Ernst, streng und abgeklärt: Evgeny Kissin mit reinem Beethoven-Programm beim Klavier-Festival Ruhr

Konzentration und abgeklärter Zugriff: Evgeny Kissin interpretiert Beethoven. Foto: Sven Lorenz

Evgeny Kissin galt als Wunderkind. Er selbst hat diese Bezeichnung freilich abgelehnt. Sie roch ihm zu sehr nach Drill, vordergründiger Brillanz. Und doch: Wenn ein 12Jähriger beide Chopin-Klavierkonzerte hintereinander öffentlich aufführt, wenn er damit nicht nur, ja, brilliert, sondern zugleich Zeugnis beseelter Musikalität ablegt, wenn ihm dazu technisch fast alles gelingt, kann die Bezeichnung Wunderkind nicht ganz abwegig sein.

Allerdings ist schon mancher junge Stern am Pianistenhimmel schneller als gedacht verglüht. Nicht aber Kissin: Der Russe ging seinen Weg so kontrolliert wie konzentriert, behutsam erarbeitete er sich zunächst das romantische Repertoire, gewann Schritt für Schritt an Ausdruckskraft und technischer Souveränität. Die Entwicklung mündete schließlich in der meisterhaften Beherrschung der Klangwelten eines Konzertflügels.

So fand er schnell sein Publikum in den berühmten Sälen der Welt, eroberte sich geradezu eine Fangemeinde zumeist russischsprachiger Natur. Kissin bezauberte, überwältigte, riss die Menschen schon nach den ersten Stücken von den Sitzen. Legendär sind seine Zugabenblöcke, ausufernd, kaum enden wollend, getragen von wahren Anfeuerungen aus dem Auditorium. Nun, bei aller Seriosität, ein bisschen Zirkus durfte es bei Kissin schon sein.

Ernster Blick, seriöse Aura: Kissin am Klavier. Foto: Sven Lorenz

All dies Beschriebene ist ein Blick zurück. Tritt der Pianist heute auf, umgibt ihn eine Aura von unbedingter Ernsthaftigkeit, künstlerischer Reife bis hin zur Abgeklärtheit, nicht zuletzt von Strenge. Der nunmehr 47Jährige hat alles Jungenhafte hinter sich gelassen, verlangt vom Publikum mehr als nur berauschten Taumel, verknappt die Zugaben. Entsprechend mag sich das alte Kissin-Feeling auch während seines diesjährigen Klavierfestival-Auftritts nicht mehr einstellen. Dabei spielt  freilich die Programmauswahl eine Rolle: Der Russe konzentriert sich allein auf Sonaten und Variationen Ludwig van Beethovens.

Lange hat Kissin gebraucht für die Annäherung an den Komponisten. „Beethoven fand ich viele Jahre sehr schwer“, bekannte der Pianist in einem Interview. Kein Wunder, dass er nun, in Essens Philharmonie, mit gehörigem Respekt vor dem Klassiktitanen ans Werk geht, Überzeichnungen ebenso meidet wie die große Geste. Gleichwohl wird es ein spannungsreicher Abend, bereichert durch traumschön poetische Momente. Im Wechselspiel von Klang und Motorik stößt Kissin eine Tür auf,  die den Blick freigibt auf die musikalische Romantik und Moderne.

Seien es die gravitätisch schreitenden Einleitungsakkorde der „Pathétique“ oder die sanften Arpeggien, die am Beginn der „Sturm“-Sonate aufleuchten – die Verdichtung der Klänge erinnert an nahezu impressionistische Farbspiele. Abrupte Stimmungswechsel, ausgelöst durch dynamische Eruptionen oder motorisches Hämmern, reißen uns jedoch schnell los von allem Schwelgen. Beethovens Werk ist eben geprägt von drangvoller Nervosität, nicht selten auch von energiegeladener Wucht.

Am Ende gibt’s Blumen für den Solisten und drei Zugaben fürs Publikum. Foto: Sven Lorenz

Gefordert ist ein ebenso sensibler wie kraftvoller Interpret. Der zudem das Virtuose beherrscht, ohne damit sinnfrei glänzen zu wollen. Dafür ist Kissin die richtige Adresse. Wie er die sich immer mehr verquirlenden Eroica-Variationen meistert, wie er manch improvisatorische Passage auskostet und die finale Fuge (Beethovens Verneigung vor Bach) ausdrucksvoll gestaltet, zeugt von großer Klasse.

Dabei entpuppt sich der Pianist als ökonomischer Gestalter, der auch in den teuflisch schweren Momenten der Waldstein-Sonate nie den Überblick verliert. Sauber und klar konturiert erklingen die pochenden Staccati zu Beginn, ohne Hast perlen die Figurationen. Das Adagio bekommt eine nahezu grüblerische Note, die sich auflöst im poetischen Thema des Finales. Und so sehr Kissin all die Sprünge, Trillerketten oder wuchtigen Ausbrüche dieses Rondos beherrscht, so geschmeidig, ja fast elegant formt er die Sonate als Ganzes.

