Ein braver Willy Loman – „Tod eines Handlungsreisenden“ in einer wenig aufregenden Inszenierung

Von Bernd Berke

Dortmund. Die Wohnung der Lomans wirkt in Hans Winklers Dortmunder Bühnenbild ungeheuer aufgeräumt, alles ist schrecklich fein an seinem Platz. Wie in einer Puppenstube. Wenn der Handlungsreisende Willy Loman nach Hause kommt, hilft ihm seine Frau Linda eilfertig in die Pantoffeln. Hier scheint die Welt noch in alter Ordnung zu sein – ganz im Sinne der 50er Jahre.

Damals ist sie ja auch entstanden, Arthur Millers dramatische Elegie vom „Tod eines Handlungsreisenden“ – und sie ward zum mehr oder weniger qualvollen Lernstoff zahlloser Englischstunden, freilich auch zum Glanzstoff für berühmte Schauspieler von Heinz Rühmann bis Dustin Hoffman.

Andreas Weißert sieht aus wie eine fatale Kreuzung aus Andy Warhol und Loriot, wenn er mißmutig die Szene betritt. „Pappa ante portas“, wie es bei Loriot hieß, sprich: Der Vater wird von nun an oft daheim sein und den Seinen auf die Nerven gehen, denn in seinem Job gilt er nur noch als Niete.

Doch so komisch wie bei Vicco von Bülow geht es hier beileibe nicht zu, auch wenn sich die Regie (Clemens Bechtel) müht, den einen oder anderen Lacher herauszukitzeln. Die Lebenslüge, mit der Willy Loman sich vormacht, er oder seine verbummelten Söhne Biff (Joachim Meyerhoff) und Happy (Jörg Ratjen) würden eines Tages das ganz große Los des amerikanischen Traumspiels ziehen, mündet in Wahn und Fieber, ist letztlich selbstmörderisch. Gern nähme Loman das Leben wie einen Sport. Nur allseits beliebt müsse man sein, dann finde sich schon das weitere. Dabei sind in Wahrheit schon die nächsten Raten fällig…

Seltsam schlingernder Weg durch das Stück

Seltsam schlingernd führt der Weg in Dortmund durch das Stück. Mal treten die Personen recht polterig und maulend auf, dann wieder etwas steifbeinig, zögerlich und verdruckst. Daran ändern auch die gelegentlich vollführten Revueschritte, Sinnbild der Leichtfertigkeit, wenig: Überblick, Formsinn und Eleganz sind nicht gerade die Tugenden dieser Inszenierung, wohl aber im einzelnen eine sympathische Engelsgeduld mit den Figuren, die Platz und Zeit bekommen, sich zu entfalten, wenngleich der Ertrag an Zwischentönen diesem liebevollen Zuwarten nicht durchweg entspricht.

In jenenTraumszenen, in die Loman unversehens hineingleitet und in denen seine Söhne plötzlich wieder als Kinder in kurzen Hosen hemmtollen, wird ziemlich hohl und haltlos gealbert. Da wird etwas zuschanden, was zuvor sensibel errichtet wurde.

Die Tragik als Familiensyndrom

Andere Passagen wiederum, so etwa Lomans hoffnungsloser Besuch beim Chef Howard (Thomas Gumpert), besitzen starke Binnenspannung, da sitzt jedes Wort wie ein Pfeil. Auch das Schweigen ist dann kein bloßes Stummsein, sondern beredt und schmerzlich aufgeladen mit Bedeutung. Und Felicitas Wolff als Lomans Ehefrau Linda hat intensive Momente als Ikone der Duldsamkeit. Überhaupt wird klar ausgeleuchtet, daß sich die Tragik nicht auf Willy Loman beschränkt, sondern als Familiensyndrom alle erfaßt.

Ein paar sentimentale Weitschweifigkeiten hat man dem Text (hier in der Kino-Übersetzung von Volker Schlöndorff) ausgebtrieben. Dennoch bleibt das Unterfangen insgesamt zu brav und behutsam. Vielleicht hat der junge Regisseur denn doch zuviel Respekt. Produktiv zergliedert oder gestülpt hat er das Stück an keiner Stelle. So bleibt in Dortmund abermals der Eindruck einer soliden, aber nicht wirklich aufregenden Theaterarbeit.

