Ein wenig Theater mit jungen Migranten – „Grubengold“ im Bochumer Prinzregenttheater

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„Grubengold“ – das Ensemble. (Foto: Sandra Schuck/Prinzregenttheater)

„Grubengold“: Das Wort lässt an die Kohle denken und an die Menschen, die sie aus der Grube holten. Im gleichnamigen Projekt des Theaterpädagogen Holger Werner indes, dessen Ergebnis nun im Bochumer Prinzregenttheater zu sehen war, ist nichts davon. Sein „Gold“ sind geflüchtete Menschen, die das Revier sozusagen in der Kohle-Nachfolge bereichern werden. Neun junge Leute aus Guinea, Irak, Syrien und Deutschland, zwischen 18 und 31 Jahre alt, haben das Stück erarbeitet, und nach einer Stunde ist schon alles vorbei.

Ein langes Gedicht

Die ersten etwa 20 Minuten gehören dem Vortrag eines dramatischen Gedichtes in arabischer Sprache, in dem, wenn das gleichzeitig stattfindende sparsame Bühnenspiel nicht täuscht, der Tod eines jungen Mannes eine zentrale Rolle spielt. Das Gedicht stammt von Yousef Ahmad Zaghmout, der es auch vorträgt. Auf dem Besetzungszettel findet sich eine deutsche Übersetzung. Mit großem Pathos geht es um den Schmerz, den Tod und vor allem um „das Lager“, das im Lager Yarmouk bei Damaskus sein reales Vorbild hat. Hier ist das Leben offenbar unerträglich, und so sehen wir im zweiten Bild ein qualliges, waberndes Gebilde aus Plastikfolie und Menschenleibern, das offenbar in (Fort-) Bewegung ist. Diese sehr beeindruckende Visualisierung von Flucht, Meer und Gefahr hat mit sparsamsten Mitteln Sylvia Fadenhaft geschaffen, die überaus kreative Bühnenbildnerin des Prinzregenttheaters.

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„Grubengold“ – wiederum das Ensemble. (Foto: Sandra Schuck/Prinzregenttheater)

Gepriesen sei Sylvia Fadenhaft

Auch die sich anschließende dritte Visualisierung trägt Sylvia Fadenhafts Handschrift: Da nämlich gilt es, die nach der turbulenten Überfahrt krumm und schief herabhängenden Stoffbahnen zu ordnen. Willkommen in Deutschland: Hier herrscht Ordnung, und das hat die jungen Migranten offenbar so sehr beeindruckt, dass sie mit der Beschreibung dieses oft doch recht sinnfreien Ordnungswahns eine putzige Dreierreihe von szenischen Deutschland-Wahrnehmungen beginnen.

Im nächsten Bild geht eine junge Frau von einem zum anderen und richtet an jeden und jede den Satz „Sprechen Sie Deutsch“, wobei nicht klar auszumachen ist, ob es sich um eine Frage oder um eine Anweisung handelt. Jedenfalls spricht keiner Deutsch, unübersehbar ist die spitzbübische Freude an Dilemma und Verweigerung. „Dodge“ vielleicht, die alte amerikanische Automarke? Aber Deutsch? No, sorry.

Fingerabdrücke

Im dritten dieser amüsanten Bilder geht es um Fingerabdrücke, die ein Kontrolleur gnadenlos von allen fordert und die zu geben offenbar als große Zumutung empfunden wird. Nachdem die Prozedur einige Male durchgeführt wurde, dreht das Ensemble den Spieß um und verlangt nun Fingerabdrücke vom Publikum, wohl, um den Zumutungscharakter herauszustreichen. Schließlich reiht es sich auf der Bühne und intoniert „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Und dann ist der Abend auch schon vorbei.

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„Grubengold“ – das Flatterband markiert die Grenze. (Foto: Sandra Schuck/Prinzregenttheater)

Seit September 2015, ist zu erfahren, wurde dieses Stück erarbeitet. Daran gemessen ist das Ergebnis dürftig. Wer im Themenfeld Migration, „Flüchtlingskrise“ usw. auf persönliche Antworten gehofft hatte, die über das immer Ähnliche der täglichen Nachrichten hinausgehen, hoffte vergebens.

Wie aus einem Förderantrag

Dabei wüsste man schon gerne, wie sich diese jungen Leute, beispielsweise in Bochum, ihre Zukunft vorstellen. Das Projekt hatte sich so etwas wohl auch vorgenommen, nämlich „die Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in Bochum zu erlangen, Kontakte zur Bevölkerung herzustellen und zu fördern und ein Teil dieser Gesellschaft zu werden“. So jedenfalls ist es im Begleittext nachzulesen, der seinerseits klingt wie aus einem Förderantrag zitiert. Gefördert wurde das Projekt gleich aus mehreren Töpfen, unter anderem vom Familienministerium des Landes.

Nun, vielleicht erfüllt sich der eigene Anspruch in Zukunft ja noch, „Grubengold“ ist als Langzeitprojekt ausgeflaggt. In guter Erinnerung bleiben die Tanzeinlagen von zwei, drei Mitwirkenden, deren Ambitionen sicherlich über dieses Projekt hinausreichen dürften.




Heute Außenseiter, morgen Hoffnungsträger: Tuomas Kyrös Roman „Bettler und Hase“

Wenn eine Geschichte von einem rumänischen Roma als Hauptfigur handelt, der sein Land verlässt, um in der Ferne sein Glück zu versuchen, dann scheint der Ablauf schon irgendwie programmiert zu sein. Der Emigrant wird sich schwer tun, womöglich scheitern und am Ende auf der Verliererstraße landen.

Doch Vatanescu ist da doch von ganz anderem Schlag, was natürlich daran liegt, dass sein Erschaffer, der finnische Autor Tuomas Kyrö, hintersinnig, ironisch und zugleich humorvoll zu erzählen weiß.

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Schon das Motiv, das den Roma bewegt, sich außer Landes zu begeben, scheint recht schräg zu sein, will er doch Geld verdienen, um seinem Sohn Stollenschuhe kaufen zu können. Ob es denn da wohl nichts Wichtigeres gibt, als ausgerechnet einen solchen Sportartikel, mag man sich als Leser fragen. Zumal der Preis, den Vatanescu schon zu Beginn des Abenteuers zu bezahlen hat, äußerst hoch ist, begibt er sich doch in die Fänge der russischen Mafia. Nur die verspricht ihm, in ein gelobtes Land des Westens zu gelangen.

Der Roma findet sich schließlich in der finnischen Hauptstadt Helsinki wieder und zwar in einer Behausung, die ihm ein Drogen- und Menschenhändler zuweist. Doch Vatanescu wäre nicht Vatanescu, wenn er sich mit seinem Schicksal einfach abfinden würde. Ihm gelingt es auszubüxen. Damit aber noch nicht genug: Jener Igor, der ihn in einem Wohnwagen eingepfercht hatte, soll seines Lebens nicht mehr froh werden, war doch die Flucht eines gewissen Roma aus Rumänien ein Fanal für viele andere, die unter Igors Knute standen, dem Beispiel zu folgen.

Für Vatanescu beginnt eine Zeit des Vagabundierens, in der er Finnland von ganz anderen Seiten kennenlernen soll. Er trifft auf vietnamesische Einwanderer, die ein Restaurant eröffnet haben, auf einen glücklosen Magier und auf einen echten Haudegen, der ihn zum Saunieren einlädt. Doch wie sich Vatanescu auch drehen und wenden mag, seine neue Heimat will ihm doch fremd bleiben – bis er irgendwann zu spüren meint, was den gemeinen Finnen wohl am ehesten antreibt, nämlich die eigene Schaffenskraft, die tägliche Arbeit.

Mit dieser Erkenntnis im Hinterkopf gewinnt er erst das Vertrauen eines Vertrauten des Ministerpräsidenten und schließlich das des Politikers selbst, der längst amtsmüde geworden ist. Und urplötzlich ist dem Einwanderer Vatanescu der Durchmarsch gelungen, gilt er doch fortan als „Thronfolger“ in einer politischen Gruppierung, die den schönen Namen trägt „Partei der gewöhnlichen Menschen“. Einen politischen Hoffnungsträger zeichnet vor allem aus, dass er neu ist und Schläue mit sich bringt, von Wissen oder Sachverstand spricht Autor Tuomas Kyrö eher nicht.

Das Buch lebt von kuriosen Szenen. Zu ihnen gehört der Moment, als der Rumäne seinen Begleiter findet. Er rettet einem Hasen, der von mehreren Jungen gejagt wird, das Leben, indem er ihn in seine Jacke springen lässt. Vatanescu weiß zu dem Zeitpunkt schon, was es heißt, auf der Flucht zu sein. Von brillanter Situationskomik geprägt ist die Passage, als er einem Arbeitsvermittler gegenübersitzt und plötzlich sein Hase, den er versteckt hält, loshoppeln will. Einem Büromenschen können da schon mal mehr als nur die Gesichtszüge entgleiten.

Gerade in der Debatte um Sinti und Roma kann das Buch von Tuomas Kyrö zu neuen Denkansätzen beitragen, werden doch Klischees und gesellschaftliche Normen amüsant und erfrischend hinterfragt.

Tuomas Kyrö: „Bettler und Hase“. Roman. Verlag Hoffmann und Campe, 320 Seiten, 19,99 Euro.