Autoren sollen die Schulbänke drücken – NRW-Literaturrat wagt neuen Vorstoß

Von Bernd Berke

Im Westen. Wenn es um Aus- und Weiterbildung von Schriftstellern geht, spielen derzeit zwei südwestfälische Orte in den Überlegungen des NRW-Literaturrates eine besondere Rolle.

Die „April-Akademie“, kürzlich von der Wiener Schule für Dichtung in Lüdenscheid abgeschlossen (die WR berichtete), gilt als ein Modellfall. Und die Fernuni Hagen könnte (mit ihren landesweit 29 Anlaufstellen) eines Tages Zentrale einer allseits gut erreichbaren Autoren-Hochschule werden.

Der Literaturrat ist Sprachrohr für rund 30 Institutionen – vom Schriftstellerverband (VS) bis zu den Verlagen und Buchhandlungen. Der Vorsitzende Dr. Eugen Gerritz hält nicht viel vom literarischen Geniekult. Bildende Künstler, Schauspieler und Musiker würden von Meistern ihres Faches ausgebildet, Schriftsteller aber werkelten allein vor sich hin, oft auch ohne Hilfe von kompetenten Verlagslektoren. Selbst Goethe, so das Paradebeispiel, sei sich nicht zu schade gewesen, in Leipzig eine Art Autorenschule zu besuchen. Ausnahmeschriftsteller wie Nabokov hätten Kurse abgehalten.

Bessere Bestseller angepeilt

Überhaupt sei das Feld anderswo viel besser bestellt: In den USA habe fast jeder Autor handwerklichen Schliff an einer Hochschule bekommen. Bei uns aber stecke die Literatur in „selbstverschuldeter Isolation“. An Schulen und Unis gehe es fast nur um Deutung, nicht ums Verfassen von Texten. Daraus folgt die trübe Aussicht: „Germanisten produzieren immer wieder Germanisten.“

Bei näherer Betrachtung betrifft Gerritz‘ Plädoyer für eine geregelte Autorenausbildung freilich nicht so sehr die Spitzenprodukte der Zunft, sondern eher die Qualität des breiten Text-Ausstoßes. „Ich möchte, daß wir bessere Bestseller bekommen“, präzisiert Gerritz. Ernstzunehmende Autoren im publikumswirksamen Sektor kämen heute fast nur aus den angelsächsischen Ländern. Außerdem erhofft sich der Literaturrat von ausgebildeten Autoren spezielle Fertigkeiten, zum Beispiel mehr professionelle Drehbücher für Film und Fernsehen, gekonntere Opern-Libretti, Schlager- und Musical-Texte. Jeder hört tagtäglich, daß in diesen Bereichen besonders viel im Argen liegt.

Gerritz will jetzt seine „10 Thesen gegen die Isolation der Literatur unter den Künsten“ in Einzelgesprächen und bei Fachtagungen den Kulturpolitikern schmackhaft machen. Auch Einrichtungen wie die Fernuni Hagen, der Dortmunder Studiengang Journalistik oder die von Rundfunkanstalten in Köln betriebene „Schreibschule e. V.“ sollen in die Debatte einbezogen werden. Gerritz zuversichtlich: „Heute geht es nicht mehr darum, ob man Literatur lehren kann, sondern nur noch: wie!“




Kunstpreis Ruhrgebiet an Bildhauer Heinz Kleine-Klopries – Bemerkenswerte Festrede des SPD-Kultursprechers Eugen Gerritz

Von Bernd Berke

Im Westen. Stilvoller Rahmen für die Verleihung des zweiten Kunstpreises Ruhrgebiet: Im renovierten Herrenhaus von Gut Opherdicke (Holzwickede) erhielt gestern der Bildhauer Hcinz Kleine-Klopries (40) die mit 10.000 DM dotierte Auszeichnung des Vereins „pro Ruhrgebiet“. Gekürt wurde er von derselben Jury, die bereits die Teilnehmer der Kunst-Biennale Ruhrgebiet 1988 in Oberhausen ausgewählt hatte.

Heinz Kleine-Klopries, gebürtiger Mülheimer und jetzt in Xanten lebend, wurde besonders durch Skulpturen aus bunten Plastikbausteinen und aus Pappe bekannt, mit denen er traditionelle Themen aus Mythos und Religion verfremdend, aber immer erkennbar figürlich aufgriff.

Der Künstler bemerkte in einer knapp gehaltenen Dankrede, viele seiner Arbeiten seien auch im übertragenen Sinne „von Pappe“, drückten also eine Flüchtigkeit aus, die sich mit Motiven von mythischer Dauer in empfindlicher Balance befinde. Kleine-Klopries, der sich kurz faßte, weil er sich nicht „als Hochseilartisten“ anpreisen wolle, blieb im Bild, als er über den Kunstpreis Ruhrgebiet sagte: „Diese Auszeichnung ist kein Pappenstiel“.