Ein ungewöhnliches Hörerlebnis in einem außerordentlichen Konzert. Und am Ende gibt es dann doch den großen Jubel im ausverkauften Saal. Freilich ohne die sonst schon ritualisierte frenetische Ausgelassenheit. Kissin wiederum belässt es bei drei Zugaben. Die Abende mit ihm haben sich gewandelt. Sie sind toll, vor allem aber anspruchsvoll. Auf der Stuhlkante haben wir einst jedenfalls öfter gesessen.




Lebende Legenden und Aufsteiger: Das Klavier-Festival Ruhr startet am 7. Mai in Bochum den Reigen seiner Konzerte

Eröffnet am 7. Mai das Klavier-Festival Ruhr in Bochum: Daniel Barenboim, hier bei einem Konzert des Festivals im Jahr 2014. Foto: Mark Wohlrab

Eröffnet am 7. Mai das Klavier-Festival Ruhr in Bochum: Daniel Barenboim, hier bei einem Konzert des Festivals im Jahr 2014. (Foto: Mark Wohlrab)

Gastautor Robert Unger über das bevorstehende Klavier-Festival Ruhr:

Drei Komponenten machen einen Star im klassischen Sinne aus: Erfolg, Kontinuität und Image. Kommen diese Elemente zusammen und reift eine Persönlichkeit mit einem lang andauernden Erfolg, spricht man von einer Legende. Solche will das Klavier-Festival Ruhr vorstellen, das am 7. Mai unter dem wenig spezifischen Motto „Living Legends“ und „Rising Stars“ startet.

Klassik und Jazz, Recitals, Liederabende, Kammer- und Orchesterkonzerte finden sich im außerordentlich vielfältigen Konzertangebot des Festivals, das vom Initiativkreis Ruhr gefördert wird. Das Klavier-Festival Ruhr 2019 rückt diesmal kein Land und keinen Komponisten in den Fokus, sondern richtet den Blick auf die Biografien seiner Künstler. So stellt es die Verbindungen zwischen den Generationen und zwischen Menschen verschiedener Herkunft her und schaut auch auf ein Weltbürgertum, das in der Musik wie im Leben seine Wurzeln kennt, aber seine Entfaltung jenseits zwischenstaatlicher Grenzen findet.

Das ausverkaufte Eröffnungskonzert am kommenden Dienstag, 7. Mai (im Anneliese Brost Musikforum Ruhr, Bochum), steht ungewollt exemplarisch für diese Verbindung. Ursprünglich sollte Menahem Pressler, einer der großen Pianisten unserer Zeit, das Festival eröffnen. Doch seine gegenwärtige gesundheitliche Verfassung lässt dies leider nicht zu. Daniel Barenboim übernimmt das Eröffnungskonzert und lässt es in Verbundenheit zu dem legendären Gründer des Beaux Arts Trios zu einer Hommage für seinen anwesenden Freund werden. Die Freundschaft geht zurück bis ins Jahr 1954, als der damals 31-jährige Menahem Pressler in Tel Aviv mit dem 12-jährigen Daniel Barenboim einen Duo-Abend gab.

Zum Glück noch keine Legende, sondern vitale Gegenwart: Krystian Zimerman kommt am 10. Mai in die Philharmonie Essen. Foto: Bartek Barczyk

Zum Glück noch keine Legende, sondern vitale Gegenwart: Krystian Zimerman kommt am 10. Mai in die Philharmonie Essen. (Foto: Bartek Barczyk)

Gleich in den ersten Tagen, am 10. Mai, spielt Krystian Zimerman eines seiner raren Konzerte in der Philharmonie Essen mit einem Brahms-Chopin-Programm. Mit Emanuel Ax im Anneliese Brost Musikforum Ruhr ist am 14. Mai eine weitere Klavier-Legende zu erleben. „Poetische Stimmungsbilder“ kreiert die Preisträgerin des Klavier-Festivals Ruhr 2018, Elena Bashkirova, mit Mozart, Dvořák und Bartok im Gustav-Lübcke-Museum Hamm am 19. Mai.

Im Konzerthaus Dortmund ist am 24. Mai mit Hélène Grimaud eine weitere angesehene Pianistin zu erleben. Nicht weniger aufregend werden wohl die Konzerte mit Größen wie Marc-André Hamelin am 5. Juni in Mülheim, Jean-Yves Thibaudet am 6. Juni in Wuppertal mit der deutschen Erstaufführung eines Orchesterwerks von Richard Dubugnon und dem Grandseigneur des Tastenspiels Grigory Sokolov in der Historische Stadthalle Wuppertal am 14. Juni. Evgeny Kissins Auftritt mit Beethoven-Sonaten am 3. Juli in der Essener Philharmonie ist so gut wie ausverkauft; auch die Konzerte von „Living Legends“ wie András Schiff am 2. Juli in Düsseldorf und Martha Argerich – mit dem Cellisten Mischa Maisky am 16. Juli in Essen – dürften das Publikum locken.

Till Hoffmann steht am Beginn seiner Karriere. Foto: Matthias Matthai

Till Hoffmann steht am Beginn seiner Karriere. (Foto: Matthias Matthai)

Die Nachwuchspianisten dieser Festival-Saison als Ausdruck des Mottos „Rising Stars“ zeigen die Vielfalt an Talenten und zugleich wohl den größeren Mut für ein breiteres Repertoire. So spielt der gebürtige Sizilianer Giuseppe Guarrera, der zugleich Stipendiat des Klavier-Festivals Ruhr 2018 ist, am 17. Juli im LEO Theater im Ibach-Haus in Schwelm selten aufgeführte Sonaten von Domenico Scarlatti sowie Werke von Ferruccio Busoni und Franz Liszt.

