Lungern und hecheln – „Journalismus“, der entgeistert

Bei manchen Journalist*innen herrscht immer Alarmstufe Rot. (Foto: BB)

Manchmal kann einem dieses ganze journalistische Gewerbe, kann einem der ganze (kommerzielle) Medienbetrieb schwerstens auf den Senkel gehen.

Da ist beispielsweise der Lungerjournalismus in Gestalt von Kolleg*innen („man“ soll ja füglich gendern), die stundenlang auf Fluren herumhängen, um wenigstens einen einzigen knackigen Satz aus dem Munde hochwichtiger Polit-Darsteller*innen einzufangen. Ein paar Stunden später ist dies entweder der Talkshow-Aufreger No. 255 oder halt schon das Geschwätz von gestern. Solche Warte-Jobs mögen teilweise gut bezahlt sein, aber ach: Wie öde sind sie doch! Wenn sie sich nach einem solchen Tag ehrlich selbst befragen würden („Was hast du heute bewirkt?“), wie müsste die Antwort dann wohl lauten?

Twitter schlägt Tagesschau

Auch weiß man gar nicht mehr, worauf sich speziell die Fernsehleute so mächtig viel einbilden. Das Fernsehen hat sich als lineares, an Sendezeiten gebundenes Programmzeitschriften-Medium weitgehend erledigt, auf gewissen Kanälen werden die vielfach kläglichen Bildchen-Häppchen nur noch für Senioren versendet. Derweil heimsen YouTuber, TikToker, Influencerinnen und derlei hippes Völkchen mit fortwährender Selbstdarstellung die wahren Quoten und Followerzahlen ein. Manche Tweets haben mehr Zugriffe als die „Tagesschau“ um 20 Uhr, die früher einmal als Maß der Dinge gegolten hat. Und unversehens rückt der Hörfunk in Form von teilweise sehr intelligenten Podcasts wieder nach vorn, während auf mancher Radiowelle der eine oder andere Kulturabbau betrieben wird. Alles im Dienste der Quote, versteht sich.

…und immer nackt

Eine weiteres Phänomen, längst nicht nur bei den Boulevardblättern, könnte man Hecheljournalismus nennen. Den gab’s immer schon, doch er hat sich bis zum Wahnwitz beschleunigt und gesteigert. Da wird versucht, immerzu die Aufregung am Kochen und Brodeln zu halten. Da ist es immer mindestens „fünf nach zwölf“. Unverkennbare Signale sind Formulierungen wie „Die Lage spitzt sich zu“, „Pandemie (oder was auch immer) und kein Ende“, „…nur die Spitze des Eisbergs“, „Das Netz erregt sich über…“, „Wirbel um…“ Was einst Wetterbericht gewesen ist, kommt nun als ständiger Katastrophen-Alarm daher – mit Angstwörtern wie „Russenpeitsche“ und „Blutregen“.

In den Boulevard-Produkten geht’s nur noch im Sex-, Gewalt-, Panik- oder Streit-Modus zur Sache (nein: weit an der Sache vorbei), da herrschen ständig Zoff, Beef, Randale und dergleichen, man fetzt sich unentwegt. Sagt jemand ein, zwei kritische Sätzchen, heißt es gleich: „er ledert“, „er nagelt“, „geht auf jemanden los“. So so gut wie alles ist „Chaos“, „Wahnsinn“, „irre“, „der Hammer“, ist ein „Beben“ oder „Erdrutsch“, ist „Mega“. Dazu nach Belieben Schüsse oder Stiche. Und immer nackt.




Krimi-Kult am Sonntag: Vor 50 Jahren wurde der erste „Tatort“ gesendet – Jubiläums-Doppelfolge aus Dortmund und München

Heute, 29. November, um 20.15 Uhr (und danach in der Mediathek) zu sehen: erster Teil der Jubiläums-Doppelfolge mit den „Tatort“-Teams aus Dortmund und München – hier eine Szene mit (v. li.) Peter Faber (Jörg Hartmann), Ivo Batic (Miroslav Nemec), Nora Dalay (Aylin Tezel) und Franz Leitmayr (Udo Wachveitl). (Bild: WDR / Frank Dicks)

Der 29. November 1970 sollte in die Fernsehgeschichte eingehen – aber das war damals noch alles andere als klar.

Die Idee des Fernsehredakteurs Gunther Witte, eine gemeinsame Krimi-Reihe der ARD-Fernsehanstalten unter dem Titel „Tatort“ zu produzieren, stieß zunächst auf wenig Interesse. Als das Projekt schließlich doch genehmigt wurde, war die Zeit zu knapp, um die ersten Folgen zu produzieren. Der Auftakt der Serie, „Taxi nach Leipzig“, war daher ein vom NDR bereits fertiggestellter Film.

Der frühere WDR-Fernsehspielchef und Tatort-Erfinder Gunther Witte beim Fototermin anlässlich des Jubiläums „40 Jahre Tatort“ 2010 in Hamburg vor dem Logo der meistgesehenen Krimireihe im deutschen Fernsehen. (Bild: ARD/Thorsten Jander)

Darin ermittelt Hauptkommissar Paul Trimmel aus Hamburg in einem deutsch-deutschen Mordfall. Der Schauspieler Walter Richter verkörpert den cholerischen Einzelkämpfer, bei dem Zigaretten und Cognac stets in Reichweite waren, zwischen 1970 und 1982 in elf „Tatort“-Folgen.

Der erste eigens für die Serie produzierte Film war „Kressin und der tote Mann im Fleet“ mit Sieghardt Rupp als Zollfahnder Kressin, ausgestrahlt am 10. Januar 1971.

Ein Straßenfeger der Siebziger

Schon bald zeigten die Zuschauerquoten, dass Wittes Konzept aufgehen sollte: markante Typen als Ermittler im Mittelpunkt der jeweiligen Folgen, realitätsnahe Fälle, regionale Verankerung im Sendegebiet der beteiligten Anstalten und ausgeprägtes Lokalkolorit. In den siebziger Jahren war der „Tatort“ mit seinem bis heute kaum veränderten Vorspann und seiner Titelmelodie von Klaus Doldinger ein „Straßenfeger“. Bis zu 25 Millionen Zuschauer saßen am Sonntagabend vor der Mattscheibe. Der Stuttgart-Krimi „Rot – rot – tot“ mit Curd Jürgens in einer Hauptrolle belegt den bisher nicht mehr erreichten Spitzenplatz: Am 1. Januar 1978 fieberten 26,57 Millionen Zuschauern mit, ob Kommissar Lutz (Werner Schumacher) die vermeintliche Mordserie an rothaarigen Frauen aufklären könne.

Nach Einführung des Privatfernsehens Mitte der achtziger Jahre sanken die Einschaltquoten. Dennoch gehört der „Tatort“ nach wie vor zu den meistgesehenen Fernsehserien in Deutschland. Zwischen sieben und über dreizehn Millionen Zuschauer werden pro Folge erreicht. „Fangschuss“ mit dem Ermittlerteam aus Münster erzielte 2017 mit 14,56 Millionen das beste Ergebnis seit 1992, als die Hamburger Episode „Stoevers Fall“ 15,86 Millionen Menschen vor die Flimmerkiste lockte.

Dortmund, Duisburg, Essen

Derzeit sind für den „Tatort“ 21 Teams sowie die beiden Einzelgänger Felix Murot in Wiesbaden (Ulrich Tukur) und Ellen Berlinger in Mainz und Freiburg (Heike Makatsch) in den Abgründen der Kriminalität unterwegs: Falke (Wotan Wilke Möhring) und Grosz (Franziska Weisz) haben seit 2016 das norddeutsche Revier rund um Hamburg übernommen; in München traten Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) das Erbe des Ur-Kommisars Melchior Veigl (Gustl Bayrhammer) an, der 1972 seinen Einstand mit „Münchner Kindl“ gegeben hatte.

In Dortmund bewegen sich Jörg Hartmann als psychisch belasteter Hauptkommissar Peter Faber, Anna Schudt als seine Kollegin Martina Böhnisch, die junge, ehrgeizige Nora Dalay (Aylin Tezel) und der Neuling Jan Pawlak (Rick Okon) in den Spuren der legendären Ruhrgebiets-Kommissare Horst Schimanski (Götz George) in Duisburg und Heinz Haferkamp (Hansjörg Felmy) in Essen – beide gehören zu den beliebtesten Kommissaren der „Tatort“-Serie.

Der WDR lädt anlässlich des 50. „Tatort“-Geburtstags zum Wiedersehen mit Kult-Kommissar Horst Schimanski. Links Thanner und Schimanski (Eberhard Feik und Götz George) im unbearbeiteten Original der Folge „Duisburg-Ruhrort“, rechts die restaurierte und colorierte Nachbearbeitung in HD. (Bild: WDR/Bavaria/ D-Facto Motion)

Felmy wies in einem Interview darauf hin, dass bereits in der Figurenentwicklung versucht worden sei, Haferkamp ein bisschen persönlichen Background zu geben, damit der Kommissar für die Zuschauer nicht allein als Ermittler, sondern als Mensch interessant würde. Seine Vorliebe für Frikadellen habe er sich selbst ausgedacht. Sie mache die Figur „einfach liebenswerter, lebenswerter, menschlicher“. In 20 Fällen führte Haferkamp zwischen 1974 und 1980 ins damals noch typische Ruhrgebiets-Essen.

Die Schimanski-Folgen sind schon zur Zeit ihrer Erstausstrahlung Kult gewesen: Götz Georges unvorschriftsmäßige Eskapaden, seine rüde Sprache und seine Wutausbrüche, seine sensibel-nachdenklichen Momente und sein unwiderstehliches Lächeln, wenn er es mit einer schönen Frau zu tun bekommt, sind genauso legendär geworden wie die Schwerindustrie-Kulisse des Duisburg der frühen achtziger Jahre. Nicht zu vergessen Eberhard Feik als Christian Thanner, der so einige der chaotischen Aktionen von „Schimi“ wieder zurechtrückt.

Frauen als Ermittlerinnen gibt es übrigens erst seit 1978, als Nicole Heesters als Kommissarin Buchmüller in Mainz – für nur drei Fälle – ihre Arbeit aufnahm. Bis heute mit von der Partie ist Ulrike Folkerts als Lena Odenthal, die für ihr Debüt als „Die Neue“ am 29. Oktober 1989 in Ludwigshafen ihren Dienst angetreten hat. Heute gibt es nur noch fünf männliche Teams und – in Wiesbaden – Ulrich Tukur als Einzelkämpfer Felix Murot.

Kommissare als Persönlichkeiten

Das bisher jüngste Team hat im April 2020 einen der Ur-Schauplätze des „Tatort“ übernommen: Adam Schürk (Daniel Sträßer) und Leo Hölzer (Vladimir Burlakov) haben in Saarbrücken in „Das fleißige Lieschen“ lange zurückreichende Verstrickungen entwirrt. Auch sie lassen die Zuschauer an ihrer persönlichen Geschichte und ihren individuellen Prägungen teilhaben – ein Konzept, das wohl für den anhaltenden Erfolg der Serie mitentscheidend ist: Das Interesse reicht über die Psychologie von Täterfiguren und ihre Beziehungsgeflechte hinaus. Die Kommissare rücken als Persönlichkeiten in den Mittelpunkt. Die Zuschauer kommen ihnen nahe, können ihre innere Entwicklung, ihre Probleme und Macken, ihre Stärken und Schwächen miterleben.

Aus der Schimanski-Folge „Schicht im Schacht“ von 2008: Noch am Tatort befragen Hunger (Julian Weigend, l.) und Hänschen (Chiem van Houweninge, m.) Heinz Budarek (Walter Gontermann, r.), ob er etwas gesehen hat. (Bild: WDR/Uwe Stratmann)

Die heftigen Diskussionen über die einzelnen „Tatort“-Folgen auf social-media-Kanälen wie Facebook und Twitter oder Internetseiten wie www.tatort-fans.de oder www.tatort-fundus.de zeugen davon, wie die wöchentlichen Krimis auch nach 1146 Folgen die Gemüter ihrer Fans bewegen. Die ARD hat zu „50 Jahre Tatort“ eigene Internet-Seiten erstellt und im Sommer ein Voting in elf Runden veranstaltet. 1.168.000 Stimmen wurden abgegeben, um den Lieblings-„Tatort“ zu wählen. 50 Fälle standen zur Wahl; unter den Gewinnern waren die Dortmund-Folgen „Tollwut“ (2018) und „Kollaps“ (2015).

Das Dortmunder Team hat auch die Ehre, die Jubiläums-Produktion gemeinsam mit den Münchner Ermittlern zu bestreiten: In dem zweiteiligen „Tatort“ geht es um eine italienische Familien-Pizzeria in Dortmund, einen Mörder aus München, Kokain-Geschäfte und die mafiöse „‘Ndrangheta“. Die erste Folge wird am heutigen Sonntag, 29. November um 20.15 Uhr in der ARD ausgestrahlt, die zweite am 6. Dezember. In der ARD-Mediathek sind die Filme dann noch sechs Monate lang abrufbar.

Der WDR bringt übrigens die 29 „Schimanski“-Folgen 2020 und 2021 zurück ins Fernsehen. Schon jetzt sind in der Mediathek elf Folgen verfügbar, der Klassiker „Duisburg Ruhrort“ allerdings nur noch für fünf Tage.




Streckenbilanz, Realformation, Torwahrscheinlichkeit – ein paar Mitteilungen über den Fernseh-Fußball der Jetztzeit

Irgendwo da draußen im Lande: ein Fußballtor im Grünen. (Foto: Bernd Berke)

Wie oft hat man sich schon über Fußballkommentatoren aufregen müssen. Man ist ja schließlich kundig und objektiv – die professionellen Schwätzer*innen hingegen…

Wünschte man sich nicht manchmal, es säßen oder stünden Roboter am Mikro, desgleichen vor den Kameras? Doch nein. So unterkühlt hätte man’s auch nicht gern. Aber nochmals halt! Wahrscheinlich ist es längst kein Problem mehr, etwaigen Kommentar-Robotern gezielt und dosiert Emotionen beizubringen, in Mischungen nach Wunsch.

Die Künstliche Intelligenz, das hat sich schon vielfach gezeigt, beherrscht die nicht allzu ausufernde Fachsprache des Fußballsports recht schnell und perfekt. Vom korrekten Registrieren der Ergebnisse ganz zu schweigen. Ja, inzwischen ist die Entwicklung so weit, dass auch schon beachtliche Feuilleton-Texte generiert werden können. Wahrscheinlich muss man vorher nur oft genug Worte wie opak, verstörend oder Narrativ hochladen, dann wird das schon.

Doch zurück zum Fußball. Schon seit Jahren werden Fernsehübertragungen immer mehr mit Statistiken vollgepfropft, bis hinab zur Ebene des einzelnen Spielers, der z. B. am 5. November vor genau vier Jahren sein letztes Fallrückzieher-Tor erzielt oder ein elfmeterreifes, aber ungeahndetes Foul begangen habe, woraufhin… Regelrechte Absurditäten werden in den Datenbanken festgehalten – und nimmermehr gelöscht. Jetzt schleppen sie das ganze Zeug mit sich rum. Allerlei Transfergerüchte werden gelegentlich hechelnd mitgeliefert.

Ungewissheit sorgt für Gesprächsstoff

Vor allem aber ist die TV-Berichterstattung über Fußball immer mehr mit scheinbar fehlerlosen Kontroll-Techniken unterfüttert worden. Ausgeklügelte Torlinienberechnungen wären zu nennen, mit deren Hilfe es anno 1966 nie zum legendären „Tor von Wembley“ gekommen wäre. Nicht auszudenken. Generationen von Männern hätten des Gesprächsstoffs ermangelt und betrübt in ihr Bier geblickt, wenn nicht still ins Glas geweint. Dieses flaue Gefühl sorgt auch dafür, dass Videoassistenten (VAR) die wohl ungeliebtesten Protagonisten im Umfeld des Sports sind. Sie haben einem schon so manches Tor verhagelt, das man bereits bejubelt hatte. Zuweilen haben sie’s erst nach Minuten des Hoffens und Bangens versaubeutelt.

Die Messung der Schussgeschwindigkeit (wie schnell ist der Ball geflogen?) ist ein vergleichsweise alter Hut. Etwas neueren Datum sind Streckenberechnungen: Wie viele Kilometer hat ein bestimmter Spieler oder ein ganzes Team auf dem Rasen zurückgelegt? Waren es bei einem Kicker nur 8 und nicht 10 Kilometer in rund 90 Minuten, so ist der heimische Sesselhocker geneigt, ihn als „Stehgeiger“ zu bezeichnen. Etwas Respekt nötigt ihm zwischen zwei Pils höchstens die gleichfalls verzeichnete Sprint-Höchstgeschwindigkeit beim Match ab, die auch schon mal mehr als 34 km/h beträgt. Da ist man doch zum Kühlschrank eher etwas langsamer unterwegs. Ansonsten gleicht man als Zuschauer jenen Spielern, die sich in letzter Zeit bei gegnerischen Freistößen öfter mal hinter die eigene „Mauer“ auf den Rasen legen, damit bodennah „nichts durchkommt“.

Relativ neu ist die Visualisierung der sogenannten Realformation, die nichts mit Real Madrid zu tun hat. Nein, hierbei geht’s darum, wo die einzelnen (schematisch durch ihre Rückennummern repräsentierten) Spieler sich „im Durchschnitt“ der bisherigen Spielzeit aufgehalten bzw. bewegt haben, nämlich fast niemals lupenrein in taktischen Aufstellungsrastern wie 4 – 2 – 4, 3 – 4 – 2 – 1 oder dergleichen. Und siehe da: Eine Elf, die das Spiel überlegen gestaltet, steht insgesamt weiter vorn, die gegnerische hingegen näher am eigenen Tor. Wer hätte das früher gedacht, als es diese stupide, Verzeihung: stupende Zahlenverschiebung noch nicht gegeben hat? Wie haben wir Fußball überhaupt verstehen und genießen können – ohne solche Informationen? Damals hat man einfach darüber geredet, heute heißt das „Analyse“.

Nun hört man ihre Zurufe beim Spiel

Manche TV-Sprecher scheinen in einem Punkt geradezu dankbar für „Geisterspiele“ in Corona-Zeiten zu sein. Seither hören sie nämlich, was Trainer und Spieler während der Partien rufen. Daraus hat sich quasi schon ein eigenes Genre der zusätzlichen Spieldeutung ergeben. Die Wochenzeitung „Die Zeit“ hat vor einigen Wochen gar mehrere Seiten freigeräumt, um die zahllosen Zurufe während eines ganzen Spiels (Bayern München – Borussia Dortmund) wortwörtlich wiederzugeben. Das machen sie sonst allenfalls für Essays vom Kaliber Jürgen Habermas.

Und noch eine Novität: Neuerdings wird nach Toren eingeblendet, mit wieviel Prozent Wahrscheinlichkeit dieser Treffer gefallen sei. Damit wir uns richtig verstehen: Er ist hundertprozentig gefallen, aber ist es in genau dieser oder datenbankmäßig vergleichbarer Situation wahrscheinlich gewesen – und falls ja, w i e wahrscheinlich? Zu 13 oder zu 43 Prozent? Auf so einen Humbug muss man erst einmal kommen. Nun warten wir noch auf die einsteinsche Rechenformel zu den „Unhaltbaren“, die ein richtig guter Torhüter dann und wann denn doch hält.

Aber im Grunde sehnt  man sich nach echt abgeklärten Typen wie dem BVB-Altvorderen Adi Preißler zurück, der die ewige Weisheit geprägt hat: „Grau ist alle Theorie – entscheidend ist auf’m Platz.“




TV-Nostalgie (38): Mehr Zeit für Rückblicke – zum Beispiel auf die grandiosen Fernseh-Interviews von Günter Gaus

Der vielfach als „Studentenführer“ apostrophierte Rudi Dutschke 1967 als Gegenüber von Günter Gaus. (Screenshot aus: https://www.youtube.com/watch?v=U6X-ZeYC54E)

In den ungeheuren Weiten von YouTube verbirgt sich, bei Wohn- oder Arbeitszimmer-Licht betrachtet, (zu leider sehr geringen Teilen) auch eine famose „Volkshochschule“, die eigentlich einen eigenen Namen verdient hätte. So denke ich gelegentlich. So dachte ich nun wieder, als ich – beispielsweise – zunächst auf ein ausführliches Feature über die politische Rivalität zwischen Franz Josef Strauß (CSU) und Herbert Wehner (SPD) stieß, nach deren markanter Politik-(Darstellung) sich heute manche zurücksehnen. Es war lediglich ein Ausgangspunkt.

Da nun einmal jetzt mehr Zeit für derlei virtuelle Expeditionen ist, hangelte ich mich sodann weiter zu jenen grandiosen Interviews aus den frühen Jahren des bundesrepublikanischen Fernsehens, wie sie zumal von Günter Gaus („Zur Person“, „Zu Protokoll“) geführt worden sind. Welch eine zeitgeschichtliche und mediengeschichtliche Fundgrube! Was Fernsehen damals sich zutraute und was es zu allerbesten Sendezeiten vermochte! Wie konzentriert es dabei zuging und noch dazu sprachlich so ausgefeilt.

Trat mit Zigarre an: Franz Josef Strauß 1964 als Gast von Günter Gaus. (Screenshot aus: https://www.youtube.com/watch?v=OwGTvGIdEJQ)

Um allein bei Gaus zu bleiben: Er hat nicht nur besagten Franz Josef Strauß (1964) einvernommen und dabei dessen ebenso bullige wie schillernde Wesensart hervortreten lassen, sondern etwa auch Rudi Dutschke 1967 mit höchst unangenehmen Fragen konfrontiert. Er hat einen ebenso intensiven Dialog mit der Philosophin Hannah Arendt geführt wie mit dem Historiker Golo Mann oder dem Theatermenschen Gustaf Gründgens. Die gesamte damalige Polit-Prominenz hat Gaus seinerzeit gegenüber gesessen – von Ludwig Erhard (1963) über Willy Brandt, Herbert Wehner (beide 1964) und Konrad Adenauer (1965) bis Helmut Schmidt (1966).

Es waren prägende Jahre der Republik, in denen Weichen auf Jahrzehnte hinaus gestellt wurden. Und es sind Zeitdokumente sondergleichen, thematisch wie persönlich sehr verdichtet und – dazu passend – noch in konturstarkem Schwarzweiß. Die rund einstündigen Sendungen haben spürbaren Atem, es sind nicht so aufgeregte, angeblich „emotionale“ Zuspitzungen wie heute. Die Protagonisten erscheinen für die Dauer der Interviews wie aus ihrem sonstigen Umfeld herausgelöst oder herauspräpariert, gleichsam „auf sich gestellt“ und geradezu plastisch präsent. Natürlich konnte auch Gaus ihnen nicht alles entlocken. Aber man kann sich anschließend eine deutlichere Vorstellung von ihnen machen. Und das ist viel.

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Themen der vorherigen Folgen:

“Tatort” mit “Schimanski” (1), “Monaco Franze” (2), “Einer wird gewinnen” mit Hans-Joachim Kulenkampff (3), “Raumpatrouille” (4), “Liebling Kreuzberg” mit Manfred Krug (5), “Der Kommissar” mit Erik Ode (6), “Beat Club” mit Uschi Nerke (7), “Mit Schirm, Charme und Melone” (8), “Bonanza” (9), “Fury” (10).

Loriot (11), “Kir Royal” (12), “Stahlnetz” (13), “Kojak” (14), “Was bin ich?” (15), Dieter Hildebrandt (16), “Wünsch Dir was” (17), Ernst Huberty (18), Werner Höfers “Frühschoppen” (19), Peter Frankenfeld (20).

“Columbo” mit Peter Falk (21), “Ein Herz und eine Seele” (22), Dieter Kürten in “Das aktuelle Sportstudio” (23), “Der große Bellheim” (24), “Am laufenden Band” mit Rudi Carrell (25), “Dalli Dalli” mit Hans Rosenthal (26), “Auf der Flucht” (27), “Der goldene Schuß” mit Lou van Burg (28), Ohnsorg-Theater (29), HB-Männchen (30).

“Lassie” (31), “Ein Platz für Tiere” mit Bernhard Grzimek (32), „Wetten, dass…?“ mit Frank Elstner (33), Fernsehkoch Clemens Wilmenrod (34), Talkshow „Je später der Abend“ (35), „Stromberg“ (36), „Nachlese zur Internationalen Automobil-Ausstellung von 1963“ (37)

Und das meistens passende Motto:
“Man braucht zum Neuen, das überall an einem zerrt, viele alte Gegengewichte.” (Elias Canetti)




Lupenreine Demokratie gegen Pharaonen – ein bescheuerter Fußball-Kommentar zum Afrika-Cup

Warum müssen manche Fußball-Kommentatoren solche Kleingeister sein? Heute Abend war wieder ein Stratege zugange. Zufällig bin ich beim Sender DAZN für eine halbe Stunde in die Fußballpartie Ägypten – Kongo geraten, eine Begegnung im Rahmen des Afrika-Cups, als Kontinental-Meisterschaft in etwa vergleichbar der EM. Also keine Kreisklasse.

