Zornige Suada – längst nicht nur gegen die Finanzbehörden: Elfriede Jelineks „Angabe der Person“

Seit Elfriede Jelinek den Literaturnobelpreis erhielt, hat sie sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Es schien, als sei sie in ihrem Werk verschwunden und sie lebe nur noch in ihren Texten. Umso überraschender, dass es Claudia Müller gelang, die scheue Autorin mit der Kamera zu begleiten und das filmische Porträt „Die Sprache von der Leine lassen“ zu realisieren. Kaum ist der Film in den Kinos, legt Elfriede Jelinek nach und veröffentlicht einen neuen Text: „Angabe der Person“. Der Verlag kündigt an, das Buch sei die „Lebensbilanz“ der Autorin. Stimmt das?

Tatsächlich benutzt Jelinek einmal das Wort „Bilanz“ und schreibt: „Ich ziehe Bilanz, obwohl es dafür zu früh ist.“ Sie meint aber damit nicht, dass sie ihr Leben bilanzieren will. Dann müsste sie vieles thematisieren, ihre schwierigen Beziehung zu den Eltern, ihre Nervenzusammenbrüche, ihre zeitweilige Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei Österreichs, ihre zornigen Dramen und wütenden Romane, die oft für Skandale sorgten.

Es geht Jelinek um etwas anderes: um den Staat, der willkürlich in das Leben einzelner eingreift, unkontrollierte Steuerbehörden, die sich aus unerfindlichen Gründen an einzelnen Personen festbeißen. Der Satz lautet denn auch vollständig: „Ich ziehe Bilanz, obwohl es dafür zu früh ist, ich zahle also das, was des Staates ist, ich zahle meine Steuern, das wird Ihnen jeder nachweisen können, der Ziffern voneinander unterscheiden kann.“

Es macht sie rasend, dass die Steuer-Behörden sie regelrecht verfolgen und zermürben. Die Autorin pendelt seit Jahrzehnten zwischen Deutschland und Österreich, sie hat zwei Wohnsitze, einen in München, wo ihr kürzlich verstorbener Ehemann lebte, und einen in Wien, wo sie sich zumeist aufhält und in ihre Schreib-Einsamkeit zurückzieht. Die Finanzbehörden unterstellen offenbar, sie habe ihre Einnahmen nicht ordentlich versteuert und eröffnen ein Ermittlungsverfahren gegen sie, beschlagnahmen private Unterlagen, sichten sämtliche Konten, machen eine Hausdurchsuchung bei ihr, schnüffeln sich durch intime E-Mails.

Sie fühlt sich gedemütigt und zur Verbrecherin abgestempelt, obwohl sie sich keiner Schuld bewusst ist und alle Schulden längst beglichen hat: „Schuld“ und „Schulden“, ihr Lebens-Thema. Es geht ihr nicht um ihre eigenen Geldsorgen oder Steuer-Probleme, sondern um die historische „Schuld“ einer von Nazis verseuchten Gesellschaft, um die „Schulden“ von Steuer-Sündern, die ihre Geschäfte in Steuer-Oasen verlagern, es geht um Sparmodelle, Betrugsskandale, Cum-Ex-Geschäfte. Das macht sie wütend, so wird aus ihrem Zorn über die gegen sie laufenden Ermittlungen ein Nachdenken über globale Kapitalströme und über einen Kapitalismus, der keine Moral kennt, sondern nur den Imperativ des Profits: Wie sehr, fragt sich Jelinek, profitieren bis heute Staaten von enteigneten jüdischen Vermögen? Wie viele Nazi-Größen wurden anstandslos entschädigt, während die Opfer von Terror und Enteignung bis heute vergeblich auf Wiedergutmachung warten?

Elfriede Jelinek hat noch nie so offen und einfühlsam über die Geschichte des jüdischen Teils ihrer Familie gesprochen: Jetzt schreibt sie zum ersten mal über eine in Auschwitz ermordete Tante, einen Onkel, der nach Dachau deportiert wurde und, kaum wieder freigelassen, Selbstmord beging. Sie spricht vom Vater, der im Nazi-Jargon als „Halbjude“ galt und der Vernichtung nur entging, weil er als Ingenieur für die Kriegsindustrie gebraucht wurde: „Hätte das deutsche Land, das damals einfach überall war, noch länger, tausend Jahre mindestens, sich breiter aufgestellt, als meine Eltern es aushalten konnten, dann gäbe es mich nicht. Hätte das Land länger, als es mußte, auf garantiert rassereinem Nachwuchs bestanden, gäbe es mich nicht, meine Rasse ist unrein, ich weiß, ich gehöre nirgends dazu.“

Pandemie, Flüchtlinge, Religion, Philosophie, Kunst, Heidegger, Nietzsche, Freud und Camus. Nichts wird geordnet. Der 190-seitige Text ist eine unaufhörliche Suada der Empörung, ein unablässiger Gedankenstrom. Er öffnet die Tür in surreal anmutende Wirklichkeiten. Vieles klingt grotesk und ist doch fürchterlich wahr, vermischt sich zu einer absurden Collage und einem vielstimmigen Chor. Oft weiß man nicht, wer spricht, die Autorin oder der Geist des toten Vaters, ein Cum-Ex-Betrüger oder ein Jungspund aus der Polit-Riege um Österreichs Ex-Kanzler Kurz. Man weiß nur: Es ist ein schwer lesbarer und schwer verdaulicher, aber ungemein wichtiger und unverzichtbarer Text.

Elfriede Jelinek: „Angabe der Person“. Rowohlt Verlag, 190 S., 24 Euro.

Nachspann:

Elfriede Jelinek, geboren 1946, aufgewachsen in Wien, hat für ihr Werk viele Auszeichnungen erhalten, u. a. 1998 den Georg-Büchner-Preis und 2004 den Literaturnobelpreis. Zu ihren bekanntesten Werken zählen die Romane „Die Klavierspielerin“ (1983), „Lust“ (1989) und „Gier“ (2000) sowie ihre Theatertexte „Raststätte“ (1994), „Ein Sportstück“ (1998) und „Ulrike Maria Stuart“ (2006). Ihr Ehemann, Gottfried Hüngsberg, der früher für R. W. Fassbinder Filmmusiken schrieb und seit Mitte der 1970er Jahre als Informatiker tätig war, verstarb vor wenigen Wochen. (FD)




Nominierungen zum Theaterpreis „Der Faust“: Auszeichnungen für Oberhausen, Essen, Dortmund und Düsseldorf

DER FAUST - so sieht die Auszeichnung aus. Foto: Natalie Bothur

„Der Faust“ – so sieht die Auszeichnung aus. Foto: Natalie Bothur

Alle Achtung! Da kommt soeben die Pressemeldung des Deutschen Bühnenvereins zum Theaterpreis „Der Faust“ 2017 herein – und wir entdecken gleich mehrfach Nominierungen für Bühnen in Nordrhein-Westfalen.

Waren die Theater in NRW nicht sonst eher so ein Geschwader hässlicher Entlein, die schüchtern im Kielwasser der glanzvollen Schwäne aus Berlin, Hamburg etcetera mitpaddeln durften? Diesmal könnte es anders sein. Und dass ein nicht gerade auf Rosen gebettetes Theater wie Oberhausen in der Kategorie „Regie Schauspiel“ nach 2014 erneut für einen Preis infrage kommt, darf durchaus mit Stolz zur Kenntnis genommen werden. Neben Oberhausen stehen Düsseldorf, Essen und Dortmund in der Liste der „Faust“-Nominierungen.

„Látszatélet / Imitation of Life“ des unbequemen ungarischen Regisseurs Kornél Mundruczó soll einen „Faust“ für die beste Schauspiel-Regie erhalten. „Dieser Abend wühlt auf und wühlt im Zuschauer“, schreibt der Kritiker Sascha Krieger über die Oberhausener Premiere im Juni 2016. In der Kooperation des ungarischen Proton Theaters – eines der kritischen Ensembles, die keine staatliche Unterstützung mehr bekommen –, der Wiener Festwochen und weiterer Partner geht es um Alltagsrassismus und Ausgrenzung am Beispiel einer Roma-Familie. Krieger: „Es ist der Kreislauf von Hass und Ausgrenzung, den Mundruczó an diesem Abend zeichnet. Ein intensiver, stiller Abend, an dem man zuweilen kaum hinsehen will.“

Einen Regie-Faust hat für NRW auch Johanna Pramls „Sommernachtstraum“ am Schauspielhaus Düsseldorf in Aussicht. Auf der neu gegründeten Bürgerbühne entwickelte die 1980 in Offenbach geborene, mehrfach ausgezeichnete Regisseurin ihr Projekt gemeinsam mit Laien und Schauspielern. Am Freitag, 6., und Sonntag, 8. Oktober ist das Ergebnis noch einmal zu sehen. Der Kritiker Stefan Keim sagt dazu, das Verwirrspiel frei nach Shakespeare sei „wunderbar sympathisch, selbstironisch und auch mutig, denn die Darsteller erzählen von ihren eigenen Träumen, von ihren Ängsten und dann wird es auch richtig magisch.“

Das Wunder wird sinnlich erfahrbar: Der Schwan (Aron Gergely) und Lohengrin (Daniel Johansson). Foto: Forster

Szene aus Tatjana Gürbacas „Lohengrin“-Inszenierung in Essen, nominiert für den Theaterpreis „Der Faust“: der Schwan (Aron Gergely) und Lohengrin (Daniel Johansson). Foto: Forster

Im Musiktheater steht neben Paul-Georg Dittrichs Berlioz-Deutung in „La Damnation de Faust“ am Theater Bremen und Christoph Marthalers „Lulu“ in Hamburg die Essener „Lohengrin“-Inszenierung Tatjana Gürbacas auf der „Faust“-Liste. In einem beziehungsreichen Bühnenbild Marc Weegers hat Gürbaca im Aalto-Theater Wagners häufig interpretiertes Werk in einer klugen, komplexen Regie an die Gegenwart angenähert, ohne die Deutungswege der letzten Jahre weiter auszutreten, aber auch ohne in die Extreme verstiegenen Überbaus zu flüchten oder das Heil in der Rückkehr zu Opulenz und Konvention zu suchen. Sie inszenierte weder ein „Künstlerdrama“ noch eine bloß politische Parabel, sondern gab der Offenheit des Dramas, dem „Wunder“ einen sinnlich und sinnhaft ausgedeuteten Raum. Ab 18. April 2018 ist Gürbacas Inszenierung in der Wiederaufnahme in Essen wieder zu erleben.

