Vexierspiele des Gefühls – Eric Rohmer wird 85 Jahre alt

Von Bernd Berke

Über Liebe ist eigentlich alles gesagt. Doch man weiß ja: Sie ist dennoch unerschöpflich. Man kann immer wieder darüber reden. Die Filme des Franzosen Eric Rohmer, der am nächsten Montag 85 Jahre alt wird, führen solch ein unaufhörliches Gespräch über Liebesdinge.

Manche mögen sein Werk dialoglastig oder gar eintönig finden. Aber dieser allzeit jung empfindende Regisseur inszeniert seine Spurensuchen in erotischen Alltagsgefilden so schwerelos, dass man die verstreichende Zeit überhaupt nicht bemerkt.

Rohmer hat die meisten seiner Filme in Zyklen gegliedert. Vornehmlich in den 70er Jahren entstanden die sechs „Moralischen Erzählungen“ (darunter so zarte Wunderdinge wie „Die Sammlerin“ oder „Claires Knie“). Es folgten die subtilen „Komödien und Sprichwörter“ („Pauline am Strand“, „Das grüne Leuchten“ u. a.).

Schließlich erging sich Rohmer in den „Jahreszeiten“, die 1998 mit der „Herbstgeschichte“ abgeschlossen wurden. Hauptfigur war diesmal nicht eine jener zahllosen anmutigen Elfen, die sonst Rohmers Universum der Sehnsucht bevölkern, sondern eine gereifte und etwas enttäuschte Frau über 40, die freilich in ähnliche Gefühlswirren geriet wie all ihre jungen Vorläuferinnen.

Oft findet sich auch innerhalb der einzelnen Filme eine kreisförmige Stuktur. Dann gelangt der nie zum Ziel kommende Reigen am Ende wieder in die Nähe seines Ausgangspunktes – nun allerdings auf anderer Ebene, weil gesättigt mit Gefühlen und Gedanken.

Verlassene bleiben häufig zurück, zuweilen von Melancholie erfasst, doch nie ohne Hoffnung. Und man hat derart viele Facetten ihres Innenlebens kennen gelernt, als wäre man seit langem mit ihnen befreundet. Wenn der Film vorüber ist, fühlt man sich schwebend, inspiriert, von höherer Heiterkeit bezaubert. Bei Rohmer geht es um den oft hauchdünnen, aber so bedeutsamen Unterschied zwischen Reden und Handeln, um Vexierspiele des Gefühls, Versuchungen zur Untreue, von Lüge und Selbstbetrug bedrohtes Glücksstreben.

Der ungemein belesene Rohmer war ein Vordenker der „Nouvelle Vague“ (Neue Welle des französischen Kinos in den 60er Jahren), als Chefredakteur und Mitstreiter von François Truffaut, Claude Chabrol, Jean-Luc Godard sowie Jacques Rivette bei der legendären Kinozeitschrift „Cahiers du Cinéma“.

Er komponierte seine Filme stets sehr präzise. Es handelt sich sozusagen um erotische Versuchsanordnungen mit immer neuen Variablen. Dennoch wirken die Geschichten wie das Leben selbst: spontan geschehen und nur beiläufig mit der Kamera beobachtet.

Alles hat seinen Preis. Rohmer erkauft die Reinheit seiner nahezu ethnologischen Gefühls-Experimente mit dem Verzicht auf andere Themen. Politisch-soziale Belange etwa kommen so gut wie nie zur Sprache. Seine Figuren sind von allen anderen Beschwernissen freigestellt – zum fortwährenden Spiel mit der Liebe.




Luftiger Reigen der Seelenregungen – Eric Rohmers Film „Sommer“

Von Bernd Berke

Manchmal neigt Gaspard zu Depressionen. Dann fürchtet er: „Ich existiere nicht, ich bin durchsichtig, unsichtbar. Ich seh‘ die anderen, aber die anderen sehen mich nicht.“ Doch entweder kokettiert der gutaussehende junge Mann mit düsteren Gedanken, oder er kennt sich selbst schlecht. Denn kaum spannt er ein paar Tage am Strand der Bretagne aus, hat er schon die Wahl zwischen drei wunderhübschen Mädchen.

Nun sind wir allerdings in einem Film von Eric Rohmer, der mit „Sommer“ seinen zartsinnigen Liebes-Reigen der Jahreszeiten fortsetzt. Und da wird Erotik nicht platterdings vollzogen, sondern in den allerfeinsten Nuancen erwogen.

Also flüchtet der unzufriedene Gaspard vorm Strand- und Kneipen-Gewimmel und begibt sich täglich auf ausgedehnte Spaziergänge – mal mit Margot, mal mit Solène oder Lena. Mit den drei Grazien redet und redet er, Schritt für Schritt. Vor allem über die Liebe, über deren fließende Grenzen zur Freundschaft zwischen Mann und Frau. Auch prüfen sie die Frage, ob man dem Glück nachsetzen oder es durch Abwarten irgendwann auf sich ziehen solle. Gaspard neigt zur zweiten Option, er wäre am liebsten ohne alle Anstrengung ein Frauenheld.

