Apokalypse mit Abwasch – Leander Haußmann inszeniert die Uraufführung von Edward Bonds „Das Verbrechen des Einundzwanzigsten Jahrhunderts“

Von Bernd Berke

Bochum. Links kauert eine Ruine. Auf schräger Holzplanke kann man bis auf einen beengten Platz balancieren. In dessen Mitte steht ein wackeliger Tisch, rechts erhebt sich windschief ein notdürftig gezimmerter Verschlag als kaum menschenwürdige Behausung. Das wie für alle restlichen Zeiten unwandelbare Elendsquartier (Bühnenbild: Franz Havemann) ist Schauplatz eines Endzeit-Spiels.

Der Brite Edward Bond (64) läßt sein Stück „Das Verbrechen des Einundzwanzigsten Jahrhunderts“ anno 2090 spielen. Die Welt besteht weithin nur noch aus Schutt und Asche, eine brutale, fürchterlich anonyme Militärmacht kontrolliert die abgeriegelten Bezirke. Von den Tätern erfährt man nichts Näheres, man schaut nur den Opfern eine Weile beim Vegetieren zu.

Das Drama, jetzt unter Regie von Leander Haußmann in Bochum uraufgeführt, stößt uns ins „Säuberungsgebiet“, in dem versprengte Flüchtlinge umherirren und um die letzten kargen Wasser- und Nahrungs-Reserven kämpfen. Man muß nicht 91 Jahre vorausdenken, um derlei Verhältnisse zu imaginieren…

Auch die Sprache ist nur noch Ruine

Bond, der seine Stücke gern wortkarg betitelt („Sommer“, „Gerettet“), verwendet auch hier eine Sprache, die vielfach aus Ein- oder Zweiwortsätzen besteht. Mit hervorgeschnappten Wortbrocken beginnt der anfängliche Disput um einen Becher Wasser, den Grig (Ralf Dittrich) von Hoxton (Margit Carstensen) erfleht. Nicht nur die Häuser, auch die Sätze sind Ruinen. Und menschliches Verhalten ist zurückgestutzt auf elementare Antriebe des bloßen Überlebenswillens. Die Figuren  nehmen einander durch Witterung wahr, sie erschnuppern die vermutlich gefährliche Gegenwart der anderen.

Der Abend hangelt sich zuweilen zäh über manche Leerstellen hinweg – und wahrscheinlich gibt das Stück auch nicht mehr her. Bond bastelt sich seine apokalyptische Vision aus Versatzstücken zurecht. Es treten keine „Charaktere“ auf, sondern wandelnde Chiffren der Katastrophe. Auch gibt es keine erzählbare Entwicklung, keinen Fortgang. Alles ist schon zu Beginn ausweglos und bleibt so. Es beschleicht einen das Gefühl, man habe solche Befunde bei Samuel Beckett schon wesentlich konsequenter und gültiger gestaltet gesehen. Und Sätze wie „Wir rammeln die Sterne vom Himmel“ hätte der Ire nicht im Traum benutzt.

Mit Bond betreten wir gar einen vergleichsweise gemütlichen Flecken im Niemandsland. Immer wieder sehen wir, wie aus einem Kanister (mit komfortabler Zapf-Vorrichtung) Waschtage und Geschirrspülen bestritten werden. Fehlt nur das Bügeleisen. Der Alltag, wie bruchstückhaft auch immer, geht selbst in dieser Zivilisations-Wüste unterm öden Bildschirm-Himmel irgendwie weiter. Oder sollte gerade in solcher „Normalität“ am Ende aller Geschichte der eigentliche Schrecken bestehen?

Zwei weitere Personen betreten die Szene: Grace (Annika Kuhl) will ihre vermeintliche Mutter Hoxton steinigen. Und der als Schmerzensmann geradezu auftrumpfende Kriminelle namens Sweden (Andreas Pietschmann), der seinen Kontroll-Chip aus dem Leibe geschnitten hat und deshalb von der Armee des Augenlichts beraubt wird, ersticht buchstäblich blindlings die beiden Frauen. Nach finaler Selbstamputation wankt er auf blutigen Beinstümpfen.

Eifriges Theater der Grausamkeit

Derlei morbide Akte wirken hier wie willkürlich schockierende „Zugaben“, die fast ebenso gut unterbleiben könnten. Es ist, als hätte Bond mit seinem Theater der Grausamkeit der kürzlich verstorbenen Sarah Kane (ihr ist der Text gewidmet) nacheifern wollen. Und es scheint so, als vollführe Sweden seine Morde vor allem deshalb, weil er merkt, daß er diese Frauen braucht (als Pflegerinnen, Wegweiserinnen, Huren), sie ihn hingegen nicht. Es ist nicht zum Aushalten.. .

