Im Bann der Moderne: Kurt Weill Fest in Dessau eröffnet

Kurt Weill Fest Dessau 2016 LogoWer sich mit der Moderne befasst, kommt um Dessau nicht herum. Das Bekenntnis zur klassischen Moderne in der mitteldeutschen Stadt singt Michael Kaufmann, Intendant des Kurt Weill Festes Dessau, bei jeder sich bietenden Gelegenheit.

In diesem Jahr richtet das Festival seinen Blick neben seinem Namensgeber auf den Österreicher Ernst Krenek. Vor 25 Jahren starb dieser Protagonist der musikalischen Moderne. Für das Kurt Weill Fest ein Anlass, gemeinsame Sache mit der Ernst Krenek Institut Privatstiftung in Krems zu machen. Deren Vorsitzender Ernst Kovacic ist auch Geiger – und eröffnete die Folge der nahezu 60 Konzerte mit dem ersten Violinkonzert von Ernst Krenek, ein Werk, das 1925 in Dessau uraufgeführt wurde.

Kovacic wird sich in zwei Konzerten mit der Anhaltischen Philharmonie am 10. und 11. März auch des Violinkonzerts von Kurt Weill annehmen, das seine deutsche Erstaufführung am 29. Oktober 1925 in Dessau erlebte. Auf ungeteilte Gegenliebe stieß die musikalische Moderne damals übrigens nicht: Kreneks Konzert bescheinigte die lokale Musikkritik einen „wahren Dissonanzensegen“, der das Verständnis ungemein erschwere. Immerhin würdigte der Rezensent den „gesunden Kern“ in dieser „rassigen, temperamentvollen Musik“.

Um ihn geht es bei dem Musikfestival in Dessau: Kurt Weill,  lässig und cool, 1935 in Salzburg aufgenommen. Foto: Kurt Weill Fest

Um ihn geht es bei dem Musikfestival in Dessau: Kurt Weill, lässig und cool, 1935 in Salzburg aufgenommen. Foto: Kurt Weill Fest

Der Kritiker des „Volksblatts für Anhalt“ sah dagegen durch Kreneks Konzert „das gesunde musikalische Empfinden des Hörers stark ins Wanken“ gebracht. Und Kurt Weills Konzert bezeichnete die gleiche Zeitung als „musikalischen Bluff“ ohne Logik und musikalischen Gedanken. Da mochte der damalige musikalische Leiter des Dessauer Orchesters, Franz von Hoeßlin, noch so sehr für die „jüngste Musikentwicklung“ werben: Die Zuhörerschaft werde durch seine modernen Programme „sicher aus dem Kunsttempel hinausmusiziert“, ermahnte ihn die Kritik. Hoeßlin verließ 1926 Dessau und wurde Generalmusikdirektor der Stadt Wuppertal. „Moderne“ war – auch wenn vor 90 Jahren das Bauhaus in Dessau eröffnet wurde –ein Programm aufgeschlossener Eliten.

Im Abstand von 90 Jahren wundert man sich, dass die spätromantischen Züge im Konzert des jungen Feuerkopfs Krenek offenbar überhaupt nicht wahrgenommen wurden. Krenek bürdet dem Solisten zwar unbekümmert technische Fährnisse auf, gönnt ihm aber auch wunderschöne lyrische Ruhepunkte, kantable Idyllen, eng verwoben mit dem Orchester, vor allem den stark geforderten Holzbläsern. Kovacic lässt sich spieltechnisch nicht schrecken. Die Mühe wird nicht spürbar, sein Zugriff bleibt stets locker, spielerisch, ohne eine tour de force im Ton.

