Balkanien in Köln: Franz Lehárs „Lustige Witwe“ mit dem Essener GMD Andrea Sanguineti am Pult

Lieber Grisetten als das teure Vaterland: Adrian Eröd alias Graf Danilo in der Kölner „Lustigen Witwe“. (Foto: Matthias Jung)

Jetzt hat auch Köln seine „Lustige Witwe“. Es gibt wohl kein Theater in Nordrhein-Westfalen, in dem in den letzten Jahren niemand im Maxim intim gewesen und die „Weiber“ studiert hätte.

Nun gut, Intendant Hein Mulders wollte für das Ausweichquartier der Kölner Oper und in der (inzwischen erneut gefährdeten) Hoffnung auf rechtzeitige Eröffnung des Hauses am Offenbachplatz 2024 einen zugkräftigen Titel haben. Das ist Franz Lehárs Erfolgsoperette allemal noch – gehört sie doch zum Restbestand der Operetten-Monokulturlandschaft, die mit der „Fledermaus“, der „Csardasfürstin“ und dem „Orpheus in der Unterwelt“ des Kölner Operettenerfinders Jacques Offenbach weitgehend bestellt ist. Von den Dutzenden früherer Erfolgstitel ist kaum etwas geblieben; nur Paul Abraham darf sich im letzten Jahrzehnt über eine gewisse Renaissance freuen. Das Sterben der Operettenensembles, das Ausdünnen der Spielpläne, die generationenlang gepflegte Verachtung des jahrzehntelang lieblos abgenudelten Genres und der Hinschied des alten Operettenpublikums tragen Früchte.

Dem entgegenzuarbeiten ist eine reizvolle Aufgabe, der sich nicht nur Barrie Kosky früher an der Komischen Oper Berlin und die spezialisierten Häuser in Dresden, Leipzig und München widmen sollten. Insofern darf man hoffen, dass Hein Mulders in Köln, sonst eigentlich kein für Ideen verschlossener Kopf, auch einmal in die Tiefen des Repertoires der „leichten“ Muse greift. Immerhin: Dank der pfiffigen Regie von Bernd Mottl und einer beispielhaft schmähaffinen musikalischen Leitung des Essener GMD Andrea Sanguineti ist der Ausflug nach Pontevedro in Paris rundweg kurzweilig geraten.

Dialog von Wasserflecken an Neonröhren

20 Milliarden! Allein die Ansage lässt die Männer schmachten. Elissa Huber als Hanna Glawari und Herren des Chores der Kölner Oper. (Foto: Matthias Jung)

Pontevedro: Den Fantasie-Kleinstaat in Klischee-Balkanien verorten Friedrich Eggert (Bühne) und Alfred Mayerhofer (Kostüme) irgendwo im realsozialistischen Ambiente. Die großmustrigen braunen Tapeten erinnern an den biederen Charme Ost-Berliner Plattenwohnungen der siebziger Jahre. Über der Falttür rutschen die Porträts des pontevedrinischen Herrscherpaars in Schieflage. Der Vorraum ist mit Bauplastikplanen verhüllt, an der Decke prangt ein Dialog von Wasserflecken an kalten Neonröhren. Pontevedro zeigt sich so marode wie seine Staatskasse.

Und da kommt die Witwe ins Spiel: Deren 20 Milliarden sind das Kapital, das den fürstlichen Laden zusammenhält. Sie dürfen keinesfalls in die Hände eines leichtlebigen Franzosen geraten – etwa des in Brombeerfarbe hereinstelzenden Camille de Rosillon (Dmitry Ivanchey), des honeckerblau beanzugten Vicomte Cascada (John Heuzenroeder) oder eines gewissen Raoul de Saint-Brioche (Timothy Oliver). Die Milliarden selbst treten auf in aufreizendem Design in Schwarz, ein mondäner Gegensatz zu den schlicht geschnittenen Kleidern in gedecktem Bräunlichgrünlichblau der pontevedrinischen Hautevolee.

Elissa Huber ist eine hinreißende Hanna Glawari, die selbstbewusst und erfüllt vom Wissen um ihre Ausstrahlung verkündet, warum Witwen so begehrt sind, und später in wunderschön kitschiger Folklore-Ausstaffierung das Waldmägdelein im Vilja-Lied besingt. Ihr voller, samtig dunkel getönter Sopran strömt mit allem Charme und allem erotischen Prickeln, dem die Partie ihren Reiz verdankt.