In den beiden Abo-Konzerten der Reihe „Die Besten der Besten“ stellen sich am 20. und 21. Juni im Haus Fuhr in Essen-Werden die Preisträger bedeutender internationaler Wettbewerbe, Changyong Shin und Nicolas Namoradze, mit ausgewählten Programmen vor. Sein Debüt beim Klavier-Festival Ruhr gibt auch der erst 23jährige Till Hoffmann am 15. Juni in Bottrop mit einem Programm, das über fünf Jahrhunderte reicht: von Bachs Englischer Suite Nr. 6 über Rachmaninow bis hin zu den so unterschiedlichen Variationszyklen von Brahms, Webern und dem jungen Jakob Raab, der in Karlsruhe bei Wolfgang Rihm Komposition studiert.

Das Festival vergibt auch regelmäßig Kompositionsaufträge. Rund 100 neue Werke wurden so in den letzten Jahren ur- und erstaufgeführt. Dieses Jahr steuert der Preisträger des Klavier-Festivals Ruhr 2017, Philip Glass, ein neues Werk bei: Am 4. Juli erklingt im Salzlager des Zollvereins Essen die erste Klaviersonate des mittlerweile 82jährigen Amerikaners, gespielt von der mit der Musik Glass‘ seit Jahren vertrauten Pianistin Maki Namekawa.

In der Reihe der „Rising Stars“ finden sich auch Grenzgänger, die in den letzten Jahren immer wieder große Erfolge gefeiert haben, die aber ihren kontinuierlichen Willen zur Weiterentwicklung und ihre Beständigkeit noch unter Beweis stellen müssen. 2009 war Khatia Buniatishvili nur den Insidern der Klavierszene ein Begriff. Doch dann sprang sie für die erkrankte Kollegin Hélène Grimaud beim Klavier-Festival Ruhr ein und gab damit ihr Deutschland-Debüt. Es sollte der Startschuss für eine rasche Karriere sein. Heute – zehn Jahre später und bei ihrem 12. Auftritt beim Klavier-Festival Ruhr am 4. Juni in der Philharmonie – gehört die Georgierin zu den aufregendsten Pianistinnen der Gegenwart. Im Konzert spielt sie ihren Paradekomponisten Franz Liszt.

Auch die Karriere von Joseph Moog ist schon lange mit dem Festival verbunden. Er ist bereits regelmäßiger Gast in großen Konzerthäusern etwa in Amsterdam, London und New York. Beim Klavier-Festival Ruhr ist der 31-Jährige bereits zum achten Mal zu erleben – in ununterbrochener Folge seit 2013. Seitdem hat er sich vom „Rising Star“ zu einem anerkannten Pianisten der jungen Generation entwickelt. Deshalb spielt er in diesem Jahr erstmals das Abschlusskonzert am 19. Juli in der Stadthalle Müllheim, für das er ein facettenreiches Programm zusammengestellt hat: mit Werken von Schubert, Brahms, Chopin und Ravel.

Eine frische Farbe in der JazzLine: Der 24jährige Tausendsassa Jacob Collier kommt nach Gelsenkirchen. Foto: Morgan Hill-Murphy

Eine frische Farbe in der JazzLine: Der 24jährige Jacob Collier kommt nach Gelsenkirchen. (Foto: Morgan Hill-Murphy)

Ebenso prominent besetzt ist die schon lange etablierte Jazz-Line. Till Brönner tritt mit seinen Partnern Jacob Karlzon und Dieter Ilg im Konzerthaus Dortmund am 5. Juli auf. Jacob Collier, der 24jährige Pianist, Sänger, Arrangeur und Komponist, den der englische Guardian einmal „Jazz’s new messiah“ nannte, hat in den letzten Jahren eine atemberaubende Karriere hingelegt. Sie begann 2011 mit selbstproduzierten YouTube-Clips, in denen er sämtliche Instrumente selbst spielte und sich per Multitrackingverfahren sogar in einen ganzen Chor verwandelte. Nun zeigt er sein Können am 8. Juli im Musiktheater im Revier.

Was wäre ein Klavier-Festival ohne die großen Klavierkonzerte? Der 1. Preisträger des Chopin-Wettbewerbes, Rafał Blechacz, präsentiert gemeinsam mit dem WDR Sinfonieorchester Köln unter der Leitung des renommierten Dirigenten Christoph Eschenbach das Konzert für Klavier und Orchester Nr. 24 von Wolfgang Amadeus Mozart. Das letzte Klavierkonzert von Mozart in B-Dur (KV 595) ist der Hauptprotagonist im Konzert mit Lars Vogt und der Neuen Philharmonie Westfalen in der Erich-Göpfert-Stadthalle in Unna am 9. Juli.

Leider fehlt in diesem Jahr eine gewisse Würze aus thematischen Bezügen. So hätte es einem Klavier-Festival gut angestanden, den 200. Geburtstag der Komponistin und damals legendären Klavierspielerin Clara Schumann nicht zu ignorieren.

