Schockierendes Geständnis: Warum ich mich beim „Dschungelcamp“ prächtig amüsiere

Ich traue mich eigentlich auch jetzt noch nicht so recht: Sind ernsthaft zu nennende Blogs, die sich in würdigender Weise dem gezausten Themenfeld der Kultur widmen, auch wirklich das angemessene Podium?

Setze ich mich nicht freiwillig der Gefahr aus, mich als tumber Konsument und aufs Glotzen fixierter Allesfresser zu outen? Könnte ich möglicherweise das Schallen der auslachenden Heiterkeit bis nach Hagen hören? Ich mach’s dennoch: Der alte Mann gesteht, er guckt mit einem Heidenvergnügen alle Jahre wieder „Dschungelcamp“, amüsiert sich königlich, wie angeranzte Promis (oder solche, die noch nie welche waren und andere, die betteln, alsbald solche werden zu dürfen), alle Selbstachtung missachtend, allerlei Reste von krabbelnden Bewohnern des raren Regenwaldes von Down Under herunterwürgen. Ertappt.

Alltagskultur im weitesten Sinne

Nun tröste ich mich seit der Stunde, da diese Sendung Grimme-bepreist wurde, damit, dass sie ja im weitesten Sinne ein Stück deutscher Alltagskultur ist; damit, dass über die Ereignisse im sonnigen Promi-Hain von nahezu jedem Medium hierzulande begierig berichtet wird. Selbst Fernsehsendungen nehmen sich dieser Fernsehsendung an – quasi das „Wetten, dass?“ der Privaten. „Dschungelcamp“, das hat also einen Aktualitätswert, den zu unterschätzen zwar ausdrücklich erlaubt ist, aber anscheinend traut sich das niemand wirklich.

Daniel Hartwich und Sonja Zietlow im Dschungelcamp (Foto: RTL/Stefan Menne)

Daniel Hartwich und Sonja Zietlow präsentieren das Dschungelcamp (Foto: RTL/Stefan Menne)

Ich bin ja bekennender Fan des gepflegten „Trash-TV“, ährlich. Das Team im Hintergrund der alljährlichen „Camper“-Tragödie ist indes im Rahmen dessen, was die Kollegen der Branche ansonsten so zu Wege bringen („Biggest Loser“, „Bauer sucht Frau“ oder Schlimmeres), beinahe von athletischer Sprachkultur.

Nach meist zurückhaltendem Beginn (man muss die Typinnen und Typen im Camp ja erstmal kennen lernen), fallen spätestens nach dem dritten Tag stets alle Barrieren. Dann beginnt Sonja Zietlow mit Daniel Hartwich (Nachfolger des verstorbenen Dirk Bach) über alles herzuziehen, was zweibeinig durch den Urwald stapft oder hinfällig stolpert.

„C-Promis sind viel zu teuer“

„Was schreiben die nur immer, wir laden doch keine C-Promis ein, die sind doch viel zu teuer“, tönt Sonja. Oder Daniel entfährt gekonnt die Charakterisierung „fossiler Lowperformer“ für Walter Freiwald, den er gern auch in „Freiwild“ umtauft.

Ach ja, muss man ja erläutern, wer das überhaupt ist: Walter Freiwald war einst Anhängsel von Harry Wijnvoord beim frisch geschlüpften Privat-TV von RTL in der kultigen Nachmittagssendung „Der Preis in heiß“. Harry war schon lange vor ihm im Dschungel, schlug sich recht wacker und bekam etwas frischen Wind die Karriereflaute. Die wünscht sich der welke Walter nun auch, bejammert das hilflose Publikum mit bundesweiten Bewerbungsgesprächen, was laut BILDender Zeitung zumindest beim Friesischen Rundfunk angeblich gewirkt haben soll. Anscheinend brauchen sie noch Verstärkung in ihrer Geriatrie.

Illuster ist der Reigen häufig desaströser Karrieren im Showbiz allemal. Und das in jedem neuen Jahr. Ich vermisse eigentlich seit langem eine vorgeschaltete Casting-Staffel, damit ich mal mitkriege, woher sie diese Merkwürdigkeiten eigentlich kramen. Ist aber wohl zu aufwändig.

Maren Gilzer beispielsweise lächelt sich mal wieder in ferne Zuschauerherzen. Die kannte man als anmutig-langbeinige Assisstentin im „Glücksrad“ und später als schauspielernde Krankenschwester im Team der Hospital-Soap „In aller Freundschaft“. Sie hatte sicher die stabilste Leiter von allen aktuellen Campern. Ähnlich stabil lief es bei Rebecca Simoneit-Barum, der ewigen „Iffi Zenker“ aus der „Lindenstraße“. Die kannte ich ja noch beide, alle folgenden erst, seitdem sie im Dschungel Bohnen mit Reis kauen. Ist doch auch ein Erfolg?

Blondine und Muskelpaket

Nun aber der ziemlich unbekannte Rest: Angelina Heger, ein possierliches Blondchen, versuchte mal einen „Bachelor“ zu umgarnen. Ohne Erfolg, was nicht weiter wundert, denn ist sie im Camp genauso auffällig wie die Beschattung durch die Bäume. Oder Aurelio Savina, ein bemaltes Paket Muskel das sich noch an seine Machorolle herantastet und mal eine Bachelorette bezirzen wollte, sich aber rauspöbelte. Benjamin Boyce, dem man nachsagt, er könne singen, weil er mal einer Boygroup angehörte. Jörg Schlönvoigt, von dem es heißt, er sei DJ, Sänger und Allgemeinmediziner bei GZSZ („Gute Zeiten, schlechte Zeiten“). Ihrer beider Präsenz ist ebenfalls im Baumschatten zu suchen.

Und da hätten wir noch Patricia Blanco, Tochter des gleichnamigen Roberto, was ihr einziger Hinweis auf unmittelbar bevorstehende Prominenz bleibt. Außerdem wären da Rolf („Rolfe“) Schneider, dessen herausragende Leistungen sich bei der Jury-Mitgliedschaft während der Supermodelsuche und glänzenden Haltungsnoten beim Turmspringen finden lassen; Sara Kulka, eine der vielen, die „fast mal Supermodel geworden wären“, die indes Blüten streut, wenn sie ihr spezifisches Deutsch spricht: „Je öfters Du das machst, desto scheißegaler wird Dir das.“ Und schließlich Tanja Tischwitsch, das stimmlose Gesangstalent, das bei „Deutschland sucht den Superstar“ nur wegen seiner Ausstrahlung in den Recall gelangte.

So, hätte ich sie jetzt alle?. Die brummige Leserin, der kopfschüttelnde Leser wird gerade denken: „Ist mir doch egal, dieser Flachsinn!“ Aber wenn sie oder er sich das durchgelesen haben, sind sie genauso weit gekommen und informiert wie die im Spiegel, in der Zeit, der Welt oder vielen, vielen anderen Medien. Aber ich stelle hier mal wertend fest: Kult ist das, kultig kommt es bei mir an und ich lache mich frohgemut in die Bettschwere. Jedoch bis zur Kultur fehlen halt (nicht nur) zwei Buchstaben.




Schnell her mit der nächsten Debatte!

Immer und immer wieder diese Debatten. Auch in der letzten Zeit ging es wüst her. Haben wir da etwas versäumt?

Seitdem die maßgeblichen Kulturteile überregionaler Zeitungen sich vor Jahr und Tag zu „Debatten-Feuilletons“ erklärt haben, um notfalls jeden Kram durch die kulturkritische Mühle zu drehen, müssen wir stets auf dem Posten sein. Sonst entgehen uns womöglich Meinungen, die wir uns niemals hätten träumen lassen.

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Nehmen wir nur den Kinderbuch-Streit, der jetzt so manche Redaktion – wie es so unschön heißt – „in Atem gehalten“ hat. Darf man Worte wie „Neger“ etwa in einem Buch von Astrid Lindgren stehen lassen – oder muss man sie nun endlich flugs ersetzen? Je nun, lasst sie einfach stehen, denn alles andere wäre eine idiotische Verfälschung. Aber verwendet diese Worte halt heute nicht mehr. So einfach könnte das sein. Aber damit ließen sich all die Spalten, Seiten und Sendeplätze nicht füllen. Man muss sich also öffentlich erhitzen und dabei so gekonnt provozieren, dass sich andere zur Gegenmeinung aufschwingen. Und so weiter. Erst dann wird eine richtig schöne, weil heftige Debatte daraus.

Dann hatten wir wieder Nazi, Nazi, Nazi. Hitler- und Goebbels-Vergleiche oder Antisemitismus-Vorwürfe gehen unter allen Debattenthemen immer noch am besten; erst recht, wenn man zwei prominente Publizisten gegeneinander hetzen kann – in diesem Falle bekanntlich Henryk M. Broder und Jakob Augstein. Dann ist endlich mal wieder Krawall auf der Bühne. Und jede(r) bringt sich in Stellung und feuert seine Worte ab. Ein saftiger Rufmord ist rasch geschrieben.

Und noch so ein Duell: Die Suhrkamp-Chefin, Schriftstellerin und Unseld-Witwe Ulla Berkéwicz tritt seit Monaten gegen den Verlags-Miteigentümer Hans Barlach an, den der Suhrkamp-Autor Peter Handke als den Bösen schlechthin erkannt haben will. Wieder so eine Frontstellung, wie sie für kernige Debatten zündkräftig ist. Hier steht natürlich gleich ein Gutteil der deutschen Kultur (oder wenigstens die „Suhrkamp-Kultur“) auf dem Spiel. Jedenfalls droht der Verlag in unsinnigen Scharmützeln zerrieben zu werden, was ja traurig genug ist. Unterfüttern lässt sich der juristische Dauerstreit, gegen den einst „Dallas“ und „Denver“ Kuschelgruppen waren, noch mit dem uralten Muster „Die Schöne und das Biest“.

Selbst ums unsägliche „Dschungelcamp“ kommt man heute angeblich nicht mehr herum. Beim Quotenbringer herrsche ja (höhere?) Ironie, befinden nun manche Edelschreiber. Andere halten empört dagegen. Also scheint’s legitim zu sein, sich selbst über diesen Dreck auch im Feuilleton die Köpfe heiß zu reden. Da sehnt man sich fast wieder nach Schmutz- und Schund-Kampagnen zurück. Aber nee. Nicht ernsthaft.

Wenn man schon tief ins Triviale driften darf, so muss man natürlich auch küchenpsychologisch erörtern, warum bestimmte Promi-Beziehungen (Wulff, Van der Vaart) scheitern. Und bloß die Expertenbefragung nicht vergessen!

Da war es halt nur noch ein kleiner Schritt bis zur nächsten Geschlechterdebatte, die von einer Stern-Journalistin ein Jahr nach dem offenbar schlüpfrigen Vorfall lanciert wurde und den FDP-Mann Brüderle in Bedrängnis bringen sollte. Müßig zu erwähnen, dass Sex neben Nazi stets am besten läuft. Übrigens: Nicht nur heimlicher Nazi, auch Sexist kann eigentlich jeder sein. Gut, nicht wahr? So können sich alle irgendwie betroffen fühlen. Auch fallen in derlei Fällen immer ein paar ungemein witzige Wortspiele oder Vergleiche ab, so etwa „Prüderle“ oder – nochmal zurück – die puppenlustige Einlassung, Henryk M. Broder sei der Bud Spencer des deutschen Debattenwesens.

Es ist nicht damit getan, dass Journalisten und Talkshowgäste die widerstreitenden Meinungen vorturnen. Auch wir sind gehalten, uns ständig zu positionieren und Meinungen zu haben. Wir sind doch nicht von gestern! Im fidelen Jahresend-Quiz fragen die Blätter dann gern ab, ob man auch ja jeden Hype mitbekommen hat und sich noch an kuriose Details erinnert. Macht euch ruhig schon mal Notizen für Ende 2013. Stichwort „Säue, durchs Dorf getriebene“.

Gewiss: Natürlich sind viele kluge und interessante Beiträge zu goutieren. Manche Debatten kann man wahrhaftig als Anstöße verstehen, nach denen denen sich möglichst breite Teile der Gesellschaft über ihr Wesen und Wirken verständigen könnten. Aber ach, allzu oft ist es eben nur Raunen, Rauschen und Zeitvertreib. Dann springt die Medien-Maschinerie einfach zu schnell an, damit nur ja wieder neue „Aufreger“ produziert werden. So kommt es, dass man nicht nur von Politik-, sondern auch von Medien-Verdrossenheit reden kann.

Eine Wette, die darauf setzt, dass die Deutschen auf dem Felde aufgeregter Debatten Weltmeister werden könnten, hätte gute Aussichten. Gelassenheit wohnt woanders. Und manchmal wäre man gerne Eremit. Beispielsweise dann, wenn die nächste Grass-Debatte anhebt.