Erst planen, dann bauen

Diese geldschwere Dame dem Vaterland zu erhalten, ist vornehme Aufgabe von Botschafter Mirko Zeta – und Ralf Lukas verkörpert ihn mit aller gewichtigen Pose, bedeutungsschwangere Deklamation eingeschlossen. Wäre da nicht die unsäglich gemusterte Krawatte, man könnte ihn gar für eine ernsthafte Person halten. Seine taktische Waffe heißt Graf Danilo: Adrian Eröd ist als Graf Danilo ein so souveräner Sängerdarsteller, dass er beinah zur heimlichen Hauptperson der ganzen Operette aufsteigt, wäre da nicht seine Noblesse, die der Diva stets den Vortritt gewährt. Er hat allerdings nicht die geringste Lust, dem Vaterland zuliebe ein Erbe zu erheiraten, zumal es mit einer Frau verbunden ist, mit der er eine unerfreuliche Vorgeschichte hat. Dass sich am Schluss die Liebe mit einem überraschenden Coup durchsetzt, ist dem Genre geschuldet. Tragische Operetten waren 1905 noch nicht im Blickfeld von Lehár.

Mottl inszeniert das Finale ohne derben Bruch, wie er dem Genre seinen Witz und seine Sentimentalität lässt. Nichts wird übertrieben, die Kalauer halten sich in Grenzen, der Herzschmerz auch. Beziehungen entstehen durch Gesten, Blicke, Pausen. Wenn Baron Zeta stolz den in nur einer Woche strahlend neu vergoldeten Saal seiner Botschaft preist, meint er, man habe erst geplant, dann gebaut. Da lachen die Kölner und denken an ihr Opernhaus. In den Choreographien von Christoph Jonas mischen sich Grisetten von „sämtlichen Ufern dieser Erde“, und die Tanzgruppe zitiert lustvoll alte Operettenklischees und baut mit leichtfüßiger Ironie daraus amüsante Körperwelten.

Zweifelhafte Zwitterwesen

Das Hin und Her zwischen diversen eifersüchtigen Paaren reduziert Mottl zugunsten des zentralen Konflikts, damit treten etwa Bogdanowitsch (Artjom Korotkov) und seine Frau Sylviane (Brigitta Ambs) ebenso in den Hintergrund wie Kromow (Zenon Iwan) mit seiner ewig des Seitensprungs verdächtigten Olga (Mariola Mainka). Dass die Romanze zwischen der „anständigen Frau“ Valencienne (Claudia Rohrbach als entzückendes Zwanziger-Jahre-Mädel) und dem trocken, aber passioniert die „Liebe aufglühen“ lassenden Camille (Dmitry Ivanchey) saftiger ausgespielt sein könnte, ist eine andere Sache.

Zwitterwesen von allen möglichen Ufern. Ralph Morgenstern (Njegus) und das Tanzensemble in der „Lustigen Witwe“. (Foto: Matthias Jung)

Ralph Morgenstern gibt dem Njegus nicht zuletzt dank einer langen, dürren Gestalt ein köstlich volatiles Profil jenseits des klassischen Operettenkomikers. Man glaubt ihm aufs Wort, dass er in die Pariser Art total vernarrt ist, vor allem, wenn ihn die „zweifellos zweifelhaftesten Zwitterwesen“ umschwärmen. Das alles wäre nur halb so animiert, würde nicht das Gürzenich-Orchester den mal samtig schmeichelnden, mal keck auffahrenden Lehár-Sound treffen und Andrea Sanguineti mit dezidierter Agogik und wundervoll pikanter Phrasierungsdramaturgie die Musik so gestalten, wie es die Operette braucht. Alles etwas altmodisch gedacht, aber vielleicht gerade deswegen so wundersam musikalisch, nostalgisch und hinreißend.

Weitere Vorstellungen: 16., 21., 23., 25., 27., 29., 31. Dezember.
Info: https://www.oper.koeln/de/programm/die-lustige-witwe/6634




Operetten-Passagen (2): Franz Lehárs „Die lustige Witwe“ am Gelsenkirchener Musiktheater im Revier

Düstere Noblesse: "Die lustige Witwe" von Franz Lehár in Gelsenkirchen. Foto: Pedro Malinowski

Düstere Noblesse: „Die lustige Witwe“ von Franz Lehár in Gelsenkirchen. (Foto: Pedro Malinowski)

Nein, lustig ist diese Witwe nicht. Eher melancholisch, desillusioniert, in Sachen Liebe entzaubernd realistisch. Kein Wunder: Als Mädchen durfte sie ihren Geliebten nicht heiraten, weil es nicht standesgemäß war. Der schwerreiche Bankier, der sie bekam, starb unverzüglich. Und danach war immer die Frage, wer anziehender ist: die Frau oder das Vermögen.

