Moden und Marotten im Journalismus (4): Von Selbstversuchen und Katalog-Rezensionen

Kennt ihr die vor einigen Jahren verstärkt aufgekommene Reporter-Marotte, alles an sich selbst auszuprobieren?

Ich möchte nicht wissen, wie viele Journalistinnen (oder auch Journalisten) sich im Lauf der Jahre unter einer Burka (wahlweise Niqab) verborgen und die Reaktionen der Mitwelt aufgezeichnet haben.

Alle Uhrzeiger auf dieselbe Zeit getrimmt: Ausriss aus dem erwähnten Prospekt der Galeria Kaufhof.

Alle Uhrzeiger auf dieselbe Zeit getrimmt: Ausriss aus dem erwähnten Prospekt der Galeria Kaufhof.

Erst jüngst fingierte eine Kollegin, sie müsse davon leben, in Mülltonnen nach dem Nötigsten zu suchen – und schrieb ausführlich darüber…

Einmal in Rechnung gestellt, dass manche junge Journalistin tatsächlich nicht ihr hinreichendes Auskommen hat, durchwehte jenen Beitrag trotzdem mehr als ein Hauch von Zynismus. „Elend“ mit eingebauter Rückkehr-Garantie. Hach, wie wärmt das ein herzensgutes Mittelschichts-Seelchen. Und das nicht nur zur Weihnachtszeit.

Einige mögen es auch hart. Ich kann mich an den Selbstversuch eines Reporters erinnern, der sich probehalber als Preisboxer verdingte.

Auch im Kulturteil hat man die eine oder andere Mode mitgemacht, freilich auf die sanftere Tour. Und dabei rede ich nicht einmal vom so genannten „Debattenfeuilleton“, das besonders in den überregionalen Blättern alle gewichtigen Weltfragen um und um wälzte. Der Zenit dieser Gattung liegt auch schon wieder einige Zeit zurück.

Manchmal ließ man’s hingegen gerade lässig angehen. Vor ungefähr zehn, fünzehn Jahren wurde es Mode, das Feuilleton flockig aufzulockern, indem man etwa das Telefonbuch oder den Ikea-Katalog besprach und überhaupt manchen Jokus mit dem Rezensions-Instrumentarium oder sonstigem Besteck des Kulturberichterstatters betrieb. Zuweilen war’s amüsant, doch nicht immer konnte es gelingen.

Anhang

Stichpunkt Ikea-Katalog besprechen. Play it again, Sam. Aber ich greife nur einen einzigen, freilich wundersamen Aspekt heraus. Und es handelt sich diesmal nicht um die Elche.

Vor ein paar Tagen fielen mir aus der Tageszeitung zwei Prospekte der Warenhauskette Galeria Kaufhof entgegen. Diesmal war ausnahmsweise nicht Spielzeug an der Reihe, das wäre ein Thema für sich. Wie aber ebenfalls in dieser Jahreszeit üblich, wurden in beiden Beilagen vor allem Düfte, Schmuck und Uhren angepriesen.

In dem einen Werbeblättchen habe ich 85 Uhrenmodelle gezählt, im anderen noch einmal über 60. Du meine Güte, welche Vielfalt! Mal schlicht, mal überladen, mal technoid, mal nahezu Fantasy, mal knatschbunt, mal einfarbig. Reichlich Auswahl für jeden Geschmack, wenn man denn in allen Fällen von Geschmack sprechen will.

Doch etwas war bei all diesen Uhren gleich, und zwar – die Uhrzeit. Die Zeiger sämtlicher Chronometer waren auf neun oder zehn Minuten nach zehn (10.10 Uhr) eingestellt.

Was sagt uns das?

Bevor wir uns irrwitzige Verschwörungstheorien basteln, deuten wir es lieber pragmatisch: Beim Kaufhof ist offenbar „Zug“ drin, zumindest wird uns dies signalisiert. Ein lenkender Wille bringt alle Uhren gleichermaßen „auf Vordermann“. Selbiges sollte dann wohl auch fürs Geschäftsgebaren der Kette gelten, die bekanntlich einer kanadischen Holding gehört. Es wäre sicherlich irritierend, wenn jedes Uhrwerk anders ginge. Pure Anarchie…

Zudem ließe sich über die konkrete Uhrzeit sinnieren, die sie da ausgewählt haben. Natürlich stehen nicht alle Uhren auf fünf vor zwölf, sondern zeigen eine hoffnungsvollere Zeit an: Um 10:10 Uhr ist der Tag leidlich in Gang gekommen, die meisten Leute sind einigermaßen wach und bei vollem Bewusstsein, außerdem hat der Kaufhof jetzt seit über einer Stunde geöffnet. Da weiß man doch, was die Stunde geschlagen hat. Konsumiere, du Wicht! Und zwar richtig. Wie hieß es früher so schön: „Kaufhof bietet tausendfach / alles unter einem Dach“.

Nur ein Rätsel bleibt noch übrig. Gerade mal fünf Uhren mit Digitalanzeige werden in den Prospekten feilgeboten. Sie aber – und nur sie – zeigen eine andere Zeit, nämlich allesamt exakt und sekundengenau 10:58:50 Uhr. Was hat das nun wieder zu bedeuten?

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Anno 2012 hatte hier eine kleine Serie unter dem Titel „Moden und Marotten im Journalismus“ begonnen – und alsbald wieder aufgehört. Damals sind erschienen:
„Kunterbunte Spielzeugwelt“
„Stocksteife Scheinobjektivität“
„Die Welt als Quiz, das Leben als Liste“

Jüngst hat noch eine (ebenso lose) Reihe unter dem Titel „Geheimnisse des Journalismus“ angefangen – ohne jede Garantie auf Fortsetzung.