Termine: 29. Jan., 13. und 14. Feb.




Im Räderwerk der Korruption – Stefan Zweigs „Volpone“ nach Ben Jonson im Dortmunder Schauspiel

Von Bernd Berke

Dortmund. Schöne Frucht der Vergeßlichkeit: Als Stefan Zweig 1927 Urlaub in Südfrankreich machte, wollte er den „Volpone“ des Ben Jonson (1572-1637) übersetzen. Doch die englische Originalausgabe fehlte im Gepäck. Zweig machte sich an eine freie Nachdichtung – und so haben wir im Deutschen eine gar muntere Commedia über die Folgen der Habsucht. Die Rarität ist jetzt im Dortmunder Theater zu besichtigen.

„Eine lieblose Komödie“ nennt Zweig seine Bearbeitung von „Ben Jonsons Volpone“. Lieblos, weil keine glücklichen Paare sich finden – und weil sich eh alles um Neid und Gier dreht. In Volpones Villa (sparsam effektive Bühnenbilder: Thomas Gabriel) sind die Wände gülden, sie triefen aber, als klebe das Blut der Ausgeplünderten daran.

Volpone ist ledig, kinderlos und reich. Er hörtet etliches Gold und Zechinen in seiner Truhe. Und er macht sich einen Hauptspaß daraus, den Todkranken zu mimen. Denn so lockt er allerlei Erbschleicher an, die – nach einem günstigen Testament lechzend –Vorleistungen in Form von Gaben und „Freundschafts“-Diensten erbringen. Treten sie an sein vermeintliches Sterbelager, stöhnt und zittert Volpone sich was zurecht, sind sie fort, so springt er auf und freut sich, die Trottel genasführt zu haben.

Claus Dieter Clausnitzer als Volpone (zu Deutsch: „Fuchs“) zeigt sehr prägnant das barocke Behagen in solcher Bosheit, aber auch das als baldige Umspringen in erneuten Unmut. Seine Freude am gelungenen Betrug währt nie lang. Wie die anderen immer unverschämter nach seinem Besitz grapschen, so drängt seine Sucht, sie allesamt zu düpieren, ins immer Größere und Gröbere – und er zwingt seinen Diener Mosca, stets neue Teufeleien ins Werk zu setzen. Bis das Ganze gerichtsnotorisch wird.

Es ist, als lasse Clausnitzer andeutungsweise auch andere Rollen durchscheinen: Brechts sinnlichen „Galileo Galilei“ und – eingedenk der Fremdheit des reichen Levantiners Volpone in Venedig – wohl auch Shakespeares jüdischen Kaufmann von Venedig, den „Shylock“. So vielschichtig und so hintergründig kann man also den Volpone anlegen.

Rundherum genießt man süffige Typen-Komödie (Regie: Alexander Seer). Die Erbschleicher tragen Tiernamen des Fabelreichs und sind doch kenntliche Gesellen: Winkeladvokat Voltore („Geier“, Günter Burchert) zuckt wie eine mechanische Marionette seiner Gier. Der in eine braune Strickjacke gezwängte, in gelben Schuhen watschelnde Kaufmann und eifersüchtige Haustyrann Corvino („Rabe“, Jürgen Uter), der klapprige alte Wucherer Corbaccio („Habicht“, Andreas Weissert) sowie die verhurte, breitmäulig-ordinäre Canina („Kaninchen“, Felicitas Wolff) entstammen gleichfalls dem Kabinett drastischer Komik.

Mosca („Schmeißfliege“, Jörg Ratjen), beweglichste Figur, muß lediglich an den richtigen Strippen ziehen, schon sind diese Leute bereit, ihre Kinder und Frauen für Mammon zu opfern: „Corbaccios Sproß Leone („Löwe“, Thomas Klenk) wird flugs enterbt, Corvinos tugendsame Gattin Colomba („Taube“, Stephanie Japp) dem Volpone als Gunstbeweis zugeführt. Der Mensch – ein berechenbares Räderwerk der Korruption.

