Judith Kuckart ist Dortmunds erste „Stadtbeschreiberin“

Judith Kuckart wird die erste „Stadtbeschreiberin“ in Dortmund. Damit hat sich die Jury für eine bereits etablierte Autorin entschieden. Frau Kuckart lebt heute in Berlin, sie wird ihr Dortmunder Stipendium von Mai bis Oktober 2020 wahrnehmen, das heißt: in der Stadt wohnen und arbeiten.

Die Schriftstellerin Judith Kuckart (Foto: Burkhard Peter)

Die Schriftstellerin Judith Kuckart (Foto: Burkhard Peter)

Die Autorin (Jahrgang 1959) hat eine westfälische Vergangenheit. Sie wuchs vorwiegend in ihrer Geburtsstadt Schwelm auf, verbrachte aber auch einen Teil ihrer Kindheit in Dortmund-Hörde. Später studierte sie Literatur- und Theaterwissenschaften an der Universität Köln und der Freien Universität Berlin, an der Folkwang-Hochschule Essen absolvierte sie außerdem eine Tanzausbildung. Seit 1999 ist sie zudem als freie Regisseurin tätig.

Bereits seit 1990 veröffentlicht sie Romane, zuletzt erschien im Juli 2019 „Kein Sturm, nur Wetter“ bei DuMont. Die Autorin hat bereits etliche Literatur-Preise und Stipendien erhalten, so wurde ihr beispielsweise 2009 der Literaturpreis Ruhr zuerkannt.

Judith Kuckart beschäftigt sich besonders intensiv mit den Themenkreisen Heimat und Herkunft. In Dortmund möchte sie ihren nächsten Roman ansiedeln. Außerdem plant sie, hier ein Theaterstück mit Laien zu produzieren.

Die Zeit intensiv nutzen

In der Begründung der Jury heißt es: „Judith Kuckart ist eine hervorragende und etablierte Literatin mit einem starken Bezug zu Dortmund und zur Region. Sie überzeugte durch ihre innovativen Kooperationsideen und die tiefe Auseinandersetzung mit den Inhalten des Literaturstipendiums. Sie ist engagiert und erfahren, kann gut vermitteln und ist eine Meisterin der Inszenierung. Sie wird die Zeit in Dortmund intensiv nutzen.“

Ganz prosaisch sei angefügt: Für die Dauer des Stipendiums steht der Autorin eine möblierte Wohnung in Dortmund zur Verfügung, außerdem bekommt sie monatlich 1800 Euro. Die Auszeichnung ist mit einer temporären Residenzpflicht in Dortmund verbunden.

Das Stadtbeschreiber-Stipendium soll künftig jährlich vergeben werden. Inhaltlicher Schwerpunkt ist – laut Stadtpressestelle – „die Transformation Dortmunds von der Stadt der Montanindustrie zum Standort von Wissenschaft, Technik und Dienstleistungen“. In der Zeit ihres Stipendiums, so heißt es in der Pressemitteilung weiter, „arbeitet die Stadtbeschreiberin eng mit dem Kulturbüro, dem Literaturhaus Dortmund und weiteren Institutionen der regionalen Literaturszene zusammen, bringt sich in die Stadtgesellschaft ein und gibt den Diskursen aktuelle Impulse“.

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Hier ein Link zur Homepage von Judith Kuckart: https://judithkuckart.de/

Eine sehr kritische Einschätzung zur Institution „Stadtbeschreiber*in“ (noch vor der Wahl der ersten Preisträgerin für die Revierpassagen verfasst und also natürlich nicht auf Frau Kuckart gemünzt) findet sich hier.




„Göttliche Lage“ – eindrucksvoller Dokumentarfilm über Dortmunds Phoenix-See

Phoenix-See

Phoenix-See 2012

„Eine göttliche Lage“, so beschreibt einer der Menschen sein frisch erworbenes Grundstück am Dortmunder Phoenix-See. Das ist schon etwas her. Ob er das heute noch so sieht, bleibt offen. Es ist eine von vielen sorgfältig ausgesuchten Szenen und Bilder, die den Dokumentarfilm „Göttliche Lage – eine Stadt erfindet sich neu“ ausmachen, der nun nach fünfjähriger Herstellungszeit Premiere hatte.