Franz Lehár hat in seiner Erfolgsoperette „Die lustige Witwe“ zwar – wie sollte es auch anders sein – die Wirrungen zweier Herzen und ihr Zusammenfinden zum roten Faden der Handlung versponnen, aber drum herum jede Menge Zeittypisches und Zeitloses verwoben: Lebemänner und Bankrotteure, wie sie zur saturierten Gesellschaft vor dem ersten Weltkrieg gehörten, Halbwelt-Erscheinungen, alte eifersüchtige Habitués oder noch ältere, für Eifersucht emotional zu blind gewordene Trottel.

Hinzu kommen die klassische Komikerrolle und eine bunte Schar offenbar für alles bereiter Damen: „Ja wir sind die Grisetten von Pariser Cabaretten …“ Und dazu einen bankrotten Zwergstaat namens Pontevedro – der Anklang an Montenegro, erst seit 1878 ein unabhängiges Fürstentum, dürfte nicht zufällig sein.

Merkwürdig verblendete Figuren

In ihrer Inszenierung am Musiktheater im Revier hat Sandra Wissmann wohltuend Abstand gehalten vom Versuch, Operette als „lustiges“ Genre zu begreifen und mit Klamauk aufzupäppeln. Heiterkeit und Komik resultieren nicht aus der unterhaltsamen Pointe oder dem Zündfunken für spontanes Gelächter (zumindest nicht bei Lehár),  sondern aus der merkwürdigen Verblendung der Figuren.

Baron Mirko Zeta (mit würdigem Nachdruck: Joachim Gabriel Maaß), pontevedrinischer Spitzendiplomat in Paris, kapiert nicht, welche amourösen Kriechströme das Herz seiner Gattin Valencienne (facettenreich weiblich: Bele Kumberger) elektrisieren, wenn sie „diplomatisch“ mit dem Schwerenöter Camille de Rossillon (mit allen Wassern erotisiert und toll bei Stimme: Ibrahim Yesilay) verkehrt. Dass die drei Herren Bogdanovich (Thomas Möwes), Kromow (Lars-Oliver Rühl) und Pritschitsch (Tobias Glagau) mit ihren drei Angetrauten (Katharina Borsch, Judith Urban und Gudrun Schade) jeweils spezifische (außer-)eheliche Probleme bewältigen müssen, versteht sich.

Das sind die Grisetten von Pariser Cabaretten - allerdings in Gelsenkirchen am Musiktheater im Revier, gemeinsam mit Valencienne (Bele Kumberger). Foto: Pedro Malinowski

Das sind die Grisetten von Pariser Cabaretten – allerdings in Gelsenkirchen am Musiktheater im Revier, gemeinsam mit Valencienne (Bele Kumberger). (Foto: Pedro Malinowski)

Auf dem Markt erotischer Möglichkeiten

Die Wahrheit sagt hier niemand. Und Gefühle sind Show oder Kapital auf dem Markt erotischer Möglichkeiten. So ist es nur konsequent, dass sich ein innerlich müder, gefühlsstumpf gewordener Mann wie Graf Danilo gleich zu Clo-Clo, Frou Frou und Margot abseilt, wo er „intim“ sein kann, ohne sich seelisch zu verausgaben. Michael Dahmen singt und spielt mit resignierter Melancholie und manchmal bitterem Witz.

Die Lippen schweigen, dafür flüstern die Geigen "Hab mich lieb". Anke Sieloff (Hanna Glawari) und Michael Dahmen (Graf Danilo Danilowitsch). Foto: Pedro Malinowski

Die Lippen schweigen, dafür flüstern die Geigen „Hab mich lieb“. Anke Sieloff (Hanna Glawari) und Michael Dahmen (Graf Danilo Danilowitsch). Foto: Pedro Malinowski

Die Wunden sitzen tief, auch bei Hanna Glawari, der reichen, aber im Herzen so verarmten Frau. Anke Sieloff, stimmlich nicht auf der Höhe, zeigt sich als souveräne Gestalterin. Die beiden umkreisen sich in unstillbarer Sehnsucht nach der einstigen, ursprünglichen Liebe, können nur noch in Metaphern zueinander sprechen und müssen selbst in dem Moment, in dem die Geigen das Innere ihrer Herzen aussingen, die „Lippen schweigen“ lassen. Erst im allerletzten Moment, wenn der Fluch des Geldes genommen wird, bricht sich das Bekenntnis Bahn: Ein wunderbar illusorischer, operettenhafter und deswegen so wahrhaftiger Coup.