Schön herausgearbeitet sind die Rollen-Details. Auch wer gerade nicht spricht, spielt seinen Part gestisch konzentriert weiter. Aufschlußreich die Legierungen der Gefühle, wenn etwa Volpone mitten im Husten lachen muß oder bei Corbaccio der Hang zum Golde und die Geilheit ineins fallen, als er ein kostbares Geschmeide am Busen Caninas erblickt. Pralles Theater, prächtiger Beifall.

Termine: 6., 7., 15. und 16. Februar, jeweils 19.30 Uhr. Karten: (0231) 16 30 41.




Bitteres Märchen zwischen Kloake und Herrgottswinkel – Werner Schwabs „Die Präsidentinnen“ in Dortmund

Von Bernd Berke

Dortmund. „Bis zu den Achselhaaren“ langt das Mariedl in die Kloschüsseln hinein. Verstopfungen zu beseitigen, das ist ihr dreckiger Job. Sie ist mächtig stolz, daß sie alles ohne Gummihandschuhe erledigt.

Menschen mit niedriger Ekelschwelle werden in Werner Schwabs Stück „Die Präsidentinnen“ öfter ein würgendes Gefühl in der Kehle spüren. Der Text suhlt sich in Fäkalien. Und er schraubt seine absonderlichen Ferkeleien, wie beim früh verstorbenen Fließbandschreiber Schwab (1958-1994) üblich, mit gedrechselten Formulierungen ins Existentielle hoch. Aber es sind doch nur Worte, Worte, Worte. Völlig synthetisch und daher im Grunde klinisch sauber.

In Dortmund, wo Johannes Zametzer inszeniert, spielt das Ganze dennoch im dunklen Keller der Armut – vor einer Kohlenhalde und Haufen schmutziger Wäsche (Ausstattung: Tobias Wartenberg).

Gegen die drei Personen (neben besagter Mariedl die vereinsamten Rentnerinnen Grete und Erna) ist das Hexentrio aus Shakespeares „Macbeth“ ein harmloses Kränzchen. Hier salbadern Figuren aus einem bitterbösen Märchen, debile und aufgedunsene Verzweiflungs-Clowns, die zumal den analen Kern handelsüblicher Volkstümelei (wenn Hosen rutschen und gebrunzt wird, gilt das allemal als Brüllwitz) in lauter Redespiralen umkreisen. Diese Sprache rotiert so besinnungslos wie die Waschmaschinentrommel auf der Bühne.

Fatale Fixierung aufs Hinterteil

Von Psychologen haben wir gelernt, daß allzu spezielle Fixierung auf den Hintern und seine Funktionen mit seelischer Verstopfung und Autoritätshörigkeit zu tun haben kann. Triviale Träume, die aus des armseligen Dasein herausführen sollen, und die Frömmelei eines verklemmten Katholizismus österreichisch-süddeutscher Spielart sind denn auch weitere Zutaten zur elend komischen Mixtur zwischen Kloake und Herrgottswinkel.

Man muß solch einen Text wohl nur zügig abschnurren lassen, dann setzt er schon frei, was in ihm steckt. Und man kann ihm ohne großen Schaden inszenatorisch so manches überstülpen – zwischen Anklängen an Thomas Bernhard, Beckett, Kroetz und Komödienstadl ist einiges möglich. Regisseur Zametzer baut vornehmlich auf Wahnwitz und Groteske, hinter denen man schaudernd die Abgründe ahnt.

In Dortmund läßt man das Stück nicht als Nebensache hingehen, sondern bietet das vielleicht beste Frauentrio des Hauses auf: Barbara Blümel als bigotte Betschwester Erna mit der schrillen Pelzkappe, die die keusche Liebe des gottesfürchtigen polnischen Fleischers „Wottila“ (!) herbeiphantasiert; Helga Uthmann als breitärschig-selbstgefällige Grete mit Turmfrisur und derben Sexualphantasien. Und Felicitas Wolf als von Pusteln und Kratzspuren übersäte Klo-Reinigerin Mariedl.

Mit ihrem teuflisch lieblichen Herz-Jesulein-Tonfall zerrt Mariedl am Ende all die Sehnsüchte der anderen zur nackten Wahrheit herab. In wilder Rache schneiden ihr die beiden die Zunge heraus. Die ungeschönte Wirklichkeit ist eben manchmal schwerer zu ertragen als ein stinkender Abort.