Der Drucker der Herzen – Jim Dine schenkt dem Essener Museum Folkwang 230 Werke

Kopie von MF_Jim_Dine_Pinocchio

So sieht er aus: Jim Dine in einem Selbstportrait als Pinocchios Meister Geppetto (Lithographie, 2006). (Foto: Museum Folkwang//VG Bild-Kunst, Bonn 2015)

Er ist der Mann mit den Herzchen. Sie haben ihn weltberühmt gemacht, die Lithographien mit den meist farbenfrohen, optimistischen, manchmal auch durchnumerierten Liebes- und Lebenssymbolen. 1970 schuf Jim Dine seine „Dutch Hearts“, und seitdem gingen sie, vieltausendfach gedruckt, um die Welt. Doch das Oeuvre des amerikanischen Künstlers ist natürlich viel, viel größer, wie jetzt eine Ausstellung im Essener Folkwang-Museum zeigt: „Jim Dine – About the Love of Printing“.

Der Titel der Ausstellung sagt es: Jim Dine liebt den Druck, genauer, die Verwendung von unterschiedlichsten Druckverfahren in seinen Arbeiten. Kaltnadelradierung, Siebruck, Holzschnitt, Lithographie sind gängige Techniken, aber einige Verfahren sind so speziell, dass nur Experten sie kennen, den Kartontiefdruck zum Beispiel oder den Glacié-Tranféré-Druck.

Dine druckt nicht selbst, sondern arbeitet mit den, wie er sagt, besten Druckern der Welt zusammen. Und warum? Nun, antwortet ein sichtlich aufgeräumter, mittlerweile 80-jähriger Künstler bei der Präsentation seiner Ausstellung in Essen, wegen der Geselligkeit natürlich. Malen sei eine einsame Beschäftigung, die Zusammenarbeit mit guten Druckern jedoch überaus angenehm. Da könne man mit jemandem reden, alle seien beim Schaffensprozess gleich wichtig, und „Ich mag meine Freunde“. Sagt Jim Dine und scheint dabei ein ganz klein bisschen zu schmunzeln.

Kopie von MF_Jim_Dine_Big_Wall_of_Hearts

Quasi ein Nachzügler. „Big Wall of Hearts“ von 2002, ein handkolorierter Holzschnitt (Foto: Museum Folkwang/VG Bild-Kunst, Bonn, 2015)

Der künstlerische Nachlass

Daneben hat das Drucken den Vorteil, dass die meisten Arbeiten etwas weniger teuer sind, als es die Originalgemälde eines so berühmten Mannes wären. So konnte Jim Dine großzügig dem Folkwang-Museum 230 Arbeiten aus verschiedenen Schaffensperioden schenken. Sie bilden das Gros der Ausstellung. Doch was soll man davon halten? Hat sich der Künstler am Ende seine Ausstellung im renommierten Haus gekauft?

Das wäre gewiss eine unzulässige Unterstellung. Er sei, sagt Dine, im fortgeschrittenen Alter und wolle sein künstlerisches Erbe ordnen. Im Folkwang-Museum, beim Kurator Tobias Burg und auch beim Chef des Hauses, Tobia Bezzola, wisse er die Arbeiten in guten Händen. Eine Win-Win-Situation mithin.

Vorliebe für die Zentralperspektive

Mal bunt, mal schwarzweiß, mal asketisch nüchtern, mal aus Bild und Schriften bunt zusammengefügt – das Werk Jim Dines ist von Vielfalt geprägt. Indes fallen doch Vorlieben auf, etwa für die Zentralperspektive, die den Gegenstand des Bildes stets in dessen Mittelpunkt postiert, sei es ein Kopf, ein Herz oder eine antike Statue. Tauchen mehrere Bildelemente auf, so werden sie nicht auf der Bildfläche verteilt, sondern übereinander gelegt, beispielsweise in „9 Hearts from Nicolaistrasse“ (Digitaldruck mit Kaltnadel, 2009). Manchmal werden mehrere Bilder wie Kacheln montiert, beispielsweise die berühmten sechs Herzchen. Dann hat jedes seine eigene Zentralperspektive.

Kopie von MF_Jim_Dine_Self-Portrait

Eins von den Bademantelbildern ist „Self-Portrait: The Landscape“ von 1969, eine Lithographie (Foto: Museum Folkwang/VG Bild-Kunst, Bonn, 2015)

Portraits im Bademantel

Früh schon befasste sich Jim Dine mit der plakativen Verbindung von Wort und Bild, etwa in der Lithographie-Serie „Car Crash“ von 1960. Das geschriebene Wort „Crash“ erleidet hier als sichtbares Element den Unfall, eine fast etwas verstörende Doppelung. In den Selbstportraits hingegen, die einen weiteren Schwerpunkt in Dines Werk bilden, ist lediglich dessen Bademantel zu sehen, als Stellvertreter des (nicht) Abgebildeten. Das Individuelle wird dem Betrachter vorenthalten, die erwartete Information nicht gegeben. Es scheint, dass Dine das Spiel mit wechselndem Zuviel und Zuwenig an Information liebt.

Von gediegener konzeptioneller Langeweile scheinen im nächsten Raum auf den ersten Blick die radierten Werkzeugbilder, Pinsel, Zangen, Sägen, Pizzaschneider, zu künden; doch betrachtet man sie länger, beginnen sie ein visuelles Eigenleben zu führen, schieben sich ihre bizarren Formen mit Nachdruck ins Bewusstsein des Betrachters. Dann werden sie fast ein wenig unheimlich, zumal der Künstler Schraffuren über sie legte und ihnen damit eine Aura von Unwirklichkeit gab.

