Auch ohne Bundesinstitut: Essen will Maßstäbe in der Fotokultur setzen

Sein Nachlass kommt nach Essen: Fotograf Michael Schmidt (1945-2014), hier in seiner Ausstellung „Waffenruhe“ im Essener Museum Folkwang, aufgenommen am 9. Februar 1988. (© Marga Kingler/Fotoarchiv Ruhr Museum)

Essen als d i e deutsche Fotografie-Stadt? Nun ja, es ist kompliziert. Nach politischem Willen, insbesondere auf Bundesebene, wird das noch zu gründende Deutsche Fotoinstitut eben nicht in der Ruhrstadt, sondern in Düsseldorf angesiedelt. Doch just heute ging man in Essen an die Öffentlichkeit, um kundzutun, dass man auch so gehörige Pflöcke einschlagen kann: Das hochkarätige Archiv Michael Schmidt, Nachlass eines prägenden Fotografen des 20. Jahrhunderts, kommt im Herbst aus Berlin dauerhaft in die Fotografische Sammlung des Museums Folkwang.

Da erhob sich im Verlauf der Pressekonferenz gar die Frage, ob Düsseldorf angesichts solcher Entwicklungen vielleicht nur noch die zweite Geige spielen werde. Nun aber mal halb lang! Folkwang-Museumschef Peter Gorschlüter legt jedenfalls Wert auf die Feststellung, dass die Essener mit dem künftigen Bundesinstitut und anderen fotografischen Einrichtungen einvernehmlich kooperieren wollen – und das in guter föderalistischer Tradition. Gorschlüter gehört zur Gründungskommission des Deutschen Fotoinstituts und vertritt von daher nicht ausschließlich Essener Interessen, sondern nimmt eine übergeordnete Perspektive ein. Er mag sich nicht einmal andeutungsweise zu Äußerungen über den vormaligen Konkurrenten Düsseldorf verleiten lassen.

Neuer Verein bündelt kulturelle Anstrengungen

Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen fasste es so: Die Stadt habe sich „redlich und engagiert“ um den Standort des Fotoinstituts bemüht. In der nun einmal gefällten Entscheidung für Düsseldorf sehe er keinen Fehlschlag. Überdies sei kaum eine deutsche Region seit Erfindung der Fotografie gründlicher ins Bild gesetzt worden als das Ruhrgebiet. Man könnte anfügen: Das Revier ist ja auch nicht so furchtbar weit von der NRW-Landeshauptstadt Düsseldorf entfernt.

Unterdessen hat sich in Essen ein Zusammenschluss gewichtiger Institutionen formiert, der hier Anstrengungen zur fotografischen Kultur bündeln soll. Das Ruhr Museum auf Zeche Zollverein zählt ebenso zum erlesenen Kreis wie das Historische Archiv Krupp, die Folkwang Universität der Künste und eben das Museum Folkwang. Neuerdings (genauer: seit 31. Januar) agieren sie zusammen als gemeinnütziger Verein mit Sitz im markanten SANAA-Gebäude auf dem UNESCO-Welterbe Zollverein. Auch dieses „Zentrum für Fotografie Essen“ ist ein Statement.

Bedeutsamer Nachlass kommt von Berlin nach Essen

Vor diesem Hintergrund darf die bevorstehende Überführung des Archivs Michael Schmidt als bedeutsames Signal gelten. Der Fotograf, der von 1945 bis 2014 gelebt hat, hatte schon sehr früh und fortan recht häufig Ausstellungen in Essen, wo er – in der Tradition eines Otto Steinert – zeitweise auch eine Lehrtätigkeit ausgeübt hat. Zentraler Ort seines bildnerischen Schaffens war allerdings Berlin, wo in Kreuzberg nach und nach ein bestens aufgearbeitetes Archiv seiner Werke entstanden ist. Folkwang-Direktor Gorschlüter über den wertvollen Nachlass: „Wir übernehmen also keine Bananenkisten.“

Schon jetzt hat man im Depot eine spezielle Ebene vorbereitet, auf der das Archiv Platz finden wird. Das Schmidt-Konvolut kommt als Dauerleihgabe nach Essen – vorläufig bis zum 31. Dezember 2039, sodann mit Verlängerungs-Option bis 2045, wenn sich Michael Schmidts Geburtstag zum 100. Mal jährt. Auch danach sind Vertrags-Verlängerungen möglich. Zur Bedeutung des Werks nur diese Stichworte: Nach schwierigen Anfängen brachte es Michael Schmidt zu einer internationalen Fotokunst-Laufbahn, die bis hin zu einer großen Retrospektive im Museum of Modern Art (MoMa) in New York führte. Zu seinen bekanntesten Schülern gehört Andreas Gursky.