Screenshot aus dem erwähnten Spiel. (© DAZN)

Screenshot aus dem erwähnten Spiel. (© DAZN)

Okay, beim Fernsehen kommt es vielfach eh in erster Linie auf Antennen fürs Populäre und auf ausgeprägten Sinn für nette Bildchen an. Auch versendet sich dieses oder jenes Gefasel ohne Rücksicht auf Rechtschreibung. Allenfalls stört manche falsche Aussprache. Ich sage nur „Emm-Bappee“ (so behämmert klingt gar häufig der Name Mbappé).

Doch ich verplaudere mich. Zurück zum besagten Spiel. Der deutsche Kommentator entblödet sich nicht, ungefähr in jedem dritten Satz zu betonen, dass hier die Demokratische Republik Kongo auf dem Platz stehe. Und immer wieder: „Demokratische Republik“. Auch ohne den Kongo-Zusatz: „Die demokratische Republik…“ Du meine Zeit, was muss das für eine vorbildliche, lupenreine Demokratie sein! Ja, denkste! Schon ein flüchtiger Blick auf den weltweiten Demokratie-Index von 2018 hätte den Sprecher eines Schlechteren belehren können. Da steht das Land auf Platz 165 von insgesamt 167. Dahinter folgen nur noch Syrien und Nordkorea…

Wenn man weiß, dass man ein solches Spiel zu kommentieren hat, zieht man doch vorher möglichst ein paar grundlegende Erkundigungen ein. Oder man hält sich verbal geflissentlich zurück. Aber nein! Da wird drauflos geredet, dass die Schwarte kracht. Und es reicht wieder mal nur für ein paar gewichtig hervorgepresste Spielernamen, für dumpfes 1:0-Gelaber und für bestürzend dümmliche Bezeichnungen wie „die Pharaonen“ für die ägyptische Mannschaft.

Damit wir uns recht verstehen. Gerade bei DAZN hatte ich oft einen etwas besseren Eindruck von der Sprechergilde. Besonders, wenn sie dort zu zweit kommentieren, ist es zuweilen ganz erträglich – auch verglichen mit „Sky“ oder ARD, ZDF und RTL (wenn die denn mal was übertragen dürfen).

Heute aber saß der Bursche am Mikro, dessen Namen zu eruieren mir nicht lohnend erscheint. Er brachte solche abenteuerlichen Satzfolgen wie jene (über einen aus der Mannschaft geworfenen Spieler) zustande. Sinngemäß: „Er soll mehrere Frauen belästigt haben. Das sieht man bei seinem Verband natürlich nicht gerne. Was man gerne sieht, sind Torchancen…“




Stand jetzt ziemlich „humorlos“ – Notizen zum TV-Fußballjargon

Über die gängigen Floskeln der Fußball-Kommentatoren im Fernsehen kann man sich – je nach Laune – immer wieder amüsieren oder echauffieren. Hier sind ein paar neuere Standard-Wendungen, die ich mir in letzter Zeit geflissentlich notiert habe:

"Der hat ein anderes Spiel gesehen als ich." (Verfremdeter Screenshot aus dem Dortmunder Stadion)

„Der Blindfisch hat ein anderes Spiel gesehen als ich.“ (Verfremdeter Screenshot einer Begegnung im Dortmunder Stadion)

Gilt es ein Foul zu bewerten, heißt es vom Reporterplatz aus gern: „Da gibt es keine zwei Meinungen“. Diese Verfügung im nahezu diktatorischen, jedenfalls keinen Widerspruch duldenden Gestus bedeutet, dass der Kommentator genau und unwiderleglich weiß, ob es regelwidrig zugegangen ist oder nicht. Könnte der Schiedsrichter ebenfalls Zeitlupen aus einem Dutzend Blickwinkeln begutachten, wäre er vielleicht ebenso oberschlau. Wenn’s denn überhaupt stimmt, was der rundum bildversorgte Fernsehmann gesehen haben will.

„Mit allem, was er hat“

Ein kompromissloser Abwehrspieler wird seit einigen Jahren bevorzugt als „humorlos“ bezeichnet. Auch seine entschlossene Grätsche ist „humorlos“. Wer also Mist baut und dem Gegner dadurch unnötige Chancen gestattet, besäße im Umkehrschluss beträchtlichen Humor. Wat hammwer da gelacht! Apropos Abwehrspieler, einige Kommentatoren gefallen sich öfter mal in der erlesenen Formulierung, einer gehe „mit allem, was er hat“ in die Szene `rein. Das muss man sich im Vortrag mit einem ganz leicht gekräuselten Grinsen vorstellen. Wie denn überhaupt weichgespülte Ironie zur Grundausstattung gehört.

Diverse Sprecher gelangen freilich eh kaum über ein pures Nachplappern dessen hinaus, was man als Zuschauer mit eigenen Augen sieht. Man möchte unentwegt „Ach was!“ murmeln: Kommt einer nicht an den Ball, sagen sie „Er kommt nicht `ran“, stehen Widersacher seinem Schuss im Wege, heißt es, er sei „geblockt“ worden. Segelt eine Flanke etwas zu weit, ist sie „gut, aber nicht gut genug“. Verfehlen Pässe ihr Ziel, mangelt es an „Präzision“. Greift eine Mannschaft an, steht sie „hoch“, zieht sie sich nach hinten zurück, steht sie „tief“. Welch‘ ein (tief)sinnig ausdifferenziertes Fachvokabular… Vorteil: Bei solchen Nullformeln kann man vielfältig andocken und zu (un)passender Gelegenheit auch mal Bescheidwisser-Schenkelklopfer wie etwa Mentalitätsmonster“ oder „Feierbiest“ einstreuen.

Als man noch von „Granaten“ sprach

Der wohl schlimmste Mikrophonquäler von allen, den ich hier nicht namentlich nennen mag (er labert für einen Bezahlsender drauflos) und mit dem verglichen selbst Béla Réthy, Tom Bartels oder Gerd Gottlob wahre Leuchten ihrer Zunft sind, überbrückt die Zeit mit Bemerkungen des Kalibers, dass es dieser (oder eben jener) Mannschaft gefallen würde, wenn sie z.B. noch ein, zwei Tore macht, die Punkte holt und gewinnt. Man hält es nicht für möglich. Da sehnt man sich heftig zurück nach einem Ernst Huberty, der auch mal eine ganze Strecke schweigen konnte. Okay, wenn dann ein entscheidendes Tor fiel, war er auch nicht vollends aus dem Häuschen. Aber das konnte man verschmerzen. Ein paar Emotionen brachte man ja selbst mit.

Immerhin knödeln sie alle heute längst nicht mehr im martialischen Jargon von früher, als stets von Bomben und Granaten die Rede war und der erfolgreichste Stürmer als „Bomber der Nation“ bezeichnet wurde. Bis tief in die 70er Jahre hinein ging das so. Es war die Zeit, als der eine oder andere tyrannische Trainer noch geschrien haben soll: „Ihr müsst Gras fressen“. Dies und das pathetische Wochenschau-Tremolo der 50er Jahre, in denen der Krieg noch nachzitterte, brauchen wir erst recht nicht mehr.

Es kommt auf die Sekunde an

Statt dessen bequatschen uns jetzt Sprachverweigerer, die nicht mehr „nach jetzigem Stand“ sagen können. Die allermeisten sagen immer nur „Stand jetzt“, auch dann, wenn es z. B. um Transfergerüchte geht. Auch bringen sie nicht „die erste Halbzeit“ über die Lippen, sondern immer nur „Halbzeit eins“ oder „Minute zehn“, um nur ja keine Sekunde zu verschenken. Die gewonnene Zeit füllen sie sodann mit aberwitzigen Statistiken. Oder sie weisen schon mal wortreich auf die anschließende „Analyse“ respektive auf eine selbstverständlich hochkarätige Expertenrunde hin, in der uns diese eben gesehene (läppische) Szene „noch lange beschäftigen“ werde.

Wo wir schon bei Minuten sind: Wenn es auf die Nachspielzeit zugeht, gibt es bei diesen Herrschaften immer zwei oder drei Minuten „oben drauf“, niemals „zusätzlich“. Pardon, ich habe eine Ausnahme vergessen: Für Bayern München gibt’s bei Bedarf natürlich mindestens 8 Minuten „oben drauf“.

Jaja, schon klar, man möchte mit diesen sich überaus wichtig nehmenden Leuten (außer womöglich beim Gehalt) auch nicht unbedingt tauschen. Unter dem Druck eines Millionen-Publikums würde jede(r) von uns gelegentlich Unsinn verzapfen. Doch was sind das für Zeiten, in denen man den arroganten und manchmal parteiischen, doch immerhin deutlich sprachbegabten Marcel Reif wieder am Mikro haben möchte? Vom unvergleichlichen Ruhri Werner Hansch mal ganz zu schweigen. Aber seit er das selbst zu sehr weiß, nervt auch er gelegentlich.

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Nachträge (werden gelegentlich aktualisiert)

„Gute Bewegung“ (Wenn einer am Gegner vorbeikommt)
„Das war kein Freistoß für die Geschichtsbücher.“
Der Ball wird „durchgesteckt“.
„Ein emotionaler Moment“ (Inflationär gebräuchlich, wenn etwas nicht ganz gleichgültig ist)

Das neueste Ding der Sport-Kommentatoren ist es, den mächtig intellektuell klingenden Begriff „Momentum“ einzustreuen. Spieler nutzen demnach nicht mehr den richtigen Moment, sondern das Momentum. Es ist zu erwarten, dass demnächst auch „Telos“ und „Kairos“ verwendet werden.

„Fix“ (Eher in Print-Produkten gebräuchlich. Bezeichnet in aller Kürze einen unzweifelhaft geschlossenen Vertrag bzw. erfolgten Transfer. Weiß der Teufel, wer zuerst darauf gekommen ist.)




In der Zone von „dazn“: Es lockt ein neuer Streaming-Dienst für Sport

Ich gehöre zu den Männern der ersten Stunde. Nun gut, es ist nicht, was ihr vielleicht denkt. Keinesfalls habe ich eine veritable Pionierleistung vollbracht. Weder habe ich Neuland entdeckt noch ein gefährliches Abenteuer bestanden oder gar die Weltformel gefunden. Nein, ich zähle nur zu den ersten paar Tausend Mitgliedern eines Streaming-Dienstes, der erst diesen Monat seinen Betrieb in den deutschsprachigen Ländern aufgenommen hat. Und jetzt alle, ganz enttäuscht: Oooooch…

Screenshot von dazn-Angeboten auf der Homepage des Dienstes. (© dazn)

Screenshot von dazn-Angeboten auf der Homepage des Dienstes. (© dazn)

Zur Sache. dazn (www.dazn.com) heißt die Chose – und an der Erklärung, wie sich dieses rätselhafte Buchstabengebilde ausspricht, haben sich schon andere verhoben. Angeblich soll es sich wie „da zone“ anhören, also „the zone“ und ergo „Die Zone“ bedeuten. Hä? Na, egal. Wir Gimpel haben gedacht, die Zone hätte sich mit Wende und Mauerfall erledigt.

Albernen Spaß beiseite. Der neue, als deutscher Ableger der Londoner Perform-Gruppe in Ismaning bei München ansässige Anbieter verspricht massenhaft werbefreien Live-Sport via Streaming, angeblich rund 8000 Ereignisse pro Jahr – und das zu einem Lockvogel- oder Kampfpreis von 9,99 Euro im Monat. Eine entsprechende App gibt’s auch. Wer hätte das gedacht?

Und nein: Ich habe k e i n e n kostenlosen Pressezugang oder dergleichen korruptives Zeug beantragt, wie es vielleicht der eine oder andere Kollege versucht hätte. So komme ich auch nicht in Versuchung, vorab zu jubeln. Ich probiere es als gewöhnlicher Privatkunde mit einem anfänglichen Gratis-Monat aus, zumal jederzeit monatlich gekündigt werden kann. Schau’n mer mal. Vielleicht bin ich ja auch bald wieder `raus aus der Nummer.

Spitzenfußball aus England, Spanien usw.

Was gibt’s denn anfangs „für umme“ und nach der Probezeit für die 9,99 Euro? Bei dazn empfängt man (laut Anbieter auf PC, Mac, Tablet, Handy, netztauglichem Smart-TV und Spielkonsolen) zuvörderst Fußballspiele der englischen, spanischen, italienischen und französischen Ligen, folglich – von der Bundesliga einmal abgesehen – die Crème des europäischen Kickertums. Vieles lässt sich auch als „Re-Live“ (vulgo: Wiederholung) ausgiebig nachschmecken. Besser dann, wenn man das Resultat noch nicht kennt.

Rund um Bayerns Hauptstadt muss ein Nest sein: Ganz in der Nähe von Ismaning, in Unterföhring bei München, sitzt der Sportsender Sky, der bisher so unangefochten seine Kreise zog. Jetzt hat ihm dazn die so attraktive englische Premier League mit Typen wie Klopp, Guardiola, Pogba, Rooney, Mkhitaryan, Gündogan und all den anderen multimillionenschweren Stars weggeschnappt. In Spanien treten bekanntlich kaum schlechtere Sportler vor den Ball – und da reden wir nicht nur von Messi, Ronaldo und Bale.

Mehr noch: dazn darf auch Zusammenfassungen der Bundesliga zeigen – ab 2017 bereits 40 Minuten nach Abpfiff, also vor der ARD-Sportschau. Klingt nicht so übel. Okay, Sky bringt einstweilen noch die komplette 1. und 2. Bundesliga live, außerdem die Champions League und die Europa League. Aber dafür kassieren sie auch kräftig. Fragt mal die Kneipenwirte. Oder einzelne Fans.

Auch Ukraine, Korea und Angelsport

Sogar belgischen und skandinavischen Fußball (Dänemark und Schweden) gibt’s bei dazn obendrein. Wenn ich’s recht gesehen habe, sind überdies Partien aus Schottland, Serbien, Kroatien, der Ukraine und Südkorea zu haben. Die meisten Bewohner Deutschlands, der Schweiz und Österreichs könnten darauf wohl leichten Herzens verzichten. Je nun.

Aber ein paar interessante Partien dürften im Gesamtpaket immer mal wieder zu finden sein. Auch die Handball-Bundesliga nebst Pokalspielen ist für manchen „nicht ohne“.

Wer’s denn braucht, kann sich zudem an diversen Wettkämpfen im American Football (NFL), Basketball (NBA), Tennis (WTA- und ATP-Turniere), Motorsport (allerdings nicht Formel 1), Pferderennen, Rugby, Kampfsport sowie – aufgemerkt – Bowling, Darts und Sportfischen ergötzen. So viel passiven Sport braucht eigentlich kein Mensch. Sei’s drum. Es wird interessant sein zu beobachten, wie sich die Offerten im Laufe der Zeit verändern und ob sie sich verteuern.

Die Bilder ruckeln manchmal noch

Um schon mal erste Eindrücke zu vermelden: Die Seite könnte noch etwas übersichtlicher gestaltet („layoutet“) und mit Schwerpunkten versehen werden. Vor allem aber sind die Streams noch längst nicht immer ruckelfrei. Das schmälert das Vergnügen mitunter erheblich. Man kann nur zuversichtlich hoffen, dass diese technischen Probleme rasch behoben werden, die sich abends, wenn viele zugeschaltet sind, zu häufen scheinen. Wer will schon in entscheidenden Momenten „eingefrorene Bilder“ empfangen?

Zukunft des Zuschauens

Die fußballerischen Begegnungen (selbst jene aus Belgien und Korea) sind in aller Regel mit deutschen Kommentaren (nicht vor Ort, sondern im Studio eingesprochen) versehen, was für ein Mindestmaß an Orientierung sorgt. Völlig verstummte Spiele mag man denn doch nicht unbedingt haben – und wenn man sich noch so sehr über manchen Dummbatz am Mikro ärgert. Vertrackt genug: Der Zorn ist mitunter Teil des Vergnügens, denkt nur an Béla Réthy. Womit aber noch gar nichts über die Kommentar-Qualität bei dazn gesagt sein soll. Die kann man summarisch erst nach einer gewissen Zeit beurteilen. Ob man für den vergleichsweise schmalen Preis Spitzen-Journalismus und tiefgreifende Analysen verlangen kann, sei einstweilen dahingestellt.

Andere Sportarten wie American Football, Tennis, Basketball, Rugby und Darts werden – wie man schon ahnt – mit englischem Kommentar geliefert. Das geht in Ordnung. Wer z. B. Football sehen will, sollte schon ein paar Brocken dieser Sprache verstehen.

Derlei Dienste sind jedenfalls die Zukunft dessen, was einmal „Fernsehen“ geheißen hat, weitere Stichworte anderer Genres lauten Netflix und Spotify. Die Zeiten, in denen zig Millionen Leute zeitgleich dieselbe Sendung geschaut haben, sind – von ganz großen Fußballpartien und bestimmten „Tatort“-Folgen abgesehen – endgültig vorüber. Ach. Das habt ihr schon gewusst? Dabei gibt es doch (Stichtag übrigens heute!) das Internet erst seit schlappen 25 Jahren…

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(mit angelesenen Infos von dpa und der Süddeutschen Zeitung)




Kinoschauspieler, Folkmusiker und vieles mehr: Theodore Bikel starb mit 91

Ich kann mich beim besten Willen nicht mehr an die TV-Sendung und ihren genauen Namen erinnern, ist einfach zu lange her. Aber der Name des Moderators (wie man es heute nennen würde) blieb haften. Es war Theodore Bikel. Theodore Meir Bikel ist jetzt im Alter von 91 Jahren gestorben. Nach meinem Dafürhalten ist er auf eine Stufe zu stellen mit beispielsweise Sir Peter Ustinov.

Immer wieder seit unserem ersten Kennenlernen via TV ereignete es sich, dass ein Film begann oder endete, und ich im Vorspann seinen Namen las oder im Nachspann erfuhr, dass er es war, dessen Rolle mir auffiel, aber wieder mal sein Name mir nicht eingefallen war. Meist entfuhr mir dann leise: „Ah, ja, Theodore Bikel.“ Und selten waren es Rollen und Filme, deren Auftauchen in einer späteren Filmografie hätten bedauert werden müssen.

Auftritt beim St. Louis Jewish Books Festival: Theodore Bikel am 2. November 2014. (Foto: Fitzaubrey / Lizenz: http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)

Auftritt beim St. Louis Jewish Books Festival: Theodore Bikel am 2. November 2014. (Foto: Fitzaubrey / Lizenz: http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)

Ob es in John Hustons „African Queen“ der zackige deutsche Marineoffizier war, dem sein Schiff von Humphrey Bogarts handgeklöppeltem Torpedo im tapferen Flussschiffchen unter den Füßen abgeschossen wurde, oder ob er als Sheriff Max Muller in Stanley Kramers „Flucht in Ketten“ neben Tony Curtis und Sidney Poitier auftrat – fast alle Filme mit dem gebürtigen Wiener (auch in scheinbar randständigen Nebenrollen) hatten eine tolle Geschichte zu erzählen. „Flucht in Ketten“ bescherte Theodore Bikel sogar eine Oscar-Nominierung.

Der multibegabte junge Mann musste indes wie viele seiner Konfession im Jahre 1938 mit Mutter Miriam und Vater Joseph vor den Hitler-Deutschen fliehen, als die Österreich anschlossen. Erst einmal nach Palästina, wo sie britische Staatsbürger wurden. Dort war er zunächst Kibbuzim, dann studierte er am Habimah-Theater in Tel Aviv, und schließlich war er Mitbegründer des Tel Aviv Chamber Theater. Niemand anderem als Sir Laurence Olivier war es vorbehalten, sein Talent zu entdecken und ihm den Weg nach London zu weisen, wo er dann in „Endstation Sehnsucht“ auftrat.

Aber nach „African Queen“ zog’s ihn endgültig in die Staaten, nach New York. Dort führte er seine lebenslange Doppelkarriere fort – als anerkannter Bühnen- und Filmschauspieler und als beklatschter Folksänger, der mit Pete Seeger das „Newport Folk Festival“ ins Leben rief, der selbst außer Gitarre, Mandoline, Balalaika und Mundharmonika spielte, um sich selbst zu begleiten, wenn er in 20 Sprachen dieser Welt sang (sechs davon beherrschte er perfekt).

Und immer wieder kamen die Filmanfragen. Bis hin zu „007“, wo er fast Gerd Fröbe den Bösewicht Goldfinger weggeschnappt hätte. Auch an seine Auftritte in „Star Trek – The Next Generation“ wird man sich wieder erinnern, wenn sie im TV wiederholt werden.

Theodore Meir Bikel war sein Leben lang ein ungemein politischer Mensch. Immer stand er den amerikanischen Demokraten nahe. 1977 nahm Präsident Jimmy Carter ihn ins National Council for the Arts auf, was er bis 1982 beibehielt. Er war Präsident der Actors’ Equity Association und war bis zu seinem Tod Präsident der Associated Actors and Artistes of America. Er engagierte sich bei Americans for the Arts und natürlich im American Jewish Congress, dessen Vizepräsident er war.

Theodore Bikel spielte jedoch im Film gern den Schurken, den garstigen Typen, der seinen Weggefährten Übles antat. Seltsam, aber so oft ich ihn in Filmen genau so sah, so oft er selbst diesen Rollen eine manchmal fast sympathische Wärme gab, werde ich doch Theodore Bikel immer nur mit dem freundlich aus dem Schwarz-Weiß-Fernseher blickenden Herrn verbinden, der uns Kindern Freude machte und dabei immer wieder eines der Lieder aus seinem grenzenlosen Repertoire klampfte.




TV-Nostalgie (33): „Wetten, dass…?“ – mit Elstner fing alles an (und jetzt hört es auf)

Zugegeben: Eigentlich habe ich die Show gar nicht so oft gesehen, noch seltener in voller Länge. Trotzdem fand ich es immer irgendwie beruhigend, dass es so etwas wie „Wetten, dass…?“ noch gab.

Eine familiäre Sendung, die mindestens von der halben Nation gesehen wurde, war das etwa nichts? Heute bringen das nur noch ganz große Fußballpartien zuwege.

Einladende Geste: MOment aus der allerersten Ausgabe von "Wetten, dass...?" mit Frank Elstner vom 14. Februar 1981. (Screenshot aus: https://www.youtube.com/watch?v=jfCBKJI8R4M)

Einladende Geste: Moment aus der allerersten Ausgabe von „Wetten, dass…?“ mit Frank Elstner vom 14. Februar 1981. (Screenshot aus: https://www.youtube.com/watch?v=jfCBKJI8R4M)

Gigantische Quoten hat die ZDF-Wettshow allerdings schon längst nicht mehr erzielt. Vor einigen Wochen, am 4. Oktober, waren nur noch 5,48 Millionen Zuschauer dabei – abermals ein Minusrekord für den umstrittenen Showmaster Markus Lanz, der denn auch am kommenden Samstag, 13. Dezember, die allerletzte Ausgabe präsentieren wird.

Rekord mit über 23 Millionen Zuschauern

Das Sehverhalten seit der Premiere (14. Februar 1981) hat sich grundlegend verändert. Zu Zeiten von Frank Elstner, des Erfinders und ersten Moderators von „Wetten, dass…?“, saßen manchmal über 20 Millionen Zuschauer vor den Geräten, der absolute Rekord wurde am 9. Februar 1985 mit 23,42 Millionen Zuschauern aufgestellt. Als 1987 Thomas Gottschalk übernahm, blieb man meist auch bei über 60 Prozent Marktanteil.

Nach einem Intermezzo mit Wolfgang Lippert (1992/93) wurde erneut Thomas Gottschalk engagiert – von 1994 bis 2011. Er pflegte einen anderen, flotteren und frecheren, auch glanzvolleren Stil als der allzeit nette, betont seriöse Elstner. Manchmal streifte „Tommy“ die Grenzen des guten Geschmacks, er wusste das aber meist mit Charme zu überspielen.

Redlich und bescheiden

Wahre Fernseh-Nostalgiker erinnern sich vielleicht am allerliebsten an die Anfangszeiten mit Elstner. Der einstige Moderator von Radio Luxemburg („Die vier fröhlichen Wellen“) hatte sich die Sache ausgedacht und alles in Schwung gebracht. Daraus wurde die größte Show Europas.

Im Internet ist noch ein Ausschnitt aus der Premierensendung von „Wetten, dass…?“ greifbar (siehe Link in der Bildzeile). Schon im Februar 1981 hatte Frank Elstner die nicht allzu weltmännische Ausstrahlung eines redlichen Sachbearbeiters. Er war freilich eine Vertrauensperson, ging einfühlsam und anständig mit seinen Gästen um, gab sich bescheiden und profilierte sich nicht auf Kosten anderer. Das ist keine intellektuelle Offenbarung gewesen, doch durchaus aller Ehren wert.

…und was kommt danach?

