„Wenn List das Weib als Waffe schwingt“: Ermanno Wolf-Ferraris „Vier Grobiane“ haben keine Chance

Feinsinnig, stellenweise aber auch turbulent: Ermanno Wolf-Ferraris Komödie „Die vier Grobiane“ an der Folkwang Hochschule in Essen-Werden. (Foto: Gustav Glas)

Sie haben keine Chance. Sie mögen noch so vehement ihre Allmachts- und Gewaltfantasien ausmalen, sie mögen ihre Frauenverachtung noch so lautstark bekunden. Gegen weibliche Solidarität kann die Kumpanei der vier alten Machos nichts ausrichten.

Ihre larmoyante Besingung früherer besserer Zustände ist vergeblich. In Ermanno Wolf-Ferraris Buffa-Spätblüte „Die vier Grobiane“ setzen sich die Frauen mit ihrem humanen Anliegen durch. Immerhin geht es um Liebe und Selbstbestimmung: Die jungen Leute, die nach der Vorstellung der Patriarchen aneinander verschachert werden sollen, ohne sich je vor der Hochzeit gesehen zu haben, bekommen dank vereinter Frauenpower wenigstens eine Chance.

Das war mutig für das ausgehende 18. Jahrhundert am Vorabend der französischen Revolution, als Carlo Goldoni seine Komödien schrieb, um schlechte Sitten lächerlich zu machen. Das war auch noch mutig, als Wolf-Ferrari auf den Stoff zurückgriff, um 1906 der wilhelminischen Gesellschaft mit leichter Hand einen Spiegel vorzuhalten. Denn so harmlos die Konversation daherkommt, so viele Rückzieher auf dem Weg einer Emanzipation auch zugestanden werden: Der Stoff hat’s in sich. Die vier unmanierlichen reichen Herren, die da konspirieren, haben mit gierigen venezianischen Handelsherren ebenso viel zu tun wie mit dem saturierten Untertan der Vorkriegszeit. Und wer will, schafft problemlos den durch Heiterkeit erleichterten Transfer in den Sexismus unserer Tage.

An der Folkwang Universität der Künste in Essen-Werden, wo Wolf-Ferraris einst erfolgreiche, seit ein paar Jahrzehnten aber weitgehend vergessene Petitesse wieder einmal aufgeführt wird, belässt Regisseur Georg Rootering das Stück diesseits einer zupackenden Deutung. Ein Spielpodium, ein paar Venedig-Dias für den Hintergrund, fertig ist die Bühne. Alina Fischers Kostüme deuten die Nachkriegszeit an, als die Jugend sich anschickte, mit Rock’n‘Roll und Doo Wop aus ihren biederen Elternhäusern zu fliehen.

Rootering meidet kalauernd überzeichnete Komik und führt die Figuren mit leichter Hand, kann aber den Studenten auf der Bühne auch nur so viel komödiantische Grazie entlocken, wie sie selbst zu geben bereit sind. Und da gibt es, ebenso wie bei den Stimmen, merkliche Unterschiede. Komödie ist zudem ein anspruchsvolles Genre, das selbst erfahrenen Profis alles abfordert. Am schwersten tun sich die jungen Männer, die anachronistisch verstaubte Väter darstellen sollen; der tochterverhökernde Lunardo von John Lim gelingt da noch am überzeugendsten.

Bogil Kim als Filipeto. (Foto: Gustav Glas)

Bogil Kim wird als Typ vorteilhaft eingesetzt, um den verschüchterten Kaufmannsjungen Filipeto zu charakterisieren, der nur dank der Durchsetzungskraft seiner Unterstützerinnen das Mädchen zu Gesicht bekommt, das er heiraten muss. In seiner Arie „Lucieta xe un bel nome“ (gesungen wird auf Deutsch, wie bei der Münchner Uraufführung 1906), einem kleinen Juwel der Buffo-Oper, zeigt Kim einen klangfeinen, noch nicht ganz sicher positionierten, aber weitgehend entspannten Tenor.

Auch bei den Damen gelingt es nur in Ansätzen, die unterschiedlichen Typen zu charakterisieren. Jeanne Jansen fehlt weder die Süße für das naive Töchterlein noch die Leichtigkeit für ihre aparten Klagen über die Langeweile; lediglich in der Höhe wird der Ton eng und löst sich vom Körper. Kejti Karaj umkleidet ihre subversive Zähigkeit mit einem wohllautenden Mezzo, sollte sich aber in der Tonproduktion nicht so sehr auf das Vibrato verlassen. Tante Marina (Natalija Radosavljevic) verbirgt hinter reizenden Ariosi, dass sie durchaus willens wäre, die Krallen auszufahren, würde sie sich nur trauen.

Mit dem Mumm zu Widerstand hat Jiajia Zhang als Felice kein Problem: Galant, aber unverfroren und knallhart gibt sie den Männern Paroli und lässt deren autoritätsheischendes Gehabe zielstrebig verpuffen. Die Erkenntnis kommt spät: „Es kann kein Mann sich wehren, wenn List das Weib als Waffe schwingt“. In der Banja ringen sich die Herren der Schöpfung zu der bitteren, vom Fagott witzig-grimmig kommentierten Erkenntnis durch, dass es „ohne Weiber“ eben nicht geht – eine Erkenntnis, die ein Jahrzehnt später Emmerich Kálmán in seiner „Csárdásfürstin“ zum Schlager ausgebaut hat.