Tickets sind telefonisch unter der Hotline (0221) 280 220 erhältlich oder können im Internet gebucht werden: www.klavierfestival.de

 




Festspiel-Passagen V: Colmar im Elsass – Monumentale Musik in russischer Tradition

Er spielte in Colmar sein Schubert-Skrjabin-Programm: Evgeny Kissin. Foto: Bernard Fruhinsholz

Er spielte in Colmar sein Schubert-Skrjabin-Programm: Evgeny Kissin. Foto: Bernard Fruhinsholz

Einst war Colmar eine richtige Hauptstadt: Im Saal des „Koїfhus“ versammelten sich die Vertreter des Zehnstädtebunds. Seine Mitglieder unterstützten sich gegenseitig, um in den unruhigen Zeiten des späten Mittelalters ihre Rechte und Freiheiten zu sichern. Heute wird die elsässische Stadt einmal im Jahr zur Hauptstadt der Musik.

Das „Festival International de Colmar“ versammelt in knapp zwei Juli-Wochen Größen des Musiklebens zu einem weit über die Region hinaus strahlenden Zyklus von Konzerten. Und immer noch trifft man sich – wie vor 500 Jahren – in dem ehemaligen Zoll- und Warenlager im Zentrum der alten Stadt. Doch diesmal sind es die Liebhaber der Musik, die dort den Stellenwert der Musik im Reigen der Künste eindrucksvoll unterstreichen.

Das Festival rühmt sich der bedeutenden Künstler, die es für seine 27 Konzerte in seine ehrwürdigen Spielstätten holt. Nicht ohne Grund: Evgeny Kissin kam zwischen Klavier-Festival Ruhr und zwei Auftritten im schweizerischen Verbier in die großartige gotische Hallenkirche St. Matthieu; Grigory Sokolov spielte – wie vorher in Essen –  sein viel gerühmtes, faszinierendes Chopin-Programm. Und wenn Ensembles wie Prazak-, Schumann-, Sine Nomine- und Talich-Quartett zu hören sind und mit dem Moskauer Kopelman-Quartett eine russische Spitzenformation gastiert, ist das auch für den Kammermusik-Liebhaber ein Argument, ins Elsass zu fahren.

Ungestörte Mittelalter-Romantik: Fachwerkfassaden in Colmar. Foto: Werner Häußner

Ungestörte Mittelalter-Romantik: Fachwerkfassaden in Colmar. Foto: Werner Häußner

Colmar bietet Gelegenheit, Künstler zu erleben, die zumindest im deutschen Musikbetrieb nicht ständig und überall herumgereicht werden. Zum Beispiel der Pianist David Bismuth, Schüler der bei uns viel zu wenig bekannten Französinnen Anne Queffélec und Brigitte Engerer. Oder Boris Giltburg, der 2013 den Concours Reine Elisabeth in Brüssel gewann und jetzt einen Exklusivvertrag mit dem Label Naxos geschlossen hat. Oder die Cellisten Edgar Moreau, Alexander Kniazev und Pavel Gomziakov. Solche Begegnungen erweitern den Horizont und lassen Musiker entdecken, die vielleicht im hochgezüchteten internationalen Betrieb – aus welchen Gründen auch immer – nicht mithalten oder mithalten wollen, die aber mit überraschenden individuellen Aspekten in Ausdruck und Klang für sich einnehmen.

In jedem Jahr widmet sich das Colmarer Festival der Würdigung eines herausragenden Musikers. Begonnen hat diese Serie, als 1989 der russischer Geiger und Dirigent Vladimir Spivakov zum künstlerischen Leiter berufen wurde; Glenn Gould war der erste der auf diese Weise Geehrten. Im nächsten Jahr wird die französische Trompeten-Legende Maurice André (1933 – 2012) die geistige Präsidentschaft des Festivals einnehmen. In diesem Jahr stand der Name des großen russischen Dirigenten Evgeny Fjodorowitsch Svetlanov (1928 – 2002) über dem Programm. Er hat das ehemalige Staatliche Sinfonieorchester der UdSSR zu einem führenden Klangkörper entwickelt und mit ihm rund 2000 Einspielungen aufgenommen, war aber auch international rege unterwegs, so mit dem London Symphony Orchestra oder dem Het Residentie Orkest Den Haag.

Bei Warner Classics erhältlich: Evgeny Svetlanovs Mahler-Zyklus. Cover: Warner Classics

Bei Warner Classics erhältlich: Evgeny Svetlanovs Mahler-Zyklus. Cover: Warner Classics

Svetlanovs Liebe zum romantischen russischen Repertoire und zu einem prachtvoll-voluminösen Klangbild spiegelt sich in der Auswahl der in Colmar gespielten Werke: Da reiht Festival-Leiter Spivakov als Dirigent mit seiner Russischen Nationalphilharmonie Tschaikowsky an Rachmaninow, erinnert mit Mahlers Erster an die Verdienste Svetlanovs für die Mahler-Rezeption in Russland – unter anderem mit einer Gesamtaufnahme der Sinfonien. Auch streut er ein belcantoseliges Sängerfest ein, statt seiner Solistin Albina Shagimuratova die Gelegenheit zu geben, dem französisch und deutsch geprägten Publikum ein paar der ungehobenen Schätze der russischen Oper zu entdecken.