Die Macher des Films, Ulrike Franke und Michael Loeken (Filmproduktion Loekenfranke), waren bereits mit ihrem Film vom Abbau eines Hochofens erfolgreich. Der Film über die chinesische Übernahme, den Abbau der Anlage („Losers and Winners – Arbeit gehört zum Leben“, aus dem Jahre 2006) wurde weltweit mit zahlreichen Preisen versehen und ist ebenso wie dieses Werk ein Beispiel. Die Filme bleiben nicht am Lokalen oder Regionalen hängen. Beide sind Gesellschaftsbilder, die exemplarisch sind für Veränderungen und Einschnitte in das Leben der Menschen, private ebenso wie berufliche. Beide zeigen Beispiele aus Dortmund, ein Ort, der sich stets bemüht, seine Innovationskraft herauszustellen und Neues der Vermarktung anzupreisen.

Der Phoenix-See in Dortmund-Hörde ist ein großer Eingriffe ins Stadtbild, hat einen Ort verwandelt, vom lauten und schmutzigen Stahlwerk „befreit“, hin zum stillen See, an dessen Ufern sich Investoren versammeln, die den Seeblick anpreisen, als sei es die Toskana, verlegt an den Gardasee.

Hier wird nicht mehr gearbeitet, am See wird jetzt gewandelt. Das Umfeld des Stadtteils, der sich als eigene Einheit sieht, passt da nicht recht ins Bild. Der Film zeigt sie und lässt sie zu Wort kommen, die Anwohner, wie auch in „Losers  and Winners“, ohne Kommentare der Macher. Man hat hier einen Glücksgriff getan. Die beiden älteren Herren, die – auf das Gebiet, später den See, schauend – ihre Kommentare abgeben wie zwei gelassene Chronisten am Rande des Spielfeldes des kleinen Lokalvereins. Sie sind ein roter Faden und sorgen ebenso für Erheiterung wie die Ausschnitte von Sitzungen der Phoenix-Gesellschaft, wie Gespräche über das architektonische Ambiente oder ein Einsatz von Larry Hagman (J.R.), der souverän, wahrscheinlich nicht genau wissend, wo er sich befindet, den See offiziell eröffnet. Sicher hat ihn eine Agentur irgendwo aus Deutschland einfliegen lassen. Das passt wunderbar in das Unternehmen – weil es eben nicht wirklich passt.

Wir schließen andere Figuren ins Herz wie die Budenbetreiberin aus Serbien, die lange aushält, bevor an ihrem Kiosk nichts mehr geht, wie den Streifenpolizisten, der die abgewrackten Häuser der Nachbarschaft abgeht und die Bewohner kennt. „Das ist doch ein Schauspieler“, höre ich mich denken. Aber nein, so sind die Menschen hier und haben so gar nichts gemein mit den gewünschten Mies-van-Der-Rohe-Villen am Ufer. Da sind die beiden Männer, die am Hügel ihre Wohnungen und Gelände aufhübschen wollen und eine Spalte in der neuen Bebauung als Ausblick aufs Wasser nutzen. Man erlebt viele kleinere Ansichten, die uns Veränderung vor Augen führen. Gleichzeitig ist aber dieser Film keine Anklage an „die da oben“. Es ist die Haltung der Macher, die ihn trägt.

Phoenix-See 2010

Phoenix-See 2010

Nach den gigantischen Bauarbeiten auf dem von der Industrie verlassenen Areal, die in wunderbaren Sequenzen Bagger und anderes Gerät wie in einem Science-Fiction-Film zeigen, die scheinbar als eigene Wesen ihre Arbeit verrichten, wird die Entwicklung zum jetzigen See eindrucksvoll dokumentiert. Das Wachsen der Landschaft, die künstlich zu einem Erholungsgebiet mutiert – wie viele sagen: ein Meisterwerk der Ingenieurstechnik.

