Unwort des Jahres: Warum nicht der „Rettungsschirm“?

Insgeheim hatte ich ja eine ganze Palette von Un-Wörtern auf dem Schirm. Nun ist es eine Vokabel geworden, deren zynischen Inhalt ich an dieser Stelle unlängst als unwürdig, wenn auch des Denkens, des Überdenkens, des Bedenkens wert erachtete. Die unfehlbare Jury hielt am Morgen des 17. Januar 2012 „Dönermorde“ für das Un-Wort des Jahres 2011. Zu viel der Ehre, meine ich, für ein menschenverachtendes Sprachgebilde, das sich gedankenlose Schlagzeiler einfallen ließen. Zuwenig auch den Kriterien unterworfen, die normalerweise dazu führen, in die zweifelhafte Hall of Fame der verschleiernden Ungebilde deutscher Alltagssprache aufgenommen zu werden. „Dönermode“, das ist ganz einfach eine schlimme Entgleisung, derer sich zuvorderst Journalisten, also Kollegen (oder etwa nicht?), schuldig machten, und die man eilends wieder aus dem Sprachschatz tilgen sollte, anstatt sie den Vokabeln anzugliedern, mit denen sich die jeweils Beteiligten zwar gehörig blamierten, aber nicht als verbale – propagandistische – Übeltäter zeigten.

(Foto: Bernd Berke)

(Foto: Bernd Berke)

„Rettungsschirm“, wäre mir persönlich viel lieber gewesen. Das ist eine Verquasung, das ist das Musterbeispiel der Verschleierung. „Rettung“ – ist doch prima, guter Begriff. „Schirm“, auch gut, wird der Mensch nicht nass, oder plumps nicht tödlich auf den harten Erdboden, spendiert man dem „Schirm“ noch ein „Fall“ als Vorsilbe. „Rettungsschirm“, der wird uns alle europäischen Finanznöte nehmen, jetzt und immerdar. Das ist ein wahres Un-Wort, eines, mit dem seine Erfinder heucheln, was das Zeug hält, und sie sich alles von einer anonymen Masse namens Steuerzahler finanzieren lassen. Freu‘ Dich, Griechenland, der „Schirm“ sorgt nicht nur für gutes Geld, sondern rettet Dich auch noch. Toll, was!

So gesehen haben wir noch nie ernsthaft darüber nachgedacht, dass das Un-Wort „Un-Wort“ auch Un-Wort des Jahres werden könnte. Kurt Tucholsky stellte auch schon einmal fest: „Meine Sorgen möchte‘ ich haben…“




Denkwürdige Vokabeln (3): „Dönermorde“

Ein Kollege, häufig einer, der glaubt, sich besonders BILD-hafter Formulierungen bedienen zu müssen, tut es. Und dann tun es ihm viele andere nach. Ein Etikett ist erfunden, jedermensch bedient sich seiner in der unerschütterlichen Annahme, ungemein auf der aktuellen Höhe zu sein, und schon gibt es neue Bewerbungen um das Un-Wort eines Jahres.

Besonders dämlich, und daher halte ich es für nach wie vor brandaktuell darüber zu schreiben, kamen dieser Tage die „Dönermorde“ daher, die mutmaßlicherweise von frisch „ausgehobenen“ neonazistischen Terrorgruppenmitgliedern verübt worden sein sollen. Dabei sind nicht etwa erfolgreich verlaufende Anschläge auf Drehspieße gemeint, nein, Journalistenkollegen, ermittelnde Beamtinnen und Beamte, Politiker, Juristen – sie sind es, die sich neben allerlei anderen dieser drollig erscheinenden Vokabel bedienen – und sie umschreiben damit den Mord an Menschen.

Da die Opfer zum Teil einer in unserer famosen Republik lebenden Gruppe angehören, der die Mehrheit der in unserer famosen Republik Lebenden vorurteilend nachsagt, ihre Ernährung bestünde hauptsächlich aus am Drehspieß gegarten Fleisch, kam es kurzerhand zu dieser Tat-Umschreibung. Und es kam auch dazu, dass diejenigen, die die Taten beschrieben oder über sie schrieben, sprachlich zu Tätern wurden, weil sie ebenso gedankenlos wie in engstirniger Zeilengläubigkeit diese zynische und herabwürdigende Titulierung erfanden und bis auf den heutigen Tag nutzen.

Es ist schon schlimm genug, dass sich nun herausstellt, dass über ein Jahrzehnt Nazi-Terroristen quer durch unsere famose Republik Menschen ermorden konnten, ohne gefasst zu werden. Es ist schlimm genug, dass merkwürdige Fragen aus einer übel riechenden Gemengelage von brauner Gülle und verfassungsschützender V-Leute-Schaft quellen. Es ist schon schlimm genug, dass es erst solcher unumstößlicher Nachweise bedurfte, braunen Terror überhaupt als existierend in Betracht zu ziehen. Umso übler, schlimmer und unverzeihlicher ist es, mit dieser dämlichen Wortverbindung verniedlichend und in den Bereich der Randständigkeit drängend mit diesen Untaten in der Öffentlichkeit umzugehen. Ich schäme mich für die, die das Wort benutzen.