Kein Ankauf, sondern großzügige Dauerleihgabe

Wie Peter Gorschlüter erläuterte, handelt es sich nicht um einen Ankauf, sondern um eine großzügige Überlassung durch die „Stiftung für Fotografie und Medienkunst mit Archiv Michael Schmidt“, eine Einrichtung des finanzkräftigen Sparkassen- und Giroverbandes. Mit der Übergabe ans Museum Folkwang gelangt der Nachlass in öffentliche Obhut. Weitere Vergünstigung: Das Copyright an den Fotografien geht für die Dauer der Leihgabe ans Essener Museum über, kann also womöglich lukrativ genutzt werden. Außerdem stellt die Stadt Essen in diesem und wohl auch im nächsten Jahr je rund 250000 Euro bereit, um die Übernahme zu begleiten.

Schmidts Nachlass umfasst u. a. 107 Ordner mit Negativen, etwa 2000 Prints mit Werkcharakter sowie rund 20000 Kontakt-, Arbeits- und Testabzüge. Hinzu kommen umfangreiche Fachbibliotheken. Künftig wird all das für Forschungsarbeiten an der Folkwang Universität der Künste zur Verfügung stehen. Gut denkbar, dass der Bestand eine Art Magnetwirkung ausüben und weitere Sammlungen nach sich ziehen wird.




Wie es im Revier gewesen ist – Fotografien von Helmut Orwat

Taubenzüchter im Sonntagsanzug, Castrop-Rauxel, 1967. (Foto: Helmut Orwat)

Helmut Orwat war stets nah dran. Nah am Alltag und den Menschen im Ruhrgebiet, speziell in und um Castrop-Rauxel. Seit 1960 arbeitete er als freier Fotograf für diverse Zeitungen und Zeitschriften, von 1984 bis 2000 war er bei den Ruhrnachrichten festangestellt. Rund 150 ausgewählte Fotografien sind im LWL-Museum Schiffshebewerk Henrichenburg zu sehen.

Der Ausstellungstitel „Täglich Bilder fürs Revier“ lässt etwas von der Eile ahnen, mit der Orwat meist zu Werke ging. Aktuelle Geschehnisse mussten eben sofort festgehalten werden, und zwar unter härteren Bedingungen als heute, wo digitale Kamera- und Nachbearbeitungs-Technik die Sache doch deutlich erleichtert. Dennoch (oder gerade deshalb, weil eben noch viel mehr echte Handarbeit darin steckt) haben seine Bilder die Jahrzehnte überdauert und legen nun gültiges Zeugnis ab vom Ruhrgebiet, wie es einmal gewesen ist. Manche Besucher werden sich wehmütig erinnern.

Kernkraftwerk in Hamm-Uentrop, 1980. (Foto: Helmut Orwat)

Die besten Fotos haben gleichsam eine „Seele“, man merkt ihnen die Freude des Herstellens an. Ganz klar: Solche kontraststarken Ansichten müssen schwarzweiß sein, jede Kolorierung täte ihnen Gewalt an. Vorbilder Orwats waren Fotografie-Größen wie Chargesheimer und Otto Steinert, die sich gleichfalls im Revier umgetan hatten.

Die Auswahl ist in Kapitel gegliedert, zum Beispiel: Industrie und Landschaft, Kanal und Schifffahrt, Beruf und Arbeit, Stadt und Verkehr, Familie und Freizeit. Die Aufnahmen vergegenwärtigen inzwischen verblasste, typische Merkmale des Ruhrgebiets und seiner Menschen, zunächst vor allem im Umkreis des Bergbaus – nicht nur in den Zechen selbst, sondern etwa auch am Straßenrand, wenn haufenweise Kohle geliefert wurde und nun in den Keller geschaufelt werden sollte. Auch sieht man prominente Besucher der Castroper Zeche Erin mit kohleschwarzen Gesichtern als kalkuliertes Signal für „Volksnähe“: den früheren Bundespräsidenten Walter Scheel (1975) oder den damaligen CSU-Chef Franz Josef Strauß (1980).

Feuerlöschübung mit Ordensschwestern des St. Rochus-Hospitals, Castrop-Rauxel, 1972. (Foto: Orwat)

Vor allem aber hat Orwat die „ganz normalen“ Bewohner des Reviers in den Blick genommen. Die Camper am Dortmund-Ems-Kanal, den Taubenzüchter, die Frau von der Trinkhalle, den Klüngelskerl, Frauen in der Bochumer Opel-Montage, die Jury des Kleingartenwettbewerbs – und immer wieder spielende Kinder, ein Motiv-Genre, für das Helmut Orwat einen besonderen Blick hatte. Bemerkenswert auch die Fotos von einer Modenschau bei Hertie in Castrop oder vom Castroper Pferderennen und seinem Publikum. Da zeigt sich überdeutlich: Das einstige Revier war beileibe weder Paris noch Ascot, doch auch hier konnte man die karge Freizeit genießen, wenngleich längst nicht so edel stilisiert. Dafür aber ohne Dünkel.

