„Der Idiot“ nach Dostojewskij: Glücksfall einer Roman-Adaption im Düsseldorfer Schauspiel

Foto: Matthias Horn/Schauspielhaus Düsseldorf

Foto: Matthias Horn/Schauspielhaus Düsseldorf

Eigentlich kann ich ja mehr mit Tolstoi anfangen: Krieg und Frieden, Anna Karenina – hier blühen die russischen Leidenschaften, hier lernt man die Familienmitglieder mit der Zeit so gut kennen, als gehörten sie zur eigenen Verwandtschaft. Dostojewskijs Romane schienen mir immer ungleich düsterer, zerquälter.

Da geht es um Schuld, Verbrechen, moralische Abgründe. „Die Brüder Karamasow“ sind zwar außerdem ein packender Krimi, doch im „Idioten“ bin ich steckengeblieben. Bei der Bahnfahrt des Fürsten Myschkin von der Schweiz zurück nach St. Petersburg saß ich noch neben ihm, begleitete ihn auch in das Haus der Familie Jepantschin zum ersten Besuch, doch danach habe ich ihn irgendwie aus den Augen verloren…

Deswegen ist Matthias Hartmanns Inszenierung von „Der Idiot“ am Düsseldorfer Schauspielhaus ein absoluter Glücksfall: So packend, witzig, unterhaltsam und dramatisch habe ich lange keine Roman-Adaption auf der Bühne gesehen – und davon gibt es ja inzwischen viele.

Vielleicht liegt es daran, dass Matthias Hartmann, ehemaliger Intendant der Theater in Bochum und Zürich sowie des Wiener Burgtheaters, die Bühnenfassung gemeinsam mit der Dramaturgin Janine Ortiz und dem Ensemble beim Lesen des Romans auf der Bühne entwickelt hat. Die Schauspieler erzählen dem Zuschauer die Geschichte wie einen Erlebnisbericht. Zugleich spielen sie ihre Figuren absolut großartig.

André Kaczmarczyk gibt den Fürsten Myschkin als ein derart gutherziges, kindliches und engelhaftes Wesen, das in seiner verstrubbelten Sensibilität sofort den Beschützerinstinkt in allen weckt. Jeder möchte nach seiner Begegnung mit ihm ebenso gut sein wie er – doch die meisten schaffen das leider nicht. Deswegen lassen sie sich mitunter dazu hinreißen, den armen Epileptiker einen „Idioten“ zu nennen. Doch auch das nimmt ihnen Myschkin keineswegs übel: Im Gegenteil, er strengt sich nur noch mehr an, die Fehler seiner Mitmenschen zu verstehen, zu verzeihen, auszubügeln – bis dies zum Schluss seine gesundheitlichen Kräfte übersteigt.

Das ebenso flexible wie schlichte Bühnenbild von Johannes Schütz lässt sich in verschiedene Wohnungen und Zimmer verwandeln, ebenso wie das restliche Ensemble immer wieder in verschiedene Rollen schlüpft. Besonders prägnant dabei ist Rosa Enskat als Generalin Jepantschina und Iwolgina, die ihre Töchter schnippisch im Griff hat, im Grunde eine Zicke hoch drei, doch beim Fürsten Myschkin schmilzt auch sie dahin.

Eine bleibt allerdings immer sie selbst, obwohl sie sich nie findet: Yohanna Schwertfeger als die vulgäre Mätresse Nastassja Filippowna, als Kind missbraucht und nun nicht mehr fähig, der Selbstzerstörung zu entgehen. Die Liebe des Fürsten kann sie nicht annehmen, sie ist ihr zu rein. Statt dessen verstrickt sie sich in eine Hassliebe mit dem neureichen Kaufmann Rogoschin (Christian Erdmann), die sie mit dem Leben bezahlt.

Der vierstündige Abend vergeht wie im Flug, die Koproduktion mit dem Staatsschauspiel Dresden sollten sich Liebhaber der russischen Literatur, aber auch Neulinge auf diesem Gebiet nicht entgehen lassen. Auch in völliger Unkenntnis des Romans begreift man die Essenz dieses abgründigen und zugleich idealistischen Werkes gut – und wird dabei noch bestens unterhalten.

Karten und Termine: www.dhaus.de




Rien ne va plus: „Der Spieler“ am Düsseldorfer Schauspielhaus

Foto: Herbert Käfer/pixelio

Foto: Herbert Käfer/pixelio

Die ganze Welt ist eine Bühne und alle Frauen und Männer bloße Spieler“ – das Zitat aus Shakespeares „Wie es euch gefällt“ beschreibt mit einem Satz das Grundkonzept von Martin Laberenz Inszenierung von Fjodor Dostojewskijs Roman „Der Spieler“, die jetzt im Düsseldorfer Schauspielhaus Premiere feierte. Leider bleibt dies so ziemlich die einzige (tiefsinnigere) Idee, die in der dreistündigen Dramatisierung des Stoffes aufscheint. Und besonders neu ist sie auch nicht.

