Frauenfußball: Weniger Dynamik, Aggression und Anmaßung – mehr Fairness und mehr Hymne…

Was ist das wohl für ein Ereignis, bei dem selbst die Ränge im übersichtlichen Stadion des niederländischen Breda nur zur Hälfte gefüllt sind? Welches Turnier können sogar die gebeutelten öffentlich-rechtlichen Sender ARD und ZDF noch übertragen, während sonst fast alles ins Bezahlfernsehen abwandert? Richtig, es ist die Fußball-Europameisterschaft der Frauen, die sich mit dem Hashtag #WEURO (Women’s Euro) anpreist.

Deutscher Spielerinnenkreis vor dem Spiel gegen Schweden. (Vom ARD-Fernsehbild abgeknipst)

Deutscher Spielerinnenkreis vor der Partie gegen Schweden. (Eigenhändig vom ARD-Fernsehbild abgeknipst)

Lang, lang ist’s her, dass in den 1970 er Jahren der Frauenfußball von oben herab noch derart verspottet wurde, dass es nur so seine Unart hatte. Den YouTube-Link zur unsäglich feixenden Herablassung eines Wim Thoelke (ZDF) ersparen wir uns diesmal, obwohl er aus heutiger Sicht ein Schenkelklopfer unfreiwilligen Humors ist. Googelt halt einfach Wim Thoelke und Frauenfußball, dann habt ihr den Salat.

Doch auch heute noch gibt es zahlreiche Verächter, die dem Damenfußball keinerlei Qualität zubilligen. Sie trauen sich nur nicht mehr ganz so ungeniert hervor. Okay, ich geb’s zu, ich sehe meist auch lieber die Kerle spielen; wenn sie’s denn können.

Gestern hat also die Frauen-EM begonnen, heute ist das deutsche Team gegen Schweden angetreten und hat mir mit einem 0:0 meinen Siegtipp gründlich versaut. Wen aber reißt es vom Sessel, wenn ich jetzt sage, dass die verletzte Svenja Huth durch die Ruhrgebiets-Pflanze und Bundesliga-Torschützenkönigin Mandy Islacker (Enkelin der Essener RWE-Fußball-Legende Franz Islacker) ersetzt wurde? Bei den Männern würden sie sich über solch einen Vorgang die Köpfe heiß reden. Anderntags wären die Zeitungen voll davon.

Ja, gewiss, die Männer gehen noch athletischer und dynamischer zu Werke, der sportliche Unterschied dürfte sich – etwa analog zum 100-Meter-Lauf – im Maßverhältnis von Zeiten unter 10 Sekunden (Männer) und unter 11 Sekunden (Frauen) bewegen, von unerlaubten Hilfsmitteln mal abgesehen.

Vor allem aber sind die Männer weitaus aggressiver. Zudem versuchen sie gar häufig, den Schiri durch Schauspielerei zu beeinflussen – und sei es nur, um einen läppischen Einwurf oder eine Ecke herauszuschinden. Wie wohltuend, dass es derlei Mätzchen bei den Frauen kaum gibt, wie es denn bei ihnen überhaupt deutlich fairer zugeht. Und sie machen erheblich weniger Getue um sich selbst. Freilich kann man sich auch nur schwer vorstellen, dass hier Legenden geboren werden. Vielleicht gehört ja die arrogante Anmaßung dazu, wenn man „unsterblich“ werden will?

Schwachmaten der Boulevardblätter haben sich schon in aller Breite darüber ausgelassen, ob ein Tor im Männerfußball mit dem Penis erzielt worden sei. Nun gut, das geht hier in der Regel nicht. *hüstel* Ansonsten spielen aber auch die Frauen schon mal Traumpässe und schlagen hin und wieder herrlich abgezirkelte Flanken. Und sie können zuweilen sehr entschlossen grätschen. Meine Lieblingsspielerin im EM-Auftaktmatch war denn auch in dieser Hinsicht die abwehrstarke Anna Blässe.

