Unauflösliche Märchenwelt: Oper Köln eröffnet die Spielzeit mit „Die Frau ohne Schatten“

Daniela Köhler (Kaiserin) und Irmgard Vilsmaier Der(Amme). (Foto: Matthias Jung)

Dem früheren Intendanten des Aalto-Theaters Essen, Hein Mulders, ist mit der Strauss-Oper „Die Frau ohne Schatten“ zum Spielzeitauftakt ein markantes Statement gelungen. Die Inszenierung von Katharina Thoma hat jedoch Leerstellen, die auch von der hervorragenden Orchesterleistung unter Marc Albrecht nicht verfüllt werden können.

Das üppige Orchester, die häufigen Verwandlungen, die Länge und die fünf extrem anspruchsvollen Hauptpartien: Richard Strauss‘ und Hugo von Hofmannsthals „letzte romantische Oper“ über ein Zwischenwesen aus dem Geisterreich, das keinen Schatten wirft, ist ein dicker Brocken selbst für große Bühnen. Im Staatenhaus, der Spielstätte der Oper Köln bis zur hoffentlich baldigen Wiedereröffnung des Hauses am Offenbachplatz, sind häufige Verwandlungen oder ein technischer Bühnenzauber nicht zu realisieren. So macht Johannes Leiacker die Not zur Tugend: Eine Erhöhung, aus Schichten geformt wie eine geologische Formation, ganz in Weiß, in organisch verlaufenden Kurven, mit einem krönenden Felsen – das war’s in Sachen Bühnenbild.

Das Gürzenich-Orchester sitzt weit gestaffelt rechts von der Bühne: Der Klang ist weniger fokussiert als in einem Graben. Dirigent Marc Albrecht lässt die Musiker diesen Raum nutzen: Strauss‘ filigran verwobene Linien und Motive bündeln sich, streben massiert zusammen, spritzen in glitzernder Gischt wieder auseinander, entfalten sich frei und räumlich. Die wundervoll ausgekosteten Piano-Stellen tragen. Albrecht kann die Musik großzügig aufblühen lassen, breitet ein leuchtendes Spektrum aparter Klangfarben aus, baut vom zurückhaltenden ersten bis zum pathossatten dritten Akt einen Spannungsbogen auf, der sich nicht dynamisch verausgabt, bevor er die Kulminationspunkte in der zweiten Hälfte des Abends erreicht.

Sinnlich und klug disponierte Musik

Die Musiker des Gürzenich-Orchesters können zeigen, was sie drauf haben, ob Celli oder Celesta, die fünf Tuben oder Tamtam und chinesische Gongs. Aber der Raum setzt auch Grenzen: Blechbläsereinsätze geraten allzu gerundet, wo sie scharf attackieren müssten, die Holzbläser gehen seltsamerweise immer wieder unter. Trotzdem: Albrecht präsentiert sich als ein Strauss-Dirigent von Format, der diese „Frau ohne Schatten“ so sinnlich wie klug disponiert und nicht an den knalligen Effekt verrät.

Der Kaiser (AJ Glueckert) und sein Falke (Giulia Montanari). (Foto: Matthias Jung)

Für die Sänger ist der Vorteil unüberhörbar: Sie müssen nicht forcieren, werden vom Orchester nicht übertönt, auch wenn Albrecht die massive Wucht dieser vollkommenen Synthese des Symphonischen und des Dramatischen auskostet. Diese Chance nutzt AJ Glueckert als Kaiser. Er nimmt die Dramatik zurück, legt die Partie kantabel an, betont so, dass dieser romantische Jäger der weißen Gazelle, die sich zur Frau verwandeln sollte, ein verträumter Held ist, dem Geisterreich nicht zugehörig, aber zugetan. Der Stimme des Tenors kommt dieser Ansatz sehr entgegen.

Die Kaiserin Daniela Köhler setzt zu Beginn („Ist mein Liebster dahin …“) zu viel Vibrato ein und stört damit den ruhigen Fluss der Stellen im piano. Doch mit zunehmend bewusstem Stützen normalisiert sich das Schwingen des Soprans, der substanzvoll, leuchtend und sich in den typischen weiten Strauss-Phrasen blühend aufschwingt. Köhler verkörpert die zentrale Figur dieser Inszenierung: Das Streben nach einem Schatten führt sie in die Welt einfacher Menschen, in der sie mehr und mehr erkennt, wie Empathie und Zuwendung das Leben menschlich machen – und der Schatten steht ja als Symbol nicht nur für weibliche Fruchtbarkeit, für die Erweiterung der Person in die Welt hinein, sondern für die ambivalente menschliche Existenz, die auch Schmerz, Opfer und Tod umfasst. Im Kontakt mit dem Färber Barak und seiner unverbrüchlich naiven Bereitschaft, Schattenseiten anzunehmen und zu ertragen, erkennt sie, was es bedeutet, als Mensch zu fühlen und zu handeln. Deutlich wird ihr Wandel in einer berührenden Szene im zweiten Akt, als sie dem erschöpften Barak den Schweiß von Stirn und Füßen wäscht.

