Weltberühmter Wikinger: Hägar der Schreckliche wird 50

Prost auf die 50! Cover des Hägar-Jubiläums-Sammelbandes. (© 2023 King Features Syndicate, Inc. / Distr. Bulls / © 2023 Egmont Comic Collection)

Die Wikinger, so glaubt man zu wissen, waren wilde Gesellen, allzeit tollkühn und kriegerisch – und sonst nichts! Doch halt! Seit ungefähr 50 Jahren weiß es die Welt etwas besser: Wikinger waren letztlich auch nur Menschen, sie hatten neben all dem Kampfgetümmel ihre kleinen Alltags- und Eheprobleme und zeigten auch schon mal sympathische Schwächen.

Woher diese Erkenntnisse kamen und sich Bahn brachen? Natürlich aus der unverwüstlichen Cartoon-Serie „Hägar der Schreckliche“ (Originaltitel „Hägar the Horrible“) von Dik Browne (1917-1989), die nach seinem Tod vom Sohn Chris Browne bis 2018 fortgeführt wurde; anfangs wohl etwas holprig, dann zunehmend kongenial und mit neuen Akzenten. Heute werden die Strips von verschiedenen Zeichnern fortgesetzt.

Nun aber gedenken wir ganz ergriffen dieses Ereignisses: Die ersten Strips sind just vor einem halben Jahrhundert erschienen. Am 4. Februar 1973 sind sie erstmals in US-amerikanischen Zeitungen aufgetaucht. Tätääää!

Wie es einem Klassiker gebührt

Es war der Beginn eines rasanten Welterfolgs. Schon nach zwei Jahren wurde Hägar in etwa 600 Zeitungen nachgedruckt. Bis heute sind Hägars Abenteuer weltweit in nahezu 2000 Publikationen und rund 60 Ländern herausgekommen. Deutschland war gleich mit vorn dabei: Noch 1973 stiegen auch hierzulande erste Zeitungen ein. Das erste Album mit gesammelten Strips erschien bereits 1975 bei Egmont Ehapa, wo inzwischen eine veritable Gesamtausgabe vorliegt – wie es Klassikern eben zusteht.

Kurzer Schwenk ins Halb-Persönliche: Über viele, viele Jahre ist Hägar beispielsweise auch werktäglich in der Westfälischen Rundschau (Dortmund) erschienen. Auch wir in der Redaktion amüsierten uns köstlich und – pssssst! – wenn wir mal nicht ganz zufrieden mit der Zeitung waren, hieß es auch schon mal sarkastisch: „Heute ist Hägar das Beste am ganzen Blatt…“ Aber das kam natürlich nur äußerst selten vor (*Zwinkerzwinker*). Kein Zweifel: Viele Leserinnen und Leser hätten es kaum verziehen, wenn wir Hägar gegen andere Comics ausgetauscht hätten.

Die blöden Hunnen geben mit ihrem Söhnchen an

Ein Anlass wie das Fünfzigjährige schreit nun geradezu nach einem Jubiläums-Buch mit etlichen der besten Hägar-Folgen. Der jetzt in Egmonts Comic Collection edierte Sammelband ordnet die Episoden in chronologischer Folge nach Jahrzehnten. Eigens gekennzeichnet werden Strips, die Dik Brownes Söhne Chris und Robert (genannt „Chance“) als ihre Lieblinge ausgewählt haben.

Es beginnt mit einer typischen Geschichte: Die blöde Hunnen-Familie gibt mit ihrem standesgemäß brutalen Söhnchen an. Da kann Hägar nicht mithalten, denn sein Sprössling Hamlet (!) liebt Bücher und keine Raufereien – sehr zum Leidwesen Hägars, den auch seine Frau Helga nicht über die Schmach hinwegtrösten kann. Weitere der vielen Gags werden wir jetzt nicht nachbeten. Schaut und lest doch bitte selbst! Ohne sonderliche Übertreibung ist’s ein Band, der in jede vernünftige Comic-Bibliothek gehört.

Gattin Helga ist eindeutig die Chefin im Ring

Jedenfalls ist Helga, wenn’s drauf ankommt, eindeutig Chefin im Ring. Im Disput mit seiner drallen Gattin schrumpft der in Schlachten und Scharmützeln gestählte Hägar allemal auf Normalmaß, als hätte man in einen aufgeblasenen Ballon gepiekst. Schon diese Konstellation bringt viel Komik mit sich. Weitere Protagonisten wie Hägars und Helgas Tochter Honi (honigsüß, aber im Gegensatz zu ihrem Brüderchen versessen auf ritterliche Abenteuer) sowie Sven Glückspilz erweitern das Spektrum ebenso wie zahllose Nebengestalten. So mancher gut abgehangene Gag erwächst auch aus Hägars tiefer Abneigung gegen die Steuereintreiber, die immer ganz schnell mit der Streckbank und anderen Quälereien inquisitorisch zur Stelle sind.

„Keine politischen Hühnchen zu rupfen“

Wie bei den besten und berühmtesten Cartoons gemeinhin üblich, wächst sich das Ganze mit der Zeit zum eigenen Kosmos aus. Vergleiche Entenhausen. Vergleiche das gallische Dorf von Asterix und Obelix. Und so weiter.

Im kundigen Vorwort der Jubiläums-Ausgabe wird Hägar von Michael Bregel so skizziert: „Stattliche Figur, Rauschebart und wallendes Haupthaar, eine gewisse charakteristische Zerstreutheit, Familienmensch, großer Esser…“ Zu ergänzen wäre: leidenschaftlicher Trinker. Erfinder Dik Browne hat übrigens klargestellt: „Ich habe keine politischen Hühnchen zu rupfen und verdammt wenige Weisheiten zu verbreiten. Ich verkaufe Lacher.“ Das kann man wohl sagen.

Dik Browne / Chris Browne: 50 Jahre „Hägar der Schreckliche“. Comic Collection bei Egmont. 288 Seiten, gebundene Ausgabe. 35 Euro.

 

 




Hömma, Dingenskirchen, ey! Und schon wieder liegt ein Asterix-Band auf Ruhrdeutsch vor

So ganz neu ist die Masche ja nun nicht mehr. In der losen Reihe „Asterix auf Ruhrdeutsch“ liegt jetzt bereits der vierte Band vor. Und? Wie isser?

Asterix® - Obelix® - Idefix® / © 2018 Les Éditions Albert René

Die Titelseite des neuen Bandes (Asterix® – Obelix® – Idefix® / © 2018 Les Éditions Albert René)

In praktisch jedem deutschen und nachbarlich artverwandten Zungenschlag (CH / Ö) sind Abenteuer der unbeugsamen Gallier Asterix und Obelix inzwischen greifbar – von Alemannisch und Badisch bis Westfälisch und Wienerisch. Wenn ich richtig gezählt habe, sind 31 Dialekte und Mundarten auf dem Markt.

Kabarettist und Comedian Hennes Bender (von Haus aus Bochumer) hat den neuen Band ziemlich stilsicher in die gar nicht so einheitliche Mundart des Reviers übertragen. Das Werk trägt den trefflichen Titel – äh, ich komm‘ gleich drauf, öööhm, ach ja: „Dingenskirchen“. Wobei es ja eigentlich „Dingenskiachen“ heißen müsste. Heiß‘ ja au Doatmund, woll?

Abba getz ma ährlich: Der Zwang, jedes Wort und jeden Satz auf möglichst kerniges Ruhrdeutsch zu trimmen, strapaziert auf Dauer das Gemüt. Ja hömma, kannze von ausgeh’n.

Die geradezu visionäre, damals auf Pariser Bauwut bezogene Originalgeschichte von Albert Uderzo und René Goscinny hieß seinerzeit auf Deutsch „Die Trabantenstadt“. In der Revier-Version verteidigen die schier unbesiegbaren Ruhris (alias Gallier) mit List und Tücke, aber auch mit kräftigen Hieben ihre liebliche grüne Naturidylle gegen die Römer, die hier einen lukrativen Freizeitpark hinwuchten und überhaupt allerhand Bausünden mitsamt Wohnghettos sowie kommerzieller Touristenmeile anhäufen wollen.

Man mag sich freihändig aussuchen, für wen die Römer in diesem Falle stehen könnten. Internationales Großkapital? Dessen Ableger in der NRW-Landeshauptstadt Düsseldorf? Mh. Mal drüber schlafen. Auf jeden Fall gilt unverbrüchlich: „Voll panne, die Römers…“

Der Architekt und Planer, der in Cäsars Namen antritt, nennt sich Gentrifikatius, Cäsar selbst faselt „Lass uns Rom wieder großartig machen!“ Kommt einem irgendwie bekannt vor… Doch natürlich haben sie und die allzeit tumben römischen Legionen keine Chance, das Ruhrgebiet mit ihrem neoliberalen „Dingenskirchen“-Projekt (verlogener Slogan: „Leben wie Gott im Pott“) zu versauen. Kaum haben die Tagelöhner, die für die Römer schuften, einige Bäume für den ersten Bauabschnitt gefällt, so stehen diese anderntags wieder in voller Pracht da – dank Zaubersamen vom Magier Miraculix. Und man denke nur: Nachher wollen die Malocher auch noch einen Tarifvertrag mit Mindestlohn samt XXXV-Stunden-Woche haben. Boah, glaubsse, ey! Unerhört. Oder im O-Ton: „Alaahm! Die Werktätigen mucken auf!“

Auszug aus Seite 7 von "Asterix - Dingenskirchen" (Asterix® - Obelix® - Idefix® / © 2018 Les Éditions Albert René)

Auszug aus Seite 7 von „Asterix – Dingenskirchen“ (Asterix® – Obelix® – Idefix® / © 2018 Les Éditions Albert René)

Es folgen ein paar zufällig eingesammelte Kostproben aus den Sprechblassen. Stellt euch das alles in Versalien, also in durchgehenden Großbuchstaben vor; wie denn überhaupt Graphik und Schriftbild den Wortlaut entscheidend mitprägen. Klar, es ist ja schließlich ein Comic. Und da tönt es im Soundtrack beispielsweise so:

„Mein lieba Herr Gesangsverein! Getz wird hia abba ma sowwat von maloocht!“

„Machi nämmi auh! Wirsse schon sehn, ey!“

„Kumma, watti noh inna Buxe hab!“

„Dat hamma gleih. Die Dingers bitte einmal inne Löchers pfeffern!“

„Kommt ma alle lecka bei mich bei!“

Im Glossar am Ende werden schließlich noch einige Kernwörter erklärt, zum Exempel Butze, Fitsch, Fott, Hulle, Kasalla, Kawenzmann, Kusselkopp, pölen, Spacko und Tinte am Füller. Weiße Bescheid.

Zwischendurch bringt Hennes Bender auch kleine Anspielungen auf Revier-Dönekes unter. So baut er etwa den legendären Dialog eines Schiris mit dem Fußball-Original Willi „Ente“ Lippens in die Story ein: „Ich verwarne Ihnen!“ – „Ich danke Sie!“ Hübsch auch manche Überleitungen, die den Fortgang der Erzählung zeitlich gliedern: „Derweil indess währntdessen“, „Watt späta“…

Das alles macht streckenweise richtig Spass (kurz gesprochen, nicht etwa Spaaaaß), erschöpft sich aber auch irgendwann. Mit 48 Seiten isses dann auch ers‘ mal widder genuch. Vorsichtige Frage: Isses möchlich, datt sich soche Frei-Schnauze-Comics übbahaupt ein wenig verbraucht haben? Nee? Na, dann ehmt nich‘. Kerlokiste.

„Dingenskirchen“ (Asterix auf Ruhrdeutsch, übbasetzt von Hennes Bender -ursprünglicher Titel „Die Trabantenstadt“). Egmont Comic Collection, 48 Seiten, fester Einband, 12 Euro.




Gebremster Freiheitsdrang – Holk Freytag inszeniert Goethes „Egmont“ in Wuppertal

Von Bernd Berke

Wuppertal. „Freiheit und Privilegien, Freiheit und Privilegien!“ So skandiert das Volk seine Forderungen. Die drei Darsteller, die es in Wuppertal verkörpern, schlagen dabei rhythmisch auf die Spielfläche. Sie wirken wie infantile Tyrannen. Doch wenn sich Abgesandte, der Obrigkeit blicken lassen, kuschen die Bürger sogleich. Dann pfeifen sie auf die Freiheit, und es bleibt das Bangen um ihre Privilegien.

Solch einen Verrat der Ideale an die Interessen soll’s in der Geschichte des Bürgertums des Öfteren gegeben haben. In Holk Freytags Wuppertaler Inszenierung des Goethe-Klassikers „Egmont“ wird man mit einer Farce daran erinnert. Doch ansonsten geht es gemessener zu.

Die Niederlande ächzen unter spanischer Fremdherrschaft. Statthalter Graf Egmont (historisch: 1522-1568) steht für gewisse Hoffnungen auf Selbstbestimmung. Es gärt im Volk. Doch an Egmont statuiert man ein Exempel: Am Ende wird er auf Herzog Albas Geheiß öffentlich hingerichtet.

Der Wuppertaler Egmont (Martin Bringmann) strahlt kein Charisma aus, er wirkt eher wie ein lavierender Liberaler. Das Volk, das jeder Parole nachläuft, lässt ihn denn auch mit seinem etwas faden Freiheitsdrang sehr bald allein. Trotzdem scheint dieser Egmont kaum Konflikte mit sich auszutragen. Edelmut von Anfang an – nicht sonderlich aufregend.

Kulturelle Dosis mit Beethoven erhöht

Das in ihn verliebte Klärchen (Tessa Mittelstaedt) gebärdet sich naiv, sie achtet wohl mehr auf Egmonts Insignien gräflichen Glanzes als auf seine politischen Worte. Nun die Majestätsbeleidigung: Goethes Stück ergeht sich streckenweise im steifen Austausch von Thesen. Manche Figuren erscheinen wie stillgestellt, von Leidenschaft befreit oder auch geläutert. Einiges von dieser marmornen Glätte bleibt an der Wuppertaler Aufführung haften. Sie ist recht gediegen, stellt den (gekürzten) Text in großer Klarheit vor uns hin, gefällt auch durch solide Sprachbehandlung und prächtige Kostüme. Doch eine Dringlichkeit, diese Tragödie jetzt zu spielen, wird nicht so recht erkennbar.

Auf der schräg in den Raum ragenden Spielfläche (Bühne: Wolf Münzner) prangt das Bild eines namenlosen flämischen Meisters, es zeigt eine spanische Königskrönung. Aus dem Stütz-Gestänge unter dieser großen Platte rappeln sich die Figuren hervor wie aus einem Kellergewölbe der Historie. Später tut sich ein Spalt auf in diesem Bild; ein Riss in der Welt, den man dieser Inszenierung sonst kaum anmerkt.

Die eigentliche Bühne wird eingenommen vom Sinfonieorchester Wuppertal (Leitung: Stefan Klieme). Das erhöht die kulturelle Dosis: Goethes Drama wird – einer früheren Tradition folgend – durch Beethovens „Egmont“-Musik ergänzt und beglänzt. Es erhebt die Seele. Das Freiheitsbegehren scheint in den Tönen inniger aufgehoben als im Text.

Termine: 23., 24.0kt; 15., 17. Dez. – 0202/569 4444.