Der Preisträger, „Nachfolger“ des 1988 geehrten Jiri Hilmar (Gelsenkirchen), studierte ab 1971 Bildhauerei an der Folkwang-Schule in Essen. 1981 und 1982 bekam er durch Arbeitsaufenthalte in Florenz und New York auch Kontakte zur internationalen Kunstszene. In den letzten Jahren stellte er u. a. bei den Kunstvereinen in Unna, Schmallenberg und Schwelm aus.

Eine bemerkenswerte, in kritisch-solidarischem Ton gehaltene Festrede über Entwicklungen im Ruhrgebiet hielt Dr. Eugen Gerritz, kulturpolitischer Sprecher der SPD im Düsseldorfer Landtag. Gerritz kritisierte einen Mangel an Selbst- und Geschichtsbewußtsein im Revier sowie eine vorherrschende „Techniker-Mentalität“, die das Machbare zu hoch bewerte. Als Beispiel nannte Gerritz den Konflikt um den Bergbau unter Schloß Cappenberg.

Gerritz erwähnte auch die nach seiner Meinung kleinkariert-provinziellen Verfahrensweisen bei der Besetzung mehrerer Kulturdezernate in der Region. Auch „Eifersuchtsdramen“ zwischen einzelnen Ruhrgebietsstädten drückten erschwerten sinnvolle Veränderungen der hiesigen Kulturlandschaft. Gerritz machte sich besonders für die Gründung einer Ruhr-Philharmonie stark: „Wir haben den Gedanken nicht aufgegeben; die Gründung eines solchen Orchesters im Ruhrgebiet steht an“. Schließlich brach Gerritz eine Lanze für die Sprache des Reviers und mahnte eine menschlichere Architektur an.




Johannes Rau beim SPD-Kulturkongreß: „Theatersterben findet in NRW nicht statt“

Von Bernd Berke

Castrop-Rauxel. „Ein Theatersterben findet nicht statt“, dieses Trauerspiel sei endgültig „vom Spielplan abgesetzt“; die Landesregierung werde die kulturelle Vielfalt in NRW sichern und ausbauen. Das betonte Ministerpräsident Johannes Rau am Samstag in seiner Eröffnungsrede zum SPD-Kulturkongreß in der Europahalle zu Castrop-Rauxel. Kultur sei auch bei knappen Kassen nicht überflüssig, sondern notwendig, ja sogar „not-wendend“ (Rau), indem sie – als „humaner Stachel gegen Sachzwänge“ – Gegenwelten entwerfe.

Ein „Zukunftsgespräch“ über NRW-Kultur führten vor schätzungsweise 500 Zuhörern dann Experten und Macher am runden Tisch. Erst vor Wochenfrist hatte die CDU in Mülheim eine Debatte zur Revierkultur veranstaltet (WR berichtete). Die Teilnehmerzahl beim SPD-Zukunftsgespräch war rund zehnmal größer. Deutlich wurde – im Unterschied zur CDU – eine entschiedene Skepsis gegenüber privaten Kultur-Sponsoren; außerdem wurden beim SPD-Treffen größere Vorbehalte gegenüber Kommerz-Produktionen wie dem Bochumer Musical „Starlight Express“ geäußert. Beiden Parteien gemeinsam: Kulturpolitik ist, obgleich intensiver als zuvor diskutiert, noch keine dringliche „Chefsache“. CDU-Landesvorsitzender Norbert Blüm hatte der Mülheimer Runde lediglich ein kurzes Grußwort übermittelt, Johannes Rau kam jetzt immerhin selbst nach Castrop-Rauxel, verließ die Halle aber kurz nach seiner Rede, was den Kölner Literaturprofessor Karl-Otto Conrady zu der „Dallas“-Frage veranlaßte: „Wo ist J. R.?“

Eberhard Kloke: Nicht viel mehr als die „Lustige Witwe“

Es wurde kein durchweg rosiges Bild der NRW-Kultur gezeichnet. Willi Thomczyk vom Herner „Theater Kohlenpott“ sah die „Freie Szene“ vom Land als bloßen kulturellen „Lückenbüßer“ behandelt, es drohe da „ein Ausverkauf wie bei Kohle und Stahl“, die Finanzen hätten eindeutig Schlagseite zur „Hochkultur“. Gegen zuviel Repräsentationskultur wandte sich auch Bertram Müller vom Düsseldorfer Kulturzentrum „Die Werkstatt“: „Von den Subventionen für die Düsseldorfer Oper könnte man 40 Kultur-Werkstätten für jedermann betreiben“. Anlaß genug für die Mahnung Roberto Ciullis („Theater an der Rühr“, Mülheim), „Hoch“- und „Basiskultur“ nicht gegeneinander aus- zuspielen. Bochums Generalmusikdirektor Eberhard Kloke, vor einer Woche schon der CDU zu Diensten, hob erneut zu seiner Rundumkritik an NRW-Spielplänen an. Tenor: Landauf, landab werde derzeit nicht viel mehr als die „Lustige Witwe“ gespielt.