Spielt die Violinkonzerte von Krenek und Weill: der österreichische Geiger Ernst Kovacic. Foto: Wolf-Erik Widdel

Spielt die Violinkonzerte von Krenek und Weill: der österreichische Geiger Ernst Kovacic. Foto: Wolf-Erik Widdel

Wenn die Phrasierung weit, die Legati intensiv werden, bleibt Kovacics Ton angenehm reserviert, mit der sachlichen Distanz, die man gemeinhin mit der „Moderne“ verbindet. Dennoch wirkt er nicht unverbindlich, sondern mit noblem Understatement gestaltet. Die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz – sie steht ebenfalls unter der Intendanz Michael Kaufmanns – ist ein gern gesehener Gast aus der Dessauer Partnerstadt Ludwigshafen: Auch ihre Musiker packen nicht zu nassforsch zu, sondern finden einen freundlich-eleganten Tonfall und zeichnen die kleinteilige Komplexität, die ihnen Krenek zutraut, locker nach.

Jung, erfolgreich, mit 27 Jahren ein gemachter Mann: Ernst Krenek. Wie Kurt Weill musste er vor den Nazis aus Europa flüchten. Foto: Kurt Weill Fest

Jung, erfolgreich, mit 27 Jahren ein gemachter Mann: Ernst Krenek. Wie Kurt Weill musste er vor den Nazis aus Europa flüchten. Foto: Kurt Weill Fest

Was bei Krenek angemessen wirkt, lässt bei Strawinsky und Weill den Eindruck zurück, hier wäre eine beherzter Zugriff, eine schärfere Artikulation, ein kantigerer Ton nötig gewesen.

Unter der sorgfältigen Zeichengebung der Dirigentin Ariane Matiakh klingt Igor Strawinskys „Pulcinella“-Suite eher flauschig wattiert. Die Schärfungen von Kadenzen, die repetitiven Dehnungen, die polyrhythmischen Exkursionen, mit denen Strawinsky die Musik Giovanni Battista Pergolesis geradezu übermalte, vertragen Biss, Frechheit und Radikalität in der Formulierung.

Doch Matiakh lässt das Orchester brav und fast ein wenig behäbig spielen – grundsolide, aber wenig inspiriert. So setzt sich im wiegenden Zwölfachtel der „Serenata“ eher der melancholische Ton Pergolesis durch als die Scherze, mit denen Strawinsky die Politur der „alten“ Musik aufbricht. Und die Tarantella ist nicht grell beleuchtet, sondern entfaltet sich im gedämpften Licht eines Tanzsalons. Auf rhythmische Kante genäht wirkt sie nicht.

Ein Jahr nach Strawinskys Aufsehen erregendem „Pulcinella“-Ballett komponierte ein bis dato kaum bekannte Schüler des glamourösen Ferruccio Busoni, der aus Dessau stammende Kurt Weill, eine erste Sinfonie. Der 21-Jährige ließ sich von Johannes R. Bechers expressionistisch-pazifistischem Festspiel „Arbeiter, Bauern, Soldaten: Der Aufbruch eines Volkes zu Gott“ inspirieren, ohne sich zu einer expliziten Programmatik zu versteigen.

Zu hören ist ein markantes, zuerst von den tiefen Streichern vorgetragenes Thema, das zyklisch bis in den letzten Satz wiederkehrt, viel kleinteilige thematische Arbeit, eine komplexe Harmonik. Man möchte meinen, in den Fugen das Lernstück zu erkennen. Aber in der entwickelten Klanglichkeit der großen Orchestration – am Ende steigern Glocken die Apotheose – zeigt sich Weill auf der Höhe, die Mahler hinterlassen hat. Aus der Rückschau gelesen enthüllt die Sinfonie auch schon Weill, den Bühnenkomponisten und Weill, den Autor frecher Songs. Im wehmütig-romantischen Streichersatz oder in gellenden Mahler-Bläserstrecken erweist sich das rheinland-pfälzer Orchester als wendig und klangbewusst. Das gilt ebenso für die – ein Jahr nach Weills Sinfonie – entstandene Bearbeitung Maurice Ravels von Modest Mussorgskys „Bilder einer Ausstellung“, auch wenn die Dirigentin die Finesse der Artikulation nicht zuspitzt und die Expression in gedämpftem Licht festhält.

„Dreigroschenoper“ mit dem Ensemble Modern

Das Kurt Weill Fest unter dem Thema „Krenek, Weill & die Moderne“ widmet sich noch bis 13. März den beiden Protagonisten der spannenden Zeit der zwanziger Jahre in Deutschland. Zu den Programm-Höhepunkten gehört die Inszenierung der beiden Einakter „Der Diktator“ (Krenek) und „Der Zar lässt sich photographieren“ am Anhaltischen Theater Dessau, die am 28. Februar und am 5. März gespielt werden. Die „Dreigroschenoper“, ein ähnlicher Erfolg wie Kreneks „Jonny spielt auf“, führen HK Gruber und sein Ensemble Modern am 4. März im Anhaltischen Theater auf; am 5. März bringen sie den „Klanghimmel über Berlin“ zum Leuchten – unter anderem mit der Bastille-Musik Weills und der Symphonie op. 34 Kreneks.

Im Abschlusskonzert am 13. März spielt das Orchester der Komischen Oper Berlin das frühe Divertimento für Orchester Weills, das Concerto grosso Kreneks und – als Reverenz an den vor allem von Ernst Krenek bewunderten musikalischen Vorfahren – die h-Moll-Sinfonie Franz Schuberts. Das Projekt „Moderne“ stößt heute auf reges Publikumsinteresse: Der Kartenverkauf liegt um fünf Prozent über dem Vorjahr, gab Intendant Kaufmann zur Eröffnung des Festes bekannt; vor allem die „kleinen“ Kammerkonzerte und Liederabende sind längst ausverkauft.

Karten: (0049) 341 14 990 900; Information: www.kurt-weill-fest.de




Festspiel-Passagen I: Der Sound der Zwanziger Jahre in der Bauhausstadt Dessau

Um ihn geht es bei dem Musikfestival in Dessau: Kurt Weill,  lässig und cool, 1935 in Salzburg aufgenommen. Foto: Kurt Weill Fest

Um ihn geht es bei dem Musikfestival in Dessau: Kurt Weill, lässig und cool, 1935 in Salzburg aufgenommen. Foto: Kurt Weill Fest

„In eins verschmolzen sind Wort und Töne“ singt die Gräfin in Richard Strauss‘ „Capriccio“: Für sie ist die Frage nach dem Vorrang von Text oder Musik in der Oper gelöst. „Zu einem Neuen verbunden“ sind sie. „Eine Kunst durch die andere erlöst.“ Wenn es denn so harmonisch wäre. In einer Zeit, in der Strauss und sogar der Wortfanatiker Wagner das Übertiteln ihrer Bühnenwerke erdulden müssen, weil es an artikuliertem Singen mangelt, stellt sie die Frage auf ganz andere Weise neu.

Das gilt auch für das Abschlusskonzert des Dessauer Kurt Weill Festes: Sara Hershkowitz produzierte die Töne des programmatischen Schlussmonologs aus „Capriccio“ mit einem wie Messing blitzenden Sopran, mit monochromen Vokalen, ohne sprachorientierte Flexibilität und vor allem meist wortunverständlich. Da erlöst keine Kunst die andere.

Das 23. Kurt Weill Fest in Dessau hat sich unter dem Motto „Vom Lied zum Song“ aufgemacht, der Sprache und ihrem Verhältnis zur Musik nachzuspüren. Intendant Michael Kaufmann – bis 2008 in gleicher Funktion an der Philharmonie Essen und auf unschöne Weise geschasst – hatte schon Recht, wenn er meinte, man müsse eigentlich von der Arie und vom Kunstlied ausgehen. Aber im „Lied“ konzentriert sich die angesprochene Problematik: Es ist – anders als eine auf gesangliche Virtuosität oder Expression angelegte Arie – ohne den Text tödlich amputiert.