Klar, daß es bei solchen Gesprächsthemen „funken“ kann. Doch Gaspard ist ein Zauderer und verstrickt sich durch pures Abwarten in eine ziemlich komplizierte Vierecks-Geschichte. Er weiß einfach nicht, welchem der drei Mädchen er sein neu komponiertes Gitarrenlied widmen und mit welcher er einen Insel-Ausflug unternehmen soll. Selbst beim Volleyball am Strand hält sich dieser Glückspilz, der seine Chancen nicht wahrhaben (oder sie allzu gründlich ausloten) will, ersichtlich zurück. Er wartet mit linkisch verschränkten Armen auf den Ball und pitscht dann schüchtern davor. Anfangs gefällt seine Zögerlichkeit den Mädchen ja ganz gut, doch irgendwann wollen sie auch mal ’ne Entscheidung von ihm hören. Schwierige Sache. Und doch ein Film wie ein frischer Quell.

Rohmer hält diesen luftigen Reigen, in dem sich – außer mancherlei Seelenregungen – ja wenig ereignet und der bei anderen rasch langweilig werden würde, aufs Schönste in der Schwebe. Er erfaßt die kleinsten Gesten der Zuneigung und Näherung, so daß ein Hauch von taufrischer Verliebtheit durch alle Szenen weht. Welch eine paradiesische Harmonie zwischen Mann und Frau, wenn sie hier miteinander singen. Ach, wie so trügerisch…

Sensibel sondiert wird das Spannungsfeld zwischen Reden und Tun, zwischen Offenheit, Verschweigen, Verstellung und Lüge. Und nichts von dem, was wir da hören und sehen, wirkt konstruiert oder künstlich herbeigeredet; sondern wie durch Zufall belauscht.




Passagen durch die Paarwelt – „Rendezvous in Paris“ von Eric Rohmer

Von Bernd Berke

Sie können nicht einfach lieben oder es lassen, sondern müssen alles ergründen. Nirgendwo sprechen die Menschen ausgiebiger über Feinheiten ihrer Gefühle, als in den Filmen von Eric Rohmer. Nun bittet der Altmeister zum „Rendezvous in Paris“.

Die Figuren der drei Episoden erleben Passagen durch die Paarwelt, sie sind am Ende jeweils allein. Der Titel könnte auch „Trennungen in Paris“ lauten. Zumal die Frauen fließen im Redestrom ungeklärter Gefühle. Im Zweifelsfalle sind sie es jedoch, die bewußter damit umgehen und sich einem Zustand kristalliner Klarheit nähern.

Wir sehen sie und ihre zeitweiligen Partner in einer Art Sonderwelt, ohne Ablenkung von amourösen Fragen. Allenfalls die Stadtlandschaft von Paris spielt vage hinein. Episode eins: „Rendezvous um 7″. Esther trägt den Keim der Eifersucht in sich. Ist ihr Freund Horace treu? Es hebt ein zauberischer Reigen der Zufälle an: Esther wird von einem jungen Mann angesprochen, der ihr beim Flirt die Geldbörse stiehlt. Ein anderes Mädchen findet das leere Portemonnaie und bringt es der Besitzerin. Sie nimmt Esther mit zu ihrem abendlichen Rendezvous – und ist ausgerechnet mit Horace verabredet. Wie im Fluge lösen sich nun die Verbindungen. Am Ende streben alle auseinander, hinweg ins Ungewisse. Es wirkt wie ein federleichtes Rokoko-Schäferspiel oder eine Liebes- und Lügen-Komödie von Marivaux.

Die Leiden der amourösen Festlegung

Episode zwei: „Die Bänke von Paris“. Ein Paar, beiderseits anderweitig gebunden, streift tagsüber ziellos durch verschiedene Parks. Ein mehr oder weniger poetisches Spiel der Liebe, eine Versuchung mit Grenzen, denn die Frau läßt sich nur hauchzart küssen. Sie scheut die Leiden der Festlegung, des Gewählthabens: Als sie ihren Gatten mit einer anderen in jenes Stundenhotel ziehen sieht, das sie eben – endlich zu allem entschlossen – selbst mit ihrem Liebhaber aufsuchen wollte, hebt sie diese Zweitbeziehung kurzerhand auf. Nun fühlt sie sich auf den Mann zurückgeworfen, der doch nur eine phantasievolle Ergänzung zum Ehealltag sein sollte.

Episode drei: „Mutter und Kind, 1907″. Ein Maler soll einer schwedischen Touristin Paris und besonders das Picasso-Museum zeigen. Doch schon bald ist er die unterkühlte Blondine leid. Vor Picassos Mutterbildnis sieht er ein brünettes Mädchen und folgt ihr wie magnetisiert durch die Straßen. Schließlich kommt sie mit in sein Atelier. Man spricht über Kunst und Leben, man versteht sich, man geht freundlich auseinander. Eine undeutliche Möglichkeit. Ein kurze flackernde Vision davon, wie das Leben verlaufen könnte. Mehr nicht – und doch ungeheuer viel. In wenigen Momenten leuchten ganze Biographie-Linien samt Nebenwegen auf.

Rohmer hat auch diesmal wieder diese frühlingshaften jungen Frauen für die Kamera entdeckt, die sich so natürlich bewegen, als sei gar niemand zugegen. Der Faun muß eine mythische Bachquelle kennen, der Nymphen entsteigen. Sein neues Werk hat wieder all diese kleinen Szenen zum Verlieben, dieses unvergleichliche Fluidum.

„Rendezvous in Paris“ ist abermals ein Rohmer-Film wie flirrendes Sonnenlicht zwischen Baumblättern. Es wird einem dabei ganz leicht zumute, obwohl es doch um lebenswichtige Angelegenheiten geht. Dies aber zeugt von höchster Kunst.