Wir wollen hier nicht lang und breit über Einzelheiten aus fast 34 Jahren reden, über Saal-, Städte-, Kinder- und Buntstiftwetten. Doch muss man den schrecklichen Unfall von 2010, bei dem sich der damals 23jährige Student Samuel Koch schwer verletzte und seither gelähmt blieb, wenigstens erwähnen. Danach mochte Thomas Gottschalk nicht mehr weitermachen, als wäre nichts gewesen. Es war gewiss ein Anfang vom Ende der Show. Samuel Koch wird übrigens am Samstag Gast der letzten Ausgabe sein. Hoffentlich bringt man es ohne Peinlichkeit über die Bühne.

Statistiken aller Art kann man im Internet nachlesen – von der längsten Sendezeit-Überziehung (Gottschalk mit 73 Minuten) über die häufigsten Wettpaten (11 Mal Iris Berben, 8 Mal u. a. Boris Becker, Veronica Ferres, Til Schweiger) und Musikauftritte (17 Mal Peter Maffay, 15 Mal Udo Jürgens). Doch was besagt das schon über Wert und Wirkung dieser Sendung? Das, was da nachkommt, wird wohl schwerlich besser sein, oder?

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Vorherige Beiträge zur Reihe:

“Tatort” mit “Schimanski” (1), “Monaco Franze” (2), “Einer wird gewinnen” (3), “Raumpatrouille” (4), “Liebling Kreuzberg” (5), “Der Kommissar” (6), “Beat Club” (7), “Mit Schirm, Charme und Melone” (8), “Bonanza” (9), “Fury” (10), Loriot (11), “Kir Royal” (12), “Stahlnetz” (13), “Kojak” (14), “Was bin ich?” (15), Dieter Hildebrandt (16), “Wünsch Dir was” (17), Ernst Huberty (18), Werner Höfers “Frühschoppen” (19), Peter Frankenfeld (20), “Columbo” (21), “Ein Herz und eine Seele” (22), Dieter Kürten in “Das aktuelle Sportstudio” (23), “Der große Bellheim” (24), “Am laufenden Band” mit Rudi Carrell (25), “Dalli Dalli” mit Hans Rosenthal (26), “Auf der Flucht” (27), “Der goldene Schuß” mit Lou van Burg (28), Ohnsorg-Theater (29), HB-Männchen (30), “Lassie” (31), „Ein Platz für Tiere“ mit Bernhard Grzimek (32)

“Man braucht zum Neuen, das überall an einem zerrt, viele alte Gegengewichte.” (Elias Canetti)




TV-Nostalgie (32): Bernhard Grzimeks „Ein Platz für Tiere“ – Rituale der Possierlichkeit

Eigentlich hatten alle dauerhaften Fernseh-Erfolge mit erprobten Ritualen zu tun. So auch Bernhard Grzimeks „Ein Platz für Tiere“.

Die Sendung lief (ähnlich wie z. B. Robert Lembkes heiteres Beruferaten „Was bin ich?“) immer auf dieselbe, ungemein beruhigende Weise ab.

Schon die Begrüßung lautete stets gleich: „Guten Abend, meine lieben Freunde“, sagte Grzimek jeweils zu Beginn. Außerdem hatte er immer ein Tier aus dem Frankfurter Zoo mitgebracht, dessen Direktor er von 1945 bis 1974 gewesen ist.

Schlangen und Raubkatzen im Studio

Da die Sendung unter Live-Bedingungen entstand, gab es manchmal kleine Überraschungen, denn das Verhalten der Tiere war nicht immer vorhersehbar. Sie sprangen nicht nur unversehens über Grzimeks Tisch, sondern knabberten auch schon mal ein Sendemanuskript an oder nässten Grzimeks Jackett ein.

Gar nicht so gefährlich: Bernhard Grzimek und Gepard im TV-Studio. (Screenshot aus: https://www.youtube.com/watch?v=dvWD4MwkZrg)

Gar nicht so gefährlich: Bernhard Grzimek und Gepard im TV-Studio. (Screenshot aus: https://www.youtube.com/watch?v=dvWD4MwkZrg)

Ansonsten aber war die Sendung auch schon mal ein bisschen einschläfernd. Und im Grunde konnte man sich von Anfang an getrost entspannen. Selbst wenn Grzimek sich etwa eine Schlange um den Hals hängte oder einen Geparden mit ins Studio brachte, passierte nie etwas Schlimmes. Es gab höchstens ein paar putzige Vorfälle mit Affen oder Echsen. Der studierte Tierarzt und Verhaltensforscher hatte alles unter Kontrolle.

Anreize zur Parodie

Am 28. Oktober 1956 wurde die erste Folge der possierlichen (ein Grzimek-Lieblingswort) Reihe des Hessischen Rundfunks ausgestrahlt. Bis zum Beginn der 80er Jahre kamen rund 175 Ausgaben ins ARD-Programm. Produzent war übrigens Martin Jente, der gleichfalls legendäre und mit Ritualen vertraute „Butler“ aus Kulenkampffs Show „Einer wird gewinnen“.

So unverrückbar eingefahren waren alsbald die Abläufe, dass Grzimek zur Parodie reizte. Am berühmtesten wurde jene von Loriot, der mit typischer Mimik sowie charakteristisch nasaler Stimme einen täuschend echten Grzimek spielte und also solcher die gefräßige „Steinlaus“ vorstellte.

Zeitweise war Bernhard Grzimeks Rolle in der NS-Zeit umstritten. Als Regierungsrat im Reichsernährungsministerium und als Veterinär bei der Wehrmacht hat er jedoch offenbar keine besondere Schuld auf sich geladen.

Oscar für Serengeti-Film

Moralapostel haben sich über sein Privatleben empört. Grzimek zeugte uneheliche Kinder und heiratete 1978 in zweiter Ehe ausgerechnet eine vormalige Schwiegertochter, die Witwe seinen verstorbenen Sohnes Michael. Doch das sind Tratsch-Geschichten von vorvorgestern.

Bleibende Verdienste hat sich Grzimek als Tierfilmer erworben: Die Dokumentation „Serengeti darf nicht sterben“ weckte das Bewusstsein für die Bedrohung der afrikanischen Tierwelt. Bei einem Flug zu den Dreharbeiten kam Grzimeks Sohn Michael im Januar 1959 ums Leben. Er hat nicht mehr erlebt, dass es 1960 für den Film sogar einen Oscar gab.

Pionier des Umweltschutzes

Prof. Dr. Bernhard Grzimek (1909-1987) gilt überdies als ein Vorläufer der deutschen Tier- und Umweltschutzbewegung, wenn nicht gar als ein Urahn der „Grünen“.

1970 machte ihn Kanzler Willy Brandt zum Bundesbeauftragten für Umweltbelange. Mit Horst Stern und anderen Aktivisten gründete Grzimek 1975 den Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Auch setzte er sich zeitlebens für die artgerechte Haltung von Zootieren und für Schutzräume in den Herkunftsländern ein. Zudem zählte er zu den allerersten, die die massenhafte Haltung von Nutztieren anprangerten. Wenn das keine Lebensleistung ist!

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Vorherige Beiträge zur Reihe:

“Tatort” mit “Schimanski” (1), “Monaco Franze” (2), “Einer wird gewinnen” (3), “Raumpatrouille” (4), “Liebling Kreuzberg” (5), “Der Kommissar” (6), “Beat Club” (7), “Mit Schirm, Charme und Melone” (8), “Bonanza” (9), “Fury” (10), Loriot (11), “Kir Royal” (12), “Stahlnetz” (13), “Kojak” (14), “Was bin ich?” (15), Dieter Hildebrandt (16), “Wünsch Dir was” (17), Ernst Huberty (18), Werner Höfers “Frühschoppen” (19), Peter Frankenfeld (20), “Columbo” (21), “Ein Herz und eine Seele” (22), Dieter Kürten in “Das aktuelle Sportstudio” (23), “Der große Bellheim” (24), “Am laufenden Band” mit Rudi Carrell (25), “Dalli Dalli” mit Hans Rosenthal (26), “Auf der Flucht” (27), “Der goldene Schuß” mit Lou van Burg (28), Ohnsorg-Theater (29), HB-Männchen (30), „Lassie“ (31)

“Man braucht zum Neuen, das überall an einem zerrt, viele alte Gegengewichte.” (Elias Canetti)




TV-Nostalgie (31): „Lassie“ – der berühmteste Hund aller Zeiten

Jede Nachkriegsgeneration hat ihre Fernseh-Wundertiere. Zu unserer Zeit waren das „Fury“ und „Lassie“. Vom Prachthengst Fury war hier schon einmal die Rede. Heute geht es um die nicht minder schlaue und geschickte „Lassie“, die man einfach ins Herz schließen musste.

Aus dem Vorspann der 60er Jahre: "Lassie", wie sie leibte und lebte. (Screenshot aus: http://www.youtube.com/watch?v=l457Eg33qJ4)

Aus dem Vorspann der 60er Jahre: „Lassie“, wie sie leibte und lebte. (Screenshot aus: http://www.youtube.com/watch?v=l457Eg33qJ4)

Bis heute denkt man spontan den Namen „Lassie“ (Schottisch für „Mädchen“) hinzu, wenn man einen Collie sieht. „Lassie“ gilt als berühmtester Hund der Welt. Natürlich ist die „Rolle“ nach und nach von vielen verschiedenen Rüden (weil ihr Fell angeblich besser aussieht) verkörpert worden. Da es sich laut Drehbüchern um eine Hündin handeln sollte, wurde das Geschlecht schon mal mit zusätzlichen Fellstücken verdeckt.

Wahre Wundertaten

Es ging ja auch nicht um Männlein oder Weiblein, sondern um wahre Helden- und Wundertaten, die dieses Tier vollbrachte. In jeder Folge hat dieser Hund geholfen und gerettet, bis alles gut war. „Lassie“ war immer im entscheidenden Moment zur Stelle, um noch den schlimmsten Bösewichtern und den größten Gefahren siegreich zu begegnen. Manchmal half ein Stups zur rechten Zeit, damit die Menschen wussten, worauf es ankam.

In einer Folge muss Lassie beispielsweise eine flügellahme Möwe beschützen, damit die in Ruhe genesen konnte. Nach und nach tauchen eine gefräßige Wildkatze, eine Schlange und ein gieriger Greifvogel als Bedrohungen auf. Sie werden samt und sondern von Lassie in die Flucht geschlagen. In einer anderen Folge („Die Bogenschützen“) sorgt die Hündin dafür, dass böse Wilderer überführt und bestraft werden. Und so ging’s munter weiter durch insgesamt 591 (!) Episoden.

Begonnen hatte alles 1938, mit einer „Lassie“-Kurzgeschichte von Eric Knight. 1943 kam der erste Kinofilm heraus. Die schier unverwüstliche TV-Serie wurde in den USA von 1954 bis 1973 produziert, in Deutschland kam die Reihe erstmals am 21. Juni 1958 ins ARD-Programm.

Beste Freundin der Kinder

In der langen Zeitspanne hatte „Lassie“ etliche Herrchen, anfangs den Jungen Jeff und sodann den kleinen Timmy. Wie auch immer die jeweilige Familie aussah (z. B. verwitwete Mutter, Waisenjunge), „Lassie“ war allemal die beste Freundin der Kinder. Sie ging mit ihnen durch dick und dünn. Und immer stand am Schluss eine mehr als deutliche Moral von der Geschicht’. Wir haben verstanden.

"Lassie" mit dem (zeitweiligen) Herrchen Timmy. (Screenshot aus: http://www.youtube.com/watch?v=9xz9dJDpVQM)

„Lassie“ mit dem (zeitweiligen) Herrchen Timmy. (Screenshot aus: http://www.youtube.com/watch?v=9xz9dJDpVQM)

Es gab und gibt „Lassie“-Fans, die nur Episoden mit Timmy wirklich gelten lassen. Sie mussten damals tapfer sein, als sich von Zeit zu Zeit Schauplätze und Darsteller änderten. In einigen Folgen besteht Lassie ihre Abenteuer gar gänzlich auf eigene Pfote, also ohne menschliche Begleitung. Das sorgte bei vielen Zuschauern ebenso für Verwirrung wie „Lassies“ zeitweiliger Umzug nach Australien.

Eine Frage der Vorlieben

Wie war das noch mit den TV-Generationen? Vor „Lassie“ war der Schäferhund Rin Tin Tin an der Reihe (in Deutschland ab 1956), in den 60er Jahren folgten beispielsweise „Flipper“ und „Black Beauty“. Wer weiß weitere Beispiele?

Übrigens: Ob man nun Fury oder Lassie lieber mochte, hing von persönlichen Vorlieben und wohl auch vom Zufall ab. Es war ungefähr so bedeutsam wie die parteibildende Füllerfrage, sprich: Manche schrieben damals in der Schule mit Geha und andere eben mit Pelikan. Und alle haben auf ihre Sache geschworen.

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Vorherige Beiträge zur Reihe:

“Tatort” mit “Schimanski” (1), “Monaco Franze” (2), “Einer wird gewinnen” (3), “Raumpatrouille” (4), “Liebling Kreuzberg” (5), “Der Kommissar” (6), “Beat Club” (7), “Mit Schirm, Charme und Melone” (8), “Bonanza” (9), “Fury” (10), Loriot (11), “Kir Royal” (12), “Stahlnetz” (13), “Kojak” (14), “Was bin ich?” (15), Dieter Hildebrandt (16), “Wünsch Dir was” (17), Ernst Huberty (18), Werner Höfers “Frühschoppen” (19), Peter Frankenfeld (20), “Columbo” (21), “Ein Herz und eine Seele” (22), Dieter Kürten in “Das aktuelle Sportstudio” (23), “Der große Bellheim” (24), “Am laufenden Band” mit Rudi Carrell (25), “Dalli Dalli” mit Hans Rosenthal (26), “Auf der Flucht” (27), “Der goldene Schuß” mit Lou van Burg (28), Ohnsorg-Theater (29), HB-Männchen (30)

“Man braucht zum Neuen, das überall an einem zerrt, viele alte Gegengewichte.” (Elias Canetti)




TV-Nostalgie (30): Als das HB-Männchen vor Wut in die Luft ging

Kann man in diesem Falle von TV-Nostalgie reden? Nun ja, wie man’s nimmt. Wir lassen mal fünfe gerade sein. Fernseh-Legenden müssen jedenfalls nicht unbedingt aus Fleisch und Blut sein. Manche waren auch mit feinem Stift und noch dazu schwer vom Leben gezeichnet: allen voran das immerzu gestresste HB-Männchen.

Das Kerlchen, dem jedes Vorhaben schiefging, war eine der bekanntesten Werbefiguren des Fernsehens. Von 1957 bis 1974 war das zornige HB-Männchen auf den Bildschirmen zu sehen, danach war Zigarettenreklame nur noch für ein weiteres Jahrzehnt (bis 1984) im Kino erlaubt.

Arabisch rückwärts gezetert

Inoffiziell hieß das HB-Männchen Bruno. Doch er selbst hat uns in den Trickfilmen (Urheber: Roland Töpfer) nie seinen Namen verraten, denn Bruno „sprach“ ganz und gar unverständlich. Angeblich war es Arabisch, das mit überhöhter Bandgeschwindigkeit rückwärts abgespult wurde. Je zorniger dieser Bruno wurde, umso mehr verzerrte sich sein Gezeter, bis er buchstäblich in die Luft ging.

HB-Männchen Bruno scheitert an einem Paternoster-Aufzug (Screenshot aus: http://www.youtube.com/watch?v=5R6384xqWx4)

HB-Männchen Bruno scheitert an einem Paternoster-Aufzug (Screenshot aus: http://www.youtube.com/watch?v=5R6384xqWx4)

Das HB-Männchen war ein Wutbürger sondergleichen und ein hartnäckiger Einzelkämpfer mit offenbar enorm hohem Blutdruck. Nie hat man gesehen, ob er vielleicht Frau und Kind(er) gehabt hat. Doch er war von Herausforderungen des Alltags umgeben, hatte lauter Dinge als Widersacher und geriet häufig in Zeitnot. Dies waren auch Zeichen der Wirtschaftswunder-Jahre.

Die Tücke der Objekte

Nur ein paar Beispiele: Da waren unendlich viele Geräte, die nicht funktionieren wollten; da war der Ventilator, der im Büro alles Papier aufwirbelte; das Klappbett, das ein Eigenleben führte; da waren Hammer und Säge, mit denen er sich verletzte; Dosen und Flaschen, die er im Lebensmittelladen umriss. Und so weiter und so fort in mehr als 400 Filmen. So viel Pech auf einem Haufen.

Das Schema der kleinen Geschichten war durchweg gleich: Immer hatte Bruno mit der Tücke der Objekte zu kämpfen. Anfangs pfiff er noch fröhlich und unternehmungslustig („Freut euch des Lebens“ oder „Auf in den Kampf, Torero“). Aber beim Versuch, den jeweils ersten, noch geringen Schaden zu beheben, machte er alles nur noch schlimmer und schlimmer, bis schließlich ein furchtbares Chaos oder eine schreckliche Sauerei angerichtet war. Dann ging das HB-Männchen vor Wut explosionsartig in die Luft.

„Dann geht alles wie von selbst“

Doch immer nahte Rettung. Der völlig erschöpfte Bruno wurde eingefangen von einer freundlichen kleinen Figur mit königlichem Mantel. Mit den Worten „Halt, mein Freund! Wer wird denn gleich in die Luft gehen?“ reichte die Gestalt eine Zigarette der Marke HB – und schon beim ersten Zug waren Brunos Probleme behoben, alles klappte nun ohne sein Zutun: „Dann geht alles wie von selbst“, hieß die Formel zum guten Schluss.

Welch eine dreiste Lüge, die auf diese Art höchstens im Trickfilm möglich war! Trotzdem (oder gerade deshalb?) hat man sich damals über die Filmchen gefreut, sie waren oft der kurze Höhepunkt des gesamten Werbefernsehens. Da mag heimliche Schadenfreude ebenso mitgespielt haben wie das Gefühl der Entspannung am Ende. Außerdem war Rauchen damals in allen Lebenslagen noch so selbstverständlich, dass man sich keine Gedanken darüber machte…

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Vorherige Beiträge zur Reihe:

“Tatort” mit “Schimanski” (1), “Monaco Franze” (2), “Einer wird gewinnen” (3), “Raumpatrouille” (4), “Liebling Kreuzberg” (5), “Der Kommissar” (6), “Beat Club” (7), “Mit Schirm, Charme und Melone” (8), “Bonanza” (9), “Fury” (10), Loriot (11), “Kir Royal” (12), “Stahlnetz” (13), “Kojak” (14), “Was bin ich?” (15), Dieter Hildebrandt (16), “Wünsch Dir was” (17), Ernst Huberty (18), Werner Höfers “Frühschoppen” (19), Peter Frankenfeld (20), “Columbo” (21), “Ein Herz und eine Seele” (22), Dieter Kürten in “Das aktuelle Sportstudio” (23), “Der große Bellheim” (24), “Am laufenden Band” mit Rudi Carrell (25), “Dalli Dalli” mit Hans Rosenthal (26), “Auf der Flucht” (27), “Der goldene Schuß” mit Lou van Burg (28), Ohnsorg-Theater (29)

“Man braucht zum Neuen, das überall an einem zerrt, viele alte Gegengewichte.” (Elias Canetti)




TV-Nostalgie (29): Das Ohnsorg-Theater – gut geölte Lachlust aus dem Norden

Ihre Komik war oft ziemlich hausbacken, doch sie waren keineswegs Dilettanten: Über Jahrzehnte hinweg unterhielt das Ohnsorg-Theater nicht nur Touristen im Hamburger Kiez, sondern auch Millionen Fernsehzuschauer.

Die Vorläuferbühne hatte Richard Ohnsorg bereits 1902 in Hamburg gegründet. An wechselnden Spielstätten gab man fortan niederdeutsche Stücke. Die meisten Schwänke wurden eigens „op Platt“ geschrieben, andere wurden aus dem Hochdeutschen oder anderen Sprachen übersetzt.

Dialekt ist kein Tüddelkram

Und siehe da: Weil das Niederdeutsche etwa mit dem Englischen so eng verwandt ist, zeigten die Übertragungen ungeahnte Qualitäten der Anverwandlung; ganz abgesehen davon, dass die Mundart ohnehin ihren speziellen Humor mit sich bringt. Dialekt ist eben kein Tüddelkram.

Heidi Kabel und Henry Vahl in "Tratsch im Treppenhaus" (Screenshot aus: http://www.youtube.com/watch?v=wYW4Area2kg)

Heidi Kabel und Henry Vahl in „Tratsch im Treppenhaus“ (Screenshot aus: http://www.youtube.com/watch?v=wYW4Area2kg)

Ab 1954 zeigte das ARD-Fernsehen Aufführungen aus dem Ohnsorg-Theater, wobei die norddeutsche Einfärbung dem Hochdeutschen behutsam angepasst wurde (sogenanntes „Missingsch“), damit auch Landsleute aus dem Westen und dem Süden mithalten konnten.

Mit Heidi Kabel und Henry Vahl

Legendär wurden vor allem die Sendungen in den 60er und 70er Jahren, als z. B. die überaus populären Schauspieler Heidi Kabel und Henry Vahl (meist als „komischer Opa“) zum Ensemble gehörten. Sie sind unvergessen: Seit Sommer 2011 residiert die Ohnsorg-Bühne im „Bieberhaus“ am Heidi-Kabel-Platz 1 in Hamburg. Einen Henry-Vahl-Park gibt es ebenfalls in der Stadt.

Gewiss: Die unter Live-Bedingungen im Theater aufgezeichneten Stücke erinnern manches Mal an derben Schenkelklopferhumor oder an unbedarftes Boulevardtheater – oft saubermännisch und doppelmoralisch garniert mit neckisch-frivolen Anspielungen. Doch da gab es auch durchaus feinsinnige und anrührende Töne. Und die Schauspieler verstanden ihr überwiegend komisches Fach. Die Komödien-Maschinerie war sozusagen bestens geölt. Andernfalls hätte man nicht diesen überwältigenden Erfolg gehabt.

Klassiker „Tratsch im Treppenhaus“

Gern gebe ich zu, dass ich jetzt beim Wiedersehen mit dem Ohnsorg-Klassiker „Tratsch im Treppenhaus“ an etlichen Stellen schallend gelacht habe. Das gesamte Stück spielt tatsächlich nur im Treppenhaus einer sehr einfachen Mietskaserne. Welch ein munteres Türenschlagen, welch ein aberwitziger Streit zwischen den Mietparteien! Und wie Heidi Kabel die ewige Lästerzunge Frau Boldt verkörpert, das hat schon sehr ordentliches Format.

Gipfeltreffen von 1968

Zeitgeschichtlich interessant: Die 1962 erstmals gesendete Produktion spielt noch vor dem Hintergrund äußerst schlichter Wohnverhältnisse in der Nachkriegsrepublik. Die komplette Fassung, die im Internet noch greifbar ist, stammt vom Silvesterabend 1966. Wer an einem solch herausgehobenen Tag die beste Sendezeit bestreiten durfte, zählte wahrlich zu den Quotenkönigen des Fernsehens.

1968 kam es übrigens zum Gipfeltreffen der damals beliebtesten Volksschauspieler: In „Die Kartenlegerin“ schaukelten sich Heidi Kabel und Willy Millowitsch gegenseitig hoch. Es war zum Schreien!

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Vorherige Beiträge zur Reihe:

“Tatort” mit “Schimanski” (1), “Monaco Franze” (2), “Einer wird gewinnen” (3), “Raumpatrouille” (4), “Liebling Kreuzberg” (5), “Der Kommissar” (6), “Beat Club” (7), “Mit Schirm, Charme und Melone” (8), “Bonanza” (9), “Fury” (10), Loriot (11), “Kir Royal” (12), “Stahlnetz” (13), “Kojak” (14), “Was bin ich?” (15), Dieter Hildebrandt (16), “Wünsch Dir was” (17), Ernst Huberty (18), Werner Höfers “Frühschoppen” (19), Peter Frankenfeld (20), “Columbo” (21), “Ein Herz und eine Seele” (22), Dieter Kürten in “Das aktuelle Sportstudio” (23), “Der große Bellheim” (24), “Am laufenden Band” mit Rudi Carrell (25), “Dalli Dalli” mit Hans Rosenthal (26), “Auf der Flucht” (27), „Der goldene Schuß“ mit Lou van Burg (28)

“Man braucht zum Neuen, das überall an einem zerrt, viele alte Gegengewichte.” (Elias Canetti)




TV-Nostalgie (28): „Der goldene Schuß“ mit Lou van Burg – „Kimme, Korn – ‚ran!“

Hier geht’s um einen Mann, der im Fernsehen der frühen Jahre gleichsam barocke Figur machte. Wohlgenährt, sinnenfroh und schwungvoll unterhielt der Charmeur Lou van Burg, gern auch familiär „Onkel Lou“ oder „Mister Wunnebar“ genannt, die Nation zwischen „Wirtschaftwunder“ und ersten Krisen.

Wollte stets gute Laune verbreiten: Lou van Burg (Screenshot aus: http://www.retro-tv.de/folge-80:3)

Wollte stets gute Laune verbreiten: Lou van Burg (Screenshot aus: http://www.retro-tv.de/folge-80:3)

Die mit Abstand erfolgreichste Show des Holländers war von 1964 bis 1967 „Der goldene Schuß“ im ZDF. Was sich heute wohl kein Fernsehmacher außerhalb der Kulturkanäle trauen würde: Vorbild für die Spielidee war der dramatische Apfelschuss aus Schillers „Wilhelm Tell“. Während viele andere deutsche TV-Erfolge ausländische Vorbilder hatten, war „Der goldene Schuß“ ein deutscher Exportschlager.

Fast schon „interaktiv“

Die Regeln der Show waren allerdings teilweise so umständlich, dass Lou van Burg manchmal selbst ins Schlingern geriet. Im Kern ging es um Geschicklichkeitsspiele, etliche Gesangseinlagen (zu denen auch der Showmaster beitrug) und – vor allem – ums möglichst zielsichere Schießen mit der Armbrust.

Für damalige Verhältnisse ziemlich modern: Ausgewählte TV-Zuschauer konnten von daheim Kommandos geben („rechts, links, höher…“), die ein Kameramann so ausführte, dass Millionen am Fernsehgerät die Lage von Kimme, Korn und Zielscheibe genau verfolgen konnten. Ja, es war eine Vorform des „interaktiven“ Fernsehens.

Quote bis zu 72 Prozent

Beim entscheidenden „Goldenen Schuss“, der in diversen Zusammenhängen Eingang in die Alltagssprache gefunden hat, sollte ein Säckchen mit Gold (Wert: immerhin rund 8000 Mark) abgeschossen werden, das am dünnen Faden hing. Da durfte man auch als Kind schon zuschauen – und hat glühend mitgefiebert.

Der Quotenrenner erzielte bis zu 72 Prozent Sehbeteiligung und zog im Gesangs- und Promi-Teil viele Berühmtheiten an. Sogar weltweite Größen wie Grace Kelly und Frank Sinatra traten bei Lou van Burg auf.

Pikantes Liebesleben

Das alles half nichts, als besonders die Boulevardpresse ein paar pikante Details aus „Onkel Lous“ Liebesleben verbreitete. Der Mann war noch verheiratet, lebte aber längst mit einer Freundin, der Sängerin und Schauspielerin Angèle Durand, zusammen. Diese wiederum verriet den Journalisten, Lou van Burg habe eine Affäre mit seiner jungen Assistentin. Die war ihrerseits anderweitig verheiratet, erwartete aber von „Onkel Lou“ bereits ein Kind. Das alles war zu viel für die damaligen Moralvorstellungen. Das ZDF trennte sich im Juli 1967 für neun Jahre von dem populären Entertainer.

Vico Torriani übernahm die Sendung und durfte somit am 25. August 1967 die allererste große Show des am selben Tag eingeschalteten deutschen Farbfernsehens leiten. Mit dem vergleichsweise blassen Torriani lief „Der goldene Schuß“ bis 1970. In den ZDF-Archiven lagern nur noch vier komplette Folgen, alles andere ist verschollen.

Rituale und Redewendungen

Lou van Burg, der joviale Mann von Welt mit dem neckischen Menjoubärtchen, präsentierte später noch die eine oder andere Musiksendung, doch den ganz großen Coup konnte er nicht mehr landen.

Dafür hat uns „Onkel Lou“ (1917-1986) ein paar unvergessliche Rituale und Redewendungen hinterlassen – vom „Schützenfest der Heiterkeit“ über den Wechselgesang mit seinem frohsinnigen Publikum („Hallo Freunde! – „Hallo Lou!“), den Spruch zum Laden der Armbrust („Bitte, Peter, den Bolzen“), das Kommando zum Schuss („Kimme, Korn – ran!“) bis hin zu den freudigen Ausrufen „Wunnebar!“ und „Der Kandidat hat 100 Punkte!“

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Vorherige Beiträge zur Reihe:

“Tatort” mit “Schimanski” (1), “Monaco Franze” (2), “Einer wird gewinnen” (3), “Raumpatrouille” (4), “Liebling Kreuzberg” (5), “Der Kommissar” (6), “Beat Club” (7), “Mit Schirm, Charme und Melone” (8), “Bonanza” (9), “Fury” (10), Loriot (11), “Kir Royal” (12), “Stahlnetz” (13), “Kojak” (14), “Was bin ich?” (15), Dieter Hildebrandt (16), “Wünsch Dir was” (17), Ernst Huberty (18), Werner Höfers “Frühschoppen” (19), Peter Frankenfeld (20), “Columbo” (21), “Ein Herz und eine Seele” (22), Dieter Kürten in “Das aktuelle Sportstudio” (23), “Der große Bellheim” (24), “Am laufenden Band” mit Rudi Carrell (25), “Dalli Dalli” mit Hans Rosenthal (26), „Auf der Flucht“ (27)

„Man braucht zum Neuen, das überall an einem zerrt, viele alte Gegengewichte.” (Elias Canetti)




TV-Nostalgie (27): „Auf der Flucht“ – Als Dr. Richard Kimble durch die USA gehetzt wurde

Eigentlich erstaunlich, dass diese Serie auch bei uns so legendär werden konnte. Ab 9. Juli 1965 zeigte die ARD lediglich 26 von insgesamt 120 Folgen von „Auf der Flucht“. Dennoch war der flüchtige „Dr. Kimble“ (David Janssen) bald allen Fernsehzuschauern ein Begriff – und blieb es für viele bis heute.

Doch halt! Nicht alle haben das damals sehen dürfen. Wenn ich mich recht entsinne, haben meine Eltern die Serie damals regelmäßig geguckt, doch für mich war „Auf der Flucht“ (nach ihrer Meinung) noch viel zu aufregend. Wahrscheinlich ist es vielen so ergangen, die seinerzeit Kinder waren. Aber man hörte und las ja überall davon.

Unschuldig zum Tode verurteilt

Wir erinnern uns also: In der im Original schier endlosen US-Thrillerserie ging es um jenen Arzt Dr. Richard Kimble, der zum Tod auf dem elektrischen Stuhl verurteilt wurde, weil er angeblich seine Frau ermordet hatte. Doch er war unschuldig. Auf dem Weg zur Hinrichtung gelang ihm die Flucht, die fortan kreuz und quer durch die Vereinigten Staaten führte. Und wie wurde der Mann gehetzt!

Gehetzter Mann: David Janssen als Dr. Richard Kimble (Screenshot aus: http://www.youtube.com/watch?v=PCdPAELyRyI)

Gehetzter Mann: David Janssen als Dr. Richard Kimble (Screenshot aus: http://www.youtube.com/watch?v=PCdPAELyRyI)

Ich habe mir jetzt probehalber noch einmal zwei Folgen angesehen und muss sagen: Die Filme sind heute noch spannend. Die Hauptfigur, wahrlich ein einsamer Wolf, lebt in beständiger Furcht. Dr. Kimble misstraut erst einmal jedem Menschen, dem er begegnet.

Drohbriefe für Polizisten-Darsteller

Immer und immer wieder droht die Entdeckung – vor allem durch den besessenen Polizei-Lieutenant Gerard. Barry Morse, der Darsteller dieses Erz-Widersachers, bekam in den USA (wo die Serie von 1963 bis 1967 lief) sogar echte Drohbriefe, so glaubhaft spielte er den unerbittlichen Verfolger.

Einer allein gegen alle? Nicht ganz. Auf seinen Fluchtwegen fand Dr. Kimble auch immer wieder Menschen, die ihm – aus unterschiedlichsten Motiven – halfen. Da wurden streckenweise sehr anrührende menschliche Geschichten erzählt.

Der geheimnisvolle Einarmige

Manche Folgen zerren nicht nur als Krimis an den Nerven, sie erweisen sich überdies als packende Sozialstudien; beispielsweise die Episode, die in West Virginia spielt – in einem einst lebendigen, jetzt aber hoffnungslosen Ort, dessen Bergwerk schließen musste. Vor diesem Hintergrund wirkt Kimbles Flucht noch eine Spur verzweifelter als sonst schon. Und man kann nicht umhin, unwillkürlich an Teile des Ruhrgebiets zu denken.

Die allzeit ruhelose Flucht hat zwei Spannungsbögen, die die gesamte Serie überwölben. Zum einen zittert man mit Dr. Kimble, dass er nicht gefangen werden möge, zum anderen wünscht man ihm innig, dass er selbst den geheimnisvollen Einarmigen aufspürt, der offenbar der wirkliche Mörder seiner Frau ist.

Sogar heute scheut man sich noch, die (wohl allseits bekannte) Lösung des Dramas auszuplaudern. Wer weiß: Vielleicht hatten die Eltern damals doch recht. Es war tatsächlich viel zu aufregend für uns.

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Vorherige Beiträge zur Reihe:

“Tatort” mit “Schimanski” (1), “Monaco Franze” (2), “Einer wird gewinnen” (3), “Raumpatrouille” (4), “Liebling Kreuzberg” (5), “Der Kommissar” (6), “Beat Club” (7), “Mit Schirm, Charme und Melone” (8), “Bonanza” (9), “Fury” (10), Loriot (11), “Kir Royal” (12), “Stahlnetz” (13), “Kojak” (14), “Was bin ich?” (15), Dieter Hildebrandt (16), “Wünsch Dir was” (17), Ernst Huberty (18), Werner Höfers “Frühschoppen” (19), Peter Frankenfeld (20), “Columbo” (21), “Ein Herz und eine Seele” (22), Dieter Kürten in “Das aktuelle Sportstudio” (23), “Der große Bellheim” (24), “Am laufenden Band” mit Rudi Carrell (25), „Dalli Dalli“ mit Hans Rosenthal (26)

“Man braucht zum Neuen, das überall an einem zerrt, viele alte Gegengewichte.” (Elias Canetti)




Kratzer am Bild von Ikea

Gibt es da draußen jemanden, der noch kein Ikea-Regal zusammengebaut hat? Wohl kaum. Eine Reportage über das „unmögliche Möbelhaus“ geht uns also alle an.

Ordentlich eingekauft: Eine Familie verlässt ein Ikea-Einrichtungshaus. (Bild: WDR/Thomas Brill)

Ordentlich eingekauft: Eine Familie verlässt ein Ikea-Einrichtungshaus. (Bild: WDR/Thomas Brill)

Viele verbinden mit Ikea eine entspannte, freundliche und familiäre Atmosphäre. Doch „Der Ikea-Check“ (ARD), der über weite Strecken überzeugte, fiel nicht ganz so schmeichelhaft aus. Ein erster Vergleichstest mit einem großen Kölner Möbelhaus ergab, dass der Einkauf bei Ikea offenbar deutlich stressiger ist – Körpersensoren brachten es an den Tag.

Die Lust am Zusammenbauen

Erstaunlich, wie Versuchsgruppen ein und dasselbe Nachtschränkchen teurer einschätzten, wenn es noch zusammengebaut werden musste, als wenn es schon fertig vor ihnen stand. Allen Flüchen beim Hämmern und Schrauben zum Trotz: Das Zusammenbauen macht letztlich meistens Spaß und bringt auch ein wenig Stolz mit sich. Ein raffiniertes Prinzip, das weltweit Kunden an die Firma bindet.

Ein bisschen Schwund…

Ein Klassiker wie das „Billy“-Regal ist mit den Jahren billiger geworden. Wie kann denn das angehen? Nun, ein Tischler prüfte nach: Die Maße sind geschrumpft, die Qualität von Holz und Schrauben ist gezielt gesenkt worden. In Dekra-Testreihen erzielten die untersuchten Ikea-Produkte gerade mal das Prädikat „ausreichend“.

Fabrik im Lande des Diktators

Schließlich die „Fairness“. Ikea behauptet beispielsweise, eine bestimmte Kommode werde in Litauen gefertigt. Verdeckte ARD-Recherchen ergaben hingegen, dass zumindest wesentliche Mengen im diktatorisch regierten Weißrußland produziert werden, wo Löhne und sonstige Kosten noch sehr viel niedriger sind und wo Gewerkschaften nichts zu melden haben. Ikea zeichnet jedoch ein ganz anderes Bild von den eigenen Gepflogenheiten. Darf man hier von Vortäuschung falscher Tatsachen sprechen?

Da mag die Pressesprecherin noch so sehr begütigen: Manche Leute, die diese Sendung gesehen haben, dürften beim nächsten Ikea-Einkauf vielleicht ein bisschen nachdenklicher werden.




Immer munter und vergnügt: Vom Leben älterer Menschen rund um den Erdball

Stets selbst mit im Bild: ZDF-Reporterin Anja Roth - hier mit dem sardischen Schäfer Tonino Tola (84). (Bild: ZDF/Frederic Ulferts)

Stets selbst mit im Bild: ZDF-Reporterin Anja Roth – hier mit dem sardischen Schäfer Tonino Tola (84). (Bild: ZDF/Frederic Ulferts)

Im ZDF haben sie mal wieder alle Probleme dieser Welt einfach weggelächelt.

„Wie geht die Welt mit ihren Alten um?“ lautete das Thema – und wurde weitgehend verfehlt. Es war gedankenarmes Wohlfühl-Fernsehen nach Art eines Boulevard-Magazins, mit dem uns die Reporterin Anja Roth vom Leben älterer Menschen rund um den Erdball berichtet hat. Immer lachend, immer munter und vergnügt. Wirklich gravierende Probleme oder gar bedrückende Armut kamen ja auch in dieser neuen Ausgabe von „außendienst XXL“ kaum vor. Im Gegenteil: Die meisten der gezeigten Leute konnten sich das bessere Leben schlichtweg finanziell leisten.

Fit und schön in Brasilien

Immer selbst mit im Bild: Reporterin Roth, die anscheinend weltweit keinen Dolmetscher brauchte. Sie war dabei, als sich „Senioren“ in Brasilien bis ins hohe Alter sportlich erstaunlich fit hielten und in Schönheitssalons strömten. Auch erfuhr sie, dass das Land den Weltrekord im Viagra-Verbrauch hält. Betagte Männer heiraten in zweiter Ehe oft junge Frauen. In diesem Zusammenhang fiel ein herzlich dummer Satz: „Bei so viel jüngerer Konkurrenz heißt es für die älteren Frauen: Gas geben.“ Ach, du meine Güte…

Prost auf die Hundertjährigen

Fröhlich ging’s weiter nach Japan, wo sich eine ältere Dame als Erntehelferin betätigte. Die schwere Arbeit wurde ihr von einem neuartigen Roboter (Stückpreis umgerechnet rund 7000 Euro) erleichtert, der ungeahnte Körperkräfte verlieh. Anja Roth fand’s verrückt und crazy – wie beinahe alles, was sie auf dem Globus so erlebte.

Auch auf der Insel Sardinien, wo es in bestimmten Gegenden viele über hundertjährige Menschen gibt, war sie rundum froh. Ein alter Schäfer schwor auf lebensverlängernden Käse und Rotwein. Prost!

Kostspielige Reise

Aber es war noch ein bisschen Gebührengeld übrig. Also durfte Anja Roth mit ihrem Team auch noch in die USA (sündhaft teure High-Tech-Häuser für alte Menschen), nach Israel (Cannabis-Behandlung gegen Schmerzen) und Ghana (fröhliche Beerdigungen) reisen. Mehrfach wurde immerhin klar, wie wichtig fürs gute Leben im Alter eine Einbindung in die – möglichst aus mehreren Generationen bestehende – Familie ist. Man hat so etwas allerdings schon mal gehört.

Zum postkartengerechten Sonnenuntergang verriet Anja Roth schließlich ihr Fazit: Der Mensch brauche auch im Alter eine Aufgabe oder eine Leidenschaft. Und man müsse immer offen bleiben für neue Ideen. Ach was! Für diese Weisheiten hat man die lachlustige junge Frau kostspielig um die ganze Welt geschickt?




TV-Nostalgie (25): „Am laufenden Band“ – Als Rudi Carrell das Fernsehen in Schwung brachte

Rudi Carrell in der Sendung vom 25. April 1976. (Screenshot aus: https://www.youtube.com/watch?v=zgADLE9zduU)

Rudi Carrell in der Sendung vom 25. April 1976. (Screenshot aus: https://www.youtube.com/watch?v=zgADLE9zduU)

Dass Rudi Carrells phänomenaler ARD-Fernseherfolg „Am laufenden Band“ ein Produkt der 70er Jahre war, merkt man an manchen Einzelheiten sehr deutlich.

Dies alles war beispielsweise in der Ausgabe vom 25. April 1976 zu erleben, die jetzt noch komplett im Internet zu besichtigen ist: Showmaster Rudi Carrell trägt zeittypische Schlaghosen. Bei einem Kreativspielchen wird die arabische Sprache derart wüst parodiert, wie dies heute kaum noch öffentlich-rechtlich denkbar wäre.

Spiel mit den Geschlechterrollen

Und weiter: An etlichen Stellen der Sendung wird klar, wie festgelegt die männlichen und weiblichen Rollenmuster immer noch gewesen sind. Ein neckisches Rollentausch-Spiel, bei dem die Frauen in die Kneipe und die Männer in die Küche gehen, bezieht sich direkt darauf. Jetzt ebenfalls nicht mehr im Fernsehen denkbar: Um Männlichkeit zu markieren, sollen die Frauen beim selben Spiel Zigarren paffen. Und die Kandidaten müssen dressierte Elefanten dazu bringen, auf die Knie zu gehen. Heute gäb’s in solchem Falle heftige Tierschützerproteste.

Lockerer als die Kollegen

Nun gut. Das alles ist rund 40 Jahre her, die Show mit Rudi Carrell (1934-2006) startete am 27. April 1974 und lief (in 51 Folgen à 90 Minuten) bis 1979. Der Holländer brachte damals frischen Wind in die deutsche TV-Unterhaltung. Carrell war ungleich lockerer als fast alle Kollegen hierzulande. Er wusste wahrlich, wie man eine große Live-Sendung über die Runden schaukelt, der langjährig erfahrene Entertainer beherrschte alle Kniffe.

Was hat denn nur das Häschen zu bedeuten? Die möglichen Gewinne ziehen am 25. April 1976 am siegreichen Kandidaten auf dem Fließband vorüber. (Screenshot aus: Rudi Carrell in der Sendung vom 25. April 1976. (Screenshot aus: https://www.youtube.com/watch?v=zgADLE9zduU)

Was hat denn nur das Häschen zu bedeuten? Die möglichen Gewinne ziehen am 25. April 1976 am siegreichen Kandidaten auf dem Fließband vorüber. (Screenshot aus: https://www.youtube.com/watch?v=zgADLE9zduU)

Allerdings soll der Perfektionist die Mitarbeiter hinter den Kulissen oft ziemlich geschurigelt haben. Da hat wohl auch der an sich liebenswerte Akzent des Mannes aus Alkmaar schon mal etwas anders geklungen.

Improvisation war gefragt

Von Quiz und sonstiger Wissensabfrage hielt Rudi Carrell überhaupt nichts. Er zog Spiele vor, bei denen die Kandidaten Improvisationstalent beweisen mussten. Damals war das nicht gerade die auffallendste „deutschen Tugend“. Körperlicher Einsatz bis zur Slapstick-Grenze kam oft hinzu. In manchen Momenten kann man sich heute noch vor Lachen kringeln. Es ist wie ein munterer Kindergeburtstag.

So mussten in der erwähnten Sendung von 1976 aus dem Stegreif Reden eines Standesbeamten gehalten werden. Vorgabe-Motto: „Die Ehe ist wie eine Reise“. Oder wie ein Märchen. Auch galt es, in amüsanten Spielszenen spontan den Klang verschiedener Sprachen nachzuahmen – etwa beim „Witzeerzählen auf Chinesisch“.

Wer kann sich die Gewinne merken?

Fabelhaft übrigens, wie natürlich Rudi Carrell mit den Kandidaten umgeht – niemals von oben herab, stets entspannt. Da gibt es, wenn er die Leute von sich erzählen lässt, immer wieder ganz anrührende, authentische Momente – und das vor einem Multimillionenpublikum.

Der abschließende Clou der Sendung kommt schon im Titel vor. Am Ende sitzt der siegreiche Kandidat (oder die Kandidatin) vor dem Fließband, auf dem wirkliche und symbolische Gewinne rasch vorüberziehen. Er kriegt nachher nur das, was er sich so schnell merken und dann binnen 30 Sekunden aufsagen kann. Oje, oje: Da hat die Aufregung so manches Mal den Lohn der vorherigen Mühe verringert.

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Vorherige Beiträge zur Reihe: “Tatort” mit “Schimanski” (1), “Monaco Franze” (2), “Einer wird gewinnen” (3), “Raumpatrouille” (4), “Liebling Kreuzberg” (5), “Der Kommissar” (6), “Beat Club” (7), “Mit Schirm, Charme und Melone” (8), “Bonanza” (9), “Fury” (10), Loriot (11), “Kir Royal” (12), “Stahlnetz” (13), “Kojak” (14), “Was bin ich?” (15), Dieter Hildebrandt (16), “Wünsch Dir was” (17), Ernst Huberty (18), Werner Höfers “Frühschoppen” (19), Peter Frankenfeld (20), “Columbo” (21), “Ein Herz und eine Seele” (22), Dieter Kürten in “Das aktuelle Sportstudio” (23), „Der große Bellheim“ (24)

“Man braucht zum Neuen, das überall an einem zerrt, viele alte Gegengewichte.” (Elias Canetti)




TV-Nostalgie (24): „Der große Bellheim“ – Die älteren Herren wollen es noch einmal wissen

Vier ältere Herren wollen es noch einmal wissen – und wie! Wohl selten ist der Segen langjähriger Berufserfahrung so schlüssig vor Augen geführt worden wie im legendären Vierteiler „Der große Bellheim“.

Drei vom Quartett (v. li.): Mario Adorf, Will Quadflieg, Hans Korte - es fehlt nur Heinz Schubert. (Screenshot aus: https://www.youtube.com/watch?v=qP0JA3vx_gs)

Drei vom Quartett (v. li.): Mario Adorf, Will Quadflieg, Hans Korte – es fehlt nur Heinz Schubert. (Screenshot aus: https://www.youtube.com/watch?v=qP0JA3vx_gs)

Regisseur Dieter Wedel konnte bei den Dreharbeiten (1991/92) auf eine ungemein erlesene Darstellerriege vertrauen – allen voran das Quartett Mario Adorf (in der Titelrolle des Peter Bellheim), Heinz Schubert, Will Quadflieg und Hans Korte. Sie raufen sich nach und nach zusammen, um das altehrwürdige Kaufhaus Bellheim zu sanieren, das in Schieflage geraten ist und überdies von fiesen Finanzjongleuren (Heinz Hoenig, Leslie Malton) skrupellos attackiert wird.

Langweiliger Ruhestand

Eigentlich hatte sich Peter Bellheim schon mit 57 Jahren nach Spanien zurückgezogen, um den sonnigen Ruhestand zu genießen. Kurz vor seinem 60. Geburtstag erfährt er, dass die Hannoversche Kaufhauskette in Schwierigkeiten steckt. Die Hiobsbotschaft kommt ihm sozusagen gerade recht. „Der große Bellheim“ wollte ohnehin nicht mehr dauernd herumsitzen, nicht mehr jeden Tag bis zum Überdruss ausspannen. Oder wie ein Freund es formuliert: Irgendwann ist die Briefmarkensammlung halt fertig sortiert.

Ausgefuchste Wirtschaftsprofis

Auch die drei anderen, allesamt ebenso ausgefuchste Wirtschaftsprofis, wollen sich – allen Zipperlein zum Trotz – endlich mal wieder beweisen. Anfangs zieren sie sich noch ein wenig, doch Peter Bellheim muss keine allzu großen Überredungskünste aufwenden, um sie mit ins Boot zu holen. Gewiss, sie sind noch ein paar Jährchen älter als Bellheim und nicht mehr ganz so fit wie ehedem, doch Klugheit und Erfahrung machen das bei weitem wett. Da zeigen sie es allen jungen Schnöseln. Die klopfen derweil ziemlich dumme Sprüche: „Die Eskimos machen es richtig, die setzen ihre Alten einfach aus…“

Wedels Vierteiler (Erstsendung im Januar 1993 im ZDF, Gesamtlänge satte 455 Minuten) ist eine großartig gespielte Komödie über die besondere Leistungsfähigkeit von „Senioren“, wobei dieses immer etwas gönnerhaft klingende Wort hier so gar nicht passend erscheint. Es sind einfach gestandene Burschen, die es immer noch „drauf haben“. Punkt.

Das Thema bleibt aktuell

Die über 20 Jahre alte Reihe ist zeitgeschichtlich interessant, weil sie die Anfänge der Banken- und Börsenzockerei in Deutschland aufgreift und mit Blicken hinter die Kaufhaus-Kulissen auch den ziemlich freudlosen Stechkarten-Alltag der einfachen Angestellten einbezieht.

Außerdem mutet die Handlung aus heutiger Sicht sehr aktuell an. Die gegenwärtig wieder neu aufgeflammte Debatte, ob unsere Gesellschaft es sich leisten kann, fähige Menschen zu früh in den Ruhestand zu entlassen, wird hier in höchst unterhaltsamer Form angestoßen. Kurz und gut: Das ist ein Stoff, aus dem Fernsehklassiker gemacht sind.

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Vorherige Beiträge zur Reihe: “Tatort” mit “Schimanski” (1), “Monaco Franze” (2), “Einer wird gewinnen” (3), “Raumpatrouille” (4), “Liebling Kreuzberg” (5), “Der Kommissar” (6), “Beat Club” (7), “Mit Schirm, Charme und Melone” (8), “Bonanza” (9), “Fury” (10), Loriot (11), “Kir Royal” (12), “Stahlnetz” (13), “Kojak” (14), “Was bin ich?” (15), Dieter Hildebrandt (16), “Wünsch Dir was” (17), Ernst Huberty (18), Werner Höfers “Frühschoppen” (19), Peter Frankenfeld (20), “Columbo” (21), “Ein Herz und eine Seele” (22), Dieter Kürten in „Das aktuelle Sportstudio“ (23)

“Man braucht zum Neuen, das überall an einem zerrt, viele alte Gegengewichte.” (Elias Canetti)




Mäuse, Schweinchen, Feen und Pinguine: Sehenswerte Trickserien für Vorschulkinder

Mit Kindern lernt man nahezu zwangsläufig auch Kinderfernsehen kennen – alles in Maßen und sorgfältig ausgewählt, versteht sich. Und immer sollte das Vorlesen das Flimmern bei weitem überwiegen. Das musste auch mal wieder gesagt werden, nicht wahr?

Doch es gibt eben phantasievolle Trickserien, die auch im Sinne einer frühen „Medienkompetenz“ wirken dürften und gleichwohl vor allem unterhaltsam sind. Episoden sind reichlich im Internet zu finden und können also zur gefälligen Wunschzeit betrachtet werden. Ich habe hier einige Beispiele verlinkt, und zwar nur aus Produktionen, die ich für empfehlenswert halte; sofern man sie zusammen anschaut und bei Bedarf darüber redet.

Ben und Holly im Vorspann einer Episode von "Ben & Holly's Little Kinddom". (Screenshot aus: http://www.youtube.com/watch?v=NSwNiZidAbA)

Ben und Holly mit Gaston, dem Marienkäfer – im Vorspann einer Episode von „Ben & Holly’s Little Kingdom“. (Screenshot aus: http://www.youtube.com/watch?v=NSwNiZidAbA)

So weit die pädagogische Pflicht. Und nun die Kür:

An erster Stelle gehört natürlich „Die Sendung mit der Maus“ hierher, bei deren Sachgeschichten man selbst auch noch jede Menge lernen kann, jüngst beispielsweise über den Alltag in der Weltraumstation ISS. Die Lachgeschichten (im Wechsel zwischen „Käpt’n Blaubär“ und „Shaun das Schaf“) sind geradezu erlesen, wobei Shaun oft eher aufs Vergnügen der Erwachsenen abzielt.

Sonntägliches Ritual

Bei vielen Familien gehört die Maus (ARD und KiKa) jedenfalls zum Sonntagsritual. Doch vor dem vierten Lebensjahr sollte man damit nicht anfangen. Manche Beiträge sind sogar erst für Grundschüler der zweiten oder dritten Klasse geeignet. Jede Wette, dass viele Erwachsene zu den Stammzuschauern gehören – selbst ohne Kinder im Haus.

Sind die Kinder noch keine vier Jahre alt, so empfiehlt sich besonders die liebenswerte Animationsreihe „Pingu“, die mit einer – zuweilen fast finnisch klingenden – Phantasiesprache auskommt und ihre prägnanten Geschichten nonverbal erzählt. Wenn er sich aufregt (und das tut erhäufig), ruft „Pingu“ übrigens lauthals „Noog-Noog“, wobei sich sein Schnabel trompetenartig verformt.

Dramen im Polargebiet

Kleine, kindgerechte, oft ziemlich chaotische Alltagsdramen spielen sich da im Polargebiet ab, die der titelgebende Pinguin mit seiner (manchmal als lästig empfundenen) jüngeren Schwester, den recht rabaukenhaften Schulkumpanen und den ziemlich strengen Eltern besteht. Hier kommen eigentlich alle Situationen aus dem wirklichen Kinderleben vor.

„Pingu“ ist keineswegs „alternativlos“. Gute Ergänzungen sind die vom einfachen Anspruch her vergleichbaren Erlebnisse des kecken Eselchens „Trotro“ (französische Trickschöpfung, auch in deutscher Fassung) und die niedlich bunte britische Reihe „Maisy Mouse“, die auch noch mit etlichen vorsprachlichen Elementen daherkommt und wohl auch daher offenbar noch nicht eingedeutscht worden ist. Da man ohnehin dabei sitzt, streut man halt ein paar ganz simple Übersetzungen ein. Wobei sich vieles auch für Kinder wie von selbst versteht. Die englische Satzmelodie zu hören, kann sicherlich auch nicht schaden.

Nicht ohne Zeigefinger

Fürs Alter etwa ab vier Jahren ist die französisch-kanadische Zeichentrickserie „Bali“ gedacht, die auch in deutscher Synchronisation vorliegt und Folge für Folge ebenfalls so ziemlich alle Lebenslagen kleinerer Kinder durchspielt – allerdings nicht selten mit sämig tröpfelnder Moral und erhobenem Zeigefinger. Dennoch machen die Erlebnisse der putzig gezeichneten Mäusefamilie Mut zu so mancher Unternehmung der frühen Jahre. Fahrrad fahren, Schwimmen lernen, angstfrei zum Zahnarzt gehen – derlei Prüfungen werden am Ende stets mit einer traumhaften Extraportion Zuversicht bestanden. Sei’s drum.

Unsere Tochter wird bald fünf Jahre alt und hat die meisten der erwähnten Figuren gleichsam hinter sich gelassen. Neuerdings schauen wir ab und zu in zwei englische Zeichentrickserien hinein, die nun wirklich allerliebst sind. Ich gestehe, dass ich quasi Fan geworden bin und mich jeweils darauf freue.

Wo der Marienkäfer bellt

Ich rede von „Peppa Pig“ (deutsch: „Peppa Wutz“), dem Töchterchen einer herrlich schrägen Schweinefamilie, die mit Hasen, Zebras, Elefanten etc. befreundet ist. Der Kindergarten wird von Madame Gazelle geleitet, die mit französischem Akzent spricht, was allein schon den einen oder anderen komischen Effekt zeitigt. Jede Folge ist eine liebevolle kleine Groteske für sich, quiekbunt und grunzlustig.

Die Schweinefamilie in "Peppa Wutz" (v. li.): Mama Wutz, Peppa, George, Papa Wutz. (Screenshot aus: http://www.youtube.com/watch?v=XeNOxKHPCP0)

Die Schweinefamilie in „Peppa Wutz“ (v. li.): Mama Wutz, Peppa, George, Papa Wutz. (Screenshot aus: http://www.youtube.com/watch?v=XeNOxKHPCP0)

Womöglich noch skurriler und mit echt britischem Humor durchtränkt ist die Serie „Ben & Holly’s Little Kingdom“ („Ben & Hollys kleines Königreich“). Hinter dichten Brombeerhecken leben lauter winzig kleine Wesen – allen voran der Elf Ben und die Fee Holly mit ihren Familien. Holly kann, angeleitet von ihrer Nanny, schon ein wenig zaubern und ist Tochter des manchmal etwas tumben Königs. Ben ist so stolz auf seine Herkunft, dass er immer gleich ins griffbereite Horn stößt, wenn das Wort „Elf“ fällt. Eine Fülle weiterer Figuren (darunter ein bellender Marienkäfer – „Gaston the Ladybird“) fächert die an running gags reiche Handlung so vielfältig auf, dass sie fast schon shakespearesche Zauberwald-Dimensionen annimmt. Nun gut, das ist etwas übertrieben. Aber es ist auf jeden Fall eine ganz und gar prachtvolle Kinderserie.

Beiden zuletzt genannten Produktionen gemeinsam sind – neben blühendem Einfallsreichtum – eine ausgefeilte Figuren- und stilsicher typisierende Charakterzeichnung sowie eine wohldurchdachte Dramaturgie. Doch diese Gerüste bemerkt man erst, wenn man partout darüber nachsinnen will. Zuallererst sind beide Reihen wunderbar leichtfüßig und unterhaltsam. Also gerade gut genug für aufgeweckte Kinder.




Christian Wulff als Talk-Gast: Einblicke ins Räderwerk zwischen Politik und Presse

Im Februar 2012 ist Christian Wulff von seinem Amt als Bundespräsident zurückgetreten. Jetzt begab er sich erstmals wieder in eine TV-Talkshow: Maybrit Illner (ZDF) hatte also eine kleine Sensation zu bieten, für die sie auch ihre Sommerpause verschob und die Sendezeit überzog.

Man bekam immerhin ein paar kleine Einblicke ins ratternde Räderwerk zwischen Politik, Presse und Justiz.

Feldzug gegen Kampagne

Wulff, inzwischen gerichtlich von allen Vorwürfen der Vorteilsnahme und Korruption freigesprochen, zieht seit einigen Wochen mit einem Buch („Ganz oben, ganz unten“) gegen die Pressekampagne zu Felde, die ihn damals in den Rücktritt getrieben habe. Es scheint so, als sei auf allen Seiten Selbstgerechtigkeit im Spiele.

Lag’s daran, dass er als Präsident gesagt hat „Der Islam gehört zu Deutschland“? War das eine Provokation? Jedenfalls schien er alsbald für weite Teile der Medien „zum Abschuss freigegeben“ und es war, als wollten manche Journalisten einmal zeigen, dass sie auch ein Statsoberhaupt aus dem Amt schreiben können. Ihre Recherchen reichten zuweilen bis tief in die Privatsphäre und unter die Gürtellinie. Jeder minimale Vorwurf war willkommen – und auch die Staatsanwaltschaft bekleckerte sich im Ermittlungsverfahren nicht gerade mit Ruhm.

Fehler auf allen Seiten

Presse und Justiz müssen sich also einige selbstkritische Fragen stellen. Doch auch Christian Wulff hat etliche Fehler gemacht. Er war, wie sich bei Maybrit Illner abermals zeigte, zu naiv und zu wenig souverän. Er offenbarte, als es auf offensive Ehrlichkeit angekommen wäre, die Wahrheit nur verdruckst in Salamitaktik und sagt noch jetzt, er sei ja seinerzeit nach bestimmten Dingen gar nicht gefragt worden…

Wie überempfindlich der Mann geworden ist, wurde auch im Umgang mit der Talkmasterin Illner klar, der er vorhielt, sie werfe alles durcheinander. Freilich stichelte Frau Illner hin und wieder auch ein wenig. Und die Rolle des Fernsehens kam bei aller Presseschelte so gut wie gar nicht zur Sprache. Warum eigentlich nicht?

Naiv und wenig souverän

Recht behutsam, differenziert und sachlich gingen hingegen die weiteren Talkgäste, Ex-Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer (Grüne) und Heribert Prantl (Chefredaktion Süddeutsche Zeitung), mit dem Fall Wulff um. Sie machten deutlich, dass in dieser Sache die eine oder andere Grenze überschritten worden ist.

Doch so mancher andere, der damals mit den Wölfen geheult hat, ruft heute auch nach Bedachtsamkeit. Also ist mitunter Heuchelei nicht fern.

Geradezu tragisch oder auch tragikomisch ist das Verhältnis Christian Wulffs zur „Bild“-Zeitung und deren Chefredakteur Kai Diekmann. Wulff hat offenbar geglaubt, mit dem Boulevard-Blatt einen Pakt auf gegenseitige Freundlichkeit schließen zu können. Welch ein Irrtum! Spät, doch entschieden und mit dubiosen Mitteln wendete sich die Zeitung mit den großen Buchstaben gegen Wulff. Da auch Spiegel und FAZ ihm nicht wohlgesonnen waren, hatte er den Kampf um die öffentliche Meinung schon früh verloren.

Da fragt man sich schon, ob Gewaltenteilung und Kräftebalance in unserem Gemeinwesen wirklich funktionieren.

P.S.: Seinen irritierenden Ausspruch, er wäre heute noch der Richtige fürs Bundespräsidentenamt, hat Christian Wulff in der Talkshow zurückgezogen: „Das hätte ich nicht sagen sollen.“




TV-Nostalgie (22): „Ein Herz und eine Seele“ – als „Ekel Alfred“ gegen die Sozis wetterte

Was für ein Kotzbrocken! Alle Welt kannte den Mann als „Ekel Alfred“. Den Beinamen hatte er sich wahrlich verdient.

Mit seiner Familie im Ruhrgebiets-Reihenhaus war dieser Alfred Tetzlaff keineswegs „Ein Herz und eine Seele“, wie der Serientitel ironisch verhieß. Nein, mit diesem monströsen Oberspießer konnte keiner in Frieden leben. Zu sagen, dass der Haussegen ständig schief hing, wäre eine Untertreibung.

Engstirniges Weltbild

Ab Anfang 1973 wetterte Alfred (großartig gespielt von Heinz Schubert) gegen alles, was nicht in sein engstirniges Weltbild passte und nach „Sozis“ oder gar Kommunismus roch. Jede Veränderung im Lande war ihm verdächtig. Mal ehrlich: Gibt es solche kleinen Alfreds nicht auch heute? Ja, sie gerieren sich zum Teil noch hemmungsloser: „Man wird doch noch mal sagen dürfen, dass…“

Warnt mal wieder vor den "Sozis": Alfred Tetzlaff (Heinz Schubert). (Screenshot aus: http://www.youtube.com/watch?v=sOGTZ-iQpT0)

Warnt mal wieder vor den „Sozis“: Alfred Tetzlaff (Heinz Schubert). (Screenshot aus: http://www.youtube.com/watch?v=sOGTZ-iQpT0)

Zu Alfreds Zeiten befand man sich noch im „Kalten Krieg“ zwischen Ost und West, zu Beginn der Reihe regierte Kanzler Willy Brandt (SPD), ab 1974 war Helmut Schmidt (SPD) an der Reihe. Der war ja immerhin Offizier gewesen, wie Ekel Alfred brummelnd anerkannte. Doch egal. Für ihn war auch Schmidt nun vor allem ein übler „Sozi“, der Deutschland ins Verderben führte.

Ehefrau als „dusselige Kuh“

Dieser Tetzlaff posaunte immer aus, wie sehr er auf Sitte und Anstand, Pflicht und Ordnung halte. Doch dann zeigte sich stets ziemlich schnell, dass er selbst polternd gegen alle möglichen Regeln verstieß, wenn es ihm in den Kram passte.

Allein schon sein Vorrat an Kraftworten war so reichlich und derb, wie es damals im Fernsehen noch nicht üblich war. Und wie ruppig dieser Wicht seine Frau Else (Elisabeth Wiedemann) behandelt hat! Man konnte kaum mitzählen, wie oft er das unbedarfte Hausmütterchen „dusselige Kuh“ genannt oder anderweitig beleidigt hat. Doch an ihr schien alles abzuperlen, so illusionslos war sie nach fast 25 Jahren Ehe mit diesem Giftzwerg.

Köstliche Streit-Dialoge

Weitere Haushaltsmitglieder waren Tochter Rita (Hildegard Krekel) und Schwiegersohn Michael (Diether Krebs), der Alfred Tetzlaff mit seinen linksliberalen Ansichten bis aufs Blut reizte. Der traumhaft pointensichere Autor Wolfgang Menge hat den beiden köstliche Streit-Dialoge geschrieben.

Gespielt wurde das alles vor Live-Publikum, wie im Theater. Diese Aufführungen wurden jeweils am Tag der Sendung aufgezeichnet, so dass man immer aktuell sein konnte. So beispielsweise in der noch heute zum Quieken komischen Folge „Besuch aus der Ostzone“ vom 17. Juni 1974: Michaels Eltern, die in Sachsen lebten, hatten sich als Gäste angesagt – sehr zum Verdruss Alfreds und noch dazu vor dem (seinerzeit wirklich anstehenden) Fußball-WM-Duell „zwischen Deutschland und der Zone“. Da konnte Alfred mal wieder so richtig vom Leder ziehen…

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Vorherige Beiträge zur Reihe: “Tatort” mit “Schimanski” (1), “Monaco Franze” (2), “Einer wird gewinnen” (3), “Raumpatrouille” (4), “Liebling Kreuzberg” (5), “Der Kommissar” (6), “Beat Club” (7), “Mit Schirm, Charme und Melone” (8), “Bonanza” (9), “Fury” (10), Loriot (11), “Kir Royal” (12), “Stahlnetz” (13), “Kojak” (14), “Was bin ich?” (15), Dieter Hildebrandt (16), “Wünsch Dir was” (17), Ernst Huberty (18), Werner Höfers “Frühschoppen” (19), Peter Frankenfeld (20), „Columbo“ (21)

„Man braucht zum Neuen, das überall an einem zerrt, viele alte Gegengewichte.“ (Elias Canetti)




TV-Nostalgie (21): Peter Falk als „Columbo“ – der zerknitterte Polizist

„Zerknittert“ ist wohl das erste Wort, das einem einfällt, wenn man an ihn denkt: Peter Falk als Inspektor „Columbo“ taperte meist in einem knittrigen beigen Trenchcoat herum, sein verknautschtes Gesicht passte dazu. Columbo wirkte oft übernächtigt und zerstreut, er ging seltsam gebeugt, hatte wirres Haar und war meist unrasiert. Was für ein Typ!

Die Täter, die man als Zuschauer gleich kannte und denen Columbo ganz allmählich und beharrlich durch logische Schlussfolgerungen auf die Schliche kam, nahmen so einen zunächst nicht für voll. Genau das machte sich Columbo zunutze. Mörder und anderes Gelichter wiegten sich für eine ganze Weile in Sicherheit, wenn der Zigarrenpaffer mit seinem nahezu schrottreif zerbeulten Peugeot-Cabrio aufkreuzte.

Von Tätern sträflich unterschätzt

Doch sie alle haben ihn sträflich unterschätzt. Gern stieß er, schon halb zur Tür hinaus, mit einer „allerletzten“, vermeintlich harmlosen Frage nach, die den Täter denn doch nachhaltig verunsicherte und zu ebenso unbedachten wie verräterischen Handlungen hinriss.

Unnachahmlicher Blick: Peter Falk als Columbo (Screenshot aus: http://vimeo.com/30281164)

Unnachahmlicher Blick: Peter Falk als Columbo (Screenshot aus: http://vimeo.com/30281164)

Als wahrlich mitfühlender Mensch versetzt sich Columbo eben auch zutiefst ins Seelenleben der Täter hinein. Irgendwann wusste er stets, was diese Herrschaften aus den „besseren“ Kreisen von Los Angeles innerlich antrieb. Dann war es nur noch eine Frage der Zeit, Indizien zu finden und Beweisketten zu knüpfen.

Die reihenweise preisgekrönte Krimi-Fernsehlegende (insgesamt 10 Staffeln mit 69 Episoden) lief in den USA ab 1968, bei uns waren die ersten Folgen ab 1969 zu sehen – nicht selten etwas gekürzt und „bearbeitet“. Doch der Mythos kam auch in der deutschen Fassung zum Tragen. Und man muss einfach sagen: So einen knorrigen Charakterdarsteller wie den 2011 verstorbenen Peter Falk vermisst man bis heute.

Ohne Geballer geht es auch

Die Folgen bestehen weit überwiegend aus allzeit soliden Dialogen, wilde Action gibt es nicht – und erst recht keine Gewalt. Selbst die oft raffiniert ausgefuchsten Morde werden filmisch nur angedeutet. Und Columbo trägt nicht einmal eine Waffe bei sich. Ohne Geballer geht es eben auch!

Auch sind es ja keine harten Verhöre oder gar Drohungen, mit denen Columbo zum Ziel kommt. Dieser im Prinzip durchaus friedliche, zur Melancholie neigende Mann passte in die späten 60er und frühen 70er Jahre, als man in den USA zunehmend am Sinn des Vietnamkrieges und überhaupt an Autoritäten zu zweifeln begann. Aber das ist eine andere Geschichte.

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Vorherige Beiträge zur Reihe: “Tatort” mit “Schimanski” (1), “Monaco Franze” (2), “Einer wird gewinnen” (3), “Raumpatrouille” (4), “Liebling Kreuzberg” (5), “Der Kommissar” (6), “Beat Club” (7), “Mit Schirm, Charme und Melone” (8), “Bonanza” (9), “Fury” (10), Loriot (11), “Kir Royal” (12), “Stahlnetz” (13), “Kojak” (14), “Was bin ich?” (15), Dieter Hildebrandt (16), “Wünsch Dir was” (17), Ernst Huberty (18), Werner Höfers “Frühschoppen” (19), Peter Frankenfeld (20)




TV-Nostalgie (20): Peter Frankenfeld – ein Showmaster, der alle Tricks kannte

Um mal die alte Redensart zu verwenden: Kein deutscher Showmaster war mit mehr Wassern gewaschen als Peter Frankenfeld (1913-1979). Wenn man das Wort Vollprofi bebildern wollte, so könnte man bedenkenlos sein Foto nehmen.

Vor dem Krieg hatte er in Berliner Varietés das Unterhaltungshandwerk gelernt. Zeitweise war er beim Zirkus und zeigte Zauberkunststücke. Sogar in der Reklame war er tätig – als gewiefter Texter und Illustrator. Er kannte alle Tricks und wusste, wie man das Publikum fing.

Größter Erfolg „Vergißmeinnicht“

Der aus Berlin-Kreuzberg stammende Peter Frankenfeld wurde – neben Kulenkampff – zum erfolgreichsten TV-Entertainer der 60er Jahre. Legendär wurde vor allem seine ZDF-Spielshow „Vergißmeinnicht“ (1964-1970), mit der die Postleitzahlen populär gemacht werden sollten. Diese Sendung – u. a. mit dem Geldbriefträger Walter Spahrbier – gab auch dem 1963 begründeten Mainzer Sender einen kräftigen Anschub und erzielte Quoten bis zu 78 Prozent.

Festliche Eleganz: Peter Frankenfeld in "Musik ist Trumpf" (Screenshot aus: http://www.youtube.com/watch?v=g2bsg9ecodQ)

Festliche Eleganz: Peter Frankenfeld in „Musik ist Trumpf“ (Screenshot aus: http://www.youtube.com/watch?v=g2bsg9ecodQ)

Der Perfektionist Peter Frankenfeld beherrschte die ganze Klaviatur – vom kleinen Sketch über den „Bunten Abend“, die Conférence und den Talentschuppen bis hin zur ganz großen Show. Und er bediente manche Geschmäcker zwischen Schenkelklopfer und Hintersinn. Der Humor der breiten Mehrheit war ihm ebenso geläufig wie vertracktere Spielarten, die er vor allem im Hörfunk erprobte („Peters Bastelstunde“).

In Live-Sendungen viel riskiert

Kein anderer Showmaster hat bei Live-Sendungen so viel riskiert wie Peter Frankenfeld. In den großen Hallen der Republik suchte er seine Kandidaten für Geschicklichkeitsspiele am liebsten ganz spontan aus – zeitweise mit Hilfe eines eines schwirrenden Propellers, der durch den Saal sauste. Da musste der Showmaster geschmeidig bleiben und oft genug improvisieren. Weit weniger riskant waren (Ehe)-Sketche, die Frankenfeld gemeinsam mit seiner Frau spielte, der einstigen Schlagersängerin Lonny Kellner.

Peter Frankenfeld mit seiner Frau Lonny Kellner (Screenshot aus: http://www.youtube.com/watch?v=g2bsg9ecodQ)

Peter Frankenfeld mit seiner Frau Lonny Kellner (Screenshot aus: http://www.youtube.com/watch?v=g2bsg9ecodQ)

Manche Kritiker haben ihm vorgeworfen, er bringe Kandidaten zuweilen in peinliche Situationen und liefere sie schadenfrohem Gelächter aus. Tatsächlich durften Menschen, die bei ihm auftraten, keine Mimosen sein und mussten schon mal über sich selbst lachen können. Mal großzügig gedacht: Könnte man gewisse Züge Frankenfelds nicht gar als Vorvorläuferschaft zu Gestalten wie Stefan Raab oder auch Harald Schmidt deuten?

Meister der Dialekte

Egal. Jede Dekade bevorzugt andere Typen. In den 70er Jahren entsprach Frankenfeld dem Zeitgeist nicht mehr so recht, einige Programmchefs wollten ihn nicht mehr einsetzen. Dennoch hatte er noch einen großen Erfolg: Es war die Wunschkonzert-Gala „Musik ist Trumpf“, die er bis 1978 präsentierte – mit großer Showtreppe und zahlreichen Stargästen der „leichten Muse“. Nach Frankenfelds Tod übernahm Harald Juhnke die Sendung bis 1981.

Immer wieder hat Peter Frankenfeld im Laufe seiner Karriere die verblüffende Fähigkeit bewiesen, die deutschen Dialekte kreuz und quer über die Landkarte perfekt nachzuahmen. So mancher Sketch und Gag bekam erst dadurch richtigen Pfiff.

Die berühmte grob karierte Jacke trug Frankenfeld im Fernsehen übrigens nur ein paar Jahre lang (bis 1961), dennoch wurde sie für immer zu seinem Markenzeichen. So macht sich die Öffentlichkeit ein (verzerrtes) Bild von den Prominenten.

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Vorherige Beiträge zur Reihe: “Tatort” mit “Schimanski” (1), “Monaco Franze” (2), “Einer wird gewinnen” (3), “Raumpatrouille” (4), “Liebling Kreuzberg” (5), “Der Kommissar” (6), “Beat Club” (7), “Mit Schirm, Charme und Melone” (8), “Bonanza” (9), “Fury” (10), Loriot (11), “Kir Royal” (12), “Stahlnetz” (13), “Kojak” (14), “Was bin ich?” (15), Dieter Hildebrandt (16), “Wünsch Dir was” (17), Ernst Huberty (18), Werner Höfers „Frühschoppen“ (19)




TV-Nostalgie (19): Werner Höfers „Frühschoppen“ – das Sonntagsritual

In den Anfangsjahren des "Frühschoppens" durften Frauen bei Werner Höfer (ganz links) nicht mitreden, sondern nur Wein nachschenken. (Screenshot aus: http://www.youtube.com/watch?v=5sFe66JSaO0)

In den Anfangsjahren des „Frühschoppens“ durften Frauen bei Werner Höfer (ganz links) nicht mitreden, sondern nur Wein nachschenken. (Screenshot aus: http://www.youtube.com/watch?v=5sFe66JSaO0)

Wenn man das heute sieht, hält man es nicht mehr für möglich: dass jemals in einer Live-Fernsehsendung dermaßen exzessiv geraucht und gesüffelt worden ist. Wir reden von einer Fernseh-Legende, von Werner Höfers Journalistenrunde „Der Internationale Frühschoppen“.

Über Jahrzehnte gehörte die Sendung mittags um 12 Uhr zum Sonntagsritual der Deutschen. Nach einem Hörfunk-Vorspiel (ab 6. Januar 1952) lief der „Frühschoppen“ im ARD-Fernsehen vom 30. August 1953 bis zum 20. Dezember 1987. Da hatte der Zirkel unglaubliche 1874 Mal getagt…

Eindeutig der Chef im Ring

Schon in der ersten Phase hatten sich viele Menschen an die teils heftigen Polit-Diskussionen gewöhnt, so dass es einen Proteststurm gab, als Werner Höfer es 1954 wagte, ein paar Wochen Urlaub zu nehmen und deshalb der „Frühschoppen“ ausfiel. Fortan unterbrach Höfer seine Ferien immer am Wochenende. Sich vertreten zu lassen, das kam für einen wie ihn nicht in Frage.

Höfer ging reichlich autoritär zu Werke, er war eindeutig Chef im Ring. Man hat nachgestoppt, dass er im Schnitt rund ein Drittel der gesamten Redezeit beim „Frühschoppen“ für sich beanspruchte. Den Mitstreitern fiel er oft ins Wort. Ein solch ungebrochen patriarchalischer Typus könnte heute im Fernsehen wohl nichts mehr werden. Apropos: Frauen durften bei Höfer lange nicht mitreden, sondern nur Wein nachschenken. Gerade deshalb klingen bei älteren Zuschauern noch die Namen derer nach, die später eine Bresche schlagen durften. Ich sage nur Julia Dingwort-Nusseck und Fides Krause-Brewer…

Rauchschwaden und Weingenuss

Meist waren es sechs Journalisten aus fünf Ländern, die sich – unter zunehmendem Weißwein-Einfluss – die Köpfe heiß redeten und dabei rauchten wie ein Tabakskabinett. Manchmal war die Luft im Studio zum Schneiden dick. Und manchmal wurde die eine oder andere Zunge schwer.

Es waren vor allem Themen des Kalten Krieges, die da glasigen Blicks besprochen wurden. Aber auch der Konflikt zwischen Israel und der arabischen Welt beschäftigte den Kreis immer wieder.

Urdeutsche Einrichtung

Um mal den deutschen Blickwinkel einzunehmen: Prominente Presseleute wie Rudolf Augstein („Spiegel“) oder Henri Nannen („Stern“) saßen häufig an Höfers Tisch, dazu Koryphäen wie Sebastian Haffner, Peter Scholl-Latour oder Gerd Ruge. Chefredakteure, die dorthin selten oder gar nicht eingeladen wurden, zweifelten an ihrer eigenen Bedeutung.

Zuweilen verschwanden die Teilnehmer im Rauch. (Screenshot aus: http://www.youtube.com/watch?v=5sFe66JSaO0)

Zuweilen verschwanden die Teilnehmer im Rauch. (Screenshot aus: http://www.youtube.com/watch?v=5sFe66JSaO0)

Das Sendeformat, an dem Höfer die Deutschland-Rechte besaß, war zwar aus den USA übernommen worden („Meet the Press“), erzielte aber nur in Deutschland derart hohe Zuschauerquoten. Wahrscheinlich ist der Stammtisch – auch mit wechselnder Besetzung – eben eine urdeutsche Einrichtung. Übrigens gilt der „Frühschoppen“ auch als erste Talkshow des deutschen Fernsehens.

Finstere Vergangenheit

Höfers bestimmende, zuweilen arg selbstgefällige Art hätte man womöglich weiterhin belächeln können, wenn es nicht einen sehr ernsten und betrüblichen Hintergrund gegeben hätte. 1987 berichtete der „Spiegel“ darüber, was der Journalist Werner Höfer mit seinen Beiträgen in der NS-Zeit angerichtet hatte. Unter anderem hatte Höfer 1943 offenbar die Hinrichtung des Pianisten Karlrobert Kreiten wegen „Wehrkraftzersetzung“ (Kreiten hatte den „Endsieg“ bezweifelt) gutgeheißen – ganz im Sinne des Nazi-Regimes.

Als nach dem „Spiegel“-Artikel Rücktrittsforderungen laut wurden, zeigte Höfer sich störrisch. Doch der Grimme-Preisträger, der fürs WDR-Fernsehen das renommierte Dritte Programm entworfen hatte, war schließlich nicht mehr zu halten.

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Vorherige Beiträge zur Reihe: “Tatort” mit “Schimanski” (1), “Monaco Franze” (2), “Einer wird gewinnen” (3), “Raumpatrouille” (4), “Liebling Kreuzberg” (5), “Der Kommissar” (6), “Beat Club” (7), “Mit Schirm, Charme und Melone” (8), “Bonanza” (9), “Fury” (10), Loriot (11), “Kir Royal” (12), “Stahlnetz” (13), “Kojak” (14), “Was bin ich?” (15), Dieter Hildebrandt (16), “Wünsch Dir was” (17), Ernst Huberty (18)




TV-Nostalgie (18): Ernst Huberty – Fußball ohne Geschrei

Wenn man dieser Tage Béla Réthy, Tom Bartels, Steffen Simon, Marcel Reif und Co. über Fußball palavern hört, dann sehnt man sich manchmal zurück in die alten Zeiten eines Kurt Brumme, Rudi Michel – oder Ernst Huberty. Wie nüchtern und abgeklärt wirkte das, verglichen mit heute.

Im Vorfeld der Fußball-WM in Brasilien fällt es wieder besonders auf, welch ein Geschrei jetzt um den Fußball gemacht wird. Im Laufe eines Spiels werden alle möglichen und unmöglichen Statistiken geliefert, auch gibt’s schon mal neckische Anspielungen auf halb private Umtriebe der Kicker. Mal ganz abgesehen von der umfangreichen Vor- und Nachberichterstattung. Das alles war in den alten Zeiten undenkbar.

„Ausgerechnet Schnellinger“

Man höre sich noch einmal (leider nur in Ausschnitten möglich) Ernst Hubertys Fernsehkommentar zum sogenannten „Jahrhundertspiel“ zwischen Italien und Deutschland bei der Fußball-WM 1970 in Mexiko an. Lange wogte die legendäre Begegnung hin und her, es ging in eine Nerven zerreißende Verlängerung. Schließlich gewann Italien mit 4:3.

TV-Legende Ernst Huberty (Screenshot aus: http://www.youtube.com/watch?v=VmYQEJ_Ww8E)

TV-Legende Ernst Huberty (Screenshot aus: http://www.youtube.com/watch?v=VmYQEJ_Ww8E)

Man mag sich gar nicht ausmalen, wie heutige Sprecher bei einem solchen Match simulieren würden, dass sie von einer Ohnmacht in die andere fallen. Ernst Huberty, ab 4. Juni 1961 über Jahrzehnte der „Mister Sportschau“ der ARD (als noch keine private Konkurrenz drohte), blieb hingegen die Ruhe selbst. Ein leise, aber irgendwie doch intensiv dahingesagtes „Ausgerechnet Schnellinger“ markierte schon einen Gipfel der Gefühle.

Keine starken Gefühle zeigen

Tatsächlich wurde damals ja auch noch langsamer gespielt, so dass Huberty und Kollegen die Ballstaffetten sehr gemächlich mit bloßer Namensnennung abhaken konnten. Wenn überhaupt. Fiel ein Treffer, so reichte meist ein lakonisches „Und Tor.“ Oder dergleichen. Während des Spiels wurde oft einfach geschwiegen. Es gibt ja auch nicht immer was zu schwätzen.

Selbst das WM-Finale von 1966 (England – Deutschland 4:2) rang Rudi Michel nur begrenzte Emotionen ab. Jedenfalls trug er sein Herz nicht auf der Zunge, nicht einmal beim berühmten „Wembley-Tor“ (oder eben Nicht-Tor). „Das wird wieder Diskussionen geben“, sagte er, äußerlich seelenruhig, innerlich aber wohl bewegt. Männer durften damals noch immer keine allzu deutlichen Gefühle zeigen. Metallisch dröhnende Töne wie noch 1954 waren freilich auch nicht mehr erwünscht.

Wohltuend unaufgeregt oder langweilig?

Die Sprecher der 60er und 70er Jahre klingen für heutige Empfinden einerseits wohltuend unaufgeregt. Andererseits bringt man die Geduld für einen solchen Stil gar nicht mehr auf. Je nach Gemütszustand, möchte man Ernst Huberty am liebsten nachträglich schütteln: „Nun reg’ dich doch endlich mehr auf! Nun lass doch mal deinen Empfindungen freien Lauf!“

Es müsste mal einer ein Buch darüber schreiben, wie sich die Fernseh-Fußballreportage seit Hubertys Zeiten grundlegend verändert hat, mit Zwischenstationen wie Heribert Faßbender oder Gerd Rubenbauer – und wie sie alle hießen.

Ein Extra-Kapitel könnte man der Entwicklung widmen, dass gesellschaftliche Befunde anhand des Fußballs dingfest gemacht werden – und dass neuerdings auch mehr oder weniger subtiler Humor in Sachen Fußball erlaubt ist. Man vergleiche etwa den betulich ernsten „Kicker“ mit dem quicken und hellwachen Blatt „11 Freunde“…

Der Mann mit dem „Klappscheitel“

Ernst Huberty, der Mann mit dem unvergleichlichen „Klappscheitel“, hatte seine Laufbahn in den späten 50er Jahren begonnen. Als WDR-Sportchef und Moderator der Sportschau wurde er 1982 abgelöst, weil er es mit Spesenabrechnungen nicht so genau genommen haben soll. Man schob ihn ins dritte Programm ab.

1990 sprang Huberty beim noch neuen Bezahlsender Premiere ein und gab nebenher jungen Talenten wie Johannes B. Kerner oder Reinhold Beckmann Tipps. Doch da waren die alten Zeiten schon vorbei – und das unaufhörliche Geschrei über Fußball hatte begonnen.

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TV-Nostalgie (17): „Wünsch Dir was“ – als Dietmar Schönherr für Skandale sorgte

Kandidat in unbequemer Haltung: Dietmar Schönherr befragt den Sohn einer Familie, Vivi Bach schaut zu. (Screenshot aus: http://www.youtube.com/watch?v=efKe5q0mEQU)

Kandidat in unbequemer Haltung: Dietmar Schönherr befragt den Sohn einer Familie, Vivi Bach schaut zu. (Screenshot aus: http://www.youtube.com/watch?v=efKe5q0mEQU)

Das waren noch Zeiten, in denen eine Show wie „Wünsch Dir was“ als „antiautoritär“ galt. Die Familienspiele mit Dietmar Schönherr und seiner Frau Vivi Bach liefen von Ende 1969 bis Ende 1972 im ZDF und produzierten damals mehrere Skandale.

Wenn man sich das heute noch einmal ansieht, staunt man über Fernsehen wie aus einer anderen Welt. Damals war es innovativ und gab sich „querdenkerisch“, heute wirkt es seltsam altbacken. Jeweils drei Familien aus Deutschland, Österreich und der Schweiz traten gegeneinander an. Wie adrett und bieder das Publikum und die Kandidaten seinerzeit noch wirkten! Und worüber man sich damals noch empören konnte!

Empörung über eine rote Nelke

Beispiel: Am 27. März 1971 (Live-Übertragung aus der Wiener Stadthalle) wagte es Dietmar Schönherr, damals mit maßvoller „Pilzkopf“-Frisur, eine rote Nelke im Knopfloch zu tragen. Etliche Zuschauer riefen an und beschwerten sich über diesen „politischen Affront“. Sichtlich verärgert, legte Schönherr mit ein paar bissigen Bemerkungen die Blume weg. Er hatte nun einmal den Ruf, „links“ zu sein und war einigen Anfeindungen ausgesetzt.

Riskantes Wettspiel im Wasserbassin

In derselben Sendung gab es allerdings einen handfesten Aufreger, der in die bundesdeutsche Fernsehgeschichte eingegangen ist. Zwei je vierköpfige Familien wurden nacheinander in ein Auto verfrachtet und so in ein drei Meter tiefes Wasserbassin versenkt. Einer Frau gelang es nicht, aus eigener Kraft ihre Tür zu öffnen. Sie musste von einem der Rettungstaucher befreit werden. Das war nun wirklich ein riskantes Wettspiel. Es passte sozusagen in eine Zeit, in der nicht einmal Sicherheitsgurte üblich waren.

Wettspiel mit versenktem Auto... (Screenshot aus: http://www.youtube.com/watch?v=efKe5q0mEQU)

Wettspiel mit versenktem Auto… (Screenshot aus: http://www.youtube.com/watch?v=efKe5q0mEQU)

In einer vorherigen Ausgabe der Show hatte sich im November 1970 eine 17jährige Kandidatin in durchsichtiger Bluse blicken lassen. Auch darüber erregten sich Millionen. Viele Jahre später hat Schönherr tatsächlich bekannt, dass er mit seiner Show die „heile Welt“ der Familie unterlaufen wollte. Ob er zu diesem Zweck immer die richtigen Mittel gewählt hat? In manchen Momenten (Spiel mit Riesenschlangen etc.) war „Wünsch Dir was“ fast ein früher Vorläufer der Ekelshows.

Abstimmung mit dem Lichtschalter

In der Show vom März 1971, die ich mir noch einmal ganz angeschaut habe, fällt aus heutiger Sicht auf, wie umständlich und manchmal sogar etwas ungelenk die neckischen Wettspiele (Ideen kamen u. a. von André Heller) umgesetzt wurden. Schönherr war nicht immer nur charmant, sondern würgte Kandidaten auch schon mal mitten im Satz ab.

Trotzdem überzog Dietmar Schönherr mit diesem „Straßenfeger“ (Quote bis zu 66%) meistens die Sendezeit. Für die eher niedlichen Momente war ja auch vor allem Vivi Bach zuständig, die sich ihm als Assistentin deutlich unterordnete. Geradezu putzig übrigens die Abstimmungstechnik: Zuschauer in einer bestimmten Stadt sollten daheim die Lichter an- oder ausschalten, ein Mann vom E-Werk verkündete dann am zugeschalteten Telefon, um wie viele Megawatt der Verbrauch sich verändert hatte.

Eine ganz zentrale Rolle in der Sendung, die unter Federführung des österreichischen Fernsehens (ORF) entstand, spielte das Wort „autoritär“. Immer wieder wollte Schönherr wissen, ob etwas autoritär sei oder nicht – ganz offensichtlich eine Nachwirkung des rebellischen Jahres 1968. Lang, lang ist’s her.

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Vorherige Beiträge zur Reihe: “Tatort” mit “Schimanski” (1), “Monaco Franze” (2), “Einer wird gewinnen” (3), “Raumpatrouille” (4), “Liebling Kreuzberg” (5), “Der Kommissar” (6), “Beat Club” (7), “Mit Schirm, Charme und Melone” (8), “Bonanza” (9), “Fury” (10), Loriot (11), “Kir Royal” (12), “Stahlnetz” (13), “Kojak” (14), “Was bin ich?” (15), Dieter Hildebrandt (16)




TV-Nostalgie (15): Robert Lembkes „Was bin ich?“ – die wunderbare Ruhe beim Beruferaten

Der Mensch braucht seine Rituale. Drum gab es auch Fernsehsendungen wie das heitere Beruferaten „Was bin ich?“ mit Robert Lembke (1913-1989).

Da lief alles immer nach gewohntem Muster ab, da gab’s keine sonderlichen Überraschungen; erst recht keine unliebsamen.

Robert Lembke mit "Schweinderln" (Screenshot aus http://www.youtube.com/watch?v=CherRLsSI6w)

Robert Lembke mit „Schweinderln“ (Screenshot aus http://www.youtube.com/watch?v=CherRLsSI6w)

„Welches Schweinderl hätten S‘ denn gern?“

Zwischen eingeschliffenen Formeln wie „Welches Schweinderl hätten S’ denn gern?“ und „Gehe ich recht in der Annahme, dass…?“ bewegte sich das Ratespiel in ausgesprochen ruhigen Fahrwassern. Die Teilnehmer blieben die ganze Zeit über fast reglos auf ihren Stühlen sitzen. Rein äußerlich betrachtet, war’s eine wunderbar windstille Ereignislosigkeit, die heute wohl kein TV-Sender mehr riskieren würde.

Ein bisschen Schadenfreude

Die wohldosierte, bestens erträgliche Spannung von „Was bin ich?“ entstand schlicht und einfach dadurch, dass man voller Vergnügen sah, wie sich das Rateteam abmühte, den jeweiligen Beruf zu erraten. Jeder gedankliche Irrweg steigerte die Schadenfreude. Der Beruf wurde zu Beginn eingeblendet und um eine „typische Handbewegung“ ergänzt. Wenn man wollte, konnte man in diesen Momenten die Augen schließen und danach vor dem Bildschirm mitraten. Es war Familienfernsehen der herzlich harmlosen Ausprägung.

Es war noch eine andere Arbeitswelt

Zum Schluss galt es jeweils noch, einen prominenten Gast anhand seiner (von Robert Lembke ausgesprochenen) Ja- und Nein-Antworten zu erkennen. Dazu mussten die Ratenden blickdichte Masken aufsetzen. Im Internet sind heute fast nur noch Ausschnitte aus diesem Promi-Raten aufzufinden. Das ist doppelt schade, denn ansonsten wurde ja so mancher seltene Beruf vorgestellt, der heute ausgestorben ist. Die Arbeitswelt (deren Schattenseiten natürlich nie kritisch zur Sprache kamen) war damals vielfach noch sinnlicher, körperlicher, fassbarer. Man mag sich gar nicht ausmalen, wie heute etwa die zahllosen Computerberufe zu erraten wären – vielleicht mit der typischen Handbewegung beim Mausklick oder mit Wischgesten à la Touchscreen?

Simples Konzept – aber unverwüstlich

Kaum zu glauben, wie viele Jahre diese (sehr preiswert produzierte) Sendung überlebte. Das simple Konzept stammte übrigens aus den USA, Lembke hatte die Rechte in England erworben. Der Vorgänger „Ja oder Nein“ lief vom 2. Januar 1955 bis 1958, das eigentliche „Was bin ich?“ vom 11. Februar 1961 bis 1989 (!). Ohne Lembke und seinen milden Humor mit Münchner Timbre hatte das bis dahin unverwüstliche Spiel einen speziellen Reiz verloren. Bei allem seriösen Gerechtigkeitsempfinden ließ er auch schon mal fünfe gerade sein, wenn’s sein musste. Er sorgte halt auf unnachahmliche, sehr beruhigende Weise für die richtige Mischung. Weder die ARD noch andere Kanäle konnten den Dauererfolg später wiederbeleben.

Vom Staatsanwalt bis zum „Ratefuchs“

Langjährige Kontinuität auch beim Ratequartett: Es bestand über weite Strecken aus dem Oberstaatsanwalt Hans Sachs, der Fernsehansagerin Annette von Aretin, dem Schweizer TV-Unterhaltungschef Guido („Ratefuchs“) Baumann sowie der Schauspielerin und späteren Ärztin Marianne Koch, die sich mit der Ansagerin Anneliese Fleyenschmidt abwechselte. Sie bildeten alsbald ein eingespieltes Team, das auch ziemlich knifflige Rätsel löste. Falls nicht, so kamen maximal 50 Mark (10 mal 5 pro Nein-Antwort) ins Sparschwein. Ein solch mickriges Sümmchen können sich jüngere Millionärsquiz-Zuschauer heute kaum noch vorstellen…

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Vorherige Beiträge zur Reihe: “Tatort” mit “Schimanski” (1), “Monaco Franze” (2), “Einer wird gewinnen” (3), “Raumpatrouille” (4), “Liebling Kreuzberg” (5), “Der Kommissar” (6), “Beat Club” (7), “Mit Schirm, Charme und Melone” (8), “Bonanza” (9), “Fury” (10), Loriot (11), “Kir Royal” (12), “Stahlnetz” (13), „Kojak“ (14)




Die ARD-„Tagesschau“ im neuen Design: Sündhaft teures Breitformat

Das war sie also: die allererste ARD-„Tagesschau“ aus dem neuen Hamburger Studio, das rund 23,8 Millionen Euro Gebührengeld gekostet hat. Und wie war’s jetzt? Hat sich der Aufwand gelohnt?

Nun, die journalistische Qualität ist mit dem neuen Design erwartungsgemäß nicht explodiert. Wie denn auch? Wir sehen jetzt aber Teile der Nachrichten gleichsam im Breitformat, in Cinemascope, um einen altmodischen Kinobegriff zu verwenden.

18 Meter lange Bildwand

Zu diesem Zweck gibt’s nun eine fast 18 Meter breite (!) Bildwand an der Rückseite des Studios, die so manches sinnvolle oder auch unsinnige Panorama ermöglichen soll. Mir kommt es so vor, als protze da jemand mit seinem neuen, extrabreiten Flachbildschirm. In der Debütsendung, die von Chefsprecher Jan Hofer präsentiert wurde, kam diese Errungenschaft jedenfalls nur im pompösen Vorspann zum Einsatz.

"Tagesschau"-Chefsprecher Jan Hofer bei einer Stellprobe im neuen Studio. (© NDR/Thorsten Jander)

„Tagesschau“-Chefsprecher Jan Hofer bei einer Stellprobe im neuen Studio. (© NDR/Thorsten Jander)

Die eingeblendeten Fotos ziehen sich jetzt also über die ganze Bildschirmbreite und erhalten deutlichere Schlagzeilen. Auch wird das „Tagesschau“-Logo mehr betont als vorher. Man will schließlich ein unverwechselbares Markenzeichen bleiben.

Ein Fall von Gebührenverschwendung

Man möchte lieber nicht wissen, was die Designer für ihre immer wieder modifizierten Entwürfe und Realisierungen kassiert haben. Oder will man’s vielleicht doch wissen? Jedenfalls ist das neue Studiomobiliar in seiner keimfrei futuristischen Art recht monströs geraten. Ob’s hässlich ist, bleibt dem persönlichen Geschmack überlassen.

Man möchte erst recht nicht wissen, was die ARD für die Stimme ausgegeben hat, deren Trägerin Claudia Urbschat-Mingues heißt und die nun allabendlich sagt: „Hier ist das Erste Deutsche Fernsehen mit der ‚Tagesschau’“. Es handelt sich nämlich um die deutsche Synchronstimme des Filmstars Angelina Jolie, mit der die TV-Gewaltigen einen „Exklusivvertrag“ abgeschlossen haben. Für einen einzigen Satz…

Man möchte es nicht wissen, weil man dann eventuell ziemlich zornig werden könnte über eine solche Gebührenverschwendung. Dabei klagen sie bei den öffentlich-rechtlichen Sendern doch allenthalben über Sparzwänge. Für das Flaggschiff „Tagesschau“ und die „Tagesthemen“, die ab sofort ebenfalls aus dem neuen Studio kommen, haben diese Zwänge wohl nicht gegolten.

In den „Tagesthemen“ um 23:15 Uhr wurde die Dominanz der Bilder noch viel deutlicher. Wie verloren Thomas Roth als Ganzkörper-Moderator vor dem riesenhaft aufgeplusterten Berliner Stadtschloss stand… Noch mehr als bisher achtet man auf jede Bügelfalte in der Kleidung des Anchorman und seiner Helfer. Und ausgerechnet in dieser Ausgabe machte man sich über Verschwendung in der Hauptstadt lustig.

Emotionen, Emotionen…

Man wolle „Emotionen“ betonen, hat es im Vorfeld geheißen. Das (große) Bild soll demnach noch mehr Gewicht erhalten und den Zuschauer auch schon mal überwältigen. Man ahnt schon, welche Zwänge dabei entstehen, unter welchen Druck sich die „Tagesschau“-Macher setzen werden. Schon bisher (das haben Studien belegt) hatte man nach einer „Tagesschau“-Ausgabe mehr Bilder als Nachrichten-Inhalte im Kopf. Dieser ungute Effekt wird sich noch steigern.

Ein altes Ritual

Ob man so das angestrebte jüngere Publikum erreicht? Man darf es füglich bezweifeln. Zuschauer-Umfragen hatten übrigens ergeben, dass die Mehrheit sich gar keine großartigen Veränderungen an der „Tagesschau“ wünscht. Diese altgediente Institution ist – vor allem für ältere Menschen – vor allem ein Ritual. Und an Ritualen zurrt man nicht ständig herum. Wir wissen es, seit der legendäre Sprecher Karl-Heinz Köpcke es eines Tages wagte, vor der Kamera einen Bart zu tragen. Damals erregte sich die Nation. Doch solche Emotionen weckt die „Tagesschau“ schon längst nicht mehr; ganz egal, in welchem Studio.




TV-Nostalgie (14): „Kojak“ – ein Markenzeichen mit Charakter

Nicht zu glauben: Jetzt ist es schon fast 40 Jahre her, dass der wohl berühmteste Glatzkopf der Fernsehgeschichte auch auf deutschen Bildschirmen erschienen ist. Am 3. Oktober 1974 hatte der New Yorker Polizist „Kojak“ seine ARD-Premiere.

Immerhin 118 Folgen lang jagte der gebürtige Grieche (bekanntlich gespielt von Telly Savalas – ursprünglich sollte Marlon Brando die Rolle übernehmen) beim Einsatz in Manhattan jede Menge Schwerverbrecher. Nicht nur der kahle Schädel steigerte Kojaks Wiedererkennungswert. Auch sein Konsum von Dauerlutschern (Lollis) wurde legendär, sie dienten zunehmend als Ersatz für die Zigarillos, die er anfangs noch rauchte.

Telly Savalas als "Kojak" (Screenshot aus: http://www.youtube.com/watch?v=xIzHr8Wuz5Y)

Telly Savalas als „Kojak“ (Screenshot aus: http://www.youtube.com/watch?v=xIzHr8Wuz5Y)

Kahler Schädel, Dauerlutscher und anderes…

Der meist gediegen gekleidete Herr (gerne Anzug mit Weste) trug außerdem Hut, dazu ein Goldkettchen am rechten Handgelenk und hatte Lieblingssprüche wie „Entzückend, Baby“. Und schließlich war auch das rot rotierende Alarmlicht unverkennbar, das er in ungezählten Notfällen auf sein Zivilfahrzeug (Buick Century Regal) pappte. Die Figur war also geradezu eine Ansammlung von Markenzeichen. Sie alle summierten sich zu einem Gesamtbild der „Coolness“, das damals ziemlich beispiellos war. Es ist keine geringe Leistung, dass Telly Savalas bei all dem auch ein glaubhafter Charakter blieb.

Einsatz bis zur Leistungsgrenze

Savalas stellte Kojak als einen Tag und Nacht hart arbeitenden, stets sprungbereiten Kraftkerl dar, der auch sein Team ständig bis an die Leistungsgrenze forderte. Zwar fällt auch vereinzelt das Wort „Computer“, aber seine Leute müssen noch mühsam Verdachtslisten abtelefonieren und zeitraubend Orte abklappern.

Es geht immer hektisch Schlag auf Schlag. Standard-Situation: „Kojak“ sitzt in seinem Büro mit den zwei Telefonen, nicht selten lässig mit beiden Beinen auf dem Schreibtisch oder auch schon mal in scheinbar „schläfriger“ Nachdenkhaltung, die nichts anderes ist als höchste Geistesgegenwart. Derweil entern – quasi im Halbminutentakt – immer wieder Mitarbeiter das Büro, weil sie einen neuen Stand der Dinge melden wollen. Da geht es zu wie im Taubenschlag.

Keine flache Hierarchie

Von „flacher Hierarchie“ kann in dieser Krimireihe keine Rede sein. Boss Kojak gibt alle wesentlichen Anstöße. Und alle Fäden der Ermittlungen laufen wieder bei ihm zusammen, der dann zum rechten Zeitpunkt beherzt eingreift – natürlich auch mit der Pistole, die er so eigenwillig trägt, dass sich bei echten US-Polizisten die Redensart durchgesetzt hat, jemand trage seine Waffe im „Kojak-Stil“.

Trotz allem der mitfühlende Blick

Ich habe mir jetzt noch einmal zwei Folgen (je 45 Minuten) angeschaut, darunter „Das Mädchen im Fluss“. Da geht es um einen Serienmörder, dessen Opfer junge, alleinstehende Frauen sind. Die Spuren führen in die – als reichlich zwielichtig geschilderte – Welt der New Yorker Single-Bars. Dort fahndet Kojak gezielt nach Leuten, die im Vietnamkrieg waren und seither psychisch gestört sind…

Bemerkenswert übrigens, dass dieser unbestechliche Mann trotz der brutalen Verbrecherwelt, in der er sich nun mal bewegen muss, kein purer Zyniker geworden ist. Wenn es sein muss, kann Kojak sehr mitfühlend oder sogar treuherzig dreinblicken und dementsprechend handeln. Bei einem solchen Typen bedeutet das ungleich mehr als bei anderen.

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Vorherige Beiträge zur Reihe: “Tatort” mit “Schimanski” (1), “Monaco Franze” (2), “Einer wird gewinnen” (3), “Raumpatrouille” (4), “Liebling Kreuzberg” (5), “Der Kommissar” (6), “Beat Club” (7), “Mit Schirm, Charme und Melone” (8), “Bonanza” (9), “Fury” (10), Loriot (11), “Kir Royal” (12), „Stahlnetz“ (13)




TV-Nostalgie (10): „Fury“ – eine Zeitreise in die Kindheit

Von links: "Fury", Joey, Jim und Pete (Screenshot aus http://www.youtube.com/watch?v=mDZ2uXULqy0)

Von links: „Fury“, Joey, Jim und Pete (Screenshot aus http://www.youtube.com/watch?v=mDZ2uXULqy0)

Ach, schon der Vorspann führt einen mitten in die Kindheit zurück. Wie der kleine Joey mehrmals „Fuuuuury!“ ins weite Land hinaus ruft. Wie der schwarze Hengst dann endlich angaloppiert kommt und neben dem Jungen mit den Hufen scharrt. Und dann der legendäre Satz: „Na, Fury, wie wär’s mit einem kleinen Ausritt?“

1959 hatten meine Eltern ihren erstes Fernsehgerät gekauft, natürlich winzig und schwarzweiß. Seit dem 5. Oktober 1958 lief „Fury“ im Deutschen Fernsehen. Es war eine meiner allerersten TV-Erfahrungen. Wenn ich heute einige Episoden wiedersehe, ist das eine sentimentale Zeitreise.

Es geht um Moral und Anstand

Joey (Bobby Diamond) war als angeblich schwer erziehbarer Waisenjunge auf die „Broken Wheel“-Ranch von Jim Newton (Peter Graves) gekommen. Nicht nur der Junge muss „gezähmt“ werden, sondern auch ein wildes schwarzes Pferd namens „Fury“. Das aber gelingt niemandem besser als eben Joey. Nach dieser Probe wird er von Jim adoptiert und macht unentwegt Fortschritte – und mit ihm (so die deutliche Absicht und Hoffnung) die Kinder vor den Fernsehapparaten. Man sollte und konnte sich mit diesem Joey identifizieren.

Der Verfasser dieser Zeilen vor einigen Jahren bei gepflegter "Fury"-Lektüre (Bild: Privat)

Der Verfasser dieser Zeilen vor einigen Jahren bei gepflegter „Fury“-Lektüre (Bild: Privat)

Vor allem werden allerlei Moral- und Anstandsfragen durchgespielt und erörtert. Immer gilt es etwas zu lernen. Dabei geht es nicht so sehr um rationale Einsichten, sondern vor allem um die „innere Stimme“ des Gewissens, ja den Instinkt, der selbstverständlich in Reinkultur von „Fury“ verkörpert wird.

Ein ungemein kluger Hengst

Bei den vielen Abenteuern, die zu bestehen sind, spielt natürlich „Fury“ eine herausragende, oft entscheidende Rolle. Das Mindeste ist, dass der Hengst bei akuter Gefahr Alarm wiehert. Oft aber greift das ungemein kluge Pferd auch direkt ins Geschehen ein, indem es böse Menschen von ihrem schäbigen Tun abhält oder die Guten durch gezielte Stupser darauf hinweist, wohin sie sich wenden müssen.

Drei „Fury“-Folgen – jede rund 25 Minuten lang – habe ich mir noch einmal angeschaut: „Lebensfreude“, „Der starke Mann“ und „Ein alter Indianertrick“. In der zuerst genannten Episode geht es um Furys Sohn, der als „halbstarkes“ Tier zum nützlichen Mitglied der Pferdewelt erzogen werden soll. Dieser pädagogische Anspruch, der natürlich indirekt auch Joey betrifft, wird überdeutlich zur Sprache gebracht. So heftig könnte man heute nicht mehr den Zeigefinger schwenken.

Winke mit dem Zaunpfahl

„Der starke Mann“ dreht sich um gewaltlose Duldsamkeit als vorbildliche Haltung, die tollen Indianertricks beherrscht ein hinkender Junge, der einen Pferdedieb zur Strecke bringt. Auch hier winkt das Drehbuch mit dem Zaunpfahl.

„Fury“ spielt zwar nicht im klassischen Wilden Westen, sondern in der Gegenwart der 1950er und 1960er Jahre mit Auto und Telefon. Doch da draußen auf der Ranch stehen immer noch die alten Werte zur Debatte. Auch sind wir hier noch in einer nahezu lupenreinen Männerwelt. Jim Newton hat keine Frau, sondern mit dem alten Pete (William Fawcett) einen Koch und Haushälter, der nach damaligem Verständnis gleichsam eine Mutterrolle für Joey übernimmt.

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Vorherige Beiträge zur Reihe: “Tatort” mit “Schimanski” (1), “Monaco Franze” (2), “Einer wird gewinnen” (3), “Raumpatrouille” (4), “Liebling Kreuzberg” (5), “Der Kommissar” (6), “Beat Club” (7), “Mit Schirm, Charme und Melone” (8), „Bonanza“ (9)




TV-Nostalgie (8): „Mit Schirm, Charme und Melone“ – ein Fall von Pop-Kunst

Was lief am 18. Oktober 1966, einem Dienstag, erstmals abends im ZDF-Programm? Nun, es war der Auftakt zu einer Serie, die schnell zum Überraschungserfolg geriet und bald legendären Status erlangte.

„Mit Schirm, Charme und Melone“ (Original „The Avengers = „Die Rächer“) hieß die britische Reihe, eine rasante Mixtur aus Agentenfilm, Krimi und Science Fiction; mit blühender Phantasie erdacht und anfangs in kräftigem Schwarzweiß ausgemalt, elegant und humorvoll gespielt, mit (ironisch abgefederter) Action gepfeffert. Übrigens brachte der deutsche Titel – viel besser als der englische – einige Essenzen der Reihe auf den Begriff.

Der Gentleman und die starke Frau

Die beiden Hauptpersonen, die da in schöner Regelmäßigkeit Großbritannien und die (westliche) Welt vor den apokalyptisch gefährlichen Hirn-Ausgeburten teuflisch böser Genies retteten, waren einfach umwerfend. Agent John Steed (Patrick Macnee) war ein Gentleman vom Scheitel bis zur Sohle, dem der edle Stockschirm, die Melone und ein Oxford-Schlips bestens standen.

Emma Peel (Diana Rigg) und John Steed (Patrick Macnee) (© ZDF/Kinowelt - Screenshot aus http://www.dailymotion.com/video/x17ru53_mit-schirm-charme-und-melone-f-01-die-roboter-leicht-gekurzte-version_shortfilms)

Emma Peel (Diana Rigg) und John Steed (Patrick Macnee) (© ZDF/Kinowelt – Screenshot aus http://www.dailymotion.com/video/x17ru53_mit-schirm-charme-und-melone-f-01-die-roboter-leicht-gekurzte-version_shortfilms)

Mindestens ebenbürtig stand ihm Emma Peel (Diana Rigg) zur Seite, für damalige Verhältnisse ungemein emanzipiert und fast schon unverschämt sexy, wenn sie in ihrem berühmten Lederanzug antrat und Karateschläge austeilte, um all die fiesen Finsterlinge Mores zu lehren. Klug war sie selbstverständlich auch noch. Für ein gewisses Knistern sorgte noch die Frage, ob sie und John Steed etwas miteinander anfangen würden, was über den kriminalistischen Eros hinausging.

Bizarre Einfälle

Ich habe mir jetzt auf DVD (Edition bei Kinowelt) noch einmal drei Folgen der famosen Reihe angeschaut, jeweils rund 50 MInuten lang. „Stadt ohne Rückkehr“ folgt gnadenlos konsequent dem bizarren Einfall, dass von geheimen Mächten zunächst ein Ort nach und nach von seinem eingesessenen Bewohnern entvölkert wird, um dort – vom Lehrer bis zum Pfarrer – falsche „Stellvertreter“ anzusiedeln. Es sind nur die ersten mörderischen Schachzüge, um allmählich ganz England zu erobern. Auf solche Ideen muss man erst einmal kommen.

Die Episode „Die Totengräber“ ist kaum minder wahnwitzig. Von einer als Klinik getarnten Zentrale aus wird das englische Raketenwarnsystem attackiert. Emma Peel verdingt sich als Krankenschwester, um hinter die Kulissen zu blicken.

Böse Computer-Utopie

Gewiss: Die Bösewichter sind stets sogleich als solche kenntlich, ihre Machenschaften sind gruselig und lachhaft zugleich. Man sieht einen manchmal herrlich unsinnigen Mummenschanz, der aber seinerzeit ästhetische Avantgarde war und durchaus als Form der Pop-Kunst durchgehen kann. Die englischen Ursprünge der Serie (Start 1961) fallen nicht von ungefähr in die Zeit der ersten James-Bond-Filme.

Nicht nur die in Deutschland als Debütfilm ausgestrahlte Folge „Die Roboter“ („The Cybernauts“) greift gedanklich weit voraus. Zwar sind die elektrischen Kampfmaschinen, die da ihr brutales Unwesen treiben, noch von etwas unvollkommener Bauart, doch träumt ihr Schöpfer schon auf wirklich beängstigende Weise von Computern, die eines nicht so fernen Tages die Menschen ersetzen sollen.

In einem bemerkenswerten Dialog mit jenem wahnsinnigen Dr. Armstrong sieht John Steed schon die „elektronische Diktatur“ und den „kybernetischen Polizeistaat“ heraufdämmern. Dem muss natürlich Einhalt geboten werden, denn – so Steed mit gekräuseltem Lächeln – „Menschen aus Fleisch und Blut sind mir lieber“. Wer wollte ihm da widersprechen?

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Vorherige Folgen: „Tatort“ mit „Schimanski“ (1), „Monaco Franze“ (2), „Einer wird gewinnen“ (3), „Raumpatrouille“ (4), „Liebling Kreuzberg“ (5), „Der Kommissar“ (6), „Beat Club“ (7)




TV-Nostalgie (7): „Beat Club“ – Endlich gab’s die heiß ersehnten Klänge…

Haben wir je eine TV-Sendung heißer herbeigesehnt? Bestimmt nicht! Wir waren ja gerade im richtigen Alter dafür. Und der „Beat Club“ kam (ab 25. September 1965, samstags zunächst von 16.45 bis 17.15 Uhr) zwar reichlich verspätet ins verschnarchte deutsche Fernsehen, aber irgendwie doch gerade noch rechtzeitig. Yeah!

Seither gehört Uschi Nerke, die im Monatsrhythmus all die Auftritte und Filmeinspielungen immerzu munter präsentierte, zu den unvergänglichen Ikonen des Mediums. Mit den Jahren trugen sie und die zeitweise unvermeidlichen Go-Go-Girls dann etwas knappere Röcke.

Schon ein paar Tage her: Uschi Nerke präsentiert den "Beat Club" - © Radio Bremen/ARD - Screenshot aus http://www.youtube.com/watch?v=VMzoVYcJHyQ

Schon ein paar Tage her: Uschi Nerke präsentiert den „Beat Club“ – © Radio Bremen/ARD – Screenshot aus http://www.youtube.com/watch?v=VMzoVYcJHyQ

Am Anfang war es brav und bieder

Die Jugendlichen, die da anfangs zur „Beatmusik“ tanzten, wirkten äußerlich noch ziemlich brav und bieder. Auch die Bands traten zumeist noch im adretten Anzug auf. Die „Warnung“, die der noch junge Ansager und spätere Tageschau-Sprecher Wilhelm Wieben der Premieren-Sendung vorausschickte („Sie aber, …die Sie Beatmusik vielleicht nicht mögen, bitten wir um Ihr Verständnis…“), war im Grunde herzlich überflüssig. Doch viele ältere Menschen regten sich damals trotzdem auf.

Rotierende Spiralen

Nicht nur die Musik wurde (vor allem ab 1967) „progressiver“, sondern auch Design und Darstellung. Der „Beat Club“ war ein Feld, auf dem man die damals noch sehr begrenzten technischen Möglichkeiten phantasievoll ausreizen konnte – bis hin zu psychedelischen Experimenten mit allerlei rotierenden Spiralen und Spiegelungen. Natürlich wurde dabei gelegentlich auch Unsinn verzapft. Doch es zeigte sich so manches Stück vom wandelbaren Zeitgeist.

Ausgebrütet wurde all das beim kleinen Sender Radio Bremen, federführend beim „Beat Club“ war der Redakteur Mike Leckebusch, damals eigentlich Jazzfan. Jetzt kommt ein Name ins Spiel, mit dem Sie bei Jauchs Millionenquiz Chancen hätten: Gerhard Augustin. Gerhard Wer? Nun, der Mann war damals – als einer der ersten seiner Zunft in ganz Deutschland – Plattenaufleger in einem Bremer Club und brachte Leckebusch auf die Spur der Beat- und Rockmusik. Augustin stand bei den frühesten Folgen auch mit vor der Kamera.

Bärenstarke PR-Show

Zugegeben: In den ersten Sendungen zählte vor allem die gute Absicht, es traten eher zweit- und drittklassige Bands auf. Der allererste Titel war übrigens – hätten Sie’s gewusst? – deutschsprachig: Die Bremer Lokalband Yankees brachte ihr Liedchen „Halbstark“ („Oh Baby, Baby, halbstark…“) zu Gehör. Fortan waren deutsche Töne allerdings verpönt.

Als jedoch die Plattenindustrie allmählich merkte, welches Werbepotenzial hier schlummerte, traten immer mehr wirkliche Größen des Geschäfts im „Beat Club“ auf, darunter etwa die Rolling Stones, die Who oder Jimi Hendrix. Uschi Nerke hätte sich nie erlaubt, bei ihren Ansagen auch nur einen Hauch von Kritik einfließen zu lassen. Nüchtern und bei Licht besehen, war der „Beat Club“ lupenreine PR-Jubel für die Musikindustrie.

Atemlose Aufnahmesitzungen

Das ändert nichts daran, dass dort oft bärenstarke Musik zu erleben war. Man kann sich heute kaum noch vorstellen, wie wir (falls solche vorhanden waren) die Tonbandgeräte angeworfen und atemlos mit dem Mikro vor dem Fernsehlautsprecher gehockt haben – in der innigen Hoffnung, dass niemand geräuschvoll ins Wohnzimmer kam…

Heute hingegen gibt’s einen eigenen Internet-Kanal für nostalgische Musik aus der Bremer Kultsendung. Auch sind alle 83 Folgen bis zum Ende im Dezember 1972 auf DVDs zu erwerben. Und überhaupt: Jetzt sind fast alle Wellen und Netze so mit Rock und Pop angefüllt, dass es wahrlich genügt.

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Hier die Ansage zur allerersten Sendung und ein paar weitere Schnipsel: http://www.youtube.com/watch?v=VMzoVYcJHyQ




Frauenfußball – ganz gemächlich: Wie die EM im Fernsehen präsentiert wird

In der elend langen Bundesliga-Sommerpause darf jetzt mal wieder der Frauenfußball die Lücken füllen, immerhin mit einer Europameisterschaft in Schweden. Doch es ist im Fernsehen immer noch kein Vergleich zu den Partien der Männer-Nationalelf. Da hätten sich die Medien seit Wochen hochgeschaukelt. Sind die Damen am Ball, geht es im TV ungleich gemächlicher zu.

Für die Bier-Werbeblöcke beim Frauen-Match Deutschland – Niederlande sorgten, wenn ich richtig mitgezählt habe, gleich viermal Jogi Löw und seine Jungs. Offenbar hat noch niemand die Damen aus dem Team von Bundestrainerin Silvia Neid für Reklame auf der Rechnung; noch nicht einmal im Umfeld der Frauen-EM.

Auf Distanz zum Geschehen

Ich gebe zu: Für Frauenfußball begeistere ich mich bislang noch nicht übermäßig. Als nicht mehr ganz junger Mensch ist man da seit Sepp Herbergers und Helmut Schöns Tagen biographisch geprägt. Mir war – ehrlich gesagt – auch noch nicht bewusst, in welchen Maße Spielerinnen-Transfers mittlerweile über die europäischen Grenzen vonstatten gehen. Aber derlei (zuweilen sympathisierende) Distanz oder meinetwegen auch Ignoranz habe ich wohl mit den meisten Leuten aus den Fernseh-Sportredaktionen gemeinsam. Man kann sich irgendwie nicht vorstellen, dass der Einsatz für Damenfußball einen dort in der Hierarchie wesentlich voran bringt – eher im Gegenteil. Und so scheint denn der Frauenfußball immer noch ein wenig das unbekannte Wesen zu sein. Pikant übrigens, wenn man bedenkt, dass ARD und ZDF soeben eine wichtige Bastion beim Männerkicken an den Privatkanal RTL verloren haben, nämlich die Qualifikationsspiele zur EM 2016 und zur WM 2018. Bleibt den öffentlich-rechtlichen Sendern eines Tages etwa nur das Frauenteam?

Expertin fürs ZDF: Ex-Nationaltorhüterin Silke Rottenberg (© ZDF/Rainer Rüffer)

Expertin fürs ZDF: Ex-Nationaltorhüterin Silke Rottenberg (© ZDF/Rainer Rüffer)

In den Fall müssten sie deutlich nachlegen. Der männliche Kommentator Norbert Galeske bemühte sich in Växjö (Schweden) hie und da halbwegs um Emotionen, doch wenn’s zum Schwur kam, wirkte er seltsam unengagiert. Ein verweigerter Elfmeter regte ihn letztlich ebenso wenig auf wie etwa gelbe Karten, erstaunliche Hackentricks oder ein Handspiel. Man vergleiche das mit der Aufregung, die jede halbwegs markante Szene in einem mittelprächtigen Herren-Länderspiel hervorruft.

Die Männer als Maß der Dinge

Unscheinbare Reporter-Bemerkungen à la „fast wie bei den Männern“ oder „Ihre Spielweise erinnert an Philipp Lahm“ zeigen, dass die kickenden Herren nach wie vor das Maß aller Dinge sind. Auch würde man sich bei einem Länderspiel der Männer nie und nimmer mit einer bloßen Viertelstunde Vorlaufzeit bis zum Anstoß begnügen. Dann könnte man ja nicht alles und jeden durchhecheln oder hochtrabende „Analysen“ von sich geben. Allein der Umstand, dass sechs deutsche Stammkräfte fehlen, hätte bei den Herren wahrscheinlich eine Stunde Sendezeit gefüllt. In manchen Punkten haben die Spielerinnen leider tatsächlich bei den männlichen Kollegen gelernt: Einige von ihnen spucken nun ebenfalls auf den grünen Rasen, tragen Tätowierungen (oder Zungen-Piercings, wie genüsslich gezeigt wurde) und reden bei Interviews ähnlich gestanzt daher.

Immerhin durfte im ZDF eine Frau als Expertin mitmachen, nämlich die Ex-Nationaltorhüterin Silke Rottenberg, die freilich in ihren Aussagen ziemlich trocken blieb. Recht ordentlich zog sich hingegen der Moderator Sven Voss aus der Affäre, der ohne jederlei Herablassung die sachlich richtigen Fragen stellte.

Übrigens: Die Begegnung war ziemlich spannend und endete 0:0, was für die Deutschen, die fünfmal hintereinander (!) die EM gewonnen haben, allemal eine Enttäuschung bedeuten musste. Hätten die Männer in den letzten 20 Jahren derart viele Titel gesammelt, so hätten die Medien sie längst zu „Helden“ hochgejubelt.