Montagestraße Opel Kadett, Opel Werk I, Bochum, 1963. (Foto: Helmut Orwat)

Orwat, 1938 als Bergmannssohn in Castrop-Rauxel geboren, erfasste imposante, zuweilen auch beängstigende Industrielandschaften, zeichnete dann aber auch den Niedergang der alten Industrien nach. Die Folgen werden fassbar, wenn Arbeiter gegen Schließungen demonstrieren und Orwat ihre letztlich vergebliche Entschlossenheit zu zeigen vermag. Als schon etliche Zechen dicht waren, bekam er Götz George vor die Linse: 1981 als „Schimanski“ beim Dreh zum Duisburger „Tatort“. Es war ein bedeutsamer zeitlicher Schnittpunkt: Die Industrie war im Schwinden begriffen, eine Figur wie Schimanski trug jetzt zur Legendenbildung bei.

Das nahende Ende des früheren Reviers zeigt sich bereits in Aufnahmen wie jener des sterilen City-Centers Herne (1975) mit seiner ganz und gar nicht mehr regionaltypischen Anmutung. Das war keine wirkliche Alternative zum schmutzigen Hinterhof der alten Zeiten. Überhaupt dokumentierte Orwat einige brutale „Bausünden“ im Ruhrgebiet. Noch betrüblicher: Sein Beruf brachte es mit sich, auch Unglücke ablichten zu müssen. Das Auto, das aus dem Kanal geborgen werden musste, den explodierten Tanklaster, den Trauerzug nach einem Grubenunglück.

Helmut Ornat: Selbstporträt mit Leica-Kamera im Jahr 1965.

Leute wie Helmut Orwat gibt es nicht mehr. Tageszeitungen leisten sich kaum noch ambitionierte Fotografie. Statt dessen zücken häufig die Texter ihre Handys. Mit entsprechend dürftigen Ergebnissen.

„Täglich Bilder fürs Revier“. Pressefotografien von Helmut Orwat 1960-1992. Waltrop, LWL-Museum Schiffshebewerk Henrichenburg (Hafengebäude). Noch bis 4. Februar 2024. Geöffnet Di-So 10-18 Uhr. Begleitender Bildband mit 150 Aufnahmen im Tecklenborg Verlag, 200 Seiten, 19,80 Euro.

Das LWL-Medienzentrum für Westfalen hat das fotografische Lebenswerk von Helmut Ornat übernommen. Eine Auswahl von über 3000 Motiven wurde digitalisiert und kann online recherchiert werden unter:

www.orwat-fotosammlung.lwl.org

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Der Beitrag ist zuerst im Kulturmagazin Westfalenspiegel erschienen: 

www.westfalenspiegel.de




Diese oft bizarre Republik – Robert Lebecks Fotoband „Hierzulande“

Fast so rätselhaft wie einer seiner Thriller: mysteriöser „Fingerzeig“ für Alfred Hitchcock in der deutschen Bahn – das Cover von Robert Lebecks Foto-Bildband „Hierzulande“. (© Robert Lebeck / Steidl Verlag)

Es beginnt 1955 mit Momenten einer (nachträglichen) „Geburtsstunde“ der Bundesrepublik Deutschland, die den Krieg „endgültig“ hinter sich zu lassen glaubte. Der Fotograf Robert Lebeck (1929-2014), damals gerade 26 Jahre alt, lieferte für die Zeitschrift „Revue“ Aufnahmen der letzten deutschen Kriegsgefangenen, die aus russischen Lagern zurückkehrten.

Ausgemergelt, sichtlich erschöpft, in einheitliche Wattejacken gekleidet, so kamen sie mit notdürftigen Holzkoffern ins fremd gewordene Heimatland. Und nun schaue man, wie sie ihre Familien wiedersehen, welche Freudentränen da fließen, welches Befremden sich jedoch auch allseits zeigt und wohl nicht offen zu zeigen wagt. Schließlich: wie fieberhaft verzweifelt wartende Menschen ihre Männer, Väter, Söhne, Geschwister und Freunde unter den Rückkehrern suchen.