Kopie von MF_Jim_Dine_The_Venus_Dances

„The Venus Dances“, ein Holzschnitt von 2005 (Foto: Museum Folkwang/VG Bild-Kunst, Bonn, 2015)

Pinocchio macht alles anders

Antiken Skulpturen, weiblichen zumal, nähert sich Jim Dine mit großen Respekt und gesteht ihnen in seinem Reproduktionen der Serie „Glyptotek“ (Glacé-Transféré-Drucke, 1988) sogar eine echte Plastizität zu. Und dann taucht im nächsten Raum der untadelig gehängten Ausstellung plötzlich Pinocchio auf, ein buntes, quicklebendiges, keck die Augen rollendes und geradezu professionell animiertes Bürschchen, dem die Statuarik anderer Dinescher Motivwelten völlig fremd ist. Ihn habe die Erschaffung eines Menschen durch Menschenhand fasziniert, sagt der Künstler über diese 2006 entstandenen Arbeiten. Und keineswegs zufällig hat er Pinocchios Schöpfer Meister Geppetto seine eigenen Gesichtszüge verpasst. Der Künstler als Welt- und Menscherschaffer: eine schmeichelhafte Vorstellung, vielleicht auch nur ein frommer Wunsch.

Keine Themen mehr

Vor fünf Jahren schließlich, erzählt Jim Dine, sei irgendwie Schluss gewesen. Herzen, Antiken, Bademäntel, Pinocchio, all die Themen seien auserzählt gewesen. So habe er sich entschlossen, weiterzuarbeiten, ohne erneut thematisch zu werden. Die letzten Bilder, teilweise aus diesem Jahr, sind somit gänzlich ungegenständlich, um die anderthalb Quadratmeter groß und sehr farbenfroh. Es sind große Holzschnitte, die Jim Dine nach mehreren Druckvorgängen mit Farbe und unorthodoxen Materialien nachbearbeitet hat. „Holzschnitt mit Elektrowerkzeug-Abrieb“ beispielsweise ist eine Arbeit beschrieben, die einen erstaunlich konkreten Titel trägt: „Die Verpackung eines Sees aus Glas“. Wieder einmal ist die Bild-Text-Schere weit geöffnet; doch das Spiel mit Wörtern und Bildern gehört in Jim Dines Werk ja von Anfang an dazu.

  • „Jim Dine – About the Love of Printing“
  • 275 druckgraphische Arbeiten, eine dreiteilige Skulptur
  • Museum Folkwang, Essen, Museumsplatz 1
  • Bis 31. Januar 2016
  • Geöffnet Di-So 10-18 Uhr, Do+Fr 10-20 Uhr
  • Eintritt 5 €
  • Katalog (224 Seiten, Leinen) 28 €
  • Besucherbüro Tel. 0201 8845 444
  • www.museum-folkwang.de



Wer blättert denn noch im Brockhaus?

Wie gern sehen sich manche gedruckt! Es ist ihnen ein Antrieb des Schreibens, vielleicht sogar ein hauptsächlicher.

Auch mit dem Internet hat sich diese Form des Bleibenwollen nicht erledigt, sie hat sich allerdings gewandelt, ins Flüchtige gewendet. Wenngleich man uns sagt, dass im Netz nichts verloren gehe, so beschleicht einen hin und wieder das Gefühl, mit einem Wusch könne alles hinschwinden für immer. Doch auch im Virtuellen hinterlässt man gern seine mehr oder weniger kümmerlichen Spuren, wenn es auch nicht mehr den geringsten Anschein von Ewigkeit hat.

Neuere Techniken haben eine totalitäre Tendenz; dergestalt, dass sie alles Vorherige verdecken. Um mit einem Filmtitel von Alexander Kluge zu reden, so ist es „Der Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit“. Man hat nur noch eine vage Vorstellung davon, was ehedem gewesen ist. Wie war das noch, die Typenhebel kraftvoll zu betätigen und Buchstaben mit der mechanischen Schreibmaschine aufs Papier sausen zu lassen? Wie war das noch, den eigenen Schrieb gar von bloßer Hand zu erzeugen? Wie war das mit dem Wort in den Zeiten vor Word?

Mit den Jahren geht die Übung verloren. Man beginnt staksig zu schreiben, die Hand fährt ungelenk und etwas unbeholfen dahin. Die allermeisten verfassen kaum noch handschriftliche Briefe, allenfalls roh hingeworfene Notizen, Ideenskizzen. Ansonsten wird einem die Handschrift ungewohnt, ja vielleicht schon ein wenig befremdlich.

Just vor zwei Tagen stand in den einstweilen verbliebenen Zeitungen, dass es künftig kein gedrucktes Brockhaus-Lexikon mehr geben wird. Was früher als eherner Bestand bürgerlichen Wissens gegolten hat, ist im Schwinden begriffen. Aber wer schaut denn auch noch ins lederne Lexikon, dessen Bände zusehends veralten? Wie gern hat man darin einst geblättert; nicht immer gezielt, sondern gern kreuz und quer, von diesem auf jenes kommend, das eine oder andere unverhofft hinzu lernend.

Da dies hier ein Kulturblog aus dem Revier ist, sei der guten Ordnung halber noch vermerkt, dass der Urvater des besagten Lexikons, Friedrich Arnold Brockhaus (1772-1823), in Dortmund geboren und aufgewachsen ist. Auch hat er hier erste Geschäfte (Wollhandel) betrieben. Seine Buchhandlung als Vorläuferin des Verlags F. A. Brockhaus hat er 1805 freilich in Amsterdam gegründet. Der Mann war nach eigenem Bekunden von einer „wahren Bücherwuth“ besessen. Doch dass wir hier seinen Namen mit Wikipedia verlinken, sagt denn auch einiges über die grundlegend gewandelte Lexikographie aus.