Der Beitrag ist zuerst bei www.seniorbook.de erschienen




Noch ein neuer „Tatort“-Kommissar in Hamburg: Thorsten Falke ist ein Rock’n’Roller

Das gibt’s doch gar nicht. Schon wieder ein neuer „Tatort“-Kommissar. Und schon wieder einer in Hamburg. Doch, das gibt’s! Nach Tschiller (Til Schweiger) ist jetzt auch Falke (Wotan Wilke Möhring) in die quotenstarke Krimireihe eingestiegen. Besser noch: In der Vielzahl der „Tatort“-Ermittler ist das einer, den man sich merken sollte, ja muss.

Kommissar Falke (Wotan Wilke Möhring, rechts) und Kollegin Lorenz (Petra Schmidt-Schaller) bei einer Vernehmung. (Bild: ©NDR/Christine Schröder)

Kommissar Falke (Wotan Wilke Möhring, rechts) und Kollegin Lorenz (Petra Schmidt-Schaller) bei einer Vernehmung. (Bild: ©NDR/Christine Schröder)

Sein erster Fall hieß „Feuerteufel“ und begann mit einem „abgefackelten“ Auto, in dem offensichtlich eine Frau erstickt war. Ein Jugendlicher hatte, wie man gleich erfuhr, Bruchstücke des schrecklichen Geschehens mit dem Handy gefilmt. Über weite Strecken musste man ihn für den Schuldigen halten, der sich auch noch durch Erpressung und Kopfgeld furchtbar in die Enge treiben ließ.

Doch aus alter „Tatort“-Erfahrung wissen wir ja, dass jemand, der gegen 21.20 Uhr als Täter gilt, es eigentlich nicht gewesen sein kann. Und siehe da…

„Einsamer Wolf“ mit Katze

Folge eins eines neuen „Tatort“-Teams (Regie: Özgür Yildirim) muss immer auch genügend Platz haben für die anfängliche Charakterzeichnung. Dieser Thorsten Falke ist der Typ „einsamer Wolf“; ein Single, der sich am Nachtkiosk versorgt und am späten Feierabend mit seiner Katze redet („Wie war dein Tag heute?“). Ansonsten ist er sehr emotional, zuweilen aufbrausend, er leidet keineswegs unter Adrenalinmangel.

Wenn Falke in seinem Citroen älterer Bauart durch die Hansestadt kurvt, hört er Rock’n’Roll oder – in sentimentalen Stunden – melancholische Singer-Songwriter-Musik. Er kennt und duzt Leute aus der autonomen Szene und hat als verräterrischen Handy-Klingelton ein paar Takte aus „Sympathy for the Devil“ (Sympathie für den Teufel) von den Rolling Stones installiert. Noch Fragen? Ja, eine noch: Wenn ich das mit meinen begrenzten Hamburg-Kenntnissen richtig deute, wohnt er auch noch im aufsässigen Schanzenviertel. Wer weiß es besser?

Vielleicht knistert da etwas

Ein kerniger Kerl also, aber nicht ganz unsensibel. Als bekennender Macho behandelt er die neue Kollegin und Hospitantin Katharina Lorenz (Petra Schmidt-Schaller) von oben herab. Doch das gibt sich mit der Zeit. Und vielleicht knistert da sogar etwas. Die Blondine sieht nicht nur gut aus, sondern hat auch noch eine Menge auf dem Kasten. Gemeinsam sind die beiden wohl ebenso stark wie das vorherige Team Falke/Katz. Der alte Kumpel wird freilich Vater und hat sich in den Innendienst versetzen lassen. Falke zürnt und verspottet ihn als „Krawatten-Horst“. Auch die Zeichnung dieser Männerfreundschaft gehört zu den Stärken des Auftaktfilms.

Urgewalt des Feuers

Nicht, dass über all dem der Kriminalfall in Vergessenheit geraten wäre. Er wurde auch noch zusätzlich angereichert. Minter (Bernhard Schütz), der Witwer der anfangs verstorbenen Frau, ließ sich gar auf den Betreiber einer Polit-Kampagne („Mehr Sicherheit für Hamburg“) ein – ausgerechnet ein Autohändler. Unterstützt von einer aufgebrachten Presse, formierten sich dubiose Bürgerwehren, die auf Selbstjustiz aus waren. Bei all dem erhitzte sich das Klima buchstäblich und zusehends. Immer wieder wurde die Urgewalt des Feuers beschworen. Und viel war die Rede von der „Büchse der Pandora“ (Falke zuerst: „Hör mir auf mit dem Pornokram“), aus der dem antiken Mythos zufolge das Böse entweicht, dann aber auch die Hoffnung. So hat man auch etwas lernen können…

Dass die Gerichtsmediziner nichts Präziseres über den Erstickungstod der Frau herausfinden konnten, hat mich gewundert. Aber bitte. Ich bin da kein Experte. Hauptsache, dass es am Ende ein ordentliches Geständnis gibt.

Insgesamt überzeugte die Geschichte jedenfalls. Drehbuch, Dialoge, Darsteller, Spannungsbögen – alles in Ordnung. Nach dem Flop mit Tschiller könnte man sagen: eine erfreuliche Ehrenrettung für Hamburg!

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Der Beitrag ist zuerst auf www.seniorbook.de erschienen




Til Schweiger schlägt beim „Tatort“ zu

Über diesen neuen „Tatort“-Kommissar redet man schon seit vielen Monaten. Nicht wenige haben schlimmste Befürchtungen gehegt. Til Schweiger als Ermittler – ja, würde das denn gehen? Und tatsächlich: Der durchtrainierte Nuschler mit dem diskussionswürdigen Verständnis von Männlichkeit hat sein neues Revier in Hamburg sofort brachial aufgemischt.

Nach etwa fünf Minuten hat dieser Kerl schon drei Verbrecher final zur Strecke gebracht. Das dürfte neuer „Rekord“ in der ARD-Krimireihe sein. Man fühlt sich an die alte Scherzregel des Action-Kinos erinnert: Erst ein paar Explosionen – und dann langsam steigern… Doch hier gab es die meisten Leichen schon am Anfang.

Bloß nicht lange fackeln

Vorherige Warnrufe? Schüsse ins Bein? Umständliche Verhöre gar? Offenbar alles rechtsstaatlicher Quatsch, wenn man es mit Mädchenhändlern dieses Kalibers vom Astan-Clan zu tun hat. Nicht lange reden oder fackeln, sondern handeln – im Zweifelsfall gleich tödlich schießen. So lautet wohl die Notwehr-Devise des Nick Tschiller (Buchstabierfrage an ihn: „Wie der Dichter?“ – Antwort: „Welcher Dichter?“), der aus Frankfurt an die Elbe gekommen ist. Sein neuer Chef ist entsetzt. Der (faule) „Kiezfrieden“ hat lange gehalten, doch jetzt wird die Unterwelt sicherlich furchtbare Rache nehmen.

Stets zum Schlagabtausch bereit: Nick Tschiller (Til Schweiger) im "Tatort" aus Hamburg. (Foto: NDR/Marion von der Mehden)

Stets zum Schlagabtausch bereit: Nick Tschiller (Til Schweiger) im „Tatort“ aus Hamburg. (Foto: NDR/Marion von der Mehden)

Tschiller, selbst Vater einer 15jährigen Tochter, ist doppelt und dreifach alarmiert, als er die minderjährigen Opfer des Clans sieht. Ihn beherrscht vor allem ein Impuls: „Ich hol‘ euch da ‚raus!“ Er hofft, dass die blutjunge Prostituierte Tereza (vielleicht auch erst 15 oder 16 Jahre alt) als Zeugin dienen kann und bringt sie in der Wohnung seines Kollegen Gümer (hellwach: Fahri Yardim) unter.

Auch Rambo braucht einen Hacker

Dieser muntere, so gar nicht wortfaule Gümer hackt – obwohl verletzt im Krankenhaus liegend – im Verlauf der Geschichte alle denkbaren Handy- und Computerverbindungen. Ohne ihn wäre Tschiller aufgeschmissen. Auch ein solcher Rambo braucht einen im Hintergrund, der gelegentlich kurz und knackig nachdenkt, ein technisch beschlagenes Superhirn, fast schon an der Grenze zur Karikatur. Dass der Online-Freak seine Wohnung mit Kameras ausgestattet hat, über die man alles, aber auch wirklich alles böse Geschehen verfolgen kann, versteht sich beinahe von selbst.

Über weite Strecken gerät der Film zum Duell mit Tschillers Ex-Kollegen vom LKA Frankfurt, Max Brenner (Mark Waschke), der die Seiten gewechselt hat und nun der zynischste Gangster von allen ist. Ganz klar, dass Tschiller nicht aus dem Hinterhalt kommt, sondern mit offenem Visier kämpft. Geradeaus und aufrecht, so wird uns dieser Typ verkauft.

Wahrlich keine Charakterstudie

Til Schweiger muss hier wahrlich keine Charakterstudie abliefern, sondern kommt mit sehr einfach gestrickten Sätzen und vor allem Taten aus. Phasenweise erinnern Fülle und Härte der wüsten Action-Szenen an US-amerikanische Polizeifilme oder an Nachahmer-Produkte deutscher Privatsender. Die Amis können das in aller Regel besser.

Im Umfeld der insgesamt ziemlich unübersichtlich gewordenen „Tatort“-Reihe wirkt diese Art des atemlosen Erzählens jedenfalls ziemlich fremd. Dreimal darf man raten, warum der „Tatort“ ein deutscher Exportschlager ist; bestimmt nicht in erster Linie wegen der Schießereien. Wir hatten schon etliche behäbige, gediegene, humorige oder melancholische Ermittler-Teams in vielen möglichen Mischformen, doch so einen Haudrauf hat es seit Schimanski nicht mehr gegeben, wobei der von Götz George gespielte Ruhrgebiets-„Bulle“ ein Sonderfall von ganz anderem Zuschnitt war.

Gewiss: In der Auftaktfolge (bezeichnend doppelsinniger Titel „Willkommen in Hamburg“) gab es ein paar Ansätze, um Schweigers Rolle ein wenig zu ironisieren. Doch das bisschen Augenzwinkern ging letztlich im Kugelhagel und Geschützfeuer unter.

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Der Beitrag ist zuerst bei www.seniorbook.de erschienen




Wie ein Weihnachtsgeschenk: Britische Serie „Downton Abbey“ endlich im deutschen Fernsehen

Robert Crawley (Hugh Bonneville, rechts) und der Duke of Crowborough (Charlie Cox, li.) (Bild: ZDF/Nick Briggs)

Robert Crawley (Hugh Bonneville, rechts) und der Duke of Crowborough (Charlie Cox, li.) (Bild: ZDF/Nick Briggs)

Apokalypse stand auf dem Programm – und was packen unsere Fernsehsender in selbiges, wenn Quote angesichts des Weltenendes anscheinend keine Rolle mehr spielt? Der Abend des prophezeiten Weltuntergangs fiel definitiv aus dem Rahmen. Schon filmtechnisch wusste man sich kaum zu entscheiden, welcher Film es auf die Festplatte schafft und welcher sofort konsumiert wird. „Stolz und Vorurteil“ oder „In weiter Ferne so nah“.

Das Beste aber kam vorweg. Endlich, endlich mal wieder eine Fernsehserie zur Weihnachtszeit, die intelligenten Spaß macht. Der Spartensender ZDF Neo startete am Freitag „Downton Abbey“, die hochgelobte, vielfach preisgekrönte Fernsehserie aus Großbritannien. Schon vorher rollte eine Welle der Vorfreude durch die Gemeinde der bekennenden Serienfans, die sich nach dem Ende von „Lost“ verloren an den „Mad Men“ festhielten. Nun hat „Downton Abbey“ sicher wenig mit den vorgenannten Serien zu tun, Gemeinsamkeiten gibt es aber: gut erzählte Geschichten, die Liebe zum Detail und Hochwertigkeit in allen Bereichen.

„Downton Abbey“ begeistert vom ersten Moment an. Sorgfältig besetzte Rollen, punktgenau gezeichnete Charaktere, messerscharfe Dialoge. Die Rahmenhandlung ist schnell umrissen. Die Serie erzählt vom Leben, Leiden und Lieben der Familie Crawley auf dem fiktiven Landsitz Dwonton Abbey, zeitlich beginnend in den Jahren vor dem ersten Weltkrieg und bringt so einen Mikrokosmos der edwardianischen Gesellschaft auf unsere Bildschirme. Zeitgeschichtliche Bezüge sind wie selbstverständlich in die Handlung eingearbeitet, auch die sozialkritische Komponente kommt nicht zu kurz, der erhobene Zeigefinger bleibt aber unten. Man will unterhalten, allerdings auf hohem Niveau. Das merkt man auch der detailgetreuen Austattung an. Selbst wenn man keinen Spaß an großen und kleinen Dramen und Intrigen finden sollte, bleibt immer noch der Blick auf grandios gefilmte Landschaften, detailgetreu inszenierte Gesellschaftsereignisse und traumschöne Kostüme. Eaton Place reloaded.

Tipp: Muttersender ZDF zieht ab heute nach und beginnt mit der Ausstrahlung der ersten Folge ab 17:05 Uhr. Bei diesem Wetter eine echte Alternative für entgangene Adventspaziergäng.

http://www.zdf.de/Downton-Abbey/Downton-Abbey-25334960.html




Das zeitversetzte Lächeln des Herrn Löw (nebst gewittrigen Plaudereien im ZDF)

Was ist das für eine mediale Welt, in der ein Oliver Kahn mit dem ergreifend schlichten Tweet „Wir werden Europameister“ im Nu Abertausende von Followern um sich schart? Sind wir denn noch gescheit, sind wir noch zu retten?

Was ist das für eine mediale Welt, in der auf YouTube millionenfach (!) die Szene angeklickt wird, in der ein staunenswert schelmischer Bundestrainer Joachim Löw einem Balljungen die Lederkugel unter dem angewinkelten Arm wegschlägt? Und das auch noch während des überlebenswichtigen Spiels gegen Holland!

Ja, denkste. Just jene Szene wurde vor dem Anpfiff aufgezeichnet, dann aber als optisches Füllsel derart mitten ins Live-Geschehen montiert, dass es den Anschein hatte, der lächelnde Löw sei bei dieser Partie ganz entspannt im Hier und Jetzt.

Es handelt sich dabei zweifellos um eine Manipulation, um eine Täuschung, wenn auch in einem noch halbwegs harmlosen Fall.

Mutet man uns ähnliche Beschönigungen auch auf politischem Felde zu? Eine bestens gelaunte Kanzlerin, mitten in der Krise? Nun, das vielleicht gerade nicht, denn eben dann muss sie ja staatsfraulich ernste Miene machen. Und wohl kein Sender wird es – außerhalb der spärlichen Satireprogramme – wagen, einen gegenteiligen Eindruck zu erwecken.

Dennoch ist dies ein Lehrstück, das zu noch mehr Misstrauen und Wachsamkeit Anlass geben sollte, als man sie ohnehin dem Fernsehen gegenüber hegt. Da wird eben keineswegs die reale Welt abgebildet, sondern allererst mit den Mitteln des Mediums konstruiert. Das wusste und weiß man sicherlich schon längst, doch muss man diese Erkenntnis ständig wachhalten. Sonst übertölpeln sie einen mit ihrem bildwütigen Erzählduktus.

Sicher. Auch Zeitungen spazieren ungleich mehr über den Boulevard als ehedem und im Hörfunk schrauben die meisten Sender ihre Anforderungen an die Konsumenten gleichfalls immer weiter herunter. Kaum noch längere Sätze, erst recht keine mit Schachtelung, kaum noch nicht-englische Fremdworte, die den Weg ins Programm fänden. Man fragt sich bang, auf welchem Niveau das eines Tages anlangen soll. Irgendwann werden vielleicht nur noch blanke Dreiwort-Äußerungen erwünscht sein. Vom landläufigen Mehrheitenfernsehen schweigen wir in solchen Zusammenhängen lieber gleich ganz.

Ach, es ist manchmal verdammt schwer, kein Kulturpessimist zu sein.

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P. S.: Ich lege ganz bewusst keinen Link zur besagten Szene auf YouTube.

P. P. S.: In diesen Minuten unternimmt das ZDF den schwierigen Versuch, die gähnende Zeit zu überbrücken, denn das Spiel Ukraine – Frankreich ist wegen eines heftigen Gewitters unterbrochen worden. Der Sprecher Béla Réthy ist wirklich nicht zu beneiden. Er flüchtet sich in Lehrsätze wie „Die Ukraine ist der zweitgrößte Flächenstaat Europas“ oder Menschheitsfragen wie „Was bekommt Michel Platini jetzt zu essen?“ Auch unternimmt er Ausflüge in die Fußballhistorie (Regenspiel 1974, Deutschland – Polen etc.). Überdies gibt’s Mutmaßungen zur Regelkunde, Wetterspekulationen und eine (Hahaha!) „Blitz-Tabelle“ der EM-Gruppe. Da bleibt kein Auge trocken.

Man erlöst Réthy mit Werbung und den heute-Nachrichten…

Das Schlimmste kommt jetzt: Sie schalten nach Usedom…aber gottlob nur ganz kurz.

Und nun gibt’s tatsächlich Fußball. Hoffentlich guten.

Réthy jedoch, einmal in Schwafelstimmung geraten, kommentiert auch jetzt noch den Blick zum Abendrothimmel über dem Stadion mit den goldenen Worten „Caspar David Friedrich hätt’s nicht schöner hinbekommen.“

Wir schalten um in die angeschlossenen Funkhäuser.




„Tatort“ Dortmund: Ja, hömma!

Nachtrag am 12. Oktober 2011:

Jetzt ist es heraus: Dortmund wird „Tatort“-Metropole. Und schon überschlägt man sich in der Stadt. Die Presse hat sich schon mal feine Mordgeschichten mit Lokalkolorit ausgedacht. Derweil versucht OB Ullrich Sierau (SPD), sich den Erfolg an seine Fahnen zu heften. Die Westfälische Rundschau zitiert das Stadtoberhaupt heute mit dem Satz: „Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass mein Werben für Dortmund als Krimischauplatz so erfolgreich ist. Ich finde es super…“

Ist ja gut, Herr Sierau, Sie allein haben das bewirkt, keine Frage. Die Leutchen beim WDR mussten das fertige Konzept nur noch abnicken.

Schon im Vorfeld hatte Sierau eine Idee für den ersten Dortmunder Fall lanciert: Fiese Typen sollten demnach einen erfolgreichen Start-up-Unternehmer bedrängen. Dabei hätte man ganz nebenbei erfahren, welch gutes Pflaster Dortmund den Studenten und den jungen Unternehmen bietet, wären da nicht jene Finsterlinge (vielleicht aus Schalke?).

Mal ganz im Ernst: Hoffentlich widerstehen die Autoren allen Anfechtungen, die Dortmunder „Tatort“-Folgen mit strukturpolitischen oder sonstigen Botschaften zu befrachten. Schreibt bitte einfach gute Krimis und zeigt Dortmund als normale Stadt mit solchen und solchen Seiten!

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Und hier der Text von 7. September:

Es wird mal wieder spekuliert, ob Dortmund künftig ein ARD-„Tatort“ sein wird. Doch diesmal klingen die Mutmaßungen so, als wäre einige Wahrscheinlichkeit im Spiele.

Auch ein möglicher Hauptdarsteller wird genannt: der 41-jährige* Jörg Hartmann, der vereinzelt schon Gastauftritte in „Tatort“-Folgen absolviert hat, freilich nie als Polizist. Auch bei „Bella Block“ hat er ‚reingeschnuppert. Überdies verströmt er den Stallgeruch des westfälischen Ruhrgebiets, ist er doch in Hagen geboren und in Herdecke aufgewachsen. Ja, hömma!

Sei’s drum. Im Oktober soll das Publikum „amtlicherseits“ (sprich: vom WDR) mehr erfahren. Bis dahin hält dessen Pressestelle selbst gegenüber den Journalisten aus dem eigenen Hause dicht. Ein Effekt: Abermals ist eine Dortmunder Zeitung vorgeprescht und hat dem Sender, der ja schließlich die in NRW angesiedelten „Tatorte“ herstellt, die Geschichte vorgesetzt. Da muss es also eine undichte Stelle geben, die besagte Zeitung erneut weidlich nutzt. Wer will es den Kolleg(inn)en verdenken? Jedenfalls mussten alle anderen interessierten Medien „nachziehen“, besonders zähneknirschend tat man’s gewiss beim WDR.

Frei nach Lautréamont: Begegnung eines Küchenmessers und eines Stadtplans auf der Arbeitsplatte. (Foto: Bernd Berke)

Frei nach Lautréamont: Begegnung eines Küchenmessers und eines Stadtplans auf der Arbeitsplatte. (Foto: Bernd Berke)

Abgesehen davon fragt man sich, inwiefern es das Image (und indirekt gar das tatsächliche Lebensgefühl) einer Stadt beeinflusst, wenn sie „Tatort“-Schauplatz ist. Nun, es kommt sicherlich immer auf die einzelnen Drehplätze (z. B. Nordstadt, Hohensyburg, Westfalenstadion, Dortmunder „U“, Galopprennbahn oder ländlicher Vorort) und vor allem auf den Zuschnitt der Stories an. Münster beispielsweise wirkt in der ARD-Krimireihe geradezu leichtsinnig humorvoll, während einst in Schimanskis Duisburg vorwiegend die finsteren und desolaten Seiten der Stadt überwogen. Köln, Düsseldorf und Essen waren oder sind gleichfalls nordrhein-westfälische „Tatort“-Städte, so dass Dortmund nun wirklich einmal an der Reihe wäre, bevor sich etwa Randgemeinden wie Mönchengladbach, Aachen, Siegen oder Bielefeld andienen.

Und doch wendet man sich schon jetzt mit Grausen, wenn man sich ausmalt, wie die Stadtspitzen eine solche (vermeintliche) Erhebung in den medialen Adelsstand bejubeln. Wäre das schön, wenn sie es nobel hinnehmen und schweigend genießen würden! OB Ullrich Sierau hatte sich bereits im Frühjahr als Chef des Besetzungsbüros geriert, indem er den gebürtigen Dortmunder und BVB-Fan Dietmar Bär (Freddy Schenk im Kölner „Tatort“) nachdrücklich als DO-Kommissar ins Gespräch brachte. Das wird ja wohl nichts.

Erst recht sollte man sich keine touristisch verwertbare Stadtwerbung versprechen. Erfahrungsgemäß gibt es pro Folge nicht allzu viele Schwenks mit wirklichem Lokalkolorit, Innenraum-Szenen können ohnehin ganz woanders (aus Kostengründen beispielsweise in Köln) entstehen.

Dem vagen Vernehmen nach könnte es in den Dortmunder Krimis vorwiegend bodenständig witzig zugehen. Falls die ganze Chose stimmt, dürften auch schon Autoren und/oder Regisseure** am vorbereitenden Werk sein. Sollte etwa der ortsansässige Adolf Winkelmann…? Nicht doch, oder?

Also gut, warten wir’s einfach demütig ab. Stolzgeschwellt einherschreiten, ansonsten (siehe oben) still genießen oder auch sich königlich über Nestbeschmutzung aufregen, das alles kann man später immer noch.

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*Laut Wikipedia ist Hartmann am 8.6.1969 geboren, laut seiner Agentur (Mieke Gotha) am 8.6.1970…

**Frauen sind mitgemeint




Im Kino: Udo ist eben doch nicht Kurt Krömer

Mal wieder ins Kino gegangen, weil im WDR ein Interview mit Kurt Krömer über seine Rolle als „Udo“ zu sehen und zu hören war. Hat es sich gelohnt?

Natürlich ist Kurt Krömer im Detail immer ein Hinsehen wert. Im Film „Eine Insel namens Udo“ spielt Krömer aber gar nicht seine Rolle als Kurt Krömer, sondern einen eher schüchternen, etwas zerbechlichen Mann, ohne Krömers markante Brille. Er ist der Kaufhausdetektiv Udo, der von allen übersehen wird – „schwersichtbar“ eben – bis die Managerin Jasmin kommt und ihn wahrnimmt, samt Flecken im Hemd und seiner schrulligen Art. Sie ist auf ihre Weise eben selbst ein wenig kauzig, und so endet diese Komödie dann auch etwas naiv romantisch.

Gelohnt hat sich der Kinobesuch wegen der teils witzigen Dialoge und der schrägen Bilder. Auch die Grundidee, dass Udo unsichtbar sein kann und nur von seinen engen Freunden und eben von Jasmin gesehen wird, hat einen gewissen Reiz. Allerdings habe ich mich in der Mitte auch ein wenig gelangweilt, denn die Geschichte wird doch sehr in die Breite gewalzt. Übrigens waren wir im Kino auch fast allein – „Bad Teacher“ zieht doch mehr Leute an.

Im Abspann konnte man lesen, dass ARTE und der WDR die Mitfinanzierer waren. Also aufgepasst: Demnächst auf Ihrem Bildschirm „Eine Insel namens Udo“. Wahrscheinlich um Mitternacht.