Auch sonst hat Lebeck, der seit den frühen 1960er Jahren besonders durch seine Arbeit für den seinerzeit stilbildenden „Stern“ bekannt geworden ist, viele prägsame Augenblicke der frühen Bundesrepublik mit untrüglichem Gespür erfasst – selbstverständlich im authentisch wirkenden  Schwarzweiß. Diese Bilder sind tief in ihrer Zeit verwurzelt. In der Diktion von damals könnte man vielleicht vom „Antlitz der Zeit“ sprechen. Oder halt vom herrschenden Zeitgeist.

Enthemmung im „Wirtschaftswunder“

Ganz anders als beim ernsten Auftakt mit den Kriegsheimkehrern geht es in dem Bildband „Hierzulande“ weiter: Wir sehen Szenen von feuchtfröhlichen, um nicht zu sagen saufseligen Busausflügen ins Weinörtchen Altenahr. Bizarre Enthemmung im sogenannten „Wirtschaftswunder“. Eine Luxusvariante folgt etliche Seiten später: Lebeck lichtete 1962 mit nötiger Diskretion, doch auch im übertragenen Sinne „enthüllend“, die Nackten und Reichen von Sylt ab.

Auch nimmt uns das Buch mit ins hessische Friedberg, wo am 1. Oktober 1958 Elvis Presley seine Dienstzeit als US-Soldat antrat. Robert Lebeck wartete ab, bis der Pulk der Foto-Kollegen abgereist war und Elvis zugänglicher wurde. Nun bekam er ganz spezielle Motive mit dem Weltstar. 1959 gelangen ihm ikonische Bilder der Operndiva Maria Callas, 1960 ließ sich in Hamburg kein Geringerer als Alfred Hitchcock von Lebeck in sinistren Situationen fotografieren, die der Filmregisseur allerdings gleichsam „mitinszenierte“ und die daher stets etwas ungreifbar Mysteriöses an sich haben. Aus späterer Zeit folgen noch geradezu entwaffnende Aufnahmen von Romy Schneider.

Unverkennbar Konrad Adenauer

Doch beileibe nicht nur mit Stars konnte Lebeck menschlich und bildnerisch umgehen. Auch der (un)gewöhnliche Alltag erschloss sich seiner Kamera oder vielmehr: seinem feinen und wachen Empfinden. Ostberliner auf Einkaufstour durch Westberlin – kurz vor dem Mauerbau. All die (vergleichsweise noch bescheidenen) Lockungen des Westens. Sodann die 1961 entstandenen Milieustudien auf der Reeperbahn und vom Hamburger Fischmarkt. Es ist eine versunkene Welt, die Lebeck da festgehalten hat. Doch einige Bilder deuten darauf hin, dass das Vergnügungsviertel in gewisser Hinsicht auch ein Soziallabor gewesen sein könnte. Grandios jenes freche „Fräulein“, das die verschämt amüsierten männlichen Passanten um den Finger wickelt. Stichwort erwachendes weibliches Selbstbewusstsein. Stichwort freizügige Sexualität in immer noch arg verklemmten Zeiten. Freilich zumeist im Zeichen des Geldes.

Die Polit-Prominenz in der Bonner Republik kommt ebenfalls gebührend vor. Winston Churchill hält 1956 im Palais Schaumburg Hof. Frappierend Konrad Adenauers Konterfei, an seinem 90. Geburtstag über die Schulter eines Gesprächspartners hinweg fotografiert. Es zeigt nur einen Bruchteil seines gleichwohl unverkennbaren Gesichts. Ein meisterhaftes Bildnis. Nicht minder typisch und sozusagen „den ganzen Filou“ enthaltend: Willy Brandt beim Flirt mit einer jungen Frau im Speisewagen der Bahn. Dann aber auch seine bittere, resignierte Miene 1974. Es war am Tag seines Rücktritts als Bundeskanzler, im Zuge der Guillaume-Affäre. Und Helmut Kohl? Wird 1976 in selbstgefälliger Pose ausgerechnet im Ruhrgebiet „erwischt“, wo dergleichen Mache am allerwenigsten hingehört…

Der Zeitbogen reicht bis 1983. Da hatte Robert Lebeck den Auftrag, ein Porträt des Landes in Bildern zu entwerfen – wahrlich keine leichte Aufgabe. Heraus kam das vielfältig aufgefächerte Bild einer oft eher grotesken Republik, mit merklichem Schwerpunkt auf Ödnis und Verwahrlosung. Die „Bild“-Zeitung erregte sich seinerzeit über die „Nestbeschmutzung“. Mit anderen Worten: Lebeck kann – um das Mindeste zu sagen – auch hierbei nicht ganz falsch gelegen haben.

Robert Lebeck: „Hierzulande“. Reportagen aus Deutschland. Foto-Bildband. (Hrsg.: Cordula Lebeck). Mit einem Essay von Daniela Sannwald. Steidl Verlag. 192 Seiten im Format 20 x 28,5 cm, Hardcover. 35 Euro.