In einer übergroßen Roulette-Schüssel (oder ist es doch bloß eine Wäschetrommel, wie die Akteure selbst sie nennen?) bewegen sich die Figuren wie in einem Hamsterrad. Schnelles, fieberhaftes Sprechen zeigt die Nervosität der Spielsüchtigen an, die Spannung, unter der sie stehen und die Rastlosigkeit, mit der sie durch ihre Tage rasen, getrieben von der krankhaften Gier nach Geld, Geld, Geld. Allen voran Edgar Eckert als Alexej, der von zweierlei Sucht befallen ist: der nach dem Roulette und der nach Polina (Anna Blomeier), die aus finanziellen Erwägungen sich aber lieber dem Marquis des Grieux (Florian Jahr) zuwendet.

In einer Art Wortkaskaden produzierenden Improvisation eignen sich die Schauspieler nun Dostojewskijs Text an, indem sie uns, dem Publikum oder den „Gästen“, wie sie uns nennen, die Geschichte des „Spielers“ erzählen und markieren. Sie sind gleichsam Akteure in einem Drama, dessen Ausgang sie selbst noch nicht kennen, durch Zufall geworfen auf diese Bühne und vor Situationen gestellt, in denen sie plötzlich entscheiden müssen, ohne zu wissen, was das für Konsequenzen hat.

Eine Schlüsselszene dabei ist der Koffer voller Geld, der plötzlich auf der Bühne auftaucht und Alexej und seinen Freund, den Engländer Mister Astley (Sebastian Grünewald) in Panik versetzt: „Ist da eine Bombe drin? Sollen wir den wirklich aufmachen?“ Die Parallelen zu modernen Phänomen auf Flughäfen oder Bahnhöfen sind witzig ausgespielt und bergen eine gewisse Komik. Ebenso lässt das Konzept ironische Seitenhiebe auf die Situation des Düsseldorfer Schauspielhauses zu: Von plötzlich verschwundenen 5,4 Millionen Euro ist da die Rede, von einem „leergespielten Haus“ und davon, dass „wir eine Leitung brauchen“ – „Aber es findet sich ja keiner.“ Die Anspielungen auf das jüngst zutage getretene Finanzloch und die Tatsache, dass immer noch kein neuer Intendant unter Vertrag genommen wurde, nimmt das Düsseldorfer Publikum amüsiert auf. Das ist geschickt gemacht und holt die Realität rein. Nur leider gehen die originellen Ansätze zu sehr im ausufernden Ganzen unter – vielleicht würde ein wenig Straffung helfen?

Foto: Thomas Siepmann/pixelio

Foto: Thomas Siepmann/pixelio

Ein Lichtblick ist der Auftritt von Karin Pfammatter als Erbtante Antonida Wassiljewna, denn der Besuch der alten Dame bringt die Dramaturgie voran: Wie die mondän-zickige Millionärin vom Virus des Spiels infiziert wird, wie diese Sucht sie in Raserei und Verderben treibt, das zeigt Pfammatter mit großer Intensität und hohem körperlichen Einsatz. Buchstäblich das letzte Hemd reisst sie sich vom Leibe und liefert sich nackt und bloß den voyeuristischen Blicken der „Gäste“ aus. Zugleich gelingen die Szenen am Roulettetisch und damit im Herzen Roulettenburgs, wie Dostojewskij den Ort der Handlung genannt hat, in einer schwebenden, rauchigen und zugleich fieberhaften Atmosphäre. Manchmal können die Spieler nicht hinsehen, sobald die Kugel ihren Lauf beginnt, dann wieder starren sie ins Leere, die unterdrückte Spannung wird im Raum greifbar. Das ist gut beobachtet, so lebt ein Roman im Hier und Jetzt weiter.

Leider flacht der Spannungsbogen danach wieder ab: Die Erbtante, in die die verarmte Familie ihre ganzen Hoffnungen gesetzt hatte, verspielt alles und zieht nach Moskau ab. Die Hinterbliebenen such ihr Glück in Paris oder sonstwo, doch das vermag nicht mehr recht zu fesseln. Oder anders gesagt: „Rien ne va plus“.

Infos und Karten:
www.duesseldorfer-schauspielhaus.de