Während Männer schon mal pro Nase 300.000 Euro für einen Turniersieg erhalten (und den Betrag als Trinkgeld erachten), stehen bei den Frauen (die weitaus mehr EM-Titel errungen haben, nämlich nahezu alle) nicht einmal 40.000 Euro zu Buche. In den 80er Jahren gab’s mal für einen EM-Sieg der Frauen – ungelogen – einen feuchten Händedruck und – ein Porzellan-Service…

Habe ich eigentlich schon erwähnt, dass anteilig offenbar deutlich mehr Frauen als Männer die deutsche Nationalhymne mitsingen? Nein, ich mag daraus gar nichts schlussfolgern. Und kommt mir jetzt bloß nicht mit albernen Buchstabendrehern, ihr Machos!

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P.S.: Satz des TV-Abends, den der ARD-Kommentator Bernd Schmelzer vom Stapel ließ: „Gar nichts ist ja immer sehr wenig.“

 




Ich habe keine Lust mehr auf Turnier-Fußball

Nein, wenn es so läuft, habe ich keine Lust mehr auf diese großen Turniere des Fußballs.

Da sind wir uns sicherlich weitgehend einig: Bis auf ganz wenige Ausnahmen, war diese monströs aufgeblähte EM eine flächendeckende Enttäuschung. Die Chose mit den Isländern war hübsch, tröstet aber kaum.

Im Moment der Verletzung: Cristiano Ronaldo (Portugal). (ARD-Fernsehbild/Screenshot)

Im Moment der Verletzung: Cristiano Ronaldo (Portugal). (ARD-Fernsehbild/Screenshot)

Und wie schäbig ging es noch im heutigen Finale zu! Als hätten sie’s erst einmal nur darauf angelegt, säbelten die Franzosen gleich Christiano Ronaldo dermaßen ruppig nieder, dass er kurz danach unter Tränen aufgeben musste. Es war leider einer der größten, weil bleibenden Momente dieser Europameisterschaft.

Ich war bislang kein Ronaldo-Fan. Aber heute habe ich wirklich mit ihm gefühlt – und von Stund’ und Sekund’ an gehofft, dass die Portugiesen trotz aller Widrigkeiten gewinnen sollten. Und tatsächlich. Sie haben es geschafft.

Kein Wort mehr über die fortwährende Langeweile in der Vorrunde, die überwiegende Ödnis selbst noch in den allermeisten K.-o.-Partien. Der Zauber dieses Sports kam nur äußerst selten zur Geltung.

Vom Finale bleiben (neben Ronaldo) vielleicht nur die flatternden Motten in Erinnerung. Eine setzte sich, wenn ich’s richtig gesehen habe, für einen Moment sogar auf Ronaldos weinendes Auge. Das hatte denn doch nahezu mythische Qualität. Und dann noch der finale Jubel…

Aber nun mal Hand aufs Herz: Wer freut sich wirklich aufs nächste WM-Turnier 2018 in Russland oder gar auf 2022 in Katar? Da ist von vornherein der Wurm drin, um das Mindeste zu sagen. Die schon im Ansatz spürbare Idiotie der nächsten EM (anno 2020 mit 24 Teams, auszutragen in 13 ! Ländern) steht dem kaum nach.

Jetzt ist man zunächst dankbar für eine fußballfreie Zeit. Durchatmen. Der Kopf muss frei werden.

Es bleiben uns einstweilen oder auch auf längere Dauer wohl nur die nationalen Ligen, meinethalben auch die spanische, die englische und die italienische. Schade, dass die Bundesliga erst am 26. August wieder startet. Aber sei’s drum. Diesmal verspricht selbst die zweite Liga (schon ab 5. August) einige Spannung – mit Clubs wie Stuttgart, Hannover, Kaiserslautern, Nürnberg, St. Pauli, 1860 München usw.

In der Bundesliga interessiert mich beileibe nicht nur der gründlich umgekrempelte BVB; nein, ich möchte auch wissen, wie sich Werder und der HSV schlagen, was die Neulinge RB Leipzig und Freiburg anrichten. Na, zugegeben: Selbst Schalke ist einem nicht völlig schnurz.




Island – das Wort der Stunde

Island ist das Wort und das Land dieser Tage. Fast niemand, der nicht die neueste Mode mitgemacht hätte, jeden Begriff mit einem angehängten „sson“ zu islandisieren.

Islands Kapitän Aron Gunnarsson, abgeknipst vom ZDF-Fernsehbild.

Islands Kapitän Aron Gunnarsson, heute abgeknipst vom ZDF-Fernsehbild.

Doch heute haben die sympathischen Nordländer bei der EM eine ehrenwerte 2:5-Packungsson (harrharr) gegen Frankreich kassiert und sind ausgeschieden. Schade, aber sicherlich auch verdient.

Die Zeiten, als das Wünschen – frei nach Peter Handke – noch geholfen hat, sind vorüber. Auch haben die Isländer ihre anfängliche Unbefangenheit verloren. Sie haben sich wohl aufs Gewinnenwollen versteift und sind dabei verkrampft. Es war zu erwarten.

Keine Gazette, die jetzt nicht ein Island-Special in ihre Spalten gerückt hätte. Beliebte Frage: Wie ticken die Wikinger? Naja. Jedenfalls wird man sich vor allem auch daran erinnern, wenn in zehn oder zwanzig Jahren von dieser EM noch einmal kurz die Rede sein sollte. War das nicht dieses Turnier mit den beherzt kickenden Trollen? Das, was bleiben wird, stiften die Geysire. Oder so ähnlich. Huh!

Es war ja auch ein schöner Traum. Erst haben sie in der EM-Qualifikation die Niederländer heimgeschickt. Dann haben sie bei dieser ansonsten oft so bräsigen EM den Favoritenschreck gegeben. Danke.

David gegen Goliath, das mag man allenthalben. Und ich bin ziemlich sicher: Auf dieses Island können sich insgeheim mancherlei politische Fraktionen einigen. Die Linke mag den Underdog, die Rechte die kernigen „Germanen“. Überschneidungen inbegriffen. So ungefähr. Oha!

Schon jetzt haben sich die Touristenzahlen des ehedem nur recht selten besuchten Eilands immens erhöht. Spätestens im nächsten Jahr dürfte auch so mancher Depp, der bislang nicht einmal die geographische Lage erahnt hat, aus bloßen Gründen des Trends dort einfallen. Arme Isländer. Man möchte schon jetzt um Entschuldigung bitten. Ballermann goes Reykjavik…




Eine eher missmutige Zwischenbilanz zur Fußball-EM 2016 in Frankreich

Doch, doch: Vorab hatte ich mich aufs EM-Turnier in Frankreich gefreut. Allen Bedrohungen zum Trotz. Ich habe mir sogar eines dieser Vorschau-Hefte gekauft. Doch dann hat (nicht nur) mich das vielfach uninspirierte Ballgeschiebe ein ums andere Mal ziemlich abgeschreckt.

Ihr wisst schon, was ich meine: Dieses (vom dämlichen Austragungsmodus begünstigte) leidenschaftslose Taktieren, das inzwischen die allermeisten Spiele prägt, zersetzt den Geist des Fußballs. Findet ihr nicht?

Der kroatische Angreifer Ivan Perisic (vormals Borussia Dortmund & VfL Wolfsburg) mit Nationalfarben am Kopf. War's ein Pflaster oder ein Tattoo? War's aufgeklebt oder aufgebügelt? Egal. Es ist wohl ein Zeichen der Zeit. (Abgeknipst vom ZDF-Fernsehbild, Rechte wahrscheinlich bei der UEFA oder so)

Der kroatische Angreifer Ivan Perisic (vormals Borussia Dortmund & VfL Wolfsburg) mit Nationalfarben am Kopf. War’s ein Pflaster oder ein Tattoo? War’s aufgeklebt oder aufgebügelt? Egal. Es ist wohl ein Zeichen der Zeit. (Abgeknipst vom ZDF-Fernsehbild, Rechte wahrscheinlich bei der UEFA oder so)

Kleinmütiges Gekicke überwiegt. Jeder Einwurf und jede Ecke werden beiderseits reklamiert. Von Fouls ganz zu schweigen. Und immer sind die Anderen schuld. An allem. Keine filigrane Kunst, nur Bollwerk und Riegel. Keine Dramen, keine Tragödien. Und niemand, der bereit wäre, notfalls einmal mit fliegenden Fahnen „unterzugehen“.