Wie es überhaupt – und das ist ein Manko dieser Art von Festivals – mit der Entdeckerfreude nicht immer zum Besten steht: Die beiden Eröffnungskonzerte des Orchestre National du Capitole de Toulouse unter Tugan Sokhiev etwa biederten sich in einer fast schon frivolen Art einem Publikum an, das man hemmungslos in seiner musikkulinarischen Lust bestätigt: Tschaikowskys Violinkonzert, Brahms‘ Zweite, Rimski-Korsakows „Scheherazade“. So mag man leicht Säle füllen, entwickelt aber kein künstlerisches Profil. Der von Svetlanov hoch geschätzte Komponist Nikolai Medtner etwa ist in ein Mittagskonzert mit Elena Filonova verbannt. Die Pianistin spielte Ausschnitte aus seinem Klavierzyklus „Vergessene Weisen“ – ein wohl unfreiwillig bezeichnender Titel.

Immerhin kam Evgeny Svetlanov auch mit einigen seiner Werke zu Wort. Der Dirigent verstand sich in der Tradition Gustav Mahlers nicht als gelegentlich komponierender Kapellmeister, sondern eher als dirigierender Komponist. Aus seinem reichhaltigen Œuvre erklangen in Colmar ein Streichquartett in D-Dur und die Variationen über ein russisches Volkslied für Harfe und Orchester. Bedauerlich ist, dass sich der außergewöhnliche Einsatz Svetlanovs für den Komponisten Nikolai Mjaskowski (1881 – 1950) im Colmarer Festival nicht niederschlug: Vor allem dessen nach dem Ersten Weltkrieg entstandene Werke mit ihrem französischen Einschlag wären ein spannendes klingendes Dokument der musikalischen Verbindung zwischen den Völkern gewesen.

Vladimir Spivakov dirigierte den Großen Akademischen Chor Moskau in Colmar. Foto: Bernard Fruhinsholz

Vladimir Spivakov dirigierte den Großen Akademischen Chor Moskau in Colmar. Foto: Bernard Fruhinsholz

Für Liebhaber geistlicher Musik hatte das Festival an seinem Abschluss-Wochenende einen Höhepunkt parat: Der Große Akademische Chor Moskau sang Ausschnitte aus Tschaikowskys Liturgie des Heiligen Johannes Chrysostomus und aus Rachmaninows Vesper op. 37. Die Akustik der ehemaligen Jesuitenkirche Saint Pierre, einem schlicht gehaltenen Barockbau, begünstigte den tragenden Klang der prachtvollen Stimmen der Choristen, ließ die verfeinerte Dynamik wirken, die von schwebendem Pianissimo bis zum glanzvollen Forte wie aus einem Guss geführt war.

Der Chor hatte am folgenden Tag beim Finalkonzert einen weiteren beeindruckenden Auftritt in Rachmaninows „Die Glocken“ (op. 35), einer Tondichtung nach Edgar Allan Poe. Die symbolistisch aufgeladenen Bilder des Poems inspirierten Rachmaninow zu einer enormen, die satten Farben des großen Orchesters und des Chores ausbreitenden Komposition. Spivakov zähmte die gewaltigen dynamischen Wellen nicht; er ließ schon die „goldenen Hochzeitsglocken“ der zweiten Strophe so prächtig dröhnen, dass dynamische Entwicklungen nicht mehr möglich waren. Mussorgskys „Großes Tor von Kiew“ ließ grüßen, allerdings in einer pathetisch übersteigerten Monumentalarchitektur, wie sie in ihrer dramatischen Wucht auch dem Interpretationsstil Evgeny Svetlanovs entsprach.

Herrlicher Konzertraum mit überraschend klarer Akustik: Die gotische Hallenkirche St. Matthieu Colmar. Foto: Bernard Fruhinsholz

Herrlicher Konzertraum mit überraschend klarer Akustik: Die gotische Hallenkirche St. Matthieu Colmar. Foto: Bernard Fruhinsholz

Ähnlich erfüllt von Pathos und Bombast kommt Dmitri Schostakowitschs Festouvertüre op. 96 daher. Spivakov enthüllt mit seiner Interpretation den merkwürdig ambivalenten Charakter von Schostakowitschs Musik. Denn die Ironie, die man gerne hineindeutet, wird von solennen Bläserfanfaren weggefegt; auch das spritzige Thema, das ein Kritiker einmal „überschäumend wie eine soeben geöffnete Champagnerflasche“ beschrieben hat, trägt eher Soldatenstiefel als Kinderschuhe. Dabei kommt es aus dem „Kinderalbum“ op. 69 und trägt den Titel „Geburtstag“. Nun ja: Die Ouvertüre sollte zum 30. Jahrestag der Oktoberrevolution im Moskauer Bolschoi-Theater gespielt werden …

In der Neunten Sinfonie, die ein Siegesstück werden sollte, ist die Ironie so weit getrieben, dass sie selbst den nicht gerade auf Subtilitäten eingestellten Ohren der sowjetischen Musik-Offiziellen offensichtlich wurde. Schostakowitsch wurde daraufhin geächtet und schrieb erst nach dem Tode Stalins seine nächste Sinfonie. Dirigent Spivakov trat dem Stück nicht zu nahe, ließ die Russische Nationalphilharmonie ihre ganze Brillanz vorführen und setzte auf die unmittelbare Wirkung der absurd regelhaften fünf Sätze. Eine Offenbachiade mit dem Brokat-Faltenwurf einer Staatsrobe, die man als maliziöse Abrechnung mit den Erwartungen des sozialistischen Realismus und seiner falschen Klassizität lesen kann.