So viel zur chaotischen Systematik der „Revierpassagen“.




Geheimnisse des Journalismus – Heute: Der „schöne Artikel“ auf der Kulturseite

In dieser neuen Reihe weihen wir euch in mehr oder weniger geheimnisvolle Hinter- und Abgründe, um nicht zu sagen Verstiegenheiten des journalistischen Gewerbes ein. Natürlich unernst und halbseiden wie immer.

Nehmt dies zum Sinnbild dafür, dass die Revierpassagen mal wieder die Fragen der Zeit beleuchten. (Foto: Bernd Berke)

Nehmt dies zum Sinnbild dafür, dass die Revierpassagen mal wieder die Fragen der Zeit beleuchten. (Foto: Bernd Berke)

Wir beginnen mit der Kultur, speziell mit jenen lieb- und gnadenlos schlecht geschriebenen, hilflos formulierten Rezensionen, die ihr alle kennt. Ja, es gibt diesen Pfusch zuhauf, wie es in jedem Metier schlechtes Handwerk gibt, zuweilen selbst in den Qualitätszeitungen.

Solche Texte sind mit Klischees und unfreiwillig komisch verkorksten Sprachbildern gespickt, sie sind von wenig Fachkenntnis getrübt, ohne die Spur eines geistigen Mehrwerts, in jedem erdenklichen Sinne zweifelhaft und „unterkomplex“, wie man so unschön sagt. Wenn man bei Trost ist, erlischt spätestens nach zwei Absätzen die Lust zum Lesen.

Macht aber alles nichts. Sofern sie sich lobend über ihre Gegenstände äußern, sind derlei Besprechungen (nicht nur im Lokalteil, nicht nur in der Regionalpresse) höchst willkommen. Kulturschaffende aller Sparten scheren sich – zumindest öffentlich – nicht um die Qualität des Geschriebenen, wenn es ihren Schöpfungen nur huldigt.

Das Phänomen hat also nichts, aber auch gar nichts mit dem Niveau des Dargebotenen oder Geschriebenen zu tun, sondern just mit der menschlichen Eitelkeit. Wer sich geschmeichelt fühlt, sieht über manches Detail hinweg, nimmt es vielleicht gar nicht mehr wahr. Gar zu gern werden solche lobhudelnden Machwerke dann der Mitwelt als „Schöne Artikel“ anempfohlen und im Netz wie von Sinnen verlinkt und geliked. Es ist zum Piepen. (Wobei die Eitelkeit der Journalisten ein Thema für sich wäre).

So souverän, auch mal einen brillant geschriebenen „Verriss“ über ihre eigenen Hervorbringungen zu goutieren, sind indes die wenigsten Kreativen. Krasser noch: Ich möchte nicht wissen, wie viele Theatermacher einen gefürchteten Kritiker wie etwa Gerhard Stadelmaier (FAZ) haben umbringen wollen. Jedenfalls in der Phantasie.

P.S.: Ob diese Reihe fortgesetzt werde, fragt ihr? Weiß ich doch nicht.




Zum Tod des Feuilletonisten Hans Jansen

Er war ein Feuilletonist vom alten Schlage, ein Kritiker, der die Gegenstände seines Schreibens spürbar liebte, auch wenn er mit den konkreten Ergebnissen des Kulturschaffens beileibe nicht immer einverstanden war. Der brachiale Verriss aber war seine Sache nie: Hans Jansen, langjähriger Kulturchef der Essener WAZ, ist jetzt mit 79 Jahren gestorben.

Die mit ihm gearbeitet haben (ob als Redakteure, Volontäre, Praktikanten), sprechen mit größter Achtung und Bewunderung von ihm. Der Mann mit der sonoren Stimme hatte gleichsam auch etwas Väterliches. Er besaß ein untrügliches Gespür für junge journalistische Talente, die er anzuregen und zu fördern wusste. Von einem wie ihm hätte auch ich gerne mehr gelernt, doch ich war nun mal bei einer anderen Zeitung. So blieb es bei gelegentlichen Begegnungen in Theaterfoyers und meist kurzen Gesprächen, vor allem aber bei der Lektüre seiner Theater- und Literaturkritiken.

Mit den Jahren des Schreibens lässt man längst nicht mehr alle gleichermaßen gelten, die ringsum das gleiche Metier ausüben, man wird da recht wählerisch, wenn nicht manchmal mürrisch. Doch bei Hans Jansen hat es mich noch stets interessiert, was und wie er geschrieben hat, besonders dann, wenn man denselben Theaterabend erlebt hatte. Das war eine Herausforderung, sich daran zu messen!

Unter den Kulturjournalisten des Ruhrgebiets gab es schwerlich jemanden, der dem promovierten Theaterwissenschaftler an Bildung, auch Herzensbildung, profundem Wissen und einfühlsamer Beschreibungskraft gleichkam. Kein Wunder, dass ihm manche Haltlosigkeit der „Spaßgesellschaft“ ein Graus war.

Seine Studienzeit in Wien hat ihn nicht nur literarisch geprägt, sondern wohl auch seine ganz spezifische Eleganz und seinen Charme inspiriert. Im kleinen Kreise hat er einmal geklagt, dass man sich im Revier doch vielfach von Hässlichkeit umgeben sehe. Es ist vielleicht die Mission dieses wahrhaftigen Kulturmenschen gewesen, die Schönheit(en) aufzuspüren und zu rühmen, die man dem entgegenstellen konnte.

Dem WAZ-Kulturteil hat Hans Jansen spürbar gefehlt, nachdem er in den Ruhestand gegangen war. Einen wie ihn kann es in diesen und den kommenden Zeiten nicht mehr geben.