Stand 25. Juni, nach Beendigung des ersten Achtelfinal-Spieltags am späten Abend: Wenn ich richtig gezählt habe, haben schon zwölf (!) Spiele nach 90 Minuten (plus x) mit dem gähnträchtigen Ergebnis 1:0 geendet, ein zumeist fades 2:1 gab’s in fünf, ein vielfach bräsiges 1:1 in sechs Fällen (davon eines, das per Elfmeterschießen entschieden werden musste), dazu kamen vier torlose Begegnungen. Das Prädikat „aufregend“ haben allenfalls zwei bis drei von bislang 39 Partien verdient.

Bestens bezahlte Jubler (vulgo: TV-Kommentatoren) reden die meisten Szenen dennoch schön oder suchen künstlich Spannung zu beschwören. Dieses pseudo-maskulin hervorgepresste Gefasel. Dieses dürftige Standard-Vokabular („geblockt“ für abgewehrt). Dieses immergleiche Crescendo, wenn einer mehr oder weniger gefährlich vor dem Tor auftaucht („Gommeeeeeez“).

Ansonsten sind sie als Künder des Offensichtlichen am Werk, ganz nach dem Muster: „Ronaldo kommt nicht ran.“ Oder: „Der Freistoß war gut. Aber nicht gut genug.“ Ach was. Man mag’s nicht mehr hören. Aber mit ihnen tauschen möchte man auch nicht, mit wohlfeiler Kritik vom Sofa aus ist es nicht getan. Hier müsste grundsätzlich etwas passieren. Lasst meinetwegen Lyriker ans Mikrofon. Oder Satiriker.

Wie auch immer: So manches Match schaue ich mir gar nicht mehr an oder lasse es nur nebenher mitlaufen. Das Fieber hält sich bis dato in engen Grenzen und übersteigt die 37-Grad-Marke nur äußerst selten.

Das Drumherum tue ich mir schon lange nicht mehr an. Mit dem Abpfiff zur Halbzeit wird sofort ausgeschaltet, ca. 15 Minuten später wieder ein und mit dem Schlusspfiff ist eben auch Schluss. Kein endloses Gelaber über „Packing“ und dergleichen. Erst recht keine spätabendlichen Gruseltreffs wie bei Beckmann, die ich gottlob nur vom Hörensagen kenne. Das reicht schon. Es ist offenbar der absolute Tiefpunkt des Fernsehjahres. Und das bei einem öffentlich-rechtlichen Sender. Zweckdienliche Verwendung der Gebühren sieht anders aus.

Aber jetzt beginnt das Turnier doch erst richtig, oder? Nun, falls man hoffnungsfroh auf die K.o.-Runde gesetzt haben sollte, wird man von den bisherigen Partien ebenfalls enttäuscht. Nun gut, die Schlussphase von Kroatien vs. Portugal hatte was. Schade ums kroatische Team.

Man soll den Fußball nicht immer gleich politisch interpretieren, aber insgesamt man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, bei dieser EM den sportlichen Elaboraten eines Kontinents in Erstarrung zuzusehen, Insel-Anhängsel inbegriffen. Wo wäre da ein befreites, seiner selbst gewisses oder auch nur unbekümmert frohgemutes Aufspielen? Nein, das womöglich liebenswerte Gewurschtel isländischer Prägung oder muntere irische Fangesänge können uns den wahren Spielzauber nicht ersetzen. Sorry.

Ach so. Heute (Sonntag) um 18 Uhr spielt die deutsche Elf gegen die Slowakei. Nein, nicht gegen Slowenien. Und auch nicht mit Gewinn-Garantie.

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P.S. am Sonntag, 26. Juni, 22:09 Uhr abends: Nun, das lässt sich schon besser an. Ein durchaus beachtlicher deutscher Auftritt gegen die (allerdings erbärmlich abwehrschwachen) Slowaken, dazu die phasenweise putzmunteren Belgier. Und Frankreich – Irland soll auch ganz nett gewesen sein, wie ich höre. In diesem Stile darf’s von nun an gern weiter gehen.

Aber jetzt bitte nicht gleich wieder in den altbekannten Modus der deutschen Titel-Euphorie wechseln! Italien oder Spanien wartet.