Kampf mit vokalen Herausforderungen

Die Hierarchie ist klar: Oben steht die Kaiserin (Daniela Köhler), unten die Färberin (Lise Lindstrom), dazwischen die Amme (Irmgard Vilsmaier). Foto: Matthias Jung.

Auch die Färberin gestaltet ihre Rolle als einen Lernprozess: Lise Lindstrom kämpft nicht nur mit der Armut, mit den Zumutungen der drei versehrten Brüder im Haushalt (Insik Choi, Christoph Seidl, Ralf Rachbauer), sondern auch mit ihren unerfüllten Wünschen. Die bunten Kleider, die ihr Kostümbildnerin Irina Bartels verpasst, stehen für ein Lebensbegehren, das die Färberin im Mutterglück sucht, und für das Streben nach Anerkennung in einem Haus, in dem sie als „Weib“ abgewertet und lediglich „gehegt und gefüttert“ wird. Beide, der Färber und seine Frau, lernen, sich zu achten und Liebe aus gegenseitigem Respekt zu gewinnen.

Lindstrom kämpft aber auch mit den vokalen Herausforderungen: Ihr Sopran leidet unter übermäßigem Vibrato. Spitzen- und andere im Metrum bedeutende Töne werden überstark herauskatapultiert, während Linien unterbelichtet bleiben und nicht kontinuierlich durchgestützt werden. Die flackernde Tonproduktion lässt die Farben der Stimme verblassen und stört eine saubere Artikulation. Anders der Färber von Jordan Shanahan: Er singt verständlich, bildet den Klang füllig und sonor, ist auf entspannten Fluss bedacht.

Als Amme hat Irmgard Vilsmaier eine Reihe exponierter Momente, in denen sie stimmlich alles geben muss. Als alte Dame mit Stock, altbackenem Hütchen und einem großmütterlich schwarzem Kostüm mit weißen Handschuhen steht die Amme zwischen dem cleanen, gestylten Weiß der Geister und der realistisch farbvielfältigen Welt der Menschen. Die „schwarz-weiße Schlange“ wirkt enthoben und mutiert zum Symbol, wenn sie im zweiten Akt als Spinne in einem projizierten Netz den Schlaftrunk für Barak bereitet, auf dass der verführerische Jüngling als Preis für den Schatten ungestört für die Färbersfrau verfügbar sei. (Bryan Lopez Gonzalez sieht blendend aus, bewältigt die Rolle aber mit müden und mühevollen Tönen unbefriedigend). „Was Menschen bedürfen, du weißt es zu wenig“ sagt ihr die Kaiserin: Die Amme konnte die Entwicklung ihres Schützlings nicht mitvollziehen. Stimmlich wie szenisch bleibt Irmgard Vilsmaier mit herben und gleißenden Tönen präsent, bis sie von der machtvollen Stimme des Boten (Karl-Heinz Lehner) aus dem Geisterreich verstoßen und bewegungslos hinausgefahren wird.

Zwischen Phantastik und Sozialrealismus

Der Vorzug der Inszenierung von Katharina Thoma ist, den Personen den erzählerischen Raum zu öffnen, soweit die Berg-Insel Leiackers es zulässt. Doch wohin mit dem Märchenhaften der „Frau ohne Schatten“, mit dem Symbolismus? Der Falke ist lediglich eine aparte, rot leuchtende Erscheinung (Giulia Montanari), aber die Nachtwächter (Sinhu Kim, Yongmin Kwon, Michael Terada) dürfen in schwarzen Priestersoutanen über die Bühne schreiten und ihren Sinnspruch in magischen Strauss-Choralklängen verkünden. Und wohin mit dem anfechtbaren Frauenbild oder gar dem Immanentismus von Richard Strauss, der seltsam quer zu den transzendierenden „romantischen“ Bestrebungen des Hoffmannsthal-Librettos steht? Dafür bietet Thoma keine plausible Lösung.