Das Buch begleitet eine Ausstellung in der Kunsthalle Lüneburg, die noch bis zum 25. Juni 2023 dauert.

 

 

 

 




Nicht schön, aber viel besser als früher – Bilder aus der „Eulenkopf“-Siedlung

Frontale Aufnahme auf dem Cover des Fotobandes von Merle Forchmann: „Eulenkopf“-Bewohnerin Rosi, die sich „damals“ so sehr über eine eigene Wohnungsklingel gefreut hat, hier aber eine durchaus abwehrbereite Haltung einzunehmen scheint. (Fotografie: © Merle Forchmann / Cover-Gestaltung: Verlag Kettler, Dortmund)

Das kann man wohl teilnehmende Beobachtung nennen: Rund zwei Jahre lang ist die in Düsseldorf lebende Dokumentar-Fotografin Merle Forchmann immer und immer wieder nach Gießen gefahren – und dort stets zur „Eulenkopf“-Siedlung. Mit der hat es seine spezielle Bewandtnis.

In den frühen 1950er Jahren wurde diese Siedlung in erbärmlicher Schlichtheit so errichtet, dass vormals Wohnungslose zwar ein notdürftiges Dach über dem Kopf hatten, aber ganz bewusst vom Rest der Stadt separiert und damit als „sozial Schwache“ oder gar „Asoziale“ gebrandmarkt wurden. Sie wohnten buchstäblich im Dreck und wurden behandelt wie „Schmuddelkinder“. Desolate soziale Verhältnisse mit häufiger familiärer Gewalt waren in dieser Frühzeit die unausbleibliche Folge. In den Nachkriegsjahren waren ringsum viele US-Soldaten stationiert. Sie haben in der Gegend so manche Kinder gezeugt und sind oft nicht bei ihnen und den Frauen geblieben. Familien mit mehr als fünf Kindern waren hier anfangs die Regel. Da wurde das Elend nicht kleiner.

Im Zuge der Studentenbewegung formierte sich in den frühen 1970er Jahren in Gießen ein Hilfsprojekt, das den „Abgehängten“ beistehen wollte und gründliche Sanierungen (unter Beteiligung der Betroffenen) voranbrachte. Besonders engagierte sich dabei auch der prominente Prof. Horst-Eberhard Richter, der damals die psychosomatische Klinik in Gießen leitete. Merle Forchmann ist seine Enkelin und hatte daher auch ein persönliches Interesse an einer ausgiebigen Spurensuche – etwa 50 Jahre nach Gründung jener studentischen Initiative. Sie konzentriert sich freilich nicht auf Meriten ihres Großvaters, sondern auf die jetzigen Bewohner der Häuser.

Zufrieden mit einem bescheidenen Leben

In dem angemessen schmucklosen Bildband „Eulenkopf. Eine Wohnsiedlung“ werden nicht lang und breit die Zusammenhänge aufgerollt. Wir erfahren das Nötige, lernen einige Bewohner anhand von Porträts, alltäglichen Szenen und kurzen Selbstaussagen kennen. Skizzenhaft, versteht sich. Da ist zum Beispiel Tamara, die tatsächlich Weltmeisterin im Powerlifting (eine Art Gewichtheben) gewesen ist und dann an Krebs erkrankte. Da ist Rosi, die noch heute von der Zeit schwärmt, als ihre Behausung ein eigenes Klo und eine eigene Klingel bekommen hat. Da ist Adelheid, die schon in fünf verschiedenen Häusern des Blocks gewohnt hat. Da ist Gela, seit 1969 hier, die auch künftig für immer bleiben will. Da ist Udo, der bereits dieses bescheidene Leben als „Luxus“ begreift.

Die Momentaufnahmen wirken vielfach wie pure Zufallsauswahl, sie beruhen aber just auf genauer Langzeitbeobachtung und zunehmend vertrauensvollen Gesprächen. Es sind visuelle Essenzen; Ansichten aus dem nachhaltig verbesserten, aber immer noch alles andere als komfortablen Alltag der Siedlungsbewohner, die übrigens auch einen eigenen Verein für Kraftsport und Fußball gegründet haben. Auch das hat ihnen über missliche Situationen hinweggeholfen.

Die Dinge sprechen ihre eigene Sprache

Es entspricht sicherlich nicht dem gängigen Mittelschichts-Geschmack, doch auch die Dinge, mit denen sie sich hier seit längerer Zeit umgeben, sprechen eine eigene, oft geradezu anrührende Sprache. Es finden sich Spuren gelebten Lebens darin, das beileibe nicht einfach war. Erst recht sind die Gesichter von Mühsal gezeichnet. Sie haben ihre kleine Welt ein wenig erträglicher gestalten können. Nach ihrem Maß. Schön ist das alles immer noch nicht, doch der Flecken ist durchsetzt mit einigen Vorzeichen eines lohnenden Lebens.

