„After Midnight“: Clapton, Cash und Cohen treffen sich im Diner und tragen ihre Songs vor

Laura Kiehne in der Inszenierung "After Midnight" von Florian Heller; Regie: Christian Tombeil

Laura Kiehne in „After Midnight“. (Foto: Diana Küster / Theater Essen)

Wo, wenn nicht in einem Diner, trifft man nach Mitternacht auf die einsamen Seelen, die Desillusionierten, die Experten im Scheitern aller Art? Nighthawks werden sie in Amerika genannt, Nachtfalken, gerade so wie Edward Hoppers berühmtes Bild, das ihnen ein Denkmal setzt.

Im „After Midnight“, dem Diner von Pattie (Laura Kiehne) gibt es nicht einmal mehr sie. Keiner mehr da. Der Laden steht irgendwo im Nirgendwo, im „Rustbelt“, dem Rostgürtel, der früher einmal das industrielle Herz Amerikas war, inzwischen aber weitgehend entvölkert ist. Monessen heißt der nächste Ort, den es wirklich gibt, und dessen Name sich im zweiten Teil tatsächlich auf Essen bezieht. (Das Mon- verweist auf den Monongahela-River).

Wer hier noch lebt, zählt sich nicht zu den Gewinnern. Auch Pattie wäre ja schon längst weg, wenn sie eine Alternative hätte. Hat sie aber nicht, Mutter hat ihr lediglich einen Haufen Schulden vererbt, der sie, warum auch immer, zum Weitermachen im verfluchten Diner zwingt. Doch dann, in einer stürmischen Winternacht, in der Internet und Telefon schon zusammengebrochen sind, betreten merkwürdige Personen das Lokal, und danach ist die Welt eine andere.

Szene mit Jan Pröhl, Philipp Alfons Heitmann, Laura Kiehne, Jens Winterstein. (Foto: Diana Küster / Theater Essen)

Alles auf der Bühne

Florian Heller, Jahrgang 1984 und Mitglied der Essener Intendanz, hat sich diese Rahmenhandlung für seinen musikalischen Abend „After Midnight“ ausgedacht, Ivonne Theodora Storm (Bühne und Kostüme) hat sie mit einem fast schon naturalistisch zu nennenden Bühnen-Diner plastisch werden lassen. Zu Beginn sehen wir das hässliche Teil von außen, Neonwerbung, runde Kanten, doch mit einem knappen Turn der Drehbühne wird es flugs zum Interieur. Hinten stehen nun ein paar Stühle und ein Tisch, links prunkt die Bar mit dem Spruch „Crying Is Okay Here“ in Leuchtbuchstaben. Auch die vierköpfige Band „The Hawks“ hat ihren Platz auf der Bühne.

Drei, die Musikgeschichte schrieben

Pattie streitet mit Rick, der heute abend mit dieser Band ein Konzert geben will und auf volle Hütte hofft. Doch statt des zahlenden Publikums laufen nacheinander Cassius (Jan Pröhl) und Norman (Jens Winterstein) ein, die, jetzt lüften wir das Geheimnis, niemand anders sind als Johnny Cash und Leonhard Cohen. Und Rick (Philipp Alfons Heitmann) ist eigentlich Eric Clapton, womit das Trio komplett wäre, das, unausweichliche Phrase an dieser Stelle, in der großen Fachabteilung Folk wirklich Musikgeschichte geschrieben hat. Nach den Gründen für dieses irrwitzige Zusammentreffen wollen, sollen wir nicht fragen. Manchmal fügt Unglaubliches sich auf Erden eben, sagt die Inszenierung. Zumindest darf man sich das vorstellen.

Clapton, Cash und Cohen: Philipp Alfons Heitmann, Jan Pröhl, Jens Winterstein in „After Midnight“. (Foto: Diana Küster / Theater Essen)

Der Tod ist allgegenwärtig

Rick/Clapton eröffnet die Gesangsdarbietungen mit „Wonderful Tonight“, später gelangen unter anderem Cohens „Suzanne“ oder Cashs „The Man Comes Around“ zur Aufführung, letzteres ein düsteres Spätwerk im Angesicht des nahenden Todes. Ja, der Tod ist oft mit im Raum, wenn sich die drei (mit Pattie vier) Protagonisten unterhalten, und von Norman/Cohen wie auch von Cassius/Cash erfahren wir explizit, dass sie krank sind und nicht mehr lange zu leben haben.