Die Regisseurin, Wunschkandidatin von Intendant Hein Mulders, gestaltet in den ersten beiden Aufzüge weitgehend die Story aus, nutzt Georg Lendorffs Projektionen, um erzählerischen Realismus aufzubrechen, setzt aber mit dem Verteilen und Verpacken von Altkleidern szenische Markierungen, die sich erst im dritten Aufzug auflösen: Jetzt wird verständlich, warum vorher schon Kinder die Fetzen und Lumpen von der Bühne geräumt haben. Alttextilhändler Barak ist am Werk! Doch jetzt, nach der videogesättigten Katastrophe am Ende des zweiten Aufzugs, wird ein Lebloser von Sanitätern abtransportiert, bevölkern Kinder und Erwachsene die Stufen wie Migranten den Strand von Lampedusa.

Gleichzeitig kriechen fantastische Lemuren am Bühnenrand entlang, die später die Amme hinausfahren werden. Die Kaiserin hat ihr Geisterweiß verloren und tritt in fraulichem Gewande auf, der Fels, an dem der Kaiser bereits in ununterscheidbarem Grau angeklebt war, zerbricht. Übermächte und Sozialrealismus vermischen sich, ohne dass eine Sinn-Synthese geboren würde. Katharina Thomas Inszenierung verpufft. Was bleibt, sind szenische Bilder und das Gefühl, diese unzeitgemäße „Frau ohne Schatten“ beharre starrköpfig in einer unauflösbaren Märchenwelt.

Weitere Vorstellungen am 23., 29. September, 3., 8., 11. Oktober.
Info: https://www.oper.koeln/de/programm/die-frau-ohne-schatten/6547




Märchenhaft und phantastisch: Eine konzertante Aufführung der Strauss-Oper „Die Frau ohne Schatten“ in Dortmund

Der Frankokanadier Yannick Nézét-Séguin und das Rotterdam Philharmonic Orchestra sind einander durch zehn Jahre der Zusammenarbeit verbunden. (Foto: Petra Coddington)

Ein grässlicher Schrei entringt sich der Kehle der Amme. Ihr tückisches Spiel ist aus: Von der Kaiserin verstoßen, vom Boten des Geisterkönigs Keikobad verbannt, muss sie die Bühne verlassen, auf der an diesem Abend die Oper „Die Frau ohne Schatten“ von Richard Strauss gegeben wird. Mit ihrem Abgang ist im Konzerthaus Dortmund der Weg frei für das große Happy End, für den ekstatischen Schlussjubel, der vom Publikum mit tobender Begeisterung erwidert wird.

Über das gewöhnliche Maß gehen diese Bravostürme weit hinaus. Sie sind einerseits Reaktion auf die kolossalen Klangeruptionen dieses Zaubermärchens, das von der Menschwerdung der aus dem Geisterreich stammenden Kaiserin erzählt. Durch den selbstlosen Verzicht auf eigene Kinder – symbolisiert durch den Schatten – wächst diese Frau zu unerwarteter Größe. Andererseits zollt das Publikum einer Interpretenriege Dank, die diese konzertante Opernaufführung zu einem überwältigenden Strauss-Fest erhebt.

Wo anfangen bei so viel Exzellenz? Bleiben wir zunächst bei der Amme, deren mephistophelische Natur durch Michaela Schuster packende Präsenz annimmt. Die Mezzosopranistin, als Sängerdarstellerin ein regelrechtes Bühnentier, gibt diesem Zwischenwesen die lauernde Gespanntheit einer Elektra, die auffahrende Herrschsucht einer Klytämnestra und die schmeichlerischen Zwischentöne einer Schlange.

Die aus Südafrika stammende Sopranistin Elza van den Heever sang die Partie der Kaiserin. An ihrer Seite war der Amerikaner Stephan Gould als Kaiser zu erleben. (Foto: Petra Coddington)

Ihr Gegenpol ist die feenhafte Kaiserin, die Dank Elza van den Heever tatsächlich einer anderen Welt entstiegen scheint. Ihr gläsern leuchtender Sopran bringt es auch nach kraftvollen Flügen durch stratosphärische Höhen fertig, in ein mädchenhaft-zartes Piano zurückzufinden. An ihrer Seite ist Stephan Gould ein Kaiser mit heldischem Tenor, der sich unbedingt Bahn bricht, sei es zuweilen auch mit Überdruck.