Von wegen „Bochumer Spaß-Theater“. Sie können auch anders: Sieben erbärmliche Heullaute, ausgestoßen in einem klinisch weißen Raum, verhallen am Schluß. Die Darsteller stehen alles Klagen tapfer durch. Doch die Apokalypse haben sie über weite Strecken nur behauptet, selten aber zutiefst gezeigt.

Dennoch unbändiger Premierenjubel des Haußmann-Fanclubs. Ob das Abo-Publikum auch so reagieren wird, darf bezweifelt werden.

 




Blutrünstiges aus dem Soziallabor – Jürgen Bosse inszeniert Edward Bonds „Ollys Gefängnis“ in Essen

Von Bernd Berke

Essen. Klingt wie eine jener mysteriösen, weil arg verkürzten Mord-Meldungen auf bunten Seiten: „Weil sie eine Tasse Tee nicht trinken wollte, hat Mike X. seine Tochter Sheila erdrosselt.“ In Edward Bonds neuem Stück „Ollys Gefängnis“ erfährt man, wie es dazu kommen konnte. Aber ist man danach schlauer?

In Jürgen Bosses Essener Inszenierung sitzt jene Sheila (Jennifer Caron) bereits bei laufendem Fernsehgerät im Spießbürger-Zimmer auf der Bühne, wenn sich der Zuschauerraum allmählich füllt. Doch sie schaut gar nicht hin; weder aufs TV-Programm (Comedy-Shows) noch auf ihren Vater Mike (Matthias Kniesbeck).

Der Witwer hat sich rührend bemüht, hat für die Tochter gekocht und gebügelt, will nun auch mal ein paar Takte mit ihr reden. Doch so sehr er auch schnurrt, säuselt, bettelt, brüllt oder droht – sie bleibt stumm und stiert nur vor sich hin. Und den Tee will sie auch nicht trinken. Da rastet er schließlich aus und erwürgt sie. Das sonstige Repertoire der menschlichen Annäherung war halt ausgeschöpft. Psycho-Experiment vorerst beendet.

Danach verwischt Mike nicht etwa die Spuren der Untat, sondern fällt in einen Dämmerschlaf. Als die Wohnungsklingel ihn nach Stunden weckt, hat er seine Tat glatt „vergessen“. Später, als er im Knast seine Strafe verbüßt, passiert ihm erneut etwas Seltsames. Wiederum ist es, als sei er aus der Zeit gefallen: Er will sich umbringen und hat seinen Strick schon geknüpft, da muß er noch mal pinkeln. Als er von der Toilette zurückkommt, hängt schon ein Mithäftling in der Schlinge, der es eiliger hatte mit dem Ableben.

Ein Sozial-Report mit aufgepfropften Alptraumszenen? Schonungsloser Realismus, der sich dann doch ins Unfaßbare hochstemmen will? Dies und leider noch mehr. Denn Edward Bond unterlegt dem Ganzen noch eine müßige These. Im Original heißt das Stück „Ollys Prison“, sprich „All is Prison“. Merke also: Nicht nur im Gefängnis ist man eingesperrt, sondern auch in sich selbst, ins Schicksal, in die Einsamkeit der eigenen Wohnung usw. Wie zum Mitsingen: „Das gaaanze Leben ist ein Knast“.

Und so sehen wir denn, wie sich die Figuren – ob als Täter oder Opfer – in diesem Drama unglückselig miteinander verketten und einander im Gitter der Gewaltsamkeit gefangen halten. All das gipfelt in einer Schock-Szene mit dem titelgebenden „Olly“. Der logiert – typische Verquickung – bei der Mutter seines früheren Peinigers, welcher sich (siehe oben) im Knast erhängt hat. Nun wird ihm mit bloßem Finger das noch verbliebene Auge aus dem Kopf geschält. Man sieht dies auf Bildschirmen vervielfacht. Theater à la Horror-Video. Soll man nun über mediale Verstärkung von Gewalt nachdenken?

Mit blutverschmiertem Gesicht kriecht jedenfalls der seines Augenlichts beraubte „Olly“ (Michael Schütz) über die Bühne und stammelt immerzu: „Ich seh‘ nichts.“ Woraufhin Mike nochmals die finale Moral verkündet, ein jeder sei in sich eingekerkert. Nun aber Vorhang zu!