Die meisten Leute wohnen schon seit den 1960er Jahren hier bzw. sind hier aufgewachsen und inzwischen alt geworden. Insofern hat Merle Forchmann Bilder einer allmählich verblassenden Lebenswelt eingefangen. Und woher diese Siedlungstreue? Einerseits sind sie wohl geblieben, weil man nur schwer von dort wegkommt, andererseits scheint es einen sozialen Zusammenhalt zu geben, den sie selbst dann noch aufsuchen, wenn ihnen der „Absprung“ gelungen ist. Fast alle Verwandten und viele langjährig befreundete Menschen wohnen ja weiterhin hier. Selbst ein Sohn des Viertels, der es zum Gymnasiallehrer gebracht hat, kommt jederzeit zu Besuch, obwohl seine Partnerin mit all dem wenig anfangen kann.

Es lassen sich hier nicht zuletzt eigene Vorurteile überprüfen. Was hält man spontan vom Anblick dieser Menschen? Ändert man seine Meinung, wenn man ein paar Zeilen über sie liest? Kommen sie einem nicht nach Durchsicht des Bandes schon wesentlich vertrauter vor? Oder bleiben sie dennoch seltsam fremd?

Merle Forchmann: „Eulenkopf. Eine Wohnsiedlung“ (Hrsg.: Jonny Bauer). Verlag Kettler, Dortmund. 116 Seiten Softcover, Format 18×23 cm, Texte in Deutsch und Englisch. 19 Euro.

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Der Dortmunder Verlag Kettler – eine stille Sensation

Der Verlag Kettler darf als eine der stillen Sensationen von Dortmund gelten. In dieser Stadt werden ansonsten kaum noch Bücher hergestellt, seit etwa grafit (Regionalkrimis etc.) und Harenberg (populäre Lexika usw.) die einst stolzer geblähten Segel gestrichen haben.

Die wenigsten Einheimischen dürften schon von Kettler gehört haben, dabei produziert der Verlag im Schatten des „Dortmunder U“ (und mit eigener Druckerei im nahen Bönen) u. a. Kataloge für erstrangige Institute wie die Bundeskunsthalle (Bonn) oder den „Hamburger Bahnhof“ (Berlin). Mit solchen Publikationen zählt Kettler zu den führenden Kunstverlagen der Republik.

In der Region kooperiert man regelmäßig mit dem Emil-Schumacher-Museum (Hagen), dem NRW-Baukunstarchiv (Dortmund) oder dem Marta in Herford. Auch ein enorm anspruchsvoller, auf Katalog-Qualität versessener Künstler wie Christo vertraute Kettler eine voluminöse Werkübersicht über sich und Jeanne-Claude an. Eine Art Ritterschlag in dieser Branche.

 




Von Unna bis Bangkok – Unbewohnbarkeit der Städte im fotografischen Langzeitprojekt

Der 1961 in Wolfsburg geborene Fotograf Peter Bialobrzeski ist ein kreativer Unruhegeist. Wenn der Foto-Künstler keine Uni-Seminare hält, ist er mit seiner Kamera unterwegs, erforscht die Geheimnisse der deutschen Kleinstädte und die Abgründe der globalen Mega-Metropolen. Seine Arbeiten werden weltweit ausgestellt und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.

Seit einiger Zeit widmet er sich einem Langzeitprojekt: Die Stadt zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist das Thema seiner „City Diaries“, mit denen er der Frage nachgeht, ob unsere Vorstellung vom Bild einer Stadt, gespeist aus Vorurteilen, Vorgefundenem und medial Vermitteltem, in ein spezifisches Bild überführt werden kann. Die Bibliothek der „City Diaries“ umfasst inzwischen 19 Bücher.

Die Reiseroute seiner Foto-Safaris scheint keinem Muster zu folgen, ein Auswahl-Prinzip ist nicht erkennbar. Manche Stadterkundung mag im Zusammenhang mit Einladungen zu Vorträgen und Ausstellungen entstanden sein. Wissen will er, wie sich die Globalisierung auf die Architektur der Stadt auswirkt und kulturelle Unterschiede eingeebnet werden, wie Menschen ihre Stadt bewohnen und sie sich aneignen.