Das „Gießkannenprinzip“ bei der Mittelvergabe kritisierte Rainer Glen Buschmann (Musikschule Dortmund) : Man solle lieber wechselnde Schwerpunkte setzen und Besonderheiten fördern. Literaturprofessor Conrady schrieb der SPD Versäumnisse ins Stammbuch: Die Partei sei „seit 10 bis 15 Jahren nicht mehr Stimmführer“ in Sachen Kultur, weil ihr vielfach der „Mut zur Utopie“ gefehlt habe.

Ein anderes Defizit machte Eugen Gerritz, kulturpolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, aus: Die Zeitungslandschaft in NRW biete kein Forum für tiefgreifende Kulturdebatten. Die Gesichter hellten sich etwas auf, als NRW-Kultusminister Hans Schwier ankündigte, man sei „auf dem besten Wege«, eine (u.a. aus Lotto und „Spiel 77″ finanzierte) neue Kulturstiftung auf die Beine zu stellen.




Theaterbüro vertritt nun die freien Gruppen – Neue Einrichtung in Herne hofft auf Landesgelder

Von Bernd Berke

Herne. Ein Magier aus der freien Theaterszene ließ sich von Dr. Eugen Gerritz (SPD-Mitglied des NRW-Kulturausschusses) einen Zehnmarkschein aushändigen. Das gute Stück verschwand unter einem Tuch und kam in einer Apfelsine wieder zum Vorschein. Der Auftritt hatte Symbolwert: So frei möchten die Theatermacher gern über Landesgelder verfügen, doch da sind die knappen Kassen vor.

So war man gestern schon heilfroh, als man in Herne ein Büro eröffnen konnte, das die Interessen der professionellen freien Gruppen in NRW wirksam vertreten soll. Besagter Finanz-Zauber war Beiwerk zum „Gründungsakt“.

Schon 50 von rund 100 freien Theatergruppen in NRW sind Mitglieder in der „Kooperative professioneller freier Theater“, die seit 1984 besteht und nun das genannte Büro in der Castroper Straße 184 (Herne-Börnig/Tel.: 02323/32379) betreibt. Die Stadt Herne unterstützte das Büro zweimal mit 6800 DM. Pro Mitgliedstruppe kassiert die Kooperative außerdem 250 DM Jahresbeitrag – ein schmales Polster, denn davon werden u. a. Kataloge über freie Produktionen bestritten. Auch das zweimal in Dortmund veranstaltete und für 1989 erneut angesagte Festival „Theaterzwang“ ist ein Werk der Kooperative.

Zukunftspläne, die das Büro vorantreiben soll: eine „Theaterbörse“ in Herne, eine Kabarett-Reihe in den dortigen Flottmann-Hallen – und die große „Fouché“-Produktion mit Willi Thomczyks Herner „Theater Kohlenpott“ zum 200. Jahrestag der Französischen Revolution. Solche Projekte und die Beratung der Mitglieder erfordern so viel Arbeit, daß man die Bürostelle von Jörg Berger, die zunächst als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme läuft, möglichst bald in eine Festanstellung umgewandelt und durch eine Pädagogenstelle ergänzt wissen möchte. Erst dann, so Gerd Bührig von der „Kooperative“, könne die Einrichtung wirklich zum Forum werden und sich auch in die NRW-Kulturpolitik einmischen. Vorbilder sind bestehende Büros anderer Sparten: das Rockbüro (Wuppertal), das Filmbüro (Mülheim), die Literaturbüros in Unna, Gladbeck, Düsseldorf.

Dr. Eugen Gerritz, als Vertreter des Landtags-Kulturausschusses zur Eröffnung geeilt, stellte eine faire Überprüfung der Effektivität dieses Büros in Aussicht. Er sehe gute Chancen, daß ab 1991 Landesmittel fließen. Bis dahin müsse man noch von einem „platonischen Verhältnis“ des Landes zum Büro sprechen.

An Eros dachte auch Gerd Bührer: „Ohne Subventiônen bleibt das freie Theater wie ein Liebesbrief ohne Briefmarke.“ Viele gute Ansätze seien aus Geldmangel „gestorben“, existierende Gruppen hielten sich meist durch „Selbstausbeutung“ über Wasser. Freie Produktionen mit kurzfristig zusammengekauften Crews seien ein Greuel. Wenn sich keine festen Ensembles bilden könnten, komme es zur „Dequalifizierung“.

Eugen Gerritz hingegen überraschte mit seiner Warnung an die freien Gruppen, sich allzusehr zu etablieren: „Suchen Sie sich keine festen Spielstätten. Tingeln Sie lieber!“ Seine Hoffnung: Die „Freien“ sollen die Stadttheater beflügeln.

Der Gesprächston zwischen freien Theatermachem und Politikem war übrigens sehr höflich. Man weiß; was man aneinander hat. Vom Land wird „Staatsknete“ erwartet, von den Schauspielern, daß sie gegen Ödnis in den Städten anspielen