Man müht sich in Essen redlich. dem kruden Text tiefere Bedeutung einzuhauchen. Die Schauspieler können diesen Soziallabor-Traktat, das aus der Retorte zu stammen scheint, nicht so recht beglaubigen. Es wirkt alles wie zufällig hergestellt und herbeigezwungen. Bosses Regie erschöpft sich meist in vorschnellen Effekten. Da erklingen zwar immer mal wieder apokalyptische Stampf-Geräusche, auf daß man erschrecke. Doch wirklich erschüttert wird man nicht. Nur hin und wieder schockiert.

Weitere Vorstellungen: 28. Dez. / 14. und 27. Jan. – Karten: 0201/8122-200.




Die Banalität des Bösen zwischen Pathos und Witz – Andrea Breth inszeniert Edward Bonds „Sommer“ in Bochum

Von Bernd Berke

Bochum. Der deutsche Jugoslawien-Tourist salbadert selbstgerecht von NS-Massenerschießungen im Zweiten Weltkrieg, an denen er hier selbst beteiligt war – und mampft dazu ein Sandwich. So abgründig banal kommt in Edward Bonds „Sommer“ und in Andrea Breths Bochumer Inszenierung des Stücks das Böse, kommt die vielzitierte „Unfähigkeit zu trauern“ daher.

Sommerurlaub. Wie in vielen Jahren zuvor, so sind auch diesmal Xenia (übersetzt: „Die Fremde“) und ihre Tochter Ann aus England gekommen. Xenia ist hier aufgewachsen, ihrem Vater gehörte einst die halbe Gegend samt Fabriken und Zeitungen. Im Krieg spielte er, sich immer liberal und freundlich gebend, eine Doppelrolle: Kollaboration mit den mörderischen Nazi-Besatzern und gleichzeitig Tipps an die Partisanen.

Xenia besucht Marthe, die ehemalige Haushälterin der Familie, die damals von den Nazis erschossen werden sollte, von Xenia aber „großmütig“, wie es nur Besitzende sich leisten können, gerettet wurde. Marthe, der längst das Haus gehört, ist nun todkrank. Sie kann Xenia nicht vergeben. Aus dem daraus folgenden Ringen um die Vergangenheit, von der es keinen Urlaub gibt, bezieht das Stück Sprengkraft, die aber vielfach „zugeredet“ wird.

Andrea Breth hat sich leider nicht zu Streichungen entschließen können, sie läßt sich (Spielzeit: dreieinhalb Stunden) sozusagen auf jede Windung ein, weder Pathos noch Karikatur scheuend. Diese Einläßlichkeit ist Stärke, wird aber auch zur Schwäche, weil das Stück doch vielfach in einen langatmigen, beinahe dozierenden Tonfall gerät. Da reiht sich Satz an Satz, Beispiel an Beispiel, wenn etwa ein ganzes medizinisches Kolleg abgehalten wird, mit dem natürlich nur eine Wahrheit des Todes auf den Begriff gebracht werden kann. Vor allem in den Passagen über die Nutzlosigkeit von Freundlichkeit unter kapitalistischen Verhältnissen wünscht man sich die Prägnanz eines Bert Brecht, der zielstrebiger „auf den Punkt“ kam.

DasBühnenbild (Wolf Redl): eine südländische Terrasse, blendend weiß, Ausblick in nebelhafte Ferne. In einer späteren Szene: schwarze Wände (die ehemalige Erschießungsmauer), gespenstische Echos. Ein Bild wie von Böcklins „Toteninsel“.

Marthe (Katharina Tuschen) spricht zunächst tonlos, in lauter Brüchen und die Worte wie aus unendlichen Grabestiefen hervorholend. Nach einem befreienden Akt (sie spuckt Xenia im Namen der Erschossenen an) tanzt sie zur Musik aus der nahen Hotel-Dicso – eine wunderbare, zerbrechliche Szene. Xenia (gleichfalls beeindruckend: Nicole Heesters) kommt großspurig auf Stöckelschuh’n, das vermeintlich rückständige Land durch West-Brille wie eine Kolonialherrin betrachtend („Hier heißen doch alle Iwan!“) und darin doch sehr dem deutschen Touristen (Rolf Schult) verwandt, der – eine Witzfigur des Schreckens – bis an die Grenze des Sagbaren gehen muß.

Doppelgesichtig: Marthes Sohn David (Stefan Hunstein), einmal „cool“, dann eruptiv besorgt um seine Mutter, und Xenias Tochter Ann (Andrea Clausen), anfangs nervös ihren Text hervorstoßend, dann plötzlich niedliche Strandmaus, schließlich – in eventueller Erwartung eines Kindes von David – Hoffnungs- und Lebensträgerin, allem vergangenen Tod ein Pathos-Zeichen entgegensetzend.