Zeitlose Kultband „Element of Crime“ machte im Münsteraner „Jovel“ ihren Job

„Wenn der Wolf schläft, müssen alle Schafe ruhen“ – ist das neue „Wenn der Kuchen spricht, schweigt der Krümel“, nur nachdrücklicher. Dieser Songtitel scheint das derzeit beliebteste Zitat bei den Bandmitgliedern von „Element of Crime“ zu sein. Schon im letzten Jahr wurden müde Tatort-Zuschauer damit aus ihrem verkaterten Neujahrs-Dämmerschlaf gerissen, die Webseite der Band macht damit auf und betritt man eine EoC-Konzert-Location, ist das Erste, was man sieht, Klamottage mit diesem Spruch.

Element of Crime gastierten am Donnerstag in Münsters nach wie vor famoser Music-Hall Jovel; nicht ohne vor dem eigentlichen Konzertbeginn einer hoffnungsvollen Nachwuchsband die Chance des Vorgruppen-Acts zu geben. Bei der aktuellen Tour ist es „Von Wegen Lisbeth“ aus Berlin, die zunächst einmal den Altersdurchschnitt in der Halle rapide senkte, vor allem aber mit funkigem Indie-Pop und rasantem Instrumentenwechsel gut ankam. Durchweg „nice“ wie die Jungs wohl selber sagen würden, folgt man ihrem amüsanten Tourblog.

Die Bühne für die Elements ist danach gut bereitet. Die Combo, nach dem gleichnamigen Kultfilm von Lars von Trier benannt, hat einen sehr eigenen und auch einzigartigen Stil in der deutschen Singer-Songwriter-Szene etabliert und das Kunststück fertig gebracht, gleichermaßen vom Publikum und vom Feuilleton gefeiert zu werden.

Melancholisch, aber nicht düster

Die Stücke leben musikalisch von einem unaufdringlichen, aber stets zielsicher führenden Rhythmus, den bei Indie-Gruppen üblichen schrammelnden Gitarren und den Bläser-Elementen, die einen an Wim-Wenders-Engel denken lassen – und natürlich von der rauen, man möchte fast sagen verlebten Stimme des Frontmanns Sven Regener, die auch zunächst „unsingbar“ wirkende Texte berührend zu intonieren weiß. „Element of Crime“ sind im besten Sinne eine zeitlose Kultband mit einer treuen Fangemeinde. Auf ihrer Homepage bezeichnen sie sich selbst als Melancho-Rocker, das trifft es ganz gut. Melancholisch, aber nicht düster, sondern hoffnungsfroh.

Das Spannendste an den Stücken sind die großartigen Texte. Bei Sven Regener stellt sich sowieso allenfalls die Frage: Mag man seine Bücher lieber oder doch seine Songtexte? Seine Texte handeln von den Mysterien des Alltags und was sie mit den Menschen machen. Aus alltäglichen, jedermann bekannten Situationen zieht Regener ganz erstaunliche Rückschlüsse, die einen in einer merkwürdigen Gefühlsgemengelage zwischen verzaubert und verstört zurücklassen. Selbstironisch wird Weltfremdheit absichtlich zelebriert, obwohl die Musiker ganz genau wissen, wie es läuft.

Das perfekte Liebeslied

Betroffenheits-Rock und politische Statements findet man so gut wie nie. Wobei die Darbietung des Titels „Draußen vor dem Fenster“ aus dem Jahr 1993 gerade vor dem Hintergrund aktueller Geschehnisse erschreckend aktuelle Assoziationen heraufbeschwor. Und immer wieder ist natürlich Liebe ein Thema, Liebe und ihre Ausweglosigkeit. Liebe kann man nicht erklären, aber beschreiben kann man sie. Vor allem Sven Regener kann das, im Herzen vermutlich ein ungebrochener Romantiker. „Am Ende denk ich immer an Dich“ ist das perfekte Liebeslied. Alleine dafür gebührt den Elements ewiger Dank.

Die vier Stamm-Musiker (Regener, Jakob Ilja, David Young und Richard Pappik) werden bei der aktuellen Tour wie schon im Vorjahr von Rainer Theobald (Klarinette, Saxophon) unterstützt. Alle sind sehr gute Musiker, die auf der Bühne einen ausgezeichneten Job machen. Aber es schleicht sich der Eindruck ein, dass es genau das ist, was sie da machen: ein Job. Ausgezeichnet zwar, aber trotzdem ein Job.

Keine Überraschungen

Übertriebene Nähe zum Publikum gehört definitiv nicht zum Grundanliegen der Musiker, um es vornehm auszudrücken. Was nicht weiter schlimm ist. Aber worauf sich der geübte Rockkonzert-Gänger doch vor einem Konzert freut, sind Überraschungen. Neu-Interpretationen, Zusätze, verlängerte Soli bei den Stücken. Bei Element of Crime bedauerlicherweise Fehlanzeige. Geboten wird seltsam unbeteiligte Perfektion, nur ganz selten unterbrochen von einer zu hohen Aussteuerung, die leider gerade der Stimme Regeners nicht gut bekommt.

Die Darbietung auf der Bühne ist an Statik nicht zu überbieten und macht es schwer bis unmöglich, alle Musiker wenigstens einmal in Augenschein zu nehmen. Hat man einen blöden Platz und richtet sich der Vordermann plötzlich zu ungeahnter Körpergröße auf, hat man eben einen blöden Platz und Ende. Wer darauf hofft, dass das ein oder andere Bandmitglied mal seine Position verändert, der hofft vergebens. Bei Sven Regener wird es wohl der Tatsache geschuldet sein, dass er auf der Bühne den mit Abstand stressigsten Job macht. Dauernd zwischen Trompete und Gesang nahezu übergangslos wechselnd, maximal einen Atemzug lang Zeit, Luft zu holen. Dass er da nicht den Tanzbären gibt und Ansagen macht, die „kein Mensch braucht“ (O-Ton Regener), sieht man sogar ein.

Entlassen wurde das Publikum mit der inoffiziellen Hymne der norddeutschen Tiefebene („Delmenhorst“) und der erleichternden Beobachtung, dass keine E-Gitarren-Aufhängung gerissen ist. Es gab wohl genug Craft-Bier samt altmodischer Gummidichtungen*. Das freut dann doch.

„Element of Crime“ tourt in diesem Jahr noch außerordentlich fleißig. Termine auf der Homepage der Band.

(* bezieht sich auf ein in dieser Woche in der FAZ erschienenes „Bier-Dramolett“ von Sven Regener)




Bands, die von den „Scherben“ erben – sehenswerter Kinofilm „Der Traum ist aus“

Von Bernd Berke

Sie waren hart, sie waren politisch plakativ – und ihr Sänger Rio Reiser hatte wohl mehr Charisma als zwei Grönemeyers oder zwanzig Petrys: „Ton Steine Scherben“ war seit den späten 60ern eine der besten deutschen Rock-Bands. Viele haben sie mit den Rolling Stones verglichen.

Thomas Schuchs Kinofilm „Der Traum ist aus“ verfolgt in etlichen Konzertmitschnitten und Gesprächen jene Traditionslinie, die von den „Scherben“ ausgeht und sich bis heute fruchtbar verzweigt. Freilich sind auch zeitbedingte Brüche nicht zu übersehen. Heute brüllt keiner mehr mit dem Furor des (1996 gestorbenen) Rio Reiser heftige Hass-Zeilen wie „Macht kaputt, was euch kaputt macht“. Es waren damals authentische Texte, doch Ehrlichkeit klingt heute anders.

Einige der stärksten deutschen Gruppen beziehen sich jetzt mehr oder weniger deutlich aufs Vorbild. Teilweise gibt es direkte personelle Verbindungen; andere hörten mit flatternden Ohren und pochendem Puls den Power-Sound der Rebellion, den sie nicht mehr vergessen haben. Nachdenkliche „Erben der Scherben“ (Untertitel des Films) kommen hier zu Wort: Leute von „Element of Crime“, „Die Sterne“, „Tocotronic“, „Britta“, „Dritte Wahl“, „Neues Glas“ usw.

Überwintern zwischen Hoffen und Bangen

Manche streben vor allem nach dem druckvollen Vortrag der Vorläufer, andere hegen zudem noch sozialistische Rest-Zuversicht, wieder andere wähnen sich im postmodernen Niemandsland. Hier und da ist Resignation zu spüren, sozusagen der Widerspenstigen Lähmung. Eine Szene also, die gleichsam überwintert zwischen Hoffen und Bangen, zwischen innigem Nachglühen und Anflügen von Blasiertheit.

Das Zeit-Panorama beginnt mit dem radikalen 68er-Umfeld von „Ton Steine Scherben“. Damals ging etwa ein wilder Linker mitten in einer TV-Diskussion mit der Axt auf den Studiotisch los. Da gab’s echte Scherben. Solche Anarchos hätten es Rio Reiser & Co. nie verziehen, wenn die bei einer konventionellen Plattenfîrma Profit gemacht hätten. ( Also rockten und hungerten die Jungs sich anfangs durch, spielten oft für Stullen.

Zeittypisch auch die Landkommunen-Phase der „Scherben“ um 1977, ein freischwebendes Lebens-Experiment sowohl im Vorfeld der Grünen als auch der Punks. Sexuelle Libertinage war Inbegriffen. Doch mit Schlüsselloch-Blicken hält sich der Regisseur nicht auf. Durch kluge Zusammenstellung gelingt es ihm, akute Bruchlinien im linken (Selbst)-Bewusstsein aufzuspüren. Und die Songs im Film sind klasse, ob von Rio selbst oder seinen „Nachfahren“. Gut, dass es eine Indigo-CD mit dem Soundtrack gibt.

Ab heute in einigen Programmkinos, z. B. „Roxy“ in Dortmund (22.45 Uhr).