HK Gruber dirigierte in Dessau die "Dreigroschenoper". Foto: Sebastian Gündel

HK Gruber dirigierte in Dessau die „Dreigroschenoper“. Foto: Sebastian Gündel

Die Verbindung von Sprache, Ton und Bild war für Weill in seinen Bühnenwerken eine faszinierende Herausforderung. Er hatte in seinen „Songs“ diesen Primat des Textes akzeptiert, ohne die Musik an ihn zu verraten: für das Duo Brecht/Weill eine Quelle des Konflikts, der sich in den Proben zur „Dreigroschenoper“ exemplarisch entzünden sollte. Beim diesjährigen Kurt Weill Fest ließ sich nicht nur in diesem Schlüsselwerk für die Moderne wie für das Brecht-Theater – aufgeführt von HK Gruber und dem Ensemble Modern – der Wort-Klang-Problematik nachspüren.

Als Weill gemeinsam mit Bertolt Brecht und dem Filmemacher Carl Koch 1927 eine Revue über das Ruhrgebiet plante, sollte schon dieses Werk ein „neues Ineinanderarbeiten von Wort, Bild und Musik“ begründen. Da das „Ruhrepos“ von rechten Kreisen in Essen torpediert wurde, erprobte der aufstrebende Komponist sein Konzept dann im gleichen Jahr in „Royal Palace“: In einer überflüssig halbszenischen Form mit ein paar Dias an der Rückwand war dieses frühe Bühnenwerk das Kernstück des Abschlusskonzerts im Anhaltischen Theater.

"Letzter Tango in Berlin": Ute Lemper war zu Gast beim Kurt Weill Fest in Dessau. Foto: Sebastian Gündel

„Letzter Tango in Berlin“: Ute Lemper war zu Gast beim Kurt Weill Fest in Dessau. Foto: Sebastian Gündel

Weill und sein Librettist Yvan Goll schufen mehr als ein Zeitstück: „Royal Palace“ ist ein Hotel, das – ähnlich wie in Vicki Baums 1929 erschienenen Roman „Menschen im Hotel“ – eine Metapher für die moderne Lebenswelt ist. Wie so oft bei Weill gibt es Momente des Melodrams und des Sozialstücks. Aber das Parabelhafte gewinnt die Oberhand: Die Offenbachiade einer Frau mit zwei Liebhabern – einem verflossenen und einem zukünftigen – neigt sich zur schwermütigen Schau auf verlorene Existenzen, von Goll noch durch einen geheimnisvoll-märchenhaften Zug verstärkt. Die letzten Worte lassen gar an Büchners „Woyzeck“ denken, die Parabel über das Scheitern des verlorenen Menschen der Moderne schlechthin.

Die unterschiedlichen Stile der Musik hat Weill dramaturgisch sehr präzis eingesetzt. Klavier und Glocken zu Beginn und am Schluss mögen an Transzendentes mahnen; der verhaltene ostinate Rhythmus erinnert schon an minimal music, aber auch an das „Grundrauschen“ einer ständig in hektischer Bewegung befangenen Welt. Ausgiebige rhythmische Bewegungsimpulse, der Reflex auf moderne Zeittänze und eine grotesk verzerrte Zirkusmusik spiegeln die Unruhe, das Getriebensein der Zeit.

Dazwischen müssen sich Menschen ihren echten, eingebildeten, vorgetäuschten Gefühlen stellen, einsam, haltlos, orientierungslos. Der Sopranpart der Dejanira fordert eine dramatische Sängerin mit dem Esprit einer Diseuse – und Sara Hershkowitz sucht beiden Polen gerecht zu werden. Rainer Trost, der „Liebhaber von morgen“, zeigt eine vortrefflich beherrschte Stimme; Markus Raabs rauer Bass passt zur Rolle des Ehemanns; Jens Müller, der „Liebhaber von Gestern“ lässt ebenso wie Andromahi Raptis als namenloses Sopransolo nicht vergessen, dass Weill die gestalterische Potenz seiner Darsteller heftig herausfordert. Verstehen kann man kaum etwas: Weills Sprach-Sorgfalt wird auf der Bühne schmählich verraten, ertrinkt auch immer wieder im Mega-Sound der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz.