Begeisterndes Panorama des Ausdrucks: Evgeny Kissin beim Klavier-Festival Ruhr in Dortmund

Evgeny Kissin bei seinem Konzert in Dortmund. Foto: Mark Wohlrab/KFR

Evgeny Kissin bei seinem Konzert in Dortmund. Foto: Mark Wohlrab/KFR

Seine Auftritte sind nicht häufig, aber die Verknappung ist kein Programm zur Förderung einer Aura, sondern schlicht künstlerischer Verantwortung geschuldet: Evgheny Igorewitsch Kissin gehört zu den ganz Großen seiner Zunft, nicht weil er anderen technisch etwas vorzumachen hätte, sondern weil er in seinem Spiel den einfühlenden, gestaltenden, souveränen Geist erkennen lässt. Weil es ihm gelingt, das innere Erleben, das ihm nach eigener Aussage wichtiger ist als das äußere, in seinem Spiel zu kommunizieren. Weil er, der Distanzierte, Scheue, ein bisschen aus der Welt Gefallene, in diesen Momenten sich mit seinem Publikum tief verbindet.

Und die Menschen in den Sälen merken das: Der Beifall bei Kissins Auftritt beim Klavier-Festival Ruhr im Konzerthaus Dortmund war nicht nur der Überwältigung durch ein makelloses Spiel geschuldet – das können viele andere Pianisten ja auch –, sondern drückte etwas aus von der „Begeisterung“ im wahrsten Sinn des Wortes. Wenn Kissin sich in Schubert, in Skrjabin versenkt, dann be-geistert er, dann nimmt er mit in die unergründlichen Welten, die Musik aufschließen kann. Vor wenigen Tagen wies Claus Leggewie beim Festkonzert zu zehn Jahren Philharmonie Essen auf die immense Kraftquelle hin, die Orte wie ein Konzerthaus für eine Stadt und ihre Gesellschaft bedeuten. Nach dem Kissin-Konzert möchte man mit Wotan sagen: „Heut hast Du’s erlebt“.

Man erlebt’s, selbst wenn nicht alles wie aus einem Guss gelingt: Warum Kissin in Schuberts „Gasteiner Sonate“ D 850 den einleitenden, später formal so bedeutenden rhythmischen Ruf so hastig zusammenzieht, wird nicht verständlich. Seine Artikulation wirkt unwirsch und verschwommen, sein Akkordspiel beruhigt sich erst im klar formulierten Seitenthema. Will man bei den oft strapazierten Naturbildern gerade für diese, in Schuberts Ferien in Bad Gastein entstandenen Sonate bleiben, könnte man für den ersten Satz sagen: ein Sturm im Gebirge. Allerdings einer, in dem sich mehr und mehr die Nebel lichten und im Wüten rauschender Triolen die vollgriffige Harmonik deutlich fassbar wird. Wie er das Signal des Beginns durch die harmonische Entwicklung immer wieder aufleuchten lässt, zeigt: Kissin ist ganz bei sich.

Im zweiten Satz bringt Kissin die harmonischen Wendungen zum Leuchten, sentimentalisiert sie aber nicht. Auch wenn er verzögert, mit der Agogik spielt, will er nicht verzücken, sondern vertiefen. Wie differenziert er die Wiederholungen färbt, ist ein Beispiel großer Kunst für sich. Das Scherzo lässt er aus der heftigen Bewegung und den scharfen Kontrasten Kraft gewinnen: Hier selbstbewusster Rhythmus, scharf konturiert; dort silbern filigranes melodisches Gespinst. Und im letzten Satz schaut Kissin weniger auf die humorigen Momente – die trockenen Staccatio empfand Schumann als Satire auf den „Schlafmützenstil“ von Pianisten wie Pleyer oder Vanhal –, sondern auf die einfache, unverkünstelte Poesie, mit der die Sonate endet.

Bei seinem Landsmann Alexander Skrjabin bewegt sich Kissin dann auch manuell auf Gipfeln, auf denen die Luft für andere sehr dünn wird: Das polymetrische Gewirk im zweite Satz der Sonate-Fantaisie gis-Moll (op.19) muss erst einmal jemand so präzis und souverän entflechten. Die Presto-Kaskaden muss erst einmal jemand so hindernisfrei abrauschen lassen. Und wem das nicht genug ist, dessen Blick stellt Kissin in all dem Trubel noch scharf auf die motivischen Bezüge zum Andante; denn die Sonate vergisst im Finale nicht die Ostinato-Glockenschläge des Beginns.