Und am Ende sind es die Kleinigkeiten, die die Absurdität der Unternehmung deutlich machen: Das Problem „Kanadagänse“, die Europa zuscheißen und auch den See in Hörde als ihre Heimat entdecken, Neuanwohner, die sich über Lärm von Jugendlichen beschweren, neuerdings der Schilderwald mit Verbotslisten, die wunderbar auf das „wirkliche Leben“ hinweisen.

Das Dortmunder Kino „Sweet Sixteen“ war bis auf den letzten Platz gefüllt. Das Publikum beteiligte sich engagiert und zahlreich an der Diskussion mit den beiden Filmemachern, Betroffene wie Beobachter. Auch dieser Film wird Preise gewinnen!




Lesen vor Ort in Dortmund-Hörde – Zum Welttag des Buches: Wo kleine Läden die Stellung gegen Handelsketten halten

Von Bernd Berke

Welttag des Buches – ein Tag für die Leser. Aber auch ein Tag für den Buchhandel. Auf dem Markt geht es ruppig zu: Handelsketten machen kleinen, familiengeführten Buchläden immer öfter das Leben schwer.

Viele Geschäfte sind verschwunden, andere halten die Stellung. Ein Beispiel: die alteingesessene Buchhandlung Neumann im Dortmunder Ortsteil Hörde. Die WR sprach mit den Inhabern, Heinz-Jürgen Loheide und Tochter Claudia Krommes.

Ist Dortmund-Hörde ein guter Platz, um Bücher zu verkaufen?

Heinz-Jürgen Loheide: Wir sind mit unserem Standort zufrieden. Und wir freuen uns schon auf den Phoenix-See, der ganz in der Nähe entsteht. Der Stadtteil wird dadurch bestimmt attraktiver. Dann wird sich wohl auch der Mix des Publikums zum Vorteil verändern.

Wie sieht die Entwicklung in der Großstadt Dortmund insgesamt aus?

Loheide: Ähnlich wie im ganzen Land. Es herrscht ein Verdrängungswettbewerb, der inzwischen auch kleinere Städte erfasst. Die gesamte Dortmunder Innenstadt wird mehr oder weniger durch eine einzige Buchhandlung (Mayersche mit zwei Häusern, d. Red.) abgedeckt. Reine Freude kommt dabei nicht auf. Im Sog eines Großen muss man sich anders orientieren und sich spezialisieren. Wir verkaufen vor allem Schulbücher – auch in andere Städte. Es gibt inzwischen EU-weite Ausschreibungen für Schulbücher, deshalb können und müssen wir uns auch in weiter entfernten Regionen bewerben.

Was bedeutet der „Welttag des Buches“ für Sie?

Loheide: Im Prinzip ist es immer gut, für das Buch zu werben. Aber man muss eine Menge tun, um Resonanz zu erzielen – nicht nur am „Welttag“. Wir beraten beispielsweise Schulen beim Aufbau ihrer Büchereien…

Claudia Krommes: Gelegentlich veranstalten wir auch kleine Lesungen – oder Aktionen für Kinder. Aber: Ob der „Welttag“ wirklich hilft, wage ich fast zu bezweifeln. Es gab ja kürzlich diese Meldung, dass zwei von drei Kindern zu Hause nichts vorgelesen bekommen. Ich fürchtet dass diese Einschätzung stimmt. Da sind die Eltern viel, viel mehr gefragt. Übrigens: Kinder hören gern dieselbe Geschichte mehrmals. Da muss man nicht immer gleich ein neues Buch kaufen.

Sind Bücher denn zu teuer?

Krommes: Manche glauben das, es ist aber wohl nicht richtig. Taschenbücher liegen nach wie vor meist unter der 10-Euro-Grenze, Hardcover unter der 20 Euro-Grenze. Hörbücher werden tendenziell billiger. Und es gab zuletzt viele günstige Sonderreihen, so dass die Preise sogar im Schnitt leicht gesunken sind. Was immer noch nicht allen bewusst ist: Wegen der Buchpreisbindung sind die großen Anbieter nicht günstiger als die kleinen. Gäbe es die Preisbindung nicht, so würden nur die Großen profitieren, die beim Einkauf höhere Mengenrabatte erzielen.