Unter Ernst Theis‘ meist nur taktgebendem Stab kann das Orchester aus Ludwigshafen nur punktuell zeigen, was in ihm steckt. Die riesige Bühne des Dessauer Theaters erweist sich als akustische Falle: Undifferenzierte Lautstärke, breiige Tutti, Mangel an Detail-Finesse dürfte nicht nur den Musikern und dem Dirigenten in die Schuhe zu schieben sein. Dennoch sind in diskreten Stellen der Streicher und in massiven Einlassungen der Bläser Schwächen hörbar, die mit der Akustik nichts zu tun haben.

Cornelia Froboess, Artist-in-Residence des Kurt Weill Festes, bei ihrem Programm "Liederliches". Foto: Sebastian Gündel

Cornelia Froboess, Artist-in-Residence des Kurt Weill Festes, bei ihrem Programm „Liederliches“. Foto: Sebastian Gündel

In Richard Strauss‘ Suite „Der Bürger als Edelmann“ ist zwar die Imitation der Tänze aus der Lully-Zeit gut getroffen. Aber Ernst Theis erweist sich – wie in der „Mondscheinmusik“ aus „Capriccio“ – als Nummer-Sicher-Dirigent: Der Metrik fehlt die souveräne Gelassenheit, den Phrasen der schwingende Atem, den Übergängen die Raffinesse der Agogik, den Farben die Eleganz. Der „Strauss-Ton“, gebildet aus exquisit zu mischenden Farben und sorgsam hergestellter Balance der Instrumente, will sich nicht einstellen.

Die vielen intimen unter den 57 Veranstaltungen waren es, die wohl mehr als die großformatigen Aufführungen die empfindliche Balance zwischen den Polen von Musik und Sprache ausmaßen. Da war mit Cornelia Froboess als „Artist-in-Residence“ eine Schauspielerin zu Gast, die als Schlagersängerin begonnen hatte und bis heute eine vielfach preisgekrönte Theaterkarriere verfolgt. Sie brachte gemeinsam mit dem Gitarristen Sigi Schwab Heinrich Heine zum Klingen oder las Texte und Briefe von Kurt Weill, seinem Komponistenkollegen Ernst Krenek oder dem großen Kabarett- und Revue-Komponisten der Weimarer Zeit, Friedrich Hollaender.

Der Dessauer Dichter Wilhelm Müller. Grafik aus einen zeitgenössischen Buch.

Der Dessauer Dichter Wilhelm Müller. Grafik aus einen zeitgenössischen Buch.

Und noch ein anderer stand im Fokus des Weill Festes, einer, den man zunächst nicht mit der Moderne verbindet, wohl aber mit der Bauhausstadt: der Dichter Wilhelm Müller, 1794 in Dessau geboren, 1827 ebenda verstorben. Ein Romantiker mit kritischem Geist, mit wachem Blick auf fragwürdige Entwicklungen in der Gesellschaft. Haltungen, die ihn mit Kurt Weill verbinden. Von dem Dichter stammen die Zyklen „Die schöne Müllerin“ und „Winterreise“, die Franz Schubert noch zu Müllers Lebzeiten vertont hat. Sie stehen exemplarisch für die Emanzipation der Musik von der bloßen Begleitung zur Trägerin einer Aussage, die über die Worte hinaus und in ihre Tiefen hineinreicht.

Am Beginn des Festes stand mit „Braver Soldat Johnny“ eine Erstaufführung: Das MDR Sinfonieorchester unter Kristjan Järvi spielte eine instrumental erheblich erweiterte Neufassung der ersten Broadway-Musicals Weills, „Johnny Johnson“. Das Stück mit einem Text des Pulitzer-Preisträgers Paul Green war 1936 für Weill der nötige Erfolg, der ihm den Zugang zum Broadway öffnete. Inhaltlich knüpft es an Jaroslav Hašeks „Soldat Schwejk“ an – eine brillante Politsatire mit einem tristen Ende, ein Bekenntnis des Pazifisten Kurt Weill gegen die groteske Sinnlosigkeit des Krieges.

Das Musical ist in Europa nie richtig zur Kenntnis genommen worden. Immerhin hat das Kurt Weill Fest 2002 in Bitterfeld die originale Fassung gespielt. Die neue Bearbeitung des Komponisten und Produzenten Gene Pritsker – mit Järvi schon aus Studienzeiten bekannt – verwandelt die federleichte Combo Weills in ein süffiges Orchester und liefert dick aufgetragene Filmmusik, die Kristjan Järvi mit der entsprechenden Opulenz in Szene setzt. Das Ergebnis mag nicht überzeugen; Weills Musik wird breiter, aber nicht stärker.

Der Schauspieler Bernhard Bettermann hat das Libretto zurechtgestutzt. Ein Sechser-Ensemble, darin er selbst, Partnerin Mimi Fiedler und Sohn Tim, trägt Dialoge und Songs vor: Das Lesen vom Manuskript funktioniert bei pointierten Musical-Texten nicht, vor allem, wenn gesprochen wird, als habe man die Sätze vorher gerade mal überflogen. Das war eine Stellprobe, keine festivalreife Aufführung. Und über die stimmlichen Ergüsse der Akteure auf der Vorderbühne bleibt besser der Mantel des Schweigens gebreitet; der piepsige Vortrag der Bettermann-Partnerin Mimi Fiedler mag als bezeichnendes Beispiel genügen.

Abschluss-Pressekonferenz des Kurt Weill Festes Dessau. Von links: Intendant Michael Kaufmann, Artist-in-Residence 2016 Ernst Kovacic und der Vorsitzende der Kurt-Weill-Gesellschaft, Thomas Markworth. Foto: Kurt Weill Fest

Abschluss-Pressekonferenz des Kurt Weill Festes Dessau. Von links: Intendant Michael Kaufmann, Artist-in-Residence 2016 Ernst Kovacic und der Vorsitzende der Kurt-Weill-Gesellschaft, Thomas Markworth. Foto: Kurt Weill Fest

Für das Kurt Weill Fest 2016 sind die großen Linien gezogen. Intendant Michael Kaufmann stellte bei der Abschluss-Pressekonferenz mit dem Geiger Ernst Kovacic den nächsten Artist-in-Residence vor. Der Österreicher ist nicht ohne Bedacht gewählt: Er ist Vorstandsvorsitzender der Ernst Krenek Privat Stiftung in Krems (NÖ) – und Weill und Krenek sollen anlässlich des 25. Todestages des österreichischen Komponisten im Mittelpunkt stehen. Geplant sind Aufführungen von Weills „Der Zar lässt sich photographieren“ und Kreneks „Der Diktator“, mit denen die Zusammenarbeit mit dem Anhaltischen Theater unter seinem neuen Intendanten Johannes Weigand erneuert wird.

Fest steht auch, dass Kovacic das Erste Violinkonzert Kreneks spielt, das 1925 in Dessau uraufgeführt wurde. Mit 16.500 Besuchern hat das Weill Fest in diesem Jahr einen neuen Rekord erreicht; mit dem Theater Magdeburg und der Stiftung Moritzburg in Halle sind neue Kooperationspartner im Boot. Die Hoffnung, dass die Theater in Dessau und Magdeburg trotz der desaströsen Sparpolitik der Regierung von Sachsen-Anhalt neue Impulse für szenische Aufführungen von Bühnenwerken Kurt Weills setzen, ist laut Intendant Michael Kaufmann begründet. Von daher darf das 24. Kurt Weill Fest „Krenek, Weill & die Moderne“ mit Spannung erwartet werden. Und für das 25. Fest im Jahr 2017 – Kaufmann hat einen Vertrag bis 2018 – hört man schon von Plänen, die hoffnungsfroh stimmen.

Info: www.kurt-weill-fest.de