Wolf-Ferrari reiht im Orchester federleichte Passagen und blitzende Juwelen im Detail aneinander, wechselt graziös vom Konversationston ins Arioso, lässt melodische Schmetterlinge für ein paar dutzend Takte auf den Blüten eines delikaten Terzetts, Quartetts oder Quintetts landen und gleich darauf in entzückenden instrumentalen Details weiterflattern. Diese Kunst der leichtfüßigen Grazie, der eleganten Artikulation findet ihren szenischen Widerhall in den Choreografien von Victoria Wohlleber: Drei Harlekine (Sandro Haehnel, Biran Sariyer, Natalia Stellmach) huschen immer wieder über die Bühne, verharren einmal wie ein Möbelstück auf allen Vieren, umtänzeln ein anderes Mal die Darsteller oder eine augenzwinkernd am Rand des Podiums postierte Statuette des Michelangelo-David aus Florenz.

Xaver Poncette, der seit 1994 an der Folkwang Hochschule unterrichtet und sich Ende Juli in den Ruhestand verabschiedet, hat dem Orchester mit Erfolg vermittelt, wie die Musik Wolf-Ferraris zu gestalten ist: mit Feinsinn und Geschmack; ein Soufflé, kein üppiger Panettone.

Noch eine Aufführung am Samstag, 23. April, 19.30 Uhr, in der Neuen Aula der Folkwang Hochschule in Essen-Werden. Info: https://www.folkwang-uni.de/home/hochschule/veranstaltungen/veranstaltungen-des-laufenden-monats/veranstaltung-detail/11836-die-vier-grobiane/




„Und in dem ‚Wie‘, da liegt der ganze Unterschied“: Camilla Nylund singt Richard Strauss in Essen

Camilla Nylund. Foto: Markus Hoffmann

Camilla Nylund. Foto: Markus Hoffmann

So etwas nennt sich Pech: Zum zweiten Mal musste Anja Harteros, „Residence“-Künstlerin der Philharmonie Essen, ein Konzert absagen. Eine hartnäckige Krankheit hat ihren Auftritt unmöglich gemacht. Als Einspringerin kam Camilla Nylund an die Ruhr – und die blonde Finnin als „Ersatz“ anzusprechen, wäre mehr als ungerecht.

Im Gegenteil: Häufiger als Harteros, die sich auf das italienische Fach und 2013 fast ausschließlich auf Verdi konzentriert hat, singt Nylund seit Jahren Strauss: Ariadne in Frankfurt, Salome und Feldmarschallin in Wien, Chrysothemis in Amsterdam, Daphne in Dresden. In der Region war Nylund 2010 in Köln im „Rosenkavalier“ zu erleben; demnächst singt sie Salome in Philadelphia und Arabella in Hamburg – unter Essens Ex-GMD Stefan Soltesz.

An ihn musste bei dem Konzert öfter denken, auch wer keine Nostalgie pflegt: Unter Friedrich Haider waren die Essener Philharmoniker ziemlich weit weg von den raffiniert polierten Klängen, die Soltesz bei Strauss zu modellieren pflegte. Schon in der Szene der Ariadne „Ach, wo war ich? … Es gibt ein Reich, wo alles rein ist…“ nahm Haider wenig Rücksicht auf die eher mit lyrischer Innigkeit als mit dramatischer Attacke agierende Sängerin, ließ sie mit expansiver Energie zudecken.

Das Orchesterzwischenspiel aus der leider auch im Strauss-Jahr 2014 nicht gespielten launigen Miniatur „Intermezzo“ mag in dem verschmolzenen Klangbild, das Haider pflegt, noch hingehen. Aber im Schlussmonolog der Gräfin aus „Capriccio“ gewinnt das Orchester kein Profil, erstickt die leuchtende Finesse der Instrumentation in dickem Schwall, treten die harmonischen Spannungen nicht hervor, die Strauss vor allem durch die Holzbläser erzeugen will. Und Camila Nylund scheint sich im Konversationston dieser Partie auch nicht wohl zu fühlen: die Artikulation ist unscharf, der Stimme fehlen die Farben, um dieses Selbstgespräch plausibel und beredt zu gestalten.

Auch nach der Pause bleibt’s eher wuchtig als elegant. Die „Rosenkavalier“-Walzer poltern lieber lerchenauisch aufgebläht als in silbriger Eleganz zu schweben. In den Finalszenen aus „Arabella“ bleiben die Holzbläser wieder unterbelichtet. Und unter den Ausschnitten aus Opern von Ermanno Wolf-Ferrari erreicht nur das Vorspiel zu den „Vier Grobianen“ diskrete Eleganz; die Suite aus der Oper „Der Schmuck der Madonna“ – die man auch gerne einmal auf der Bühne kennenlernen würde – war weniger in die glühende Schärfe des italienischen Verismo gekleidet als in einen breiig aufgetriebenen Klang.

Camilla Nylund präsentiert sich vor allem im Lyrischen als exquisite Strauss-Sängerin. Ihre Stimme gebietet nicht über die klangliche Expansion, die für dramatische Zuspitzung nötig wäre, aber sie hat eine leuchtende Mittellage, eine natürlich wirkende Noblesse im Ton und eine funkelnde Höhe. So singt Nylund eine beredte Feldmarschallin und eine jugendlich strahlende Arabella, der man abnimmt, dass ihre Liebe über alle spießigen Niederungen ihrer Umgebung erhaben ist.