Zwischen Strenge und Witz: Flo Kasearu aus Estland – eine gar frühe Vorschau auf ihre Ausstellung bei den Ruhrfestspielen

Auf dem Dach ihres Hauses in Tallinn (Estland): Flo Kasearus metallische „Abwehr“ gegen russische Angriffe… (Filmstill: Jaan Kronberg)

Was die Kunstausstellung der Ruhrfestspiele betrifft, so muss man noch viele Details abwarten. Gar (zu) früh, schon rund drei Monate vor Eröffnung, hat die Festspielleitung jetzt bei einer Online-Pressekonferenz im Schnelldurchgang Bruchstücke des Konzepts vorgestellt. Es zeichnet sich denn auch nur in vagen Umrissen ab.

Die Künstlerin Flo Kasearu (Foto: Mark Raidpere)

Fest steht immerhin, dass die Ausstellung – unter dem geradezu kecken Titel „Flo’s Retrospective“ – von der Künstlerin Flo Kasearu (Jahrgang 1985) aus Estland bestritten wird. Sie wird nicht nur die Recklinghäuser Kunsthalle mit etwa 30 größeren Arbeiten „bespielen“, sondern auch Performance-Aktionen im Stadtraum ins Werk setzen. So sollen etwa „Patrouillen“ zu Pferde als (auch ironische) Machtsignale durch Recklinghausen reiten. In einer Art Spiel sollen Passanten Anweisungen und Verbote erteilt werden – von Menschen in eher absurden Uniformen. Klingt nach sanfter Irritation, die sich wohl schnell in Gelächter auflösen dürfte. Tiefere Erkenntnis gleichwohl nicht ausgeschlossen.

Ruhrfestspiel-Chef Olaf Kröck findet es gerade für dieses Festival angemessen, dass die Kunst in solcher Weise aufs Publikum zugeht und nicht im Elfenbeinturm verharrt. Überhaupt erhielt die bereits vielfach preisgekrönte Künstlerin, die online zugeschaltet war und auf Englisch kurze Statements abgab, viele Vorschusslorbeeren. Es scheint allerdings so, als könnte sie das Lob auch einlösen. Bleiben wir anglophon: Wait and see. Oder auch: Keep calm and carry on.

Flo Kasearu: Momentaufnahme der Performance „Disorder Patrol“ (etwa: Unordnungs-Patrouille) beim Steirischen Herbst 2021 in Graz. (Ruhrfestspiele/Steirischer Herbst)

„Abwehr“ gegen russische Angriffe

Zur Einstimmung zeigte der neue Kunsthallen-Direktor Nico Anklam Auszüge eines arte-Filmbeitrags, in dem man erfährt, dass und wie Flo Kasearu das einst enteignete und nach Jahren des Streits wiedererlangte Haus ihrer Familie im estnischen Tallinn zum besonderen Kunstort umgestaltet hat. Auf dem Dach hat sie eine spezielle „Abwehr“ gegen russische Flugzeugangriffe installiert, die im etwaigen Ernstfall selbstverständlich wirkungslos wäre. Auch hat sie eine Art Grenzwall mit temporärer Bewachung rund um das Anwesen gezogen. Das Ganze hat zwar wiederum auch eine spielerische Anmutung, kündet aber eigentlich von ganz realen Ängsten, wie denn die Künstlerin überhaupt zwischen Strenge und Witz changiert. Auch scheint es so, dass sich Flo Kasearu mit solchen Arbeiten sehr nah am wirklichen Weltgeschehen bewegt. Stichwort Ukraine, Stichwort Putin. Mehr muss man wohl nicht sagen.

Im Film gibt Flo Kasearu übrigens auch eine selbstironische Erklärung ab, derzufolge in ihrer Heimat Estland traditionell dermaßen viele Kartoffeln angebaut werden, dass das ganze Land mitsamt der Bevölkerung ziemlich „kartoffelig“ sei. Ach was! Genau das sagt man doch auch den „Bio-Deutschen“ nach.




Baltische Szene: „Beneidenswert jung, vital, aufregend“ – Internationale Kulturtage mit Estland, Lettland, Litauen / Dortmund als Zentrum des Festivals

Dortmund. (bke) Den gesellschaftlichen Wandel haben sie im Zeitraffer vollzogen. Nun stellen die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen ihre Kultur in NRW vor. Zentrum dieses „Scene“-Festivals ist Dortmund.

Dortmunds Kulturdezernent Jörg Stüdemann warb gestern für die vielfältigen Gastspiele des Baltikums – beinahe zum eigenen Leidwesen: Derart „jung, vital und aufregend“ sei die Kulturszene der drei Ostsee-Länder, dass man im Revier und in Westfalen geradezu neidisch werden könne.

Tatsächlich haben die Stadt und das Land NRW mit 123 Kooperations-Partnern vieles gestemmt. Erste Einzelveranstaltungen beginnen Ende April, Ausläufer des Festivals reichen bis zum September. Kernzeiten: Mai und Juni.

Besonders das musikalische Programm der Balten reizt sämtliche Geschmacksnerven. Es reicht von Klassik über Neue Musik und Jazz (Festival „europhonics“ im Dortmunder „domicil“ ab 5. Mai) bis hin zu elektronischen Experimenten und DJ-Aktionen.

Theaterspektakel in der Dortmunder Zeche Zollern II/IV: Der litauische Regisseur Gintaras Varnas bringt am 26. Mai „Das Wüste Land“ von Tankred Dorst auf die Bühne. Zuvor gibt’s am 14. Mai eine Gala im Dortmunder Opernhaus, mit Ballett und Musik aus allen baltischen Breiten.

Gewichtiges Ausstellungs-Doppel: Das Museum am Ostwall und die Phoenixhalle (früheres Hoesch-Gelände) präsentieren ab 14. Mai rund 20 baltische Medienkünstler, die mit Videos, Internet und wall und anderen Techniken Phantasieräume schaffen wollen. Die Schau heißt „mit allem rechnen“ und lässt somit Überraschungen erwarten.

Auch Film und Literatur füllen einige Seiten des üppigen Programmheftes. Andere NRW-Städte wie Münster, Duisburg, Bielefeld, Düsseldorf oder Bonn sind am Reigen beteiligt. Das Land gibt auch unter schwarzgelber Regierung weiterhin Zuschüsse.

Dortmund ist jedenfalls der Dreh- und Angelpunkt: Vor allem hier wird man erleben, wie sich die Menschen im Baltikum ihrer Identität mit kulturellen Mitteln vergewissern. Vielleicht ein dreifaches Vorbild für uns?

Infos/Programm/Tickets: Tel. 0231/50 277 10. www.scene-festival-nrw.de