Wie wichtig ist die Bestsellerliste?

Krommes: Sehr viele Leute halten sich daran. Ich bin mir gar nicht so sicher, ob die gekauften Bestseller immer gelesen werden. Manches dürfte nur fürs Regal sein. Aber ich will micli nicht beschweren. Auch davon leben wir ja. Entscheidend sind immer die Wünsche der Kunden.

Sellerlisten sind aber nicht der einzige Orientierungspunkt. oder?

Loheide: Nicht, weil S i e mich das fragen, sondern weil’s wahr ist: Wenn bestimmte Bücher in den regionalen Tageszeitungen erwähnt werden, merken wir das gleich am gestiegenen Interesse. Das ist für uns wichtiger als der Auftritt eines Autors in einer Fernseh-Talkshow.

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HINTERGRUND

Katalanischer Brauch als Ursprung

  • Der Welttag des Buches geht auf eine Initiative der weltweiten Kulturorganisation Unesco zurück.
  • Ursprung ist ein alter kaltalanischer Brauch: Am 23. April, zum Namenstag des Volksheiligen St. Georg, schenkt man sich dort seit jeher Rosen und Bücher.
  • Weitere Bedeutung des 23. April: Es ist der Todestag der berühmten Autoren Miguel de Cervantes und William Shakespeare.
  • Seit 1996 wird der Welttag des Buches auch in Deutschland gefeiert – mit zahlreichen Aktionen in Buchhandlungen, Verlagen, Schulen, Bibliotheken.
  • Nähere Informationen, auch zu einzelnen Veranstaltungen in der Region: www.welttagdesbuches.de

 




„Schön isst hier“ – aber die Krise ist gegenwärtig

Von Bernd Berke

Dortmund. Die nicht gerade leichtgewichtige Tana Schanzara wirbelt temperamentvoll über die Bühne im Hörder „Bollwerk-Eck“ und besingt die Schönheit eines Schrebergartens. Sie bekommt den größten Beifall des Abends.

Die Revier-Revue „Schön isset hier“, eine Produktion des Ruhrfestpielensembles (Regie: Corinna Brocher), die gestem Abend in Dortmund-Hörde Premiere hatte, präsentierte – abgesehen von jenem Schanzara-Auftritt – fast nur kritische, nachdenklich machende Texte. Der Titel täuscht somit. Davon, daß es sich zwischen Dortmund und Duisburg angenehm oder gar sorgenfrei leben ließe, hörte man in dem 100-Minuten-Programm so gut wie nichts. Wohl zu Recht. Die wirtschaftliche Lage ist zu ernst, um eine kunterbunte Show über diese Region zu veranstalten.

Der Abend war, wenn auch nicht bunt im Sinne von optimistisch, so doch farbenfroh im Sinne von vielfältig. Eigentlich zu viele Themen hat man hineingepackt: Zechen- und Stahl-Probleme sowieso; dazu Ausländerfeindlichkeit, apokalyptische Konsequenzen des hiesigen U-Bahn-Baus und der Automatisierung im Büro, „Dallas“-Fieber, Umweltzerstörung und, und, und…

Auch die Auswahl der Textquellen verriet nicht eben ein straffes Konzept: Klaffen nicht allzu große Lücken etwa zwischen der Art, wie Franz Kafka einen „Besuch im Bergwerk“ beschreibt, und Kroetz-Auszügen oder Slang-Szenen Elke Heidenreichs? Dennoch gab es Entdeckungen zu machen. Wer hätte zum Beispiel gedacht, daß man Franz Kafka überhaupt halbwegs plausibel in solch ein Programm einbauen könnte?

Für das heutige zweite Gastpiel (17 Uhr, „Bollwerk-Eck“) gibt es noch Karten.