Psychologische Wahrhaftigkeit

Sandra Wissmann, gebürtig aus Wattenscheid und bis 2014 Regieassistentin in Gelsenkirchen, lässt diesen Operetten-Menschen ihre Würde und ihren Ernst. Die Dialoge, zumal zwischen Hanna und Danilo, entfalten psychologische Facetten; selbst die Standardsituationen der Operettenkomik haben den Mehrwert, genau beobachtet zu sein. Wissmanns Ansatz korrespondiert mit der Bühne von Britta Tönne, auf der sich in der Einleitung ein kühl-düsterer Art-déco-Raum aus Architektur-Einzelelementen zusammenfügt. Die Ausleuchtung (Andreas Gutzmer) wirkt wie Gaslicht hinter einem Schleier von Absinth. Auch die Kostüme von Andreas Meyer bleiben in Farbe und Schnitt zurückhaltend elegant.

Aufgewertet und nicht lediglich als Lieferant für running gags eingesetzt hat die Regie die Figur des Njegus: Der Kanzlist der Botschaft mit einem unerschöpflichen Vorrat an schrägen Anreden für seinen Chef darf sogar singen und steppen: Dirk Weiler macht beides sehr gekonnt in einem Couplet, das Lehár für eine Londoner Aufführung nachkomponiert hat: „Wär‘ ich ein Operettenstar“ hat deutlich mehr Swing als das chansoneske Grisetten-Lied oder das marschartige „Studium der Weiber“.

Wunder an Diskretion und Leichtigkeit

Bernhard Stengel als Dirigent des Abends formt die forschen Stückchen ohne banalen „Schmiss“, hüllt die walzerseligen Melodien Lehárs in ein Wunder an Diskretion, Leichtigkeit und luftiger Noblesse. Und die Neue Philharmonie Westfalen lässt sich auf diesen Ton ein und schwelgt im weiten Land der Piani und des sanften Mezzoforte.

Der Chor Alexander Eberles belebt im Verein mit den Statisten die Szene und lässt auch vokal nichts fehlen. Der Abend, obwohl schon mitten in der Serie der Vorstellungen und gut vier Wochen nach der Premiere, zeigt keine Spur von Routine: Gelsenkirchen pflegt sein – zugegeben längst nicht mehr so breit wie früher – aufgestelltes Repertoire sorgsam; so lässt sich der Besuch der Operette vorbehaltlos empfehlen.

Vorstellungen: 3., 10., 19., 26. Februar; 9. und 16. April; 21. Mai; 5. Juni 2017.

Karten Tel.: (0209) 4097 200. Info: www.musiktheater-im-revier.de




Liebe und Staatsbankrott: „Lustige Witwe“ ist nicht so lustig

Valencienne (Dorothea Brandt) geht mit ihrem Mann Mirko (Miljan Milović) nicht immer so pfleglich um ... Foto: Andreas Fischer

Valencienne (Dorothea Brandt) geht mit ihrem Mann Mirko (Miljan Milović) nicht immer so pfleglich um … Foto: Andreas Fischer

Franz Lehárs „Lustige Witwe“ begeistert mit musikalischer Qualität und dramaturgischem Pfiff. Irgendwie scheint sie aber auch in unsere Zeit zu passen. Denn momentan wird zwischen Lübeck und Innsbruck auf mehr als ein Dutzend Bühnen versucht, der Dame ihre Millionen abzuluchsen. Allein in NRW intrigiert die pontevedrinische Diplomatie an vier Orten: ab Dezember in Düsseldorf, in Detmold ab 4. November in der Neuinszenierung von Holger Potocki und ab Silvester geht man in Dortmund an der Hand von Regisseur Matthias Davids ins Maxim. Im Barmer Opernhaus hatte Lehárs sensationelle Erfolgsoperette von 1905 am Samstag, 15. Oktober, ihre zweite Premiere – die erste fand schon im Juni in Solingen statt.

Gar so lustig, wie der Titel glauben machen will, ist diese „Witwe“ aber nicht: Es geht zwar ums erotische Vergnügen, um Grisetten und Seitensprung, aber vor allem ums Geld. Zwanzig Millionen ist Hanna Glawari wert. Eine begehrte Beute für die Pariser Lebewelt. „Die Millionen sind angekommen“, kündigt einer der Pariser Filous ihre Ankunft an: Damit ist alles gesagt. Charme, Intelligenz, Selbstbewusstsein, selbst Schönheit und Ausstrahlung? Egal. Hauptsache, die Frau ist millionenfach vergoldet.