Auch in der Auswahl der sieben Etüden aus dem Zyklus Opus 8 von 1894 erweist sich das dramaturgische Geschick, mit dem Kissin seine Programme gestaltet. Nie verrät er die technisch anspruchsvollen Stücke an das bloß Triumphal-Zupackende. Nie umwölkt er die leisen Töne, das nachdenkliche Innehalten mit dem Parfüm, das Skrjabin noch vor dreißig Jahren in Westeuropa gerne nachgesagt wurde. Das „tempo rubato“ etwa in der Nummer acht ist kein sensualistischer Effekt, sondern unterstreicht die poetische Note des Stücks. Und das „Andante cantabile“ der Nummer elf wird herb, fast schmerzlich formuliert und endet in einem fragenden Dunkel, auf das in der abschließenden dis-Moll-Etüde Nummer 12 eine heroisch aufbegehrende Antwort gegeben wird.

Kissin entrollt ein unglaubliches Panorama pianistischer Ausdruckskunst – und seine Zugaben sind keine netten Schmankerln, um das Publikum noch einmal „Ah“ und „Oh“ rufen zu lassen, sondern erweitern den Blick um weitere Aspekte: von Skrjabin zu Chopin und von den Meistern des 19. Jahrhunderts zurück zum Meister aller Meister, Johann Sebastian Bach, gesehen durch die Bearbeiter-Brille eines der signifikanten Ausdrucksmusiker der verebbenden Romantik, Wilhelm Kempff.




Die Vorteile des „Einspringens“: Rafal Blechacz statt Evgeny Kissin beim Klavier-Festival Ruhr

Der Pianist Rafal Blechacz hat den erkrankten Evgeny Kissin würdig vertreten. Foto: Wieler/KFR

Der Pianist Rafal Blechacz hat den erkrankten Evgeny Kissin beim Klavier-Festival  würdig vertreten. Foto: Wieler/KFR

Das Wort Einspringer mag nach zweiter Wahl klingen, das Phänomen aber ist seit jeher Bestandteil des Opern- und Konzertbetriebs. Heisere Tenöre, abrupt vergrippte Sopranistinnen oder am Arm verletzte Pianisten: Alles schon dagewesen, und ein Hoch auf den Veranstalter, der binnen kurzer Zeit eben einen Einspringer präsentieren kann.

Wie jetzt das Klavier-Festival Ruhr in Essen. Endlich war es erneut gelungen, den jungenhaften Feuerkopf unter den Tastenzauberern, den Russen Evgeny Kissin für einen Auftritt zu gewinnen, da muss er wegen eines lädierten Fingers zwei Tage vor dem Konzert absagen. Glück im Unglück: Der Pole Rafal Blechacz, 2005 herausragender Gewinner des Warschauer Chopin-Wettbewerbs, erweist sich als Retter in der Not. Und sein Spiel wird mit üppigem Applaus honoriert.

Solcherart Ritterlichkeit dem Publikum gegenüber kann bisweilen den großen Karriereschritt bedeuten. So war der französische Pianist Jonathan Gilad gerade 15 Jahre alt, als er 1996 in Chicago für den erkrankten Maurizio Pollini einsprang und damit den internationalen Durchbruch schaffte. Beim Klavier-Festival 2007 wiederum vertrat die Deutsch-Japanerin Alice Sara Ott, 19 Jahre jung, die Russin Elena Bashkirova. Mit derartigem Erfolg, dass alsbald ein exklusiver Plattenvertrag winkte. Zwei Jahre später gab die damals kaum bekannte Georgierin Khatia Buniatishvili ihr Deutschlanddebüt beim Festival. Der Auftritt, an Stelle der erkrankten Hélène Grimaud, war gewiss einer ihrer Karrierestartpunkte.

Khatia Buniatishvili sprang beim Festival für Hélène Grimaud ein. Foto: Wohlrab/KFR

Khatia Buniatishvili sprang beim Festival 2009 für Hélène Grimaud ein. Foto: Wohlrab/KFR

Bei Blechacz liegen die Dinge etwas anders. Der Chopin-Preis hat ihm zu frühem Ruhm verholfen, er ist längst kein Unbekannter mehr, und beim Klavier-Festival nun zum vierten Mal dabei. Wer den 28Jährigen öfter gehört hat, wird erkennen, dass sein Spiel zunehmend an Reife gewinnt. Dafür steht etwa Beethovens 7. Sonate. Blechacz deutet sie in Essens Philharmonie mit furiosem Gestus, zum anderen als subtiler Klanggestalter.

Gänzlich frei aber bewegt sich der Pole nicht. Davon zeugt eine gewisse Nervosität, die ihn zur Hast verleitet. Durch markantes rhythmisches Spiel versucht der Pianist sich selbst zu zügeln. Beethovens Sonate gewinnt so markig Kontur. Bachs dritte Partita indes leidet eher unter der Schnelligkeit des Spiels.

Tief verwurzelt scheint Blechacz hingegen in der Klangwelt Chopins. Der Pianist meidet alles Salonhafte, versagt sich jegliche Spielerei mit verzögernden Tempi. Vielmehr hören wir das große Drama. Des Komponisten musikalische Spiegelung polnischen Leidens. Ein Nocturne wirkt unter Blechacz Händen wie ein böser Traum. Die „Polonaise militaire“ scheint zackige Kampfansage, die drei Mazurken op. 63 schwanken zwischen dunklem Raunen und heroischem Gestus. Und aus der funkelnden Virtuosität des dritten Scherzos schimmert gehörige Wehmut.