Hellers Stückvorlage räumt den Gesprächen der Protagonisten breiten Raum ein, sie sind weit mehr als unausweichliche Zwischenmoderation; eher entsteht streckenweise der Eindruck, dass die Songs in diesem Stück neben der biographisch grundierten Spielhandlung etwas fremdkörperhaft stehen. Auf jeden Fall jedoch ist den drei Sängern zu bescheinigen, dass sie mit ihren Stimmen die Vorbilder sehr gut treffen.

Ohne Gänsehaut-Gefühl

Zwangsläufig fehlt jedoch jenes „Gänsehaut-Gefühl“, das Interpretationen von Clapton, Cash und Cohen augenblicklich beim Zuhörer auszulösen vermögen, es fehlen die unverwechselbaren Artikulationen und auch die eine oder andere stilvoll in die Unverständlichkeit vernuschelte Zeile. Das Essener Bühnenpersonal artikuliert sorgfältig, was sicherlich der richtige Weg ist; ein bisschen klingt das jetzt allerdings so, als sängen Clapton, Cash und Cohen mit deutschem Akzent.

Mit seinem Johnny Cash-Programm war Thomas Anzenhofer im Bochumer Schauspielhaus über Jahre hin sehr erfolgreich, was sicherlich zum Nachmachen reizt. Wenn Regisseur Christian Tombeil in Essen nun aber gleich drei Vorbilder auf die Bühne bringt, stellt sich natürlich schon die Frage nach dem Warum. Warum diese drei?

Einen Bezug zum „Rustbelt“ und seinen zornigen alten (meist weißen) Männern hatte eigentlich nur Johnny Cash. Die anderen beiden sind bzw. waren thematisch etwas anders unterwegs. Bruce Springsteen hätte gut gepasst, Arbeiterdichter wie Pete Seeger oder Woody Guthrie, vielleicht auch Bob Dylan. Andererseits ist das American Songbook so voll von guter Musik und ihren Schöpfern, dass Vorschläge schnell beliebig erscheinen. So bleibt festzuhalten, dass Clapton, Cash und Cohen auf jeden Fall keine schlechte Auswahl darstellen.

Das Publikum war von Florian Hellers „After Midnight“ begeistert, tappte den Rhythmus mit und geizte, auch zwischendurch, nicht mit Applaus.

  • Termine: 28.12.2019 – 10., 18., 19., 21., 21.2.2020
  • Schauspiel Essen, Grillo-Theater, www.theater-essen.de



Genie der Selbstzerstörung: Aus dem wilden Leben des Drummers Ginger Baker

Er ist wahrscheinlich der vielseitigste und einflussreichste Drummer der Rock-Musik.

Seine Lehrer waren Jazz-Größen wie Max Roach und Art Blakey, seine Mentoren Alexis Korner und Graham Bond. Seine musikalischen Meisterstücke hat er mit Supergruppen wie Cream und Blind Faith abgeliefert. Er hat in unzähligen Bands gespielt und mal in England oder Italien, mal in den USA, Nigeria und Südafrika gelebt. Oft ist er schon wegen seiner Drogensucht und Tabletten-Abhängigkeit für tot erklärt worden. Doch auch wenn es stiller um diesen kauzigen Weltenbummler und neugierigen Multikulti-Musiker geworden ist: Ginger Baker lebt.

Er ist noch immer angriffslustig und schlagkräftig wie eh und je. In einem Interview hat er jüngst behauptet, die Rolling Stones seien völlig unmusikalisch. Und als ihm die Fragen von Jay Bulger auf die Nerven gingen, hat er dem Regisseur kurzerhand mit seinem Gehstock verprügelt und die Nase gebrochen. „Beware of Mr. Baker“ heißt der dokumentarische Film, der jetzt in die Kinos kommt und Schlaglichter auf das abenteuerliche und ereignisreiche Leben von Ginger Baker wirft.

Exzentrisch: Schlagzeuger Ginger Baker im Januar 1970. (© NFP)

Exzentrisch: Schlagzeuger Ginger Baker im Januar 1970. (© NFP)

Jay Bulger hat den von unzähligen Abstürzen und Entziehungskuren schwer gezeichneten Musiker auf dessen Farm in Südafrika besucht und mit Fragen gelöchert. Während der zittrige Ginger Baker eher unwillig Einblicke in sein Leben gewährt und immer wieder ätzende Kritik an den meisten seiner Kollegen und Weggefährten übt, werden Fotos und Filmstücke eingespielt, Kommentare seiner Ex-Gattinnen und Kinder, Konzertmitschnitte, Reisedokumente, Hasstiraden und Liebeserklärungen von Kollegen.