Derweil plagen den pontevedrinischen Gesandten (im Rollstuhl, aber bei den „Weibern“ gut zu Fuß: Miljan Milović) lastende Sorgen: Wird das Geld der Frau Glawari aus seinem Vaterlande abgezogen, droht der Staatsbankrott. Abhilfe muss Graf Danilo schaffen. Der zeigt sich jedoch wenig patriotisch und lehnt den erotischen Staatseinsatz rundweg ab. Die Tanzmädels sind ihm lieber …

Pascale-Sabine Chevroton weiß um die gesellschaftlichen Untiefen in diesem Stück. Und inszeniert die „Lustige Witwe“ in dieser Koproduktion mit den „Folies lyriques“ in Montpellier weit weg von der üblichen Operettenästhetik. Weder Bühnenbild noch Kostüme (Tanja Liebermann) schwelgen in Frack und Tutu. In der Botschaft des Beinah-Bankrott-Staates sind Wände rissig und Stuckleisten geborsten. Für Madame Glawaris Heim ersinnt Bühnenbildner Jürgen Kirner eine gewaltige Handtasche. Es könnte auch ein Geldbeutel sein, der sich öffnet und wie aus einem roten Rachen die leichtlebige Festgesellschaft ausspuckt. Die Damen vom Maxim sehen aus wie Buchhalterinnen. Auch das passt: eher Dienerinnen des Geldes als des Eros. Dass Esprit und Humor gestutzt werden, scheint kalkuliert. Hans Richter als Komiker Njegus darf zwar wienern, aber die üblichen Stegreifsprüche sind ihm nicht erlaubt. So bleibt diese kommentierende Figur profillos. Chevrotons Lesart nimmt die Operette und ihr Sentiment ernst, aber die Szene moussiert nicht. Stellenweise glaubt man, Lehár habe ein Kammerspiel von Ibsen vertont.

Im Orchester sieht das zum Glück anders aus. Florian Frannek entschlackt die Partitur, gibt ihr kammermusikalische Finesse, welche die Orchester-Solisten der Wuppertaler Sinfoniker bereitwillig erfüllen. Der Dirigent „champagnerisiert“ den Rhythmus. Er gibt den schmeichelnden Melodien ohne schmierige Agogik Raum. Die Geigen flüstern wirklich „hab‘ mich lieb“ in feinstem, wenn auch nicht in süffigem Pianissimo der geforderten großen Besetzung. Und das Studium der Noten ist im Graben mindestens so eifrig betrieben worden wie auf den Brettern das Studium der Weiber.

"Lippen schweigen, s'flüstern Geigen ... Hanna Glawari (Susanne Geb) und Danilo (Kay Stiefermann)Foto Aandreas Fischer

„Lippen schweigen, s’flüstern Geigen …“: Hanna Glawari (Susanne Geb) und Danilo (Kay Stiefermann).Foto Andreas Fischer

Dorothea Brandt ist eine nahezu perfekte Tanzsoubrette; ihre Valencienne hat Format. Susanne Geb zeigt die selbstbewussten Seiten der Hanna Glawari. Doch ihrem soliden, zu strahlendem Ton fähigen Sopran fehlt schmeichelnde Weichheit; die lyrische Bezauberung kleidet sie eher in Silber als in Samt. Kay Stiefermann – der Wuppertaler „Holländer“ – erweist sich als wandlungsfähiger Darsteller und routinierter Sänger: Trotz Krankheit singt er den Danilo respektabel und rhetorisch reflektiert. Boris Leisenheimer als Camille de Rosillon scheitert ob der verfehlten Position seines Tenors an den Anforderungen der Partie. Seine Tongebung wirkt gequält, die Höhen sind trocken forciert. Tomas Kwiatkowski und Nathan Northrup sind als Cascada und Saint-Brioche richtige Klischee-Pariser mit Baskenmütze und Halstuch. Der Chor ist von Jens Bingert zuverlässig einstudiert.

Im Programmheft liest man mit Erstaunen, wie oft die Bankrott-Kandidaten unter den europäischen Staaten schon zahlungsunfähig waren – an Pontevedro ist dieses Schicksal noch einmal vorübergegangen. Die Botschaft ist angekommen: reicher Beifall.