Im Bereich Bühne/Kostüm konnte sich Dortmund – nach Pia Maria Mackerts Bühne zu „Das goldene Zeitalter – 100 Wege dem Schicksal die Show zu stehlen“ 2014 – wieder eine „Faust“-Nominierung sichern: Michael Sieberock-Serafimowitsch (Bühne) und Mona Ulrich (Kostüm) erhielten sie für ihre Ausstattung von „Die Borderline Prozession“ am Schauspiel Dortmund. Im Megastore erarbeiteten Kay Voges, Dirk Baumann und Alexander Kerlin ein aufwendiges Gesamtkunstwerk: eine detailreich ausgestattete Villa, bewohnt von Schauspielern und umzogen von einer Prozession. Eine „verstörende Lebens-Geisterbahn“ nennt Rezensentin Dorothea Marcus die Produktion; eine „philosophische Welt-Installation über das Draußen und das Drinnen, Arm und Reich, Grenzen und Übergänge. Darüber, wie Bilder und Worte den Blick auf das Echte verstellen können.“ Die „Borderline Prozession“ war zum Berliner Theatertreffen 2017 eingeladen und wird bis 14. Oktober noch fünf Mal im Dortmunder Megastore gezeigt.

Einen „Faust“ für Choreografie kann Dewey Dells „Sleep Technique – Eine Antwort an die Höhle“ erhalten; eine Performance, die in der Berliner Tanzfabrik und im März 2017 in PACT Zollverein ihre Uraufführung feierte. Die 2007 gegründete Kompanie Dewey Dell hat als Team – als Choreographin wird Teodora Castellucci genannt – eine „poetische Reise zu den Tiefen des Ursprungs europäischer Kultur“ entwickelt. Auch diese Arbeit versteht sich als ein Gesamtkunstwerk aus Choreographie, Musik, Bühnenbild und Licht.

Der Deutsche Theaterpreis „Der Faust“ wird am Freitag, 3. November 2017 im Schauspiel Leipzig zum zwölften Mal verliehen. Der undotierte Preis umfasst Auszeichnungen in acht Kategorien sowie den Preis für das Lebenswerk, den in diesem Jahr die österreichische Schriftstellerin Elfriede Jelinek erhält. In der Begründung heißt es: „Als eine der prominentesten Mitgestalterinnen der Umbrüche im deutschsprachigen Theater nach 1968 hat sie mit ihrer Absage an traditionelle dramatische Strukturen und mit ihren wortgewaltigen, sprachlich verdichteten Textflächen eine neue Richtung vorgegeben.“ – Zum ersten Mal wurde der Theaterpreis 2006 im Aalto-Theater Essen vergeben. Damals ging je eine „Faust“-Nominierung nach Düsseldorf, Essen und Moers.




TV-Nostalgie (35): Konversation mit Kitzel – „Je später der Abend“ war 1973 die erste deutsche Talkshow

Dicht beisammen: Moderator Reinhard Münchenhagen (links) 1977 mit den Schauspielern Klaus Kinski (Mi.) und Manfred Krug. Es redete praktisch nur Kinski... (Screenshot aus https://www.youtube.com/watch?v=IHYTE4wiPTg)

Dicht beisammen: Moderator Reinhard Münchenhagen (links) 1977 mit den Schauspielern Klaus Kinski (Mi.) und Manfred Krug. Es redete praktisch nur Kinski… (Screenshot aus https://www.youtube.com/watch?v=IHYTE4wiPTg)

Es war ein prägender Moment der deutschen Fernseh-Historie: Am 18. März 1973 wurde im WDR-Fernsehen (damals: 3. Programm) die erste Sendung ausgestrahlt, die hierzulande ausdrücklich als „Talkshow“ firmierte.

Zur Premiere wurde der unverfängliche Schriftzug „Unterhaltung mit Gästen“ eingeblendet. Gastgeber Dietmar Schönherr versuchte eingangs, dem geneigten Publikum (die Männer im Studio waren noch weitaus mehrheitlich Anzugträger) behutsam zu erklären, woran man mit dem aus den USA herrührenden Format überhaupt sei. Und er musste eingestehen, dass er selbst noch nicht so recht wusste, was eine Talkshow auf Deutsch bedeuten und wozu sie sich entwickeln könnte.

Bloß nicht zu bedächtig

Den US-Amerikanern, so erläuterte Schönherr weiter, gehe ein flottes Wort leichter von den Lippen, als den eher schwerfällig grübelnden Deutschen. Gegen derlei uralte Klischees wollte man also anreden, Schönherr sprach sogar explizit davon, dass man die deutsche Bedächtigkeit „zerstören“ wolle, was nicht zu seiner eher sanften Redeweise passen wollte. Das Konzept war ansonsten noch ziemlich offen, und gerade dieser Umstand sorgte anfangs oft für Spannung und Intensität.

„Je später der Abend“ hieß die Gesprächsrunde mit jeweils drei Gästen, der Titel war dem WDR-Fernsehdirektor Werner Höfer eingefallen. Zur besagten Premiere ließen sich der Dramatiker Franz Xaver Kroetz, der schillernde Staranwalt Rolf Bossi sowie die Krimiautorin Irene Rodrian einvernehmen. Die Atmosphäre war entspannt, doch auch recht gediegen. Zumindest der Auftakt hatte noch viel von dem, was man einst „Konversation“ nannte.

Jelinek und Hoeneß über die Ehe

Freilich war’s Konversation mit ungeahntem Kitzel. Man wollte erkennbar nicht kreuzbrav, sondern locker sein. Und irgendwie politisch bitteschön auch noch. In dieser Form heute nahezu undenkbar: Der Ablauf späterer Sendungen wurde gelegentlich aus dem Publikum heraus rebellierend oder maulend gestört. Lang ist’s her.

Noch in Schwarzweiß: Dietmar Schönherr 1973 in der Premierenausgabe der Talkshow. (Screenshot aus https://www.youtube.com/watch?v=03W879Zlmy4)

Noch in Schwarzweiß: Dietmar Schönherr 1973 in der Premierenausgabe der Talkshow. (WDR – Screenshot aus https://www.youtube.com/watch?v=03W879Zlmy4)

Ich habe mir im Netz ein paar bemerkenswerte Ausschnitte angeschaut, so den Auftritt der noch längst nicht so berühmten Elfriede Jelinek, die extrem andere Ansichten über Ehe und Hausarbeit offenbarte, als ihr ebenso unbedarfter wie treuherzig konservativer Widerpart, der Bayern-Kicker Uli Hoeneß, der nebenher auch über seine Freundschaft mit dem CSU-Chef Franz Josef Strauß plauderte. Ach, wie herrlich…

Das getätschelte Knie

Noch spektakulärer verlief – erwartungsgemäß – das nervtötend egomanische Solo, das Klaus Kinski 1977 in dieser Talkshow hinlegte. Der ebenfalls eingeladene Manfred Krug kam angesichts dieser wüsten Suada praktisch nicht zu Wort. Legendär auch die zunächst seltsam verbittert wirkende Romy Schneider (1938-1982), deren Miene sich allerdings merklich aufhellte, als der virile Autor und Ex-Bankräuber Burkhard Driest neben ihr Platz nahm, den sie hinfort anhimmelte. Dass sie gar sein Knie tätschelte und dabei sagte „Sie gefallen mir, Sie gefallen mir sogar sehr“ – das gehört seit 1974 unverbrüchlich zur bundesdeutschen Medien-Folklore.

Schon der Vorspann sah ein bisschen nach Pop Art aus, rundum waberte Zeitgeist der 70er Jahre – von wallenden Haarlängen auch bei den Männern über exzessiven Zigarettenkonsum während der Sendungen bis hin zu damals typischem Mobiliar und Mode-Torheiten wie etwa Schlaghosen.

Man kann doch über alles reden

Vor allem aber war es die Zeit, in der man offen über alles und jedes zu reden begann, ja, es herrschte geradezu ein Zwang zur möglichst unverblümten Aussprache. Eigentlich kein Wunder, dass Inge Meysel, die vielfach als spießig geltende „Mutter der Nation“, gerade in diesem Umfeld über ihre Entjungferung parlierte. Ein erklärtes redaktionelles Ziel war es ja auch, dass Prominente bis zur seelischen Selbstentblößung gebracht werden sollten.

Doch für derlei provokante Attacken waren die Gesprächsleiter denn doch etwas zu souverän, zu kultiviert und zu human. Die Talkshow, die schon ab Silvester 1973 ins erste Programm übernommen wurde und den attraktiven Platz samstags um 22 Uhr bekam, hatte bis Juli 1978 drei Moderatoren, jeder ein eigenwilliger Charakter, doch samt und sonders auf beträchtlichem Niveau: Dem Miterfinder der Sendung, Dietmar Schönherr (der zuvor bereits u. a. mit „Raumpatrouillle“ und der Show „Wünsch dir was“ TV-Geschichte geschrieben hatte), folgte im Januar 1975 Hansjürgen Rosenbauer, ab Januar 1976 übernahm Reinhard Münchenhagen. Schönherr ging die Sache eher warmherzig an, Münchenhagen fasste verbal schon mal entschiedener zu und ließ sich nicht einmal von Kinski aus der Fassung bringen. Ach, wären doch noch Leute dieses Kalibers auf Sendung!

Einige Eindrücke von „Je später der Abend“ sind noch im Internet greifbar, eine DVD-Edition der besten Gesprächsrunden wäre wünschenswert. Ein gewisses Mindest-Interesse an den 70er Jahren vorausgesetzt, kann man den Gesprächen noch heute gespannt oder gar gebannt folgen. Fachfrage: Für welche Talkshow gilt das heutzutage noch?

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Mit diesem Beitrag greifen wir in loser Reihung eine altgediente Revierpassagen-Serie wieder auf.

Hier die Themen der vorherigen Folgen:
“Tatort” mit “Schimanski” (1), “Monaco Franze” (2), “Einer wird gewinnen” mit Hans-Joachim Kulenkampff (3), “Raumpatrouille” (4), “Liebling Kreuzberg” mit Manfred Krug (5), “Der Kommissar” mit Erik Ode (6), “Beat Club” mit Uschi Nerke (7), “Mit Schirm, Charme und Melone” (8), “Bonanza” (9), “Fury” (10).

Loriot (11), “Kir Royal” (12), “Stahlnetz” (13), “Kojak” (14), “Was bin ich?” (15), Dieter Hildebrandt (16), “Wünsch Dir was” (17), Ernst Huberty (18), Werner Höfers “Frühschoppen” (19), Peter Frankenfeld (20).

“Columbo” mit Peter Falk (21), “Ein Herz und eine Seele” (22), Dieter Kürten in “Das aktuelle Sportstudio” (23), “Der große Bellheim” (24), “Am laufenden Band” mit Rudi Carrell (25), “Dalli Dalli” mit Hans Rosenthal (26), “Auf der Flucht” (27), “Der goldene Schuß” mit Lou van Burg (28), Ohnsorg-Theater (29), HB-Männchen (30).

“Lassie” (31), “Ein Platz für Tiere” mit Bernhard Grzimek (32), „Wetten, dass…?“ mit Frank Elstner (33), Fernsehkoch Clemens Wilmenrod (34)

Und das Motto bei all dem:
“Man braucht zum Neuen, das überall an einem zerrt, viele alte Gegengewichte.” (Elias Canetti)




Mode bis zum Tode: Jelineks „Das Licht im Kasten“ und Houellebecqs „Unterwerfung“ in Düsseldorf

Düsseldorf und Mode – das passt wunderbar zusammen. Den Stücktext dazu liefert die Schriftstellerin Elfriede Jelinek. Auch in Michel Houellebecqs „Unterwerfung“ ändern sich die Kleidervorschriften: Miniröcke sind plötzlich out, lange züchtige Gewänder dagegen angesagt. Zwei Inszenierungen am Düsseldorfer Schauspielhaus beschäftigen sich mit dem Geist der Zeit.

Szene aus „Unterwerfung“ (Foto: David Baltzer)

Zynische, abgründige und hoffnungslose Zukunftsszenarien sind die Spezialität des französischen Autors Michel Houellebecq. In seinem Roman „Elementarteilchen“ geht es um die Gentechnik und darum, welche Auswirkungen die Möglichkeit zur gesteuerten Reproduktion auf die menschliche Gesellschaft haben könnte.

In dem Buch „Unterwerfung“ imaginiert Houellebecq ein Frankreich im Jahre 2022, in dem nach bürgerkriegsähnlichen Zuständen zwischen Anhängern des rechten und linken Lagers schließlich ein muslimischer Staatspräsident an die Macht kommt. Eine unheimliche Aktualität erhielt der Roman dadurch, dass er zeitgleich mit dem Attentat auf die französische Satire-Zeitschrift „Charlie Hebdo“ im Januar 2015 herauskam. Wurde das Werk von der Realität eingeholt?

In Hamburg, Berlin und Düsseldorf (Regie: Malte C. Lachmann) steht „Unterwerfung“ als Bühnenstück im Moment auf dem Spielplan und doch hat man in Zeiten von Trump, Putin und Co. schon fast den Eindruck, es sei bereits wieder obsolet geworden: Wo gerade Mauerbau statt Gründung einer Muslim-Universität ansteht.

„Liberté, Egalité, Fraternité“ – die Kernbotschaft Frankreichs bestimmt das Bühnenbild (Ursula Gaisböck). Wenn auch als Möbeldesign, denn der Wissenschaftler François (Christian Erdmann) nutzt die hölzernen Buchstaben gerne als Sitzgelegenheit. Mit seinem Glauben an die Werte der Demokratie ist es allerdings nicht mehr so weit her: Lieber pflegt er seine Depressionen und leidet an der Leere seiner Beziehungen. Christentum oder Islam – auch das ist ihm letztlich wurscht, Hauptsache, er hat sein Auskommen und die Frauen sind nett zu ihm.

Wie Houellebecq die Ausgehöhltheit der westlichen Werte dem Machtanspruch religiöser Fundamentalisten gegenüberstellt, das zeugt von abgründiger Ironie – die allerdings im Roman deutlicher zutage tritt als auf der Bühne. Hier wirken manche Thesen merkwürdig platt, vor allem die frauenfeindlichen Sprüche sind gut für Lacher im Publikum. Dass Francois sich selbst damit ebenso bloßstellt und die Frauen in ihm ohnehin nur ein Würstchen sehen, kann man so leicht vergessen.

Szene aus „Das Licht im Kasten (Straße? Stadt? Nicht mit mir!)“. (Foto: Sebastian Hoppe)

Weiblichkeit und der (teilweise masochistische) Blick der Frauen auf sich selbst sind die Themen von Elfriede Jelinek: In „Das Licht im Kasten (Straße? Stadt? Nicht mit mir!)“, inszeniert von Jan Philipp Gloger, bildet die Mode den Fixpunkt, an dem sich die Frauen auf der Bühne zu orientieren suchen. Doch finden sie sich dabei? In den immer gleichen und doch immer neuen Kleidern? Die irgendwie an den Models immer besser aussehen als an einem selbst? Und wer steckt überhaupt in diesen Kleidern? Eine Person? Oder doch nur ein Nichts?

Die Jelineksche Textfläche plätschert über einen hinweg, mit Ironie, Nonsens, Leichtigkeit und Tiefgründigkeit. Mitunter wird es auch philosophisch, zum Beispiel wenn Kant und Heidegger Tennis spielen. Oder politisch, wenn die Umstände der Textilherstellung in der dritten Welt angeprangert werden.

Absolut grandios aber ist das Bühnenbild (Marie Roth): Ein kleiner Wald in dem Manuela Alphons, Tabea Bettin, Judith Bohle, Claudia Hübbecker, Karin Pfammatter, Lou Strenger, Julia Berns bzw. Tanja Vasiliadou herumstolpern, auf plüschige Hasen und große Füchse treffen, um sich dann nach den Shopping-Raubzügen in einem stilvollen Bungalow zu versammeln und ihre Beute anzuprobieren, ein Gläschen Weißwein zu trinken und – weiter zu shoppen: im Internet nämlich!

Der schwerbeladene Paketbote klingelt gleich mehrmals und bringt wieder den neuen alten Rock. Rot ist der und sieht an jeder anders aus, aber auch gleich. Der Regie gelingt das Kunststück, das Textmonstrum zu strukturieren und äußerst spielerisch und unterhaltsam zu dramatisieren. Das ist nicht zuletzt der Verdienst der großartigen Schauspielerinnen aller Altersstufen, die Mode bis zum Tode lustvoll durchexerzieren.

Karten und Termine: www.dhaus.de




„Theater hassen“ – eine ziemlich ziellose Reise in die Zukunft der Bühnenkunst

Dieser Autor bemüht sich emsig um Zeitgeist-Sprech. Jan Küveler (Jahrgang 1979), seines Zeichens Feuilletonist und Theaterkritiker der „Welt“, beliebt über Shakespeare und dessen Zeit so zu extemporieren: „Draußen auf den Weltmeeren wurde die Globalisierung erfunden, das ´Globe Theatre‘ war ihr Social-Media-Hub.“ Ahoi!

Doch wir wollen nicht schon gleich zu Beginn polemisch werden und nur noch schnell erwähnen, dass Jan Küveler laut Klappentext mit einer Arbeit über jugendliche Romanhelden promovierte, die sich der Reife verweigern.

9783608501605-cover-lKüveler also umkreist in seinem Buch mit dem finster entschlossenen Titel „Theater hassen“ den nach seiner Ansicht vielfach beklagenswerten Zustand der Bühnenkunst; ein Thema also, über das sich im Prinzip schon die antiken Griechen echauffiert haben.

Im Geisterhaus toter Avantgarden

Der Verfasser wähnt sich in einem Geisterhaus toter Avantgarden, auf nachrichtlicher Ebene sei allein schon das ewige Intendanten-Karussell furchtbar öde. Beim Berliner Theatertreffen kreise alles um immer ähnlich gelagerte Positionen, Projekte und Performer.

So manchen Unmut kann man nur zu gut nachvollziehen. Der Mann schreibt sich in einen solchen Zorn hinein, dass ihm auch die hoch gehandelte, sorgsam an den Texten arbeitende Regisseurin Andrea Breth nur mehr als einfältig arrogant gilt. Gleichzeitig preist er die Verrisse seines (heute arg vermissten) Ex-Kollegen Gerhard Stadelmaier von der FAZ, der freilich den hier leichthin abgetanen Luc Bondy und just Andrea Breth am allerhöchsten geschätzt hat.

Vorbild „Monaco Franze“

Als man sich schon bang fragt, ob Küveler irgendwann einmal halbwegs abgekühlt argumentieren wird, empfiehlt er eine distanzierte, unprätentiöse und uneitle Haltung zum Theater, wie sie einst der legendäre „Monaco Franze“ vorgemacht hat, als der in Helmut Dietls famoser Fernsehreihe die versammelten Opern-Schnösel von München düpierte.

Nun, das mag erst einmal angehen, doch wird es gewiss nicht alle Gebrechen des Theaters kurieren, von dem Küveler (immer noch) meint, es sei zu feierlich und werde oft für Träger von Zylinderhüten gemacht. Nanu? Das mag gelegentlich noch im Wiener Burgtheater der Fall (gewesen) sein, aber sonst doch wohl gar nicht mehr.

Dabei kennt Küveler doch seine brachialen Pappenheimer, jene Regisseure, die stets auf schrankenlose Selbstverwirklichung und „Skandale“ aus sind, welche sich aber längst erledigt haben.

Die Freuden der Langeweile

Er erregt sich noch königlich über Elfriede Jelineks unaufhörliches Besserwisserinnen-Theater (bis hin zu „Die Schutzbefohlenen“), das keinerlei Überraschungen mehr bereithalte, sowie über Elaborate der „Gießener Schule“ um Michael Thalheimer und René Pollesch, die auch nur noch nerve.

Aufgeregten Projekten, die nur zum Schein die Zuschauer einbezögen, in Wahrheit aber auf deren Passivität setzten, sei allemal Langeweile vorzuziehen, die wenigstens stille Kontemplation ermögliche. Also, Leute, beschwert euch bloß  nicht mehr über endlos erscheinende Theaterabende, sondern sitzt eure Kultur gefälligst ab und nutzt die unverhoffte Chance zur Trance.

Damit hätten wir also schon einige, in sehr verschiedene Richtungen zielende  Ablehnungen beisammen. Ja, was aber dann? Was dürfen wir hoffen? Was sollen wir ersehnen? Selbstverständlich läuft auch dieses Buch in seinem vermeintlichen Theaterhass darauf hinaus, dass es letztlich nur auf ein anderes Theater erpicht ist. Dieser Topos einer fortwährenden Hassliebe ist gleichfalls altbekannt. Doch wohin geht die Reise?

Kronzeuge Ersan Mondtag

Zum Kronzeugen bestellt Küveler den Theatermacher Ersan Mondtag, der ausgiebig als Prophet einer Art Meta-Theater – gern mit Laiendarstellern und zeichenhaften Masken – zu Wort kommt und sich dabei reichlich autoritär gebärdet. Da erklingt so manche Hohlformel (Dekonstruktion war gestern, jetzt muss wieder konstruiert werden), wobei am Horizont ein Theater aufscheinen möge, in dem wieder „alles möglich“ sein solle. Schauspielkunst herkömmlicher Prägung ist dabei übrigens überhaupt nicht gefragt, sie stört eher.

Sodann benennt Küveler drei angeblich allesamt erhellende Provokationen der neueren Theatergeschichte – ins Werk gesetzt von Hans Neuenfels (1966 in Trier, ach Gottchen!), von Rainer Werner Fassbinder („Der Müll, die Stadt und der Tod“) und vom fast nur dadurch bekannt gewordenen Schauspieler Thomas Lawinky, der den schon erwähnten Rezensenten Stadelmaier auf offener Szene verhöhnte und ihm den Notizblock entriss. Wer hätte gedacht, dass eine solche Handlungsweise noch einmal als vorbildlich durchgeht?

Bloß nicht feige sein…

Das ist also mal eine hübsche Ahnengalerie fürs kommende Theater. Küvelers Zwischenfazit lautet, Theater dürfe nicht feige sein und solle Tabus brechen. Moment mal. Hatten wir das nicht schon seit ein paar Jahrzehnten? Immer mal wieder, immer wüster und verzweifelter?

Vermeintlich rasant und doch nur halbstark geht’s in die Schlusskurven. Gepriesen werden die „Akzelerationisten“ der Bühne, die quasi gehörig aufdrehen und es den „Spaßbremsen“ im Gefolge der Frankfurter Schule mal so richtig zeigen. Wow, dann müssten die Bühnen wohl schleunigst tiefergelegt werden. Angewidert von den gängigen Moden, wendet sich Küveler nunmehr dem nächsten Hype zu.

Die Heilsbringer kommen

Der gute alte Textzerbröseler Frank Castorf darf dabei gleichfalls Pate stehen, außerdem vor allem Leute wie der Norweger Vegard Vinge und Ina Müller, die an Castorfs Volksbühne derart hirnmarternd, radikal und monströs zugange sind, dass es selbst dem von Chaos gestählten Chef manchmal zu viel wird.

Die Zumutung ist dabei offenbar zentrales Programm. Hört sich nicht so an, als könnte dies dem deutschen Stadttheater aufhelfen. Im Gegenteil: Endlose Proben, oft ohne bühnenreifes Resultat, sind dort nicht so gern gesehen. Derlei Kleinigkeiten erwähnt Küveler in seinem Buch kaum, er beschwört nur raunend die Namen der Heilsbringer Vinge oder Antú Romero Nunes, ohne die Verheißungen zu konkretisieren. Und ums gewöhnliche Stadttheater ist es Küveler wohl gar nicht zu tun.

Natürlich gibt es, zumal in der Hauptstadt, eine eventgeile Theater-Schickeria, die auch Hervorbringungen à la Vinge noch kritiklos goutiert. Mal abgesehen von diversen Fäkal-Aktionen, ließen Vinge und Müller einst vor Publikum ungerührt bis 5000 zählen und haben damit laut Küveler (produktive?) Wut erzeugt. Die Zukunft des Theaters käme somit aus der Weißglut, womit Theaterhass endlich, endlich sinnerfüllt wäre. Ja, Donnerschlag und Sakrament…!

Jan Küveler: „Theater hassen. Eine dramatische Beziehung“. Tropen Verlag (Klett-Cotta). 160 Seiten. 12 €.

 




Elend so nah: Jelineks „Die Schutzbefohlenen“ mit Epilog im Bochumer Schauspiel

Foto: Diana Küster/Schauspielhaus Bochum

Foto: Diana Küster/Schauspielhaus Bochum

Es regnet Menschen: Klein, rosa, nackt prasseln die Püppchen auf die Bühne hernieder und bleiben den Wohlstandsmenschen in den Haaren hängen. Sie häufen sich auf dem Boden, so dass die Bühnenarbeiter sie zum Schluss wegfegen müssen. Hilft ja nichts, es sind zu viele.

Wortkaskaden strömen in den Zuschauerraum, es sind viele Wörter, Textflächen, sie kreisen um die Themen Flucht, Migration, das Eigene und das Fremde und sie sind von Elfriede Jelinek. Hermann Schmidt-Rahmer inszenierte für das Bochumer Schauspielhaus „Die Schutzbefohlenen/Appendix/Coda/Epilog auf dem Boden“, wobei „Die Schutzbefohlenen“ bereits 2014 uraufgeführt wurde. Das Stück nimmt Bezug auf die antike Tragödie „Die Schutzflehenden“ von Aischylos. Parallel zur Entwicklung der „Flüchtlingskrise“ in Europa hat Jelinek den Text seitdem fortgeschrieben und erweitert. Der letzte Teil „Epilog auf dem Boden“ war nun in Bochum erstmalig zu sehen.

Die Perücken und Kostüme der Schauspieler erinnern an Marie Antoinette und Luis XVI, aber als seien sie von Karl Lagerfeld verfremdet und zum letzten Schrei von Paris erklärt. Die dekadente Gesellschaft trägt dunkle Datenbrillen, durch die sie in sicherem Abstand die Tragödie auf dem Mittelmeer medial verfolgt.

Nein, die Europäer sind nicht am eigenen Leibe betroffen, sie schauen nur zu. Natürlich ist das schrecklich, da muss man Mitleid haben. Wirklich beängstigend wird es aber für sie erst, als plötzlich die realen Menschen in ihr Land strömen und man diesen und ihrem Unglück von Angesicht zu Angesicht begegnen kann. Da wird’s dann doch ein bisschen viel. So genau wollte man das Elend lieber doch nicht sehen.

Foto: Diana Küster/Schauspielhaus Bochum

Foto: Diana Küster/Schauspielhaus Bochum

In Jelineks Text prallen die Absurditäten der Politik und Gesellschaft mit einer ganz eigenen Ironie aufeinander. Sie hat dem Gerede gelauscht und reiht die wahnsinnigen Worthülsen dieser Tage so aneinander, dass man nicht zu fassen glaubt, was man da alles hört.

Doch wie funktioniert das auf der Bühne? Schmidt-Rahmer hat mit seinem Bühnenbildner Thilo Reuther und den Kostümen von Michael Sieberock-Serafimowitsch eine ästhetische Plattform gefunden, in der sich das Thema sinnfällig entfalten kann: Die große Landkarte von Nordafrika ist wie ein Trichter aufgehängt, durch den die eingangs beschriebenen Püppchen in die Szene purzeln. Die großartigen Schauspieler bringen den Text zum Schweben und helfen bei der Materialisierung – inklusive Püppchenköpfen (für das Video im Netz).

Allerdings ist Jelineks Perspektive immer nur die unsere: Auch wenn Schicksale von Flüchtlingen referiert werden, geschieht das durch unsere Augen und nicht aus deren eigener Sicht. Hier gerät der Text an seine Grenzen, das ist dramatisch nicht leicht zu überwinden. In Nicolas Stemanns Inszenierung für das Thalia Theater waren Flüchtlinge selbst als Chor einbezogen, Schmidt-Rahmer überlässt es in Bochum den Schauspielern, auch in die Rollen der Flüchtlinge zu schlüpfen. Das klappt nicht immer. Aber warum sollte es auch? Jelinek schreibt über uns, weil sie von uns am meisten weiß. Und wir im Publikum schauen dabei zu – die anderen stauen sich an den Grenzen…

Karten und Termine: www.schauspielhausbochum.de




Erste Premiere im „Megastore“: Jelineks NSU-Drama „Das schweigende Mädchen“

Frank Genser Bettina Lieder Marlena Keil Friederike Tiefenbacher Uwe Schmieder

Theater für ein stehendes Publikum im „Megastore“ mit (von links) Frank Genser, Bettina Lieder, Marlena Keil, Friederike Tiefenbacher und Uwe Schmieder (Foto: Birgit Hupeld/Theater Dortmund)

Die Ankündigung der Angeklagten Beate Zschäpe, auszusagen, verhalf dem Stück zu ungeahnter Aktualität. Doch eingeplant worden war „Das schweigende Mädchen“ von Elfriede Jelinek schon vor Monaten, als erste Premiere im „Megastore“, der neuen temporären Spielstätte des Dortmunder Schauspiels. So richtig aktuell geriet die Produktion daher letztlich auch nicht.

Trotz einiger kleiner textlicher Anpassungen an jüngste Entwicklungen im sogenannten NSU-Prozeß blieb der nachrichtliche Stand September 2014 (oder noch ein bißchen früher), als das Stück seine Uraufführung in München erlebte. Es ist, wie man hier wieder sieht, das Los aktueller Themen, daß sie sehr schnell verblassen.

Indes: Erledigt ist das Thema ja nicht. Noch immer fragen viele Experten gerade so wie das Stück – wenn auch nicht in dessen auffahrendem, hochmoralisch anklagendem Ton -, wie es zu einem derart desaströsen Versagen der ermittelnden Behörden, in Sonderheit des Verfassungsschutzes, kommen konnte. Und nicht nur die üblichen Verschwörungstheoretiker halten weitere Täter und eine Vernetzung des NSU innerhalb der rechtsradikalen Szene allemal für vorstellbar.

Das Problem eines Prozesses gegen die einzige Überlebende des Terror-Trios ist nur, daß er eben nicht solche Fragen in den Mittelpunkt stellen darf, sondern die Schuld der Angeklagten ermitteln muß, um sie angemessen verurteilen zu können. Und da gibt es nichts Neues. Offenbar auch nicht, nachdem die Angeklagte ihr Schweigen brach.

Wut und Fassungslosigkeit

Elfriede Jelineks Stück wußte vor gut einem Jahr ebenfalls nichts Neues zu erzählen, und auch Michael Simon (Inszenierung/Bühne) kann in seiner Dortmunder Megastore-Einrichtung nichts Neues erzählen, kann das Bekannte nur mit Wut und Fassungslosigkeit deklamieren lassen und die von Jelinek behaupteten Bezüglichkeiten zwischen deutscher Identität und rechtem Terrorismus in Szenen und Bilder einpassen.

Aus einstmals 224 Seiten Jelinek-Text wurden in Dortmund etwa 70 Minuten Theater, die vom Publikum in der ersten Hälfte stehend, in der zweiten sitzend wahrgenommen werden. Es geht da, fast wörtlich zu verstehen, zunächst ziemlich durcheinander, wenn skandalöse Details diverser Tathergänge zornig nachvollführt und nacherzählt werden, wenn beispielsweise von jenem Verfassungsschutzagenten berichtet wird, der einen Mord nicht bemerkt haben will, obwohl er praktisch daneben saß.

Teil zwei, das Publikum sitzt nun auf den neuen, hinlänglich bequemen „Megastore“-Rängen (die sicherlich flexibel eingesetzt werden können), beginnt mit der Gerichtsverhandlung, in der der Schauspieler Uwe Schmieder zunächst den Richter gibt, unwillig, vorurteilsbeladen, und sodann, nachdem er den Prozeßtag schnell beendet hat, in eine Art Alptraum stürzt, in dem Monsterwesen ihm arg zusetzen und in dem er schließlich gar Fäkalien essen muß, die ihm eine Putzfrau verabreicht, die ihren Durst aus der Reinigungsmittelflasche löscht.

Flecken, die nie wieder rausgehen, waren schon in Teil 1, raunend beschworen vom Dortmunder Sprechchor, von zentraler Bedeutung, hier tauchen sie sehr real wieder auf, zumal der arme Alpträumende auch noch bedeutungsschwer mit geschredderten Aktenseiten bestreut und von einem Monsterzwerg bepinkelt wird.

Assoziative Elemente

Das Altarbild einer Kreuzigung im Hintergrund wird von den Figuren (Rollen gibt es auf dem Programmzettel nicht) pantomimisch nachgestellt und scheint Terroristen-Phantasien von bibelgleicher Dreieinigkeit im nationalistischen Martyrium bedeuten zu sollen; es gibt der assoziativen Elemente etliche mehr, doch bleiben sie im wilden Gang des Geschehens häufig zu unscharf, um tiefen Eindruck zu hinterlassen. Schließlich schreien die Darstellerinnen dem Publikum Einzelheiten der Mordtaten voll Wut und Vorwurf in die Gesichter, stellen sich sodann eine nach der anderen unter die Namen der Opfer, die auf die Wand geschrieben sind, und schließlich geht, Lampe für Lampe, langsam das Licht aus.

Dortmunder Sprechchor

Dortmunder Sprechchor (Foto: Birgit Hupfeld/Theater Dortmund)

Nun ja.

Die große Halle ist eine Chance

Wenn ein Theater bespielt werden muß, das eigentlich ein Baukörper aus zwei modernen Industriehallen und einigen Nebenräumen ist, so verlangt dies nach neuen Ideen. Simon und seine Regie-Mitarbeiterin Ariane Andereggen haben, zumal im ersten Teil, mit beweglichen Podestelementen und rollenden Requisiten wie beispielsweise einem geschrotteten Polizeiwagen da durchaus einiges entwickelt, und schön wäre es, wenn auch in weiteren Produktionen diese Räume vor allem als Chance und Herausforderung begriffen würden. Teile des Raumes durch „Abhängen“ mit Stoffbahnen verkleinern, das kann man immer noch machen, als ultima Ratio. Daß aber auch ganz andere Sachen in solchen Hallen möglich sind, beweist ja seit vielen Jahren schon die Ruhrtriennale.

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Mitwirkende: Marlena Keil, Bettina Lieder, Uwe Schmieder, Friederike Tiefenbacher, Merle Wasmuth, Frank Genser.

  • Die nächsten Termine: 17. Dezember, 27. Dezember 2015, 16. Januar 2016.
  • Informationen und Karten Tel. 0231 / 50 27 222
  • http://www.theaterdo.de/detail/event/16586/



Großes Unbehagen: Jelineks „Schutzbefohlene“ bei den Mülheimer Stücketagen

Foto: Michael Kneffel/www.stuecke.de

Foto: Michael Kneffel/www.stuecke.de

Das Unbehagen ist groß, wir winden uns auf unseren Theatersesseln in der Mülheimer Stadthalle. Im Mittelmeer ertrinken die Menschen und wir laborieren an unseren Luxusproblemen. Dabei stehen „Die Schutzbefohlenen“, so der Titel des Stückes von Elfriede Jelinek, direkt vor uns auf der Bühne.

Sie kommen aus dem Iran, aus Eritrea, aus Syrien, aus Afghanistan und erzählen die Geschichte ihrer Herkunft und ihrer Flucht. Regisseur Nicolas Stemann hat sie in einem Projekt mit dem Hamburger Thalia Theater und dem Theater der Welt mit Schauspielern zusammengebracht. Gemeinsam arbeiten sie sich ab an dem Theatertext der Österreicherin Elfriede Jelinek. Die Inszenierung wurde in diesem Jahr zum Berliner Theatertreffen eingeladen und ging nun in den Wettbewerb der Mülheimer „Stücke“.

Im realen Leben suchten die „Schutzbefohlenen“ Asyl in einer Hamburger Kirche, hier auf der Bühne sind sie immer wieder hinter Stacheldrahtrollen verbannt, deren symbolisches Muster auf ihren T-Shirts wiederkehrt. Und sie stellen Forderungen: nach Gerechtigkeit und Freiheit für alle Menschen – und nicht nur für die Europäer; nach Chancengleichheit für alle, nicht nur für die, die innerhalb des europäischen Rechtssystems stehen; nach der Aufhebung der Unterscheidung zwischen legal und illegal. Im Hintergrund schwappt das Mittelmeer über die Videoleinwand.

Eine aktuellere Inszenierung gibt es wohl zurzeit kaum. Sie macht das Dilemma in aller Schärfe greifbar, zeigt Ursachen wie Kolonialismus, Krieg, Kapitalismus und Globalisierung auf und spricht nicht nur über die Betroffenen, sondern lässt sie für sich selbst sprechen. Und doch macht sie gleichzeitig schmerzlich bewusst, wie schwierig eine Lösung ist. Es wird auch hier keine gefunden. Vielleicht ist das von einer Theaterinszenierung aber auch zu viel verlangt: Wenn schon Politiker nicht recht wissen, was sie tun können oder wollen…

Wir, die wir hier schuldbewusst in unseren Theatersesseln sitzen, sind nicht so leicht bereit, unseren Wohlstand zu hinterfragen. Ihn zu teilen, ja darüber könnte man reden – doch wo ist hier die Grenze? Wo ist deine persönliche Grenze? Was bist du bereit zu geben, wo möchtest du helfen, wo schaust du lieber weg? „Nur wer im Wohlstand lebt, lebt angenehm“, hat Bertolt Brecht einst in der Dreigroschenoper geschrieben. Der Wunsch, sicher und gut zu leben, etwas aus sich und seinen Möglichkeiten zu machen, verbindet alle Menschen. „Doch die einen stehen im Dunkeln und die anderen stehn im Licht; und man sieht nur die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht.“

Unser Reichtum ist ein Magnet, unser Rechtssystem mit allen seinen behördlichen Auswüchsen ist ein besserer Garant für Freiheit als viele andere Systeme. Deswegen sind wir ein Fluchtpunkt, ein Ziel. Das macht uns stolz, das macht uns Angst. Das weckt die hässlichen Seiten in uns: Den Wunsch, sich abzugrenzen, sich an seinen Besitz zu klammern. Wenn in Hamburg Pöseldorf Bürger skeptisch gegen ein Flüchtlingsheim sind und sagen: „Die Leute könnten hier ja nicht mal einen Kaffee trinken, das wäre für sie doch viel zu teuer“, dann zeigt Stemanns Inszenierung die zynischen Seiten des Phänomens.

Und Elfriede Jelineks Text? Manchmal wirkt er zu glatt, zu wortspielerisch, der existenziellen Schärfe des Themas nicht angemessen. Auf jeden Fall klingt dieser Abend noch lange nach, er geht über die bloße Kunst hinaus.

Die Mülheimer „Stücke“ laufen noch bis zum 4. Juni:
Karten und Termine:
www.stuecke.de




Bitterböser Schwank ist Stück des Jahres – Oliver Bukowski bekam für „Gäste“ den Dramatikerpreis / Stücke von Elfriede Jelinek und Theresia Walser

Von Bernd Berke

Mülheim. Lang haben sie diskutiert, die Juroren der Mülheimer Theatertage „stücke 99″. Zum Schluß, gegen 1 Uhr in der Nacht zum Sonntag, stand es beim Dramatiker-Wettbewerb auf Spitz und Knopf zwischen Elfriede Jelinek und Oliver Bukowski. Und dann entschieden die Übermüdeten plötzlich hopplahopp: Büchnerpreisträgerin Jelinek, in Mülheim noch nie erfolgreich, ging auch diesmal leer aus. Oliver Bukowskis Beitrag „Gäste“, bitterböse und bizarre Bauern-Tragikomödie aus deutscher Ost-Provinz, wurde zum Stück des Jahres erkoren.

Es war ein Resultat, mit dem sich ein Großteil des Publikums (dessen Kollektivstimme freilich an Peter Turrinis „Die Liebe in Madagaskar“ ging) gut abfinden konnte. Denn diabolisch geschickt maskiert der aus Cottbus stammende Bukowski (Jahrgang 1961) sein Drama vom „Heilsbringer“, der ein unterwerfungswilliges Dorf heimsucht, als Schwank herkömmlichen Zuschnitts, um nach und nach die Erwartungen desto gründlicher zu unterlaufen. Die vermeintliche Gaudi mündet mit erschreckender Konsequenz im Selbstmord einer Protagonistin. Unerbittlich genau ist Bukowskis Blick für menschliche Hinfälligkeit und Verzweiflung. Sein handfestes, ja zuweilen derbes Theater ergeht sich zudem in einer famos austarierten Kunstsprache, die gleichwohl nicht erkünstelt wird.

Wie ein schwebendes Klangereignis

Ganz und gar nicht handfest, sondern ein schwebendes Klangereignis von großer sprachschöpferischer Kraft ist Elfriede Jelineks „er nicht als er“, am Schlußtag des Wettbewerbs dargeboten vom Deutschen Schauspielhaus Hamburg. Jelinek begibt sich auf eine Gratwanderung zwischen sprachlich-seelischer Anverwandlung und Selbstbehauptung: Mit ungeheurer Intensität befragt sie Leben und Werk des unbedingt lesenswerten Schweizer Dichters Robert Walser (1878-1956; „Räuber-Roman“, „Der Gehülfe“, „Geschwister Tanner“), der in einer Nervenheilanstalt endete.

In hohem Maße dem (Mit)Leiden zugeneigt, erkundet Jelinek auch die eigenen Gefährdungen. Letztmögliche Literatur, letzte sprachliche Aufgipfelung vor dem Verstummen? Eine Handlung gibt es praktisch nicht, der nur rund 15 Manuskriptseiten umfassende Text hat eher prosaische als dramatische Gestalt. Regisseur Jossi Wieler hat die harsche Herausforderung angenommen und vier sprechende sowie zwei stumme Rollen daraus destilliert. Die sprachlich bis ins Detail durchkomponierten, mit lyrischen Qualitäten gesättigten Wortfolgen („Durchseihen des Seienden“) sind keineswegs Lesestoff fürs stille Kämmerlein, sondern drängen wie eine Partitur zur tönenden Verwirklichung.

Lyrischer Jelinek-Text ist nichts für schwache Darsteller

Besser als das prominente Hamburger Ensemble (André Jung, Marien Diekhoff, Ilse Ritter, Lore Stefanek) wird man den hohen Schwierigkeitsgrad schwerlich meistern können. Wehe, wehe, wenn schwächer besetzte Bühnen sich an den empfindlichen Jelinek-Text wagen, der gewiß noch manches germanistische Seminar beschäftigen wird…

Vor Jelinek war Martin Walsers eminent begabte Tochter Theresia (Jahrgang 1967) mit ihrem ebenso illusionslosen wie poetischen Drama „King Kongs Töchter“ (Theater Neumarkt, Zürich / Regie: Volker Hesse) in den Wettbewerb gegangen. Denkbar weit entfernt vom gängigen Markt-Ideal fideler und allzeit konsumwilliger Senioren, stößt sie uns ins siechende Elend einer Alten-Verwahrstätte. Dort begehen, gleichsam schwarze Krähen in weißen Kitteln, drei Pflegerinnen eine Art Walpurgisnacht, einen gelegentlich makabren Totentanz zwischen hilflos sabbernder Geilheit und anrührender Erinnerungs-Melancholie ihrer Schutzbefohlenen.

Fast schon ein Karneval des bevorstehenden Ablebens: trostlose Komik, traurige Triebe, grelle Schminke, hoch die Schnabeltassen! Auch dieses physisch überaus präsente Stück hätte einen Preis verdient.




Leibesübung für den Krieg – Elfriede Jelineks „Sportstück“ beim Mülheimer Dramatikerwettbewerb

Von Bernd Berke

Mülheim. Freunde militärischer Zucht könnten ihre Freude an dieser Inszenierung haben: Regisseur Einar Schleef muß bei den Proben ein echter Schleifer gewesen sein, so zackig hat er die Hundertschaft der Mitwirkenden in Elfriede Jelineks „Ein Sportstück“ gedrillt.

Die fünfeinhalbstündige „Kurzfassung“ des Stücks, das bei manchen Theaterfreaks mittlerweile Kultstatus genießt, ging am Sonntag ins Rennen um den Mülheimer Dramatikerpreis. Ein Ereignis war’s allemal.

Gellende Trillerpfeife, markiger Schrei: „Achtung – fertig – los!“ So werden die ausgiebigen Haßtiraden auf jedwede Ertüchtigung gestartet, denn: Im Sport, so findet Frau Jelinek, wird der Körper als Hochleistungsmaschine gepanzert und zugerichtet für jederlei brutale Konkurrenz, er wird letzten Endes kriegstauglich gemacht. Sport ist Mord, das Trikot eine Uniform. Ob dies in Zeiten von Computer-Schlachten noch das einzige Problem ist, sei dahingestellt. Immerhin geht’s bei Jelinek auch um den technikgerechten Umbau des Leibes.

Die Autorin breitet eine reichhaltige Beweisführung zur Gewaltsamkeit gestählter Körper aus. Familienpsychologische Aspekte (Mütter verlieren ihre Söhne an Sport und Militär, wie denn überhaupt Frauen meist Leid-Tragende sind) kommen ebenso in Betracht wie rabiates Fan-Wesen, Aufpeitschung durch Medien und Zeitgeist-Moden wie diverse Fitness-Umtriebe. Und immer droht der Faschismus.

Jelineks Text besteht vornehmlich aus einer Reibung gedehnter Monologe, vermutlich ist er eher zum Lesen als für die Bühne geeignet. Die präzis komponierte und formstrenge Sprech-Partitur besitzt freilich enorme rhythmisch-lyrische Qualitäten und setzt durch einige Kalauer hie und da erstaunlich selbstironische Akzente.

Auch das Theater hat seine Südkurve

Die rhythmischen Elemente hat Einar Schleef, den sich Frau Jelinek als Regisseur am Wiener Burgtheater gewünscht hatte (bevor sie ihn verwünschte), ins Monströse gesteigert. Die Hauptlast der Textmassen stemmen bei ihm vielköpfige Chöre, die zumeist im Turndreß anzutreten haben. Deren Bewegungs- und Sprecheinsätze klappen auf die Hundertstelsekunde genau.

Also vernimmt man ungeheure Dauer-Salven, als sei’s ein ratternder Rap-Gesang. Und es fließt so viel Schweiß, daß man wahrlich von Theater-Spitzensport reden kann. Die längste Chorpassage dauert ohne Atempause fast 40 aggressionsgeladene Minuten, sie provozierte in Mülheim zunächst höhnisches Klatschen und „Aufhören! „-Rufe, hernach aber auch Jubel wie im Stadion. Das Theater hatte diesmal seine Südkurve.

Freilich geht die Entlarvung faschistoider Züge des Sports bei Schleef einher mit Anfälligkeit für faszinierende Momente dessen, was im Stück gegeißelt wird. Einige Szenen haben einen Beigeschmack von „Reichsparteitag“. Hoffentlich sind nicht zu viele Auslandsgastspiele geplant. Ohne Sprachkenntnisse könnten sie andernorts denken, daß „es“ bei uns wieder losgehe…

Einmal bleibt der Chor ganz stumm

Allerdings erschöpf sich die Inszenierung, die Jelineks Text machtvoll hervortreibt, dann aber wieder unter sich begräbt, nicht nur in solchen zwiespältigen Exerzitien. Sie erinnert phasenweise auch an eine gravitätische Messe nach exakten liturgischen Vorgaben, verarbeitet Einflüsse neuen Tanztheaters, schaufelt zusätzliche Materialien (Kleist, Hofmannsthal) herbei und entwirft grandiose Szenenbilder.

Ja, der Abend hat sogar meditative Momente. So sitzt uns der Chor, als gehöre er einer eingeschworenen Sekte an, einmal in schwarzer Einheitskleidung minutenlang stumm gegenüber. Ein Psycho-Trick, mit dem die Zuschauer auf eigenes Denken und Verhalten verwiesen werden? Da haben wir ihn nun, den Grübelstoff für die nächsten Wochen. Man darf gespannt sein, wie die Jury den Text bewertet.




Nach der tierischen Orgie kommt Katzenjammer – Jelineks „Raststätte oder sie machens alle“ und Christoph Heins „Randow“ bei den Stücketagen

Von Bernd Berke

Mülheim. Welch ein Wechselbad beim 20. Mülheimer Dramatikerwettbewerb: Nach einer wüsten Bühnenorgie mit Elfriede Jelineks „Raststätte oder sie machens alle“ war – wie zur Herabstimmung der Gemüter – Christoph Heins „Randow“ in einer kreuzbraven Inszenierung zu sehen.

Zwischen hochfliegenden Freiheits-Träumen und den Niederungen der Freizeit-Gesellschaft ist der Mensch längst vor die Hunde gegangen, zumal als sexuelles Wesen. Das jedenfalls will uns Elfriede Jelinek mit dem „Raststätten“-Stück eintrichtern.

In Mülheim gastierte ein Regie-Attentat aus den Reihen der deutschen Theater-„Spaßguerilla“: Frank Castorfs Inszenierung vom Deutschen Schauspielhaus in Hamburg. Castorf stampft den feministisch grundierten und rhetorisch streckenweise unangenehm pompösen Text in Grund und Boden. Am Schluß muß sogar eine an intimen Stellen aufgeregt blinkende und wienerisch schwadronierende Kunst-Figur herhalten, die der Jelinek nachgebildet ist: die Autorin als Sexpuppe. Gemeiner geht’s nimmer.

Castorf hat Frau Jelinek mal als eine Art „Krampfhenne“ bezeichnet (und sich dabei bedeutend drastischer ausgedrückt, als wir’s hier wiedergeben mögen). Er mag auch ihren „Raststätte“-Text nicht. Doch indem er alles zuschanden reitet, wird er dem Ingrimm der Vorlage auf Umwegen überraschend gerecht.

Die Jelinek setzt zwei Ehepaare und groteske Randfiguren an einer Autobahn-Raststätte aus. Die Frauen, die sonst bei ihren Gatten spuren, wollen einmal die Sau rauslassen. Dazu haben sie sich per Kontakt-Inserat mit einem Elch und einem Bär verabredet.

Extremsport für das sexuelle Punktekonto

Nach vollzogenem Extremsport mit zwei bluttriefenden Burschen heißt es lapidar: „Mit einem Tier auf dem Klo – das ist doch schon was.“ Füllt sozusagen das Porno-Punktekonto. Doch im Grunde herrscht Depression nach dem Exzeß, zumal in den Kostümen sich ausgerechnet die Ehemänner verborgen haben.

Grundmuster des Textes, der hierin geradezu „katholisch“ anmutet: Tierhafte Triebabfuhr zieht stets tiefste Trauer nach sich. Erst legen sie hündisch los, dann gibt es Katzenjammer.

Reichlich rinnen alle Körpersäfte. Zudem wird kübelweise (künstlicher, aber täuschend echt wirkender) Kot auf Leiber und Bühne geschmiert. Einige Zuschauer ließen sich tatsächlich provozieren und riefen „Pfui !“ Den meisten kam derlei endlos angehäufte Zumutung in der Summe freilich fade vor. Man sollte diesem verquast-bemühten Stück keinen Preis angedeihen lassen. Allerdings verdient es just eine solche Inszenierung.

Balsamisch ging’s hingegen bei Christoph Heins „Randow“ zu. Der erzählt eine ostdeutsche Leidensgeschichte mit einem Realismus auf Sparflamme. Der Text glimmt nur vor sich hin. Eine Frau, die sich in der DDR-Bürgerbewegung engagiert hat, will nun ihre Ruhe genießen und zieht sich zum Malen in ein Natur-Idyll an der Grenze zu Polen zurück. Doch eine fatale Koalition aus ehemaligen Stasi-Leuten, Rechtsradikalen und gierigen „Wessis“ vertreibt sie aus dem vermeintlichen Paradies.

Hein, dem wahrlich schon prägnantere Stücke geglückt sind als diese wie mit Spinnweben durchwirkte Elegie, arrangiert seine übergroße Themenfülle betulich, wird darin allerdings noch übertroffen von der unbeholfenen Einrichtung des Dresdner Staatstheaters.




Shakespeare als Kind und als Karnevalist – Berliner Theatertreffen: Verdruss mit dem Klassiker, Glück mit Jelinek

Von Bernd Berke

Berlin. „Wow, sterben! Echt?“ So spricht sonst keine Julia von Shakespeare, so quatschen vielleicht Comic-Figuren oder „Szene“-Typen. Doch wenn eine Regisseurin wie Karin Beier sich das alte Liebesdrama in Frank Günthers Übersetzung vorknöpft, wächst Julia der Schnabel anders.

Es stand zu befürchten, daß das Berliner Theatertreffen nach seinem Senkrechtstart (die WR berichtete) ins Trudeln geraten würde. Tatsächlich legte die Düsseldorfer Version von „Romeo und Julia“ keine sonderliche Ehre ein. Der Beifall des kundig-kritischen Berliner Publikums im Schillertheater (als Staatsbühne bekanntlich weggespart) war Pflichtübung, mit Buhrufen für die Regie versetzt.

Karin Beier, die schon in der freien Szene mit Shakespeare umsprang und dann von Volker Canaris ans Düsseldorfer Schauspielhaus geholt wurde, setzt das berühmte Paar (Matthias Leja, Caroline Ebner) in eine Szenerie aus industriellen Fertigteilen. Sieht aus wie unter ’ner Autobahnbrücke. Hier können sich die jungen Leute mal richtig austoben – mit Disco-Tanz und Kung-Fu-Kampf.

Eine ganze Spielzeugkiste wird ausgekippt

Einmal hüpft sogar ein lustiger Aufziehfrosch daher. Eine Mixtur aus schöner neuer Fitness-Welt und Spielplatz. Beiers bunte Bühne spielt „Pelle, Petz und Pingo“. Doch solch allzu grelle Farbigkeit wird auf Dauer grau.

Platz für Liebe gibt’s hier natürlich nicht, nur für einen Zoo von wirren Gefühlen. In der gemeinhin als Balkonszene bekannten Sequenz schweben Romeo und Julia auf zwei Schaukeln und plappern wie Papageien. So etwas färbt ab. Auch ernstere Sätze klingen später kindsköpfig.

Leider sonnenklar, was Karin Beier uns beibiegen wollte: daß heutige Jugendliche die alten dramatischen Gefühle nicht mehr aufbringen können. Doch muß sie dazu ihre ganze Spielzeugkiste vor uns auskippen?

Sonderbar, wie sich die Handlung schließlich ins Hoffnungslose wendet. Vielleicht erklärt sich der schroffe Wandel so: Kind lacht. Kind weint. Und wird auch wieder lachen. Aber warum hat man diese Talentprobe gleich zum Berliner Theatertreffen eingeladen? Man hätte Karin Beiers weitere Entwicklung abwarten sollen.

Weißer Mercedes, schnurlose Telefone

Mit ihrer Auswahl von Shakespeare-Umsetzungen hatte die Jury der Theatertage eh keine glückliche Hand. Das zeigte auch Michael Jurgons‘ Schweriner „Othello“-Inszenierung, vorgeführt im Haus des Berliner Ensembles. Das Stück erstickt unter karnevalistischen Einfällen. Vordergründige Modernismen der kaum noch erträglichen Art kommen hinzu. Der eifersüchtige Othello (Dirk Glodde), im Übermaß geschminkt wie ein „Sarotti-Mohr“ und meist äffisch in seinem Gehabe, fährt schon mal im weißen Mercedes vor, und es wird eifrig mit schnurlosen Telefonen hantiert. Man führt DDR-Uniformen spazieren, ein Transvestit sächselt wie einst der verhaßte Staatschef Walter Ulbricht. Wenn ein Regisseur dermaßen Shakespeare nicht für voll nimmt, fällt es auf ihn selbst zurück. Überzeugend freilich der Intrigant Jago (Thorsten Merten), sympathisch-hemdsärmelig und kumpelhaft. Diesem Keri kann man es kaum übel nehmen, wenn er die Militaristen des Stücks gegeneinander hetzt.

Die Sprachmaschine wirft Deutsches aus

Mit einem ungeheuer schwierigen Text von Elfriede Jelinek plagte sich anderntags im Ballhaus Rixdorf zu Berlin-Neukölln ein sechsköpfiges Frauenensemble des Deutschen Schauspielhauses Hamburg (Regie: Jossi Wider): Jelineks „Wolken. Heim.“ versucht sich an sprachlicher Tiefen-Analyse prekären „Deutschtums“, anhand einer Textcollage von Hölderlin bis zum RAF-Bekennerschreiben. Die Zusammenstellung macht nationale Macken dingfest, sperrt sich aber gegen theatralische Umsetzung.

Desto staunenswerter. was die Hamburger daraus gewinnen. Die im Original nicht dialogisch aufgeteilte Textmasse wird zur Partitur für sechs Frauenstimmen, zur bösen Sprach-Maschine, die mit bedrohlichem Singsang immerzu erschreckend Deutsches auswirft. In Anna Viebrocks Bühnenbild zwischen Führer-Bunker, Kaserne und teutonischer Gemütlichkeit verleihen Darstellerinen wie Ilse Ritter und Marlen Diekhoff dem Stoff große Dringlichkeit. Die anwesende Autorin bekam rauschenden Applaus. Da war es wieder: das Glück des Gelingens im Theater.




…doch Heidegger stieg durchs Gebirge – Elfriede Jelineks „Totenauberg“ bei den Mülheimer Stücketagen

Von Bernd Berke

Mülheim. Vor dem Juhnke-Rummel * hatten die Mülheimer Stücketage mit Elfriede Jelineks „Totenauberg“ begonnen, einem Drama über den Philosophen Martin Heidegger (1889-1976). Der war ein Brocken aus Granit.

In seinem Hauptwerk „Sein und Zeit“ genügte ihm der Begriff „Sein“ keineswegs. Er erfand z. B. auch noch „das Seiend“ und „die Seiendheit“ hinzu. Hut ab vor Elfriede Jelinek, weil sie – in Nachvollzug und Parodie – solchem Kauderwelsch eine poetische Sprache abgewann. „Totenauberg“, hier in der Fassung des Wiener Burgtheaters (Akademietheater) zu sehen, bezieht sich im Titel auf Heideggers Denkerklause im schwäbischen Todtnauberg. Derlei Wortspiele prägen den Text. Er stellt Heideggers Sprechblasen auf seine Weise so wirksam unter Verdacht wie 1964 Theodor W.Adornos Abrechnung („Jargon der Eigentlichkeit“).

Mehr noch. Das Stück konfrontiert den greisen Philosophen, der sich als Freiburger Uni-Rektor emsig mit den Nazis einließ (der Geistesriese als Moralzwerg), mit der jüdischen Denkerin Hannah Arendt. Die war als junges Mädchen in Heidegger verliebt – und wurde 1933 ins Exil getrieben, just als Heidegger seine großdeutsche Erweckung erlebte.

Trotzdem ist das Stück keine Heidegger-Schelte, sondern eine graue Litanei. Ein Alptraum aus Worten. Frau Jelinek versetzt die langen Monologe mit Passagen über furchtbar-fruchtbare Mutterschaft, Tötung „ungesunden“ Lebens, Tourismus, Naturzerstörung, Heimat, Fremde und Exil. Da tun sich Wunden auf, die auch in der Gegenwart nicht verheilt sind.

Österreichs Alpen bilden die Kulisse. Die Schauspieler müssen auch wirklich Text-Berge bewältigen, die Regisseur Manfred Karge freilich (bis an den Rand des Zulässigen) abgetragen hat. Hätte er nicht ein so großartiges Ensemble (u. a. Martin Schwab, Therese Affolter, Lore Brunner), wäre jeder Gag eine Qual. Das Ganze ist nicht für die Spielpraxis geschrieben, es ist eine harsche Herausforderung an die Bühne. Aber Jelineks kunstvolle Sprache will nicht nur gelesen, sondern gesprochen und gehört sein. Also doch eine Theatersache, wenn auch eine sperrige.

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* Juhnke-Rummel: Peter Turrinis Stück „Alpenglühen“ konnte in Mülheim nur als Lesung aufgeführt werden, weil Hauptdarsteller Harald Juhnke kurzfristig ausfiel… (darüber berichtete der WR-Kollege Rolf Pfeiffer).




Rock-Revue „Linie 1″ Favorit beim Publikum – Halbzeit des Mülheimer Wettbewerbs „stücke ’87“

Von Bernd Berke

Mülheim. Man könnte es wagen, schon zur „Halbzeit“ den Hauptanwärter auf den Mülheimer Dramatikerpreis ’87 vorherzusagen, wenn es nur nach dem Willen des Publikums ginge: er hieße mit ziemlicher Sicherheit Volker Ludwig.

Seine Rock-Revue von der U-Bahn „Linie l“, eine Stationen-Geschichten aus dem Berliner Untergrund zwischen Bahnhof-Zoo und Kreuzberg, mobilisierte am Wochenende zahlreiche Fans des Grips-Theaters, und deren frenetischer Beifall ließ kaum einen Zweifel daran, daß die Stimmzettel in den Wahlurnen der Stadthalle vielfach auf „gut“ oder „sehr gut“ lauteten.

Doch das gesamte Publikum hat auch bei ..Stücke ’87“ wieder nur eine einzige Stimme, die Theaterexperten der Jury werfen hingegen acht Voten in die Waagschale. Es ist kaum anzunehmen, daß dieses Gremium sich dazu durchringen wird, ein Rock-Musical zum Stück des Jahres zu erklären, das die Szene zwischen Punks, Pennern und Wilmersdorfer Witwen mit Elementen der Typenkomödie sowie einem Schuß Broadway verquickt und überhaupt keinerlei Berührungsscheu erkennen läßt – weder vor Gefühlen, die man landläufig unter Kitschverdacht stellen könnte, noch vor Kabarett- und Slapstick-Einlagen, ja, noch nicht einmal vor einem Happy-End. Das grenzt an Provokation inmitten der vorherrschenden Endzeitstimmung des Theaters.

Ob nun „Linie 1″ als fröhlicher Ausverkauf von gesellschaftlichen Randgruppen oder als populäre Aufbereitung verdrängter Utopien begriffen wird – pralles Theater ist es allemal. Und das liegt nicht nur an der Inszenierung, sondern vor allem am Text, der ja in Mülheim zur Debatte steht.

Zuvor waren zwei Stücke gezeigt worden, die jeweils auf ihre Weise schmerzlich deutlich machten, daß Kultur leider manchmal viel mit Sitzfleisch und mit „aussitzen° zu tun haben kann. Weder Elfriede Jelineks „Krankheit“ (vorgeführt vom Schauspiel Bonn), noch der „Jochen Schanotta“ des DDR-Äutors Georg Seidel (dargeboten vom Baseler Theater) dürften für den Preis in Frage kommen.

Lesbische Vampire kontra faschistoide Machos

Jelineks Stück ist streckenweise immerhin ein beachtliches Sprach-Kunstwerk. Doch Feinheiten gehen in Peter Eschbergs schrill-spekulativer Bühneneinrichtung sowieso den Bach herunter. Außerdem reißt das Stück Bäume aus, wo gar keine sind: lesbische Vampire kontra faschistoid daherbrabbelende Machos, die am Ende alles Weibliche mit der Schußwaffe erlegen – da fühlt man sich auch als Zuschauer leicht wie von Blutsaugern befallen.

Im übrigen haben sich die mit der Brechstange erzeugten Gegensätze des Stücks schnell erschöpft. Daß Frauen mystisch raunen, Männer hingegen nur bramarbasieren, hat man nach wenigen Szenen begriffen. Was sich danach endlos hinzieht, ist nur Wiederholung, ein Kreisen in sich selbst.

Noch strenger nimmt Georg Seidel die Zuschauer mit „Jochen Schanotta“ in die Zucht. Schanotta ist ein 18jähriger DDR-Rebell, der im Labyrinth der kleinen Freiheiten (lange Haare und Disco sind erlaubt) den.verzweifelten und von Anfang an vergeblichen Versuch unternimmt, die wirklichen Glücks- und Freiheitsmöglichkeiten des Individuums auszuloten.

Das diffuse Aufbegehren des jugendlichen Querdenkers wider die starre Erwachsenenwelt des realen Sozialismus mag auf DDR-Bühnen Sprengkraft entwickeln, hier mutet der Rebell ohne Rebellion seltsam gestrig an. Grundierung des Stücks ist das Vakuum der Langeweile, in dem jedes Anrennen zugleich ein Scheitern ist. So sieht man nur eine einzige Dimension, nämlich die schiere Vergeblichkeit auf der Bühne.