Unschärfen vor grauem Himmel

Bialobrzeski war in Kairo und Athen, Taipeh und Beirut, Wuhan und Osaka, Dhaka und Yangon, Minsk und Belfast. Für seine jüngsten „City Diaries“ hat es ihn von der deutschen Provinz bis ins ferne Asien verschlagen – von Unna über Sarajevo bis nach George Town und Bangkok. Er kennt keinen kulturellen Dünkel und keine Berührungsängste, das Kleine ist ihm genauso wichtig wie das Große, das Detail genauso lieb wie das Gesamtbild. Sein fotografisches Erkenntnis-Interesse ist im besten Sinne egalitär und demokratisch.

Format (14 x 21 Zentimeter) und Umfang (96 Seiten) aller Bände sind identisch und unterliegen einer strengen Systematik. Die Fotos scheinen auch immer auf dieselbe Art und Weise nachbearbeitet zu sein. Immer ist der Himmel leer und grau, immer scheinen die Städte von einer feinen Staubschicht bedeckt uu sein, immer werden die Fotos mit langer Belichtungszeit geschossen oder mehrere ähnliche Fotos ineinander montiert, so dass alles, was sich bewegt, egal ob Mensch oder Auto, etwas Verwischtes und Unscharfes, etwas Nicht-Fassbares bekommen.

Scheußliches Durcheinander

Der Fotograf logiert in einem Hotel mitten in der Stadt und erweitert von Tag zu Tag seinen Radius, bis er in die angrenzenden Vororte und an die ausufernden Ränder vordringt. Er fotografiert nie die touristischen Highlights, ein bekanntes Rathaus, ein wichtiges Museum, eine kulturelle oder architektonische Besonderheit, die jeder mit der Stadt in Verbindung bringen würde. Sein Interesse zielt auf das alltägliche Getriebe und Gewusel: Er beobachtet, wie sich Menschen durch das von jeder Idee und jedem Sinn befreite Chaos der städtischen Infrastruktur bewegen; wie sie achtlos an Bauwerken vorbei hetzen, die scheußlicher kaum sein könnten; wie sie das Durcheinander von alten Bauten und neuen Läden, von grellen Werbeplakaten und bunten Straßenschildern ausblenden; wie sie die überall sichtbare Verwahrlosung des öffentlichen Raumes vollkommen gleichgültig ertragen. Wie sie es irgendwie schaffen, ihren Alltag zu meistern, zu leben zwischen glitzernden Hochhausfassaden und verdreckten Hinterhöfen, schicken Einkaufszentren und ihren von Autobahnen brutal durchschnittenen Wohnvierteln. Und wie sie sich kleine Oasen des Friedens schaffen und dem größten Lärm mit ein paar grünen Pflanzen und weißen Plastikstühlen trotzen, die überall auf der Welt gleich aussehen, auf denen man aber ausruhen und miteinander ins Gespräch kommen kann.

Kultureller Kahlschlag als globales Phänomen

Am Beginn eines jeden Fotobandes stehen ein paar allgemeine Notizen. Die Fotos selbst werden nicht beschrieben oder kommentiert, sie einzuordnen und zu verstehen ist allein die Aufgabe des Betrachters. Im „Bangkok Diary“ notiert der Fotograf: „Die Stadt hat sich dramatisch verändert. Sie verwandelt sich in ein anderes Singapur mit Skywalks, klimatisierten Einkaufszentren und Kaffeeständen im westlichen Stil. Es ist jetzt einfacher, in den Straßen der Hauptstadt von Siam einen Vanille-Latte zu kaufen als ein Pad Thai.“

Bei seinem Aufenthalt in George Town beschreibt er kopfschüttelnd, welch fatale Wirkungen gut gemeinte Hilfe haben kann, wenn eine Stadt zum UNESCO-Weltkulturerbe ernannt wird: „Aufgrund des Privilegs hat das alte George Town jetzt einen ständigen Strom an Touristen, die Cafés im westlichen Stil suchen, die dort Cappuccino, Kuchen und Bagels anbieten. Ich finde es immer wieder seltsam, dass Menschen Tausende von Flugmeilen zurücklegen und dabei tonnenweise CO2 ausstoßen, um dann in Kneipen zu landen, von denen sie zu Hause genug haben.“ Er hat keine Illusionen über die Dominanz des kapitalistischen Konsums und des kulturellen Kahlschlag der Globalisierung.