 

Der Text ist in ähnlicher Form zuerst auf www.derwesten.de erschienen.




25 Jahre Klavier-Festival Ruhr: „Man muss die Dinge zu Ende denken“

Alle wollen bei der Geburtstagsparty dabei sein: Das Medieninteresse war groß bei der Programmvorstellung des diesjährigen Klavier-Festivals Ruhr, das in diesem Sommer seinen 25 Geburtstag feiert. Vom 4. Mai bis 19. Juli ist die internationale Pianisten-Elite wieder im Ruhrgebiet und angrenzenden Landesteilen zu Gast.

„Let’s go to the opera“ heißt das Motto des Jubiläumsprogramms, das damit den 200. Geburtstagen von Richard Wagner und Giuseppe Verdi Reverenz erweist. So wird der Einfluss beider Opernkomponisten auf die Welt der Klaviertranskriptionen und -paraphrasen im 19. und 20. Jahrhundert spürbar. Sein Silberjubiläum feiert das Festival u.a. mit Wiedereinladungen an große Pianisten unserer Zeit, darunter Martha Argerich, Evgeny Kissin, Maria Joao Pires, Murray Perahia, Krystian Zimerman und Marc-André Hamelin, der in diesem Jahr mit dem Preis des Klavier-Festivals Ruhr geehrt wird. Auch die Geiger Gidon Kremer und Frank Peter Zimmermann kehren mit ihren Klavierpartnern zum Festival zurück.

Eröffnet wird die Jubiläumsausgabe des Festivals am 4. Mai um 20 Uhr mit Tschaikowskys 1. Klavierkonzert b-Moll in der Bochumer Jahrhunderthalle, gespielt von dem 1987 im russischen Gorki geborenen Pianisten Igor Levit. Begleitet wird Levit vom WDR Sinfonieorchester Köln unter der Leitung von Krzysztof Urbánski, das im Anschluss „Bilder einer Ausstellung“ von Mussorgsky interpretiert. Unter www.klavierfestival.de findet sich das umfangreiche Gesamtprogramm des knapp dreimonatigen Klaviersommers.

„Man muss die Dinge zu Ende denken“, zitiert Festivalleiter Franz Xaver Ohnesorg einen der damaligen Gründungsväter vom Initiativkreise Ruhrgebiet, Alfred Herrhausen. 1988 lernte der Intendant den Wirtschaftsführer auf dem Geburtstag eines gemeinsamen Freundes kennen, erzählt Ohnesorg bei der Pressekonferenz. Nun, im 25. Jahr des anfangs unter dem Titel „Bochumer Klaviersommer“ gestarteten Pianistentreffens hat Traudl Herrhausen die Schirmherrschaft übernommen. Seit zwei Jahren wird das Klavierfestival als eigene Stiftung geführt.

Das AufTakt-Projekt, Foto: Frank Mohn

Das AufTakt-Projekt, Foto: Frank Mohn

„Den Gründungsvätern aus der Wirtschaft kam es darauf an, einen kulturellen Akzent im Ruhrgebiet zu setzen“, so Traudl Herrhausen. Das hat das Festival schon lange geschafft. Inzwischen gilt es, neben dem Konzertpublikum auch den Nachwuchs nachhaltig für Musik zu begeistern. Was 2006 mit der „Little Piano School“ für 2-6jährige Kinder begonnen hat, hat sich unter dem Stichwort „Education Programme“ als fester Bestandteil auf dem Gebiet der kulturellen Bildung etabliert.

Damit Kinder unabhängig von ihrer sozialen Herkunft kreative musikalische Erfahrungen sammeln können, bringen die „Discovery Projects“ Förderschüler, Grundschüler und Gymnasiasten in Duisburg Marxloh zusammen. In diesem Jahr geht es um das Thema „Hochzeit“, passend dazu stehen „Les Noces“ von Igor Strawinsky im Mittelpunkt der Workshop-Arbeit. Mehr als 50 türkische Brautmodengeschäfte reihen sich auf der Weseler Straße in Duisburg Marxloh aneinander. „Viele Kinder sind regelmäßig zu Familienhochzeiten eingeladen“, berichtet der Leiter der Education-Programme, Tobias Bleek. „So können Hochzeitsrituale der unterschiedlichen Herkunftskulturen in die Choreographie einfließen.“

Der bildungsbiographisch entscheidende Übergang zwischen Kindergarten und Grundschule steht im Zentrum eines Pilotprojekts, das das Klavierfestival Ruhr in Zusammenarbeit mit der Stiftung Mercator entwickelt. Im „KlavierGarten“ des Klavierfestivals erleben Kindergartenkinder oft ihre erste musische Bildung. Um dieses Potential auch in der Grundschule weiter zu entwickeln, vernetzt das Projekt Kindertagesstätten und Grundschulen. Eine mit klassischer Musik illustrierte Version von „Wo die wilden Kerle wohnen“ bildet den Bezugspunkt; Profi-Musiker und Festival-Pianisten verwandeln den bekannten Stoff in klingende Geschichten. Weitere Informationen: www.klavierfestival.de/education