Bombenstark bei Stimme ist auch das Menschenpaar. Michael Volle singt den herzensguten Färber Barak, dem die abweisende Kälte seiner Frau arg zusetzt, mit einer vollklingend-sonoren Wärme zum Dahinschmelzen. Lise Lindstrom erhebt die Färberin zur heimlichen Hauptfigur. Unfassbar, mit welchem Volumen sie sich in immer neue Spitzen trotzigen Zorns hineinsteigert, mit welch glühender, zuweilen auch schneidender Leidenschaft sie noch im äußersten Fortissimo-Getümmel triumphiert. Zugleich lässt sie uns die Verzweiflung einer Frau spüren, die sich nicht gesehen und nicht verstanden fühlt.

Eine Ehe voller Spannungen führen der Färber Barak (Michael Volle) und seine Frau (Lise Lindstrom. Foto: Petra Coddington)

Die Nebenfiguren, der Rotterdam Symphony Chorus und der von Zeljo Davutović einstudierte WDR Kinderchor Dortmund tragen sämtlich ihren Teil zum Ausnahmerang dieses Abends bei.

Indessen muss nun endlich vom Rotterdam Philharmonic Orchestra die Rede sein, das unter seinem ehemaligen Chefdirigenten Yannick Nézét-Séguin die überbordende Phantastik und die raffinierte Instrumentationskunst der Partitur auskostet, dass einem schier die Ohren übergehen. Das Orchester nimmt uns mit auf eine Reise, die im rasenden Galopp durch drei Welten führt, die uns durch finsterste Abgründe bis in silberhelle Sphären der Verklärung begleitet. Es ist ein Rausch, eine prunkvolle, exotisch gefärbte Orgie des Klangs, transparent gehalten bis in die kammermusikalischen Details. Die Musik ist aus, aber ihr ätherisches Glücksleuchten bleibt.

(Der Beitrag ist in ähnlicher Form zuerst im Westfälischen Anzeiger erschienen.)




Vom Grauen des Krieges: Gelsenkirchen zeigt „Die Frau ohne Schatten“ von Richard Strauss

Gudrun Pelker (Amme) und die Kaiserin (Yamina Maamar (Foto: Karl Forster/MiR)

Gudrun Pelker (Amme,l.) und die Kaiserin (Yamina Maamar (Foto: Karl Forster/MiR)

Diese Oper ist eine in Töne gegossene Überforderung. „Die Frau ohne Schatten“ von Richard Strauss verlangt ein mit rund 100 Musikern besetztes Orchester samt Orgel, Glasharmonika, chinesischen Gongs, TamTams, Wind- und Donnermaschine, einem Bläserseptett hinter der Szene und zwölf Blechfanfaren.

Hinzu kommen fünf stimmgewaltige Solisten für die Hauptpartien, Chöre und Kinderchöre sowie zahlreiche Statisten. Maßlos auch in ihren musikalischen Anforderungen, wurde die Märchenoper zu Strauss’ Lebzeiten öfter abgesagt als aufgeführt. Jetzt hat Gelsenkirchens Musiktheater das Renommierstück auf seinen Spielplan gehoben. Mit einer zuvor bereits in Kassel gezeigten Inszenierung seines Intendanten Michael Schulz startet das Haus höchst ambitioniert in die neue Spielzeit.

In der Region war „Die Frau ohne Schatten“ zuletzt am Essener Aalto-Theater zu sehen. Fred Berndt ließ sie dort auf einer zeitlosen Drehscheibe im Zeichen des Yin und Yang spielen. Bei Michael Schulz wird der monumentale Dreiakter zum düsteren Kriegsstück, überschattet von seiner Entstehungszeit zwischen 1913 und 1917. Der Kaiser ist ein ganz realer Herrscher: Zu Stein wird er nicht so sehr deshalb, weil die Kaiserin keinen Schatten wirft – also keine Kinder bekommen kann – sondern durch die fortschreitende Brutalität, mit der er seinen Machtanspruch behauptet. Der Färber Barak und seine Frau mühen sich mit einem Berg von Militärmänteln ab. Der Hurra-Patriotismus des Volkes, das im ersten Akt noch fleißig Fahnen schwenkt, wird alsbald von deprimierender Not gedämpft.

Die Färberin (Sabine Hogrefe) träumt von einem besseren Leben (Foto: Karl Forster/MiR)

Die Färberin (Sabine Hogrefe) träumt von einem besseren Leben (Foto: Karl Forster/MiR)

Wer diesen Regie-Ansatz als Trittbrettfahrerei im aktuellen Gedenkjahr abtun möchte, hat indes Unrecht, denn die faszinierend enigmatische Parabel von der Menschwerdung gewinnt aus dieser Perspektive neue Bedeutung. Sie berührt Fragen, die aktuell geblieben sind: Wie sehr und aus welchen Gründen werden Kinder eigentlich gewünscht? In welcher Welt werden künftige Generationen groß? Die pazifistische Botschaft des Stücks wirkt durch diesen Ansatz nicht wie sonst wolkig und lebensfern, sondern quälend und dringlich.