Ginger Baker hat mit allen gespielt, mit seinem furiosen und variablen Spiel alle fasziniert und mit seinen Launen und Gewaltausbrüchen alle schier in den Wahnsinn getrieben: Ob Eric Clapton oder Jack Bruce, Steve Winwood, Carlos Santana oder Charlie Watts, sie alle verneigen sich vor dem Ausnahme-Drummer. Aber alle auch meiden diesen Derwisch des Schlagzeugs. Die (einmalige) Wiedervereinigung von Cream war denn auch beileibe keine Herzensangelegenheit von Eric Clapton und Jack Bruce: Es ging ganz schnöde ums liebe Geld. Ginger Baker, der stets über seine Verhältnisse lebt und ein Pferdegestüt sein eigen nennt, war wieder einmal pleite und benötigte dringend eine Finanzspritze.

Der zur Selbstzerstörung neigende Ginger Baker und der zur Selbstverleugnung fähige Regisseur Jay Bulger sind ein ideales Gespann. Während der eine meckert, stellt der andere hinterhältige Fragen. Beide ringen bis zum Nasenbruch miteinander. Das Resultat ist eine hoch spannende, musikalisch und filmisch gelungene Biografie.

(Ab 19. Dezember 2013 im Kino)

Trailer zum Film: http://www.youtube.com/watch?v=RkIiAkx4LtQ




Das Wahre ist einfach – Eric Clapton gastierte in der ausverkauften Dortmunder Westfalenhalle

Von Bernd Berke

Dortmund. Oft ist das Einfache wirklich das Wahre: Ein Mann, eine Gitarre, ein Song. Das genügt. Als Eric Clapton im Mittelteil seines Dortmunder Konzerts solo auf der Bühne sitzt und auf der Akustik-Gitarre einen klaftertief geerdeten Blues anstimmt, sind die Menschen im ausverkauften Rund der Westfalenhalle 1 spürbar ergriffen.

„Verweile doch, du bist so schön“, möchte man mit Goethes „Faust“ zu solchen Augenblicken sagen. Allerdings mag man nicht alle Momente derart innig ins Herz schließen. Sicher: „Slowhand“ Clapton steht eine exzellente Begleitband zur Seite, zeitweise sind – er selbst eingerechnet – vier Gitarristen, zwei Keyboarder, dreiköpfiger Damenchor und Drummer gleichzeitig im Einsatz. Doch eben deshalb klingen manche Kompositionen eine Spur zu pompös.

Wunderbar sanft schwingen sie anfangs ein, doch jeweils gegen Schluß versteigt sich mancher Titel in nahezu symphonische Aufgipfelungen. Eine gewisse Pein für Blues- und Rock-Puristen.

Doch dieser kleine Einwand schmälert Claptons formidable Leistung kaum. Sobald er zu seinen unvergleichlichen Soli ansetzt, ist man eh hin und weg. Wo andere Gitarristen um halb so komplizierte Läufe ihr Macho-Gehampel veranstalten und schmerzhaft das Gesicht verzerren, steht Clapton just entspannt da und spielt das Ding einfach herunter. Fast unglaublich.

Der Sound ist diesmal perfekt abgemischt

Mit den zwei neueren Titeln „My Father’s Eyes“ und „Pilgrim“ steigt er ein und hat das Publikum (auch ohne animierende Ansagen) ziemlich schnell im Griff. Obgleich ein Weltstar wie nur wenige, vermeidet er alle Starallüren. Sein Auftritt beginnt pünktlich, kann sich gut zwei Stunden lang ohne Pause entfalten und bleibt stets unprätentiös. Hier muß nichts künstlich aufgemotzt werden.

Mehr noch: Claptons menschlich-musikalischer Kontakt zur Band „stimmt“ aufs Haar, man merkt das an Blicken und Gesten. Und auch der Draht zum Toningenieur muß bestens sein, denn der Sound ist so perfekt abgemischt, daß man jeden einzelnen Ton glasklar vernimmt. Vor ein paar Jahren, als Clapton zuletzt hier gastierte, war das noch anders. Da wurde gelegentlich wild übersteuert.

Der Ablauf ist dramaturgisch durchdacht und wohldosiert. Zwischendurch gönnt uns Clapton immer wieder seine Hits: „Layla“, „Tears in Heaven“, „Cocaine“, „Crossroads“ (aus uralten „Cream“-Zeiten). Und bei „Wonderful Tonight“ schmelzen die letzten Bedenken gegen etwaige Gefühlsduseleien dahin. Da denkt man eben innig ans Liebste und schweigt fein still. Nein, die Halle hat diesmal nicht „gekocht“, wie es bei heftigen Tanzorgien manchmal heißt. Aber sie hat sozusagen sanft geglüht. Das ist mehr.

Und Claptons Singstimme? Die ist nun mal kein genuines Blues-Organ, doch er hat auch hier das Optimum aus seiner Begabung herausgeholt. Hin und wieder klingt er nun wirklich „schwarz“. So soll es sein.




Eric Clapton: Auf dem Gipfel des Gitarrenspiels / Dortmunder Publikum am Rand der Raserei

Von Bernd Berke

Dortmund. Untrügliches Kennzeichen für einen Klasse-Gitarristen: Er dreht sich auch bei heiklen Passagen nicht vom Publikum weg. Und er macht keine abenteuerlichen Verrenkungen, um als Gitarrero zu imponieren. Wer jetzt in der ausverkauften Westfalenhalle gesehen hat, wie souverän Eric Clapton die irrwitzigsten Läufe „wegspielt“, weiß Bescheid.

Dieser Mann, seit „Yardbirds“-Zeiten Mitte der 60er Jahre ein Denkmal des Rock, gehört nach wie vor zur Weltelite seines Instruments. Wo andere wie auf einem Hackbrett herumfuhrwerken, entlockt Clapton der Gitarre immer neue Singstimmen. Und er trieb damit sein Dortmunder Publikum nach und nach bis an den Rand der Raserei. Auch eine Vorgruppe wie die Leute um Tony Joe White mit ihrem durchaus soliden Südstaaten-Rock verblaßte da nachträglich zur Dutzendware.

„Clapton ist Gott“ – der Graffiti-Spruch aus! den 60ern ist dennoch mindestens Blödsinn. Überdies ist John McLaughlin im Zweifelsfalle noch eine Hundertstel schneller, aber Gitarrespielen ist kein Formel-1-Rennen. Und Johnny Winter mag noch ein paar Zentimeter tiefer im Blues stecken, aber es gibt nicht nur den Blues. Vielleicht gehört Clapton in eine Art altgriechischen Götterhimmel, wo er eben nicht allein ist. Beim Zeus!

Titel aus „Cream“-Zeiten als Gerüst

Clapton (47) weiß, wann er seine allerstärkste Zeit gehabt hat – mit Jack Bruce und Ginger Baker in der Supergruppe „Cream“. Also stieg er gleich mit „White Room“ ins Dortmunder Konzert ein. „Cream“-Titel bildeten ein Gerüst der Show – von „Sunshine of Your Love“ bis „Crossroads“. Weitere Hits im Programm: „I Shot the Sheriff‘, „Layla“, eine hochenergetische Version von „She’s Waiting“ und – aus neuester Produktion – „Tears in Heaven“, ein Song über seinen tödlich verunglückten Sohn Conor.

Über zwei Stunden ohne Pause legten Clapton & Co. los. Keine Ansage, kein überflüssiges Gerede, nur ab und zu ein „Dankeschön, Thank You“. Fast alle Titel geben dem Meister, der von einer vorzüglich eingespielten Formation gestützt wird, Gelegenheit zu ausführlichen Soli. Das hört sich nach Schema an, doch Clapton sprengt es. Dabei kommt, auch an rasanten Stellen, jeder Ton hörbar einzeln und sauber heraus, da wird nichts hudelig „verschliffen“. Kraft, Dynamik und Filigranarbeit sind hier beispielhaft vereint. Wird sie so gespielt, ist auch ältere Musik nie „von gestern“.

Wenn nur die Tontechniker etwas sensibler ausgesteuert hätten! Die kreischende Lautstärke, die sie hier und da für nötig hielten (und die Clapton ja wohl „abgesegnet“ hat), hat ein solcher Könner nicht nötig. Oh Ohrenpfeifen, laß nach! Nicht nur deshalb war man dankbar, daß Clapton auch ein paar Balladen (Höhepunkt: „Wonderful Tonight“) einstreute. Klar, daß da Wunderkerzen und Feuerzeuge im Publikum feierlich aufleuchteten. Und die Augen mancher (Alt-)Freaks zwischen 16 und 60 hatten nachher jenen seidigen Glanz…