Rätselhaft, wie Menschen das ertragen können

Irritierend: die Normalität der Verwahrlosung und Verwüstung, die Gleichgültigkeit der Menschen und die Unbewohnbarkeit vieler Stadt-Areale. Sarajevo: eine bizarre Mischung aus Beton-Brutalismus der siebziger/achtziger Jahre und verspieltem Backsteindekor, auch gibt es Ruinen und Grabfelder aus dem Bürgerkrieg direkt neben modernen Glaspalästen und farbenfrohen Werbeflächen, Kirchen und Moscheen direkt neben Fitnessstudios und Wettbüros. Bangkok: ein labyrinthisches Gewirr aus Kabeln und Leitungen, die über den Köpfen der Menschen schweben, an dürren Masten hängen und sich wie dünne Lebensadern durch die ganze Stadt ziehen. George Town: eine groteske Melange aus asiatischen und europäisch-amerikanische Elementen, Pagoden-Bauten neben Kolonial-Villen, chinesischen Schriftzeichen neben Werbung für Nescafé. Unna im Corona-Lockdown: ein optischer Alptraum, eine menschenleere Einöde, ein ideenloses architektonisches Nichts aus alten Fachwerkhäusern und grauem Beton. Rätselhaft, wie Menschen das ertragen und aushalten können.

Im Herbst 2023 werden vier neue Bände der „City Diaries“ erscheinen. Bialobrzeski entführt uns dann nach London und Turin, Vilnius und Wilson (North Carolina), beobachtet und fotografiert wieder auf seine Weise vom Zentrum zur Peripherie ausschreitend und präsentiert seine Ansichten und Einsichten wieder im gleichen Format und Umfang: Was richtig und wichtig ist, sollte man nicht ändern.

Peter Bialobrzeski: „City Diaries“ (Langzeitprojekt, bisher 19 Bände). Neu bei Hartmann Books erschienen: „George Town“, „Unna“, „Sarajevo“, „Bangkok“. Jeder Band hat 96 Seiten und kostet 22 Euro.




Impressionismus und Fotografie – zwei Wege in die Moderne

Fotografie im Geiste des Impressionismus – Peter Henry Emerson: „Seerosenpflücken“, 1886 (Platindruck, 19,5 x 29 cm). Staatsgalerie Stuttgart, Graphische Sammlung, erworben 1989, Sammlung Rolf Mayer. (© Foto: bpk / Staatsgalerie Stuttgart / Peter Henry Emerson)

Es gab nicht viele deutsche Museen, die impressionistische Kunst lange vor dem Ersten Weltkrieg gesammelt haben, als sie noch nicht kanonisiert war. In Berlin, Hamburg, München und Bremen waren sie immerhin frühzeitig dabei – und wohlgemerkt in Wuppertal, wo das örtliche Kunsthaus vor 120 Jahren (genau: am 25. Oktober 1902) bürgerschaftlich gegründet wurde.

Mit dem Pfund der frühen Ankäufe (u. a. Werke von Sisley, Signac, Cézanne, Monet) lässt sich noch heute wuchern, und so bestreitet man jetzt abermals überwiegend aus Eigenbesitz eine Ausstellung zum Themenkreis. Es geht um Beziehungen zwischen impressionistischer Malerei und der seinerzeit noch jungen, anno 1839 erfundenen Fotografie, die sich erst nach und nach als neue Kunstform etablierte. Auch der Impressionismus wurde noch längst nicht allseits goutiert, bedeutete er doch damals ebenfalls eine grundlegende Erneuerung der bildenden Kunst.

Es waren zwei Wege in die Moderne: Die Fotografie war auf mehrfache Weise mit der Malerei verwoben. Sie fungierte als Anregung und belebender Einfluss, erwies sich zudem als taugliches Hilfsmittel zur Erfassung der Realität, doch auch als konkurrierendes Medium. Paul Cézanne postulierte gar, der Maler solle sein wie eine fotografische Platte – getreulich die Wirklichkeit wahrnehmend und wiedergebend. Andererseits galt die Fotografie in ihren ersten Jahrzehnten als mindere Kunst, die zunächst nicht gemeinsam mit Malerei ausgestellt wurde. Erst 1861 drang sie in den Pariser Salon vor, freilich noch mit separatem Eingang.

Die Wuppertaler Schau „Eine neue Kunst. Fotografie und Impressionismus“ setzt mit vorimpressionistischen Bildern von Camille Corot und Gustave Courbet (jeweils um 1870) ein, die mit einer wuchtigen Original-Plattenkamera aus jener Zeit konfrontiert werden. Es sollen also – auch im weiteren Rundgang – möglichst direkte „Dialoge“ zwischen den Künsten gestiftet werden. Die Fotografie der Pionierzeit ist vor allem mit herausragenden Beispielen aus dem Besitz des Münchner Stadtmuseums vertreten. Ulrich Pohlmann, Leiter der dortigen fotografischen Sammlung, steht als Gastkurator der Wuppertaler Kuratorin Anna Baumberger zur Seite. Weiterer Kooperationspartner ist das Museum Barberini in Potsdam.

Bemerkenswