hier wird wohl kein freies Leben erblühen, das ahnt man gleich. Und richtig: Rechts und links, einander feindlich gegenüber, nehmen die beiden finsteren Clans Platz, die sich in „Die Familie Schroffenstein“ aufs Blut befehden.

Bochums neuer Intendant Matthias Hartmann hat etwas riskiert, indem er Heinrich von Kleists Stück erkor. Das Frühwerk aus dem Jahre 1800 gilt vielfach als unfreiwillig komische „Scharteke“. Doch weit gefehlt! In dieser Vorlage steckt wilder, entfesselter Furor – wie in Kleists Erzählung „Michael Kohlhaas“.

Sehr richtig schon Hartmanns Entscheidung, die in Spanien angesiedelte Urfassung („Die Familie Ghonorez“) zu wählen, deren bloße Rollen-und Ortsnamen schon ungleich mehr Hitze ausstrahlen als die spätere Eindeutschung mit all ihren Ottokars und Gertrudes.

Ein Erbvertrag als Quell des Übels

Zurück zum Eingangsbild. Wie undurchdringliche Menschen-Mauern sitzen die feindlichen Familien da. Vollends ungerührt bleiben sie, wenn einer aus der Phalanx hervortritt und etwa seine Irritation über diesem versteinerten Zustand bekundet.

Quell allen Übels: Ein fataler Erbvertrag besagt, dass beim Aussterben der einen Sippe deren gesamte Habe der anderen zufällt. Alsbald wünschen sie einander Pest und Verderben an den Hals – und als ein Kind zu Tode kommt, werden „die da drüben“ gleich des Mordes bezichtigt, was ungeheuerliche Steigerungen nach sich zieht. jedes Gerücht, jedes Missverständnis birgt jetzt Sprengkraft. Keiner will des anderen Worte wirklich hören. Wir erleben in Bochum vor allem das Drama einer nachhaltigen Sprach- und Sinn-Zerstäubung. Gewalt frisst die Sprache auf.

Bei Hartmann klappern die Clans zu Beginn mit Löffeln, als wollten sie den (Lebens)-Rhythmus der Gegenseite zerstören. Bedrohlich kakophon klingt es, passend untermalt von vier Musikern aus einem kleinen Orchestergraben. Raimond, Graf aus dem Hause Ciella (Fritz Schediwy), tritt wie ein krähenhafter Diktator ans Mikrophon und schwört bitterste Rache für besagten Kindstod. Er spuckt, krächzt, würgt und zerhackt die Konsonanten seiner Hass-Worte. So militant und gewaltbereit rasselt hier die deutsche Sprache, dass es zum Fürchten ist. Man lese nur nach: Es ist bei Kleist schon angelegt.

Die ganze Hysterie steht schon im Text

Auch wenn man bisweilen fürchtet, die Inszenierung könne zapplig aus den Fugen geraten: Ständiges Stammeln, hysterische Ausbrüche und marionettenhafte Ohnmachten sind aus dem Text herzuleiten. Überhaupt lauscht Matthias Hartmann jeder Sequenz ihre ganz eigenen, zumeist schrecklich dumpfen oder angstvoll kreischenden Tonfälle ab – und er verfügt über ein Ensemble, das diese dunklen verbalen Triebkräfte, die schier unaufhaltsame Dynamik der Feind-Bilder, auch fassbar macht. Statt eines dürr-theoretischen Regie-„Konzeptes“ waltet hier die sorgsame Arbeit am Gehalt der Szenen.

Raimond geriert sich zunehmend als blutgieriger Rache-Teufel. Fritz Schediwy legt die Rolle als wahres Pandämonium an. Man sieht ihm fassungslos zu, auch atemlos. Während seine Gemahlin Elmire (Ulli Maier) ihn vergeblich zu beschwichtigen sucht, treibt auf der Gegenseite Franziska (Veronika Bayer) ihren Alonzo (Ernst Stötzner) an. Bis dieser kühlere Kopf seinerseits Rache übt, dauert es lange. Doch dann ist das Schwungrad nicht mehr anzuhalten.

Gegenwelt der Liebenden

Sehr anrührend die machtlose Gegenwelt der Liebenden. Wie Romeo einst Julia, so liebt Raimonds Sohn Rodrigo (Johann von Bülow) die Tochter aus dem verfeindeten Hause, Ignez (Sonja Baum). Zuerst diese Angst voreinander, dann allmähliche Näherung, Überschwang frischen Glücks, doch auch schon das erste Necken und Keifen, daraufhin wieder verzückte Umarmungen. Ein ergreifendes Wechselspiel der Liebe. Später dieses bannende Bild: ihrer beider paradiesische Nacktheit als höchst bedrohte Utopie eines anderen Lebens.

Am Ende, über den Leichen ihrer Kinder, haben die Herrscher noch nicht genug vom Feldgeschrei. In babylonischer Sprachverwirrung irren alle gespenstisch umher, jeder nur mit seinen Worten, seinem Wahn beschäftigt. Wo sich bei Kleist am Ende eine gar zu späte Reue ergibt, lautet hier der allerletzte Satz: „Wir müssen vorwärts!“ Geht’s denn noch weiter hinab in die Hölle?

Frenetischer Beifall mit Bravos für alle. Fast wie zu Peymanns Bochumer Zeiten.

Termine: 1., 5., 11., 19., 20., 28. Nov. Karten: 0234/3333 111.

 




Kleist in die Ferne des Klassikers gerückt – „Die Familie Schroffenstein“ in Wuppertal

Von Bernd Berke

Wuppertal. Die Bühne schwarz ausgeschlagen, darauf ein verwitterter Baum. Warten auf Godot? Nein, die Wuppertaler Bühnen haben sich den selten aufgeführten Kleist-Erstling „Die Familie Schroffenstein“ vorgenommen.

Ein aus heutiger Sicht teilweise monströses Stück, das aber auch Stärken hat. Es geht um eine blutige Familienfehde. Zwei Clan-Linien derer von Schroffenstein bekämpfen einander – und das auf bloße Gerüchte und Sinnes-Täuschungen hin. Allseitiges Mißtrauen, dem sich nur (wie in „Romeo und Julia“) ein Liebespaar (mit tödlichen Folgen) entzieht, setzt eine unaufhaltsame Mechanik der Rache in Gang.

Nun muß man ja nicht direkt auf Vorgänge zwischen den heutigen Supermächten anspielen. Was aber unter Regie von Dieter Reible geschieht, jenes textbrave Vom-Blatt-Spielen mit unfreiwillig komischen lauten Emotions-Ausbrüchen, das rückt Kleist in die unverbindliche Ferne eines „Klassikers“.

Kaum ein Einfall hat textdienliche Funktion: Daß die Bühne nach vorn hin abschüssig ist, erschwert allenfalls den Darstellern das Gehen. Daß vor dem Orchestergraben eine „Liebes-Insel“ gegen den „Kontinent der Rachetaten“ abgesetzt ist, ist zumindest ein diskutabler Ansatz. Aber Gregor Höppner und Mechthild Reinders agieren dort allzu hilflos.

Sicher, Kleist ist schwer spielbar – jedoch nicht unspielbar. Das beweist gegenwärtig der Kleist-Zyklus im ZDF. Unglückliches „Timing“ in Wuppertal: Verglichen mit den Inszenierungen von Peymann und Flimm, tritt das Ungenügen hier desto deutlicher hervor. Dennoch herzlicher Beifall des Publikums.