Das lähmende Grauen, das von dem unsichtbaren Geisterfürsten Keikobad ausgeht, entspricht den Monstrositäten eines Krieges, der dem Verstand ähnlich unbegreiflich bleibt. Mag die Inszenierung auch ein paar Schwachstellen haben, wenn allzu ausgiebig an Wunden gelitten wird oder ein eher sinnfreies Stühlerücken anhebt, entlockt sie der Partitur Bilder, die mal tief berühren, mal mächtig an den Nerven rütteln. Ohne sich in der rätselhaften Symbolik des Werks zu verstricken, zeichnet sie den Weg zweier Paare nach, die wie in der „Zauberflöte“ harte Prüfungen bestehen müssen, um (wieder) zueinander zu finden.

Mit Bezug auf Mozart zitiert die Bühne von Dirk Becker zunächst den berühmten Schinkel-Sternenhimmel, der von einem zeltartigen Vorhang freilich recht lieblos verunstaltet wirkt. Dafür wird das zweite Bild zum großen Wurf: eine Halle aus Glas und Metall, in der Arbeit und Elend nahe beieinander liegen. Düster und transparent zugleich, birgt sie Türen, Treppen und eine Brücke. Geister- und Menschenwelt treffen hier aufeinander, und es fragt sich nicht selten, welche von beiden gruseliger ist.

Im Orchestergraben, es ist kaum zu glauben, schafft die Neue Philharmonie Westfalen tatsächlich die große Synthese, die Strauss in „Die Frau ohne Schatten“ anstrebte. Die unbarmherzige Wucht der Elektra, das schillernde Farbenspiel der Salome, die kammermusikalische Feinheit der Ariadne und sogar der melodische Reichtum des Rosenkavaliers entfalten sich unter dem verblüffend ruhigen, gestisch eher sparsamen Dirigat von Rasmus Baumann, der seiner Lieblingsoper selbst in den wuchtigsten Klangeruptionen eine Aura der Transparenz lässt. Die klangliche Überfrachtung der Partitur wird so zum vielschichtigen, aufregenden Erlebnis.

Die zunehmende Brutalität des Kaisers (Martin Homrich) führt schließlich zu seiner Versteinerung (Foto: Karl Forster/MiR)

Die zunehmende Brutalität des Kaisers (Martin Homrich) führt schließlich zu seiner Versteinerung (Foto: Karl Forster/MiR)

Von den fünf kapitalen Hauptpartien sind die männlichen etwas schwächer besetzt als die weiblichen. Martin Homrich gibt dem Kaiser einen hellen, häufig unfokussiert flackernden Tenor mit einigen Intonationsproblemen. Urban Malmberg lässt seinen Bariton in der Rolle des Färbers Barak durchaus balsamisch strömen, kann im finalen Jubel aber keine Reserven mehr aktivieren. Das sieht bei den Sängerinnen anders aus: So keifend Sabine Hogrefe als Färberin auch ihrer Frustration Luft macht, so besitzt sie am Ende noch genug Kraft für den Wandel zu glühender Reue. Gudrun Pelker lässt die Stimme der Amme zwischen diabolischen Tiefen und schneidendem Kommandoton flackern, dass es manche Gänsehaut garantiert.

Und dann ist da noch Yamina Maamar: eine würdige Kaiserin, die von den erdenfernen Höhen des ersten Aktes an zu Tönen einer wachsenden Empathie für alles Menschliche findet. Da setzt sich eine Wärme durch, ein mitfühlendes Wissen, aus dem heraus die Kaiserin lieber auf ihr persönliches Streben nach Glück verzichtet, als zwei ohnehin geschundenen Menschen die letzte Chance darauf zu nehmen. Unerwartet, wahrscheinlich für sie selbst überraschend, schüttet diese große Frau das vermeintlich rettende Wasser des Lebens weg. „Ich will nicht“: Diese drei leisen Worte des Verzichts führen letztlich zur Erlösung.

Es gibt noch fünf Folgetermine: 5. und 19. Oktober, 2. und 14. November, 13. Dezember. Informationen: http://www.musiktheater-im-revier.de/Spielplan/Oper/FrauOhneSchatten/