Emotionen im Blick – Fotos als Seelenspiegel

Aino Kannisto: White Stones

Da steht sie nun, mit leeren Händen: eine junge Frau, rothaarig, schwarzweißes Kleid und kalkige Finger, inmitten einer grau-weißen Steinwüste. Sie blickt – ins Leere? Oder doch mit ängstlichen, erstaunten Augen in die Kamera? Das Bild, nein, diese Frau, die finnische Fotografin Aino Kannisto, ist uns ein Rätsel. Sie hat sich selbst abgelichtet, wieder und wieder. Doch es sind keine Porträts, die uns die Bochumer Galerie m hier zeigt, sondern sorgfältig vorbereitete, klar strukturierte Inszenierungen. Und der Titel der Schau, „She and She“, führt zu einer weiteren Erkenntnis: Kannisto schlüpft in Rollen, als wollte sie sagen „Ich bin eine andere“.

Was den jeweiligen Ort betrifft, scheint er vieles auszudrücken, nur nicht eins, die reale Welt. Die Frau im Bade: Ein Foto in unwirklichem Weiß, gebrochen nur durch Terrakotta-Kacheln und den von Patina durchsetzten Armaturen der Wanne. Ihr Blick scheint die Frage „Was soll ich hier“ auszudrücken. Die Frau im Garten sitzend: Sie mag Héléne heißen, so sagt es jedenfalls die Tasse, die vor ihr steht. Sie piekt mit der  Gabel wie lustlos in ihrem Kuchen herum. Doch was bedeuten die drei anderen Tortenstücke? Ist da jemand nicht gekommen?

Schließlich, die Frau neben einer rostrot bepinselten Holzwand. Eine wunderbare Licht-Schatten-Komposition. Sie trägt das Haar offen, ein schwarzes Kleid, die sommersprossigen Arme sind frei. Das einzige Bild von 20 Exponaten, in dem uns ein leicht herausfordernder Blick anschaut. Doch eigentlich, auch hier die große, irritierende Melancholie.

Aino Kannisto: Woman sitting in the garden

Kannistos Fotos wirken bisweilen wie Filmstills.  Standbilder inmitten einer Geschichte, die der Fantasie des Betrachters entspringen darf. Doch gleichzeitig bedeutet dieses Auf-den-Punkt-Bringen ein Verharren in der Lautlosigkeit, ja Einsamkeit. Kein Lächeln – eine Künstlerin stellt sich ins Zentrum von Inszenierungen, die vor allem eins suggerieren: Ich habe viel Bekümmernis.

Dieser Kummer nimmt seinen Lauf in teils unwirtlicher Umgebung. Die Frau unter einem weißen Tuch auf einer abgenutzten Steinbank liegend – ein Bild wie aus der Pathologie. Oder sitzend in einem schäbigen Zimmer, widerwillig in einer geknackten Walnuss pulend. Anderswo in einem heruntergekommenen Treppenhaus stehend, die braune Tür neben sich, selbst wie dramatisch gealtert wirkend. Ein düsteres Foto, wären da nicht die hellen Hautpartien, die sehr plastisch für die Ausgewogenheit der Lichtverhältnisse sorgen.

Viele sagen, Porträtfotographie ist dann gelungen, wenn es gelingt, in die Seele der Person zu blicken, die sich vor der Kamera befindet. Streng genommen hat Kannisto nicht sich selbst porträtiert, aber in die Seele schauen kann der Betrachter dieser Frau/diesen Frauen schon.

Ganz offensichtlich und von beiden auch so verstanden, handelt es sich indes bei den Fotos von Nevin Toy-Unkel und Dirk Vogel, zu sehen im Jüdischen Museum Dorsten, um Porträts. Um Bilder von Menschen, die eine Vergangenheit mehr oder weniger mit sich herumschleppen, die recht oder schlecht in der Gegenwart verankert sind und skeptisch bis hoffnungsfroh in die Zukunft schauen.

Ayse Simon, Anästhesistin aus Herne. Foto: Nevin Toy-Unkel

Sie alle leben in Deutschland, sie alle kamen aus der Fremde. Jüdische Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion, denen sich der Dortmunder Dirk Vogel mit Behutsamkeit und sensiblem Gespür für den rechten Moment, den Auslöser zu drücken, nähert. Andererseits Migranten aus der Türkei, oder Deutsch-Türken der jüngeren Generation, die Nevin Toy-Unkel, in Marl lebend, überwiegend als freundlich dreinblickende Menschen fotografiert hat.

Wie etwa das smarte Unternehmer-Paar, das gleichsam für sich wirbt oder die Anästhesistin, die lächelnd und stolz in die Kamera schaut. Alle abgelichtet in ihrer jeweiligen Lebenssituation, in vertrauter Umgebung also, die im übrigen  wichtiger Bestandteil des Bildaufbaus ist.

Valeria Geruhmanova im geblümten Kleid. Foto: Dirk Vogel

Dirk Vogel wiederum ist seinen „Modellen“ an deren Lieblingsplätze gefolgt. Er fokussiert mehr auf die Gesichter, pflegt gleichzeitig die Liebe zu Details, die auf den jüdischen Glauben der Porträtierten verweisen. Da ist etwa die Dame im blütenbunten Kleid, die melancholisch in die Ferne schaut, im Hintergrund ein siebenarmiger Kandelaber. Oder die junge Frau mit Hut und schmalem Gesicht, die an den Film „Yentl“ mit Barbra Streisand erinnert.

Große Texttafeln sagen uns etwas über den Lebenslauf dieser Menschen, ihr Befinden und ihre Wünsche. Doch auch ohne das Geschriebene lassen die Bilder von Vogel und Toy-Unkel Deutungen zu. Das ist beeindruckend.

www.jmw-dorsten.de

www.m-bochum.de

 




Als der Widerstand wuchs: Gesichter der „Wende“

Des welthistorischen Tages wollen wir auch an dieser Stelle gedenken: Vor 50 Jahren, am 13. August 1961, hat das DDR-Regime mit dem schändlichen Mauerbau begonnen. Doch wir zäumen die Sache von hinten auf und betrachten ein Buch über die „Wende“ von 1989, die diese Mauer schließlich zu Fall gebracht hat.

Gesine Oltmanns (Foto: Dirk Vogel)

Gesine Oltmanns (Foto: Dirk Vogel)

Der Dortmunder Fotograf Dirk Vogel porträtiert in dem Bildband „Gesichter der Friedlichen Revolution“ insgesamt 63 Protagonist(inn)en jener bewegenden Phase deutscher Geschichte. Es sind durchweg aufrechte, anständige Charaktere, deren Lebensleistung hohen Respekt verdient. Unter teilweise großem persönlichem Risiko haben sie Courage in einer Diktatur bewiesen. Auch wenn einige es selbst nicht gerne hör(t)en, so darf man sie wohl Heldinnen und Helden der Zeitgeschichte nennen, Vorbilder weit über den Tag hinaus. Doch selbst Helden sind mitunter fehlbar.

Die kurzen Begleittexte zu den fotografischen Porträts stammen von 23 verschiedenen Autoren, sind also zwangsläufig von schwankender Qualität. Hie und da würde man sich wünschen, die Dargestellten mit deren eigenen Äußerungen wiederzufinden. So klingt manches etwas steril, weil praktisch nur von makellosen Menschen die Rede ist. Das liest sich schon mal wie Hagiographie oder landläufige Nachrufprosa. Ein Buch über Leute, die entschieden Widerspruch erhoben und Widerstand geleistet haben, dürfte ruhig etwas kontroverser sein. Hier aber hat es den Anschein, als würden (hochinteressante) Biographien im Idealzustand eingefroren und somit gleichsam stillgestellt.

Doch mit und zwischen den Zeilen lernt man auch hinzu. Von prägnanten Einzelheiten abgesehen, entsteht nämlich eine Art Typologie des Widerstands. Es werden die verschiedenen Triebkräfte sichtbar, die zur Friedlichen Revolution geführt haben. In erster Linie sind hier kirchliche Anstöße zu nennen. Auch sind die widerständigen Kräfte zuvörderst bürgerlich im traditionell besten Sinne.

Carlo Jordan (Foto: Dirk Vogel)

Carlo Jordan (Foto: Dirk Vogel)

Bei vielen stand am Beginn des Aufbegehrens die Verweigerung des Waffendienstes bei der NVA (Nationale Volksarmee der DDR), also ein im weiteren Sinne friedensbewegter Ansatz. Andere kamen über umweltpolitische Fragen (Tschernobyl, Bitterfeld, AKW-Bau bei Stendal), Frauengruppen oder kulturelle Impulse allmählich zur grundlegenden Kritik am SED-Staat. Fast alle sind von der Stasi drangsaliert worden und haben Haftstrafen verbüßt. Doch man erfährt auch, dass jede auf Einschüchterung angelegte Repression verschärften Widerstand erzeugen kann. Eines steht fest: „Ostalgie“ kann hier wirklich nicht aufkommen.

Im Gegensatz zu den Texten sind Dirk Vogels eindringliche Schwarzweiß-Fotografien (grundsolide aufgenommen mit Leica-M-Modellen der Jahre 1956 und 1963), obgleich den Personen jeweils individuell angemessen, nahezu „aus einem Guss“. Es wird durchweg ein beachtliches Niveau gehalten, Vogel erweist sich als Porträtist von einigen Graden. Schmerzliche und freudige Lebenserfahrungen (welch eine Euphorie hat 1989 geherrscht, die hernach vielfach enttäuscht wurde) meint man den Gesichtern anzusehen, zuweilen auch Charisma, Trotz oder Verzagtheit, mehr oder weniger milde Ironie über die wechselhaften Zeitläufte, doch praktisch keine Verbitterung. Und immer wieder leuchtet in den Gesichtern die spürbare Bereitschaft zur Mitmenschlichkeit auf. Lebensschätze, die in Wort und Bild aufgehoben werden müssen. Nicht zuletzt als Wegzehrung für kommende Zeiten.

Dirk Vogel hat Erfahrungen mit womöglich heiklen, jedenfalls vielschichtigen Themen gesammelt. So hat er sich fotografisch intensiv und leidenschaftlich mit jüdischem Leben in Deutschland, mit Sinti und Roma sowie mit dem Alltag behinderter Menschen befasst. Das alles verlangt Gespür für Nuancierungen und Empfindlichkeiten. Bemerkenswert überdies, dass ein Fotograf aus dem deutschen Westen dieses hauptsächlich östliche Feld bestellt. Vogel war 1989 Bundeswehr-Soldat in Niedersachsen. Als immer mehr DDR-Flüchtlinge kamen, sollte die Kaserne vielen von ihnen zunächst als erste Bleibe im Westen dienen. Die Begegnungen von damals waren prägend.

Walter Schilling (Foto: Dirk Vogel)

Walter Schilling (Foto: Dirk Vogel)

Ein wenig beneidet man den Fotografen, dass er für sein aufwendiges Projekt all diese Menschen der „Wendezeit“ persönlich kennen lernen durfte. Um nur einige aufzuzählen: Wolf Biermann, Marianne Birthler, Bärbel Bohley, Rainer Eppelmann, Lilo Fuchs, Katja Havemann, Roland Jahn, Freya Klier, Stephan Krawczyk, Vera Lengsfeld, Markus Meckel, Matthias Platzeck, Lutz Rathenow, Friedrich Schorlemmer, Konrad Weiss. Und all die anderen. Sie hatten jeweils die Wahl des Ortes und des Ambientes, doch die Kompositionen waren Aufgabe des Fotografen. Man ahnt dieses (niemals feindselige) Widerspiel in manchem Bild.

„Gesichter der Friedlichen Revolution. Fotografien von Dirk Vogel“. Mit einem Essay von Claudia Rusch. Herausgeber: Robert-Havemann-Gesellschaft e. V. (Archiv der DDR-Opposition). 144 Seiten, 19,80 Euro (ISBN: 978-3-938857-10-6)

Hier nochmals der Link zu sämtlichen Fotos des Bandes:
http://vogel-d.de/Frei/index.html
Ausgewählte Bilder sind verschiedentlich ausgestellt worden, u. a. in Berlin.
Am 3. Oktober 2011 (ab 19 Uhr) hält der Fotograf Dirk Vogel einen Vortrag beim Bochumer Kulturrat (Lothringer Straße 36 c) und stellt einige Bilder aus, siehe auch: http://www.kulturrat-bochum.de/index.php?id=141
Nach den Sommerferien 2012 (!) wird die Städtische Galerie Iserlohn alle 63 Porträts zeigen.

Alle Abbildungen sind dem besprochenen Band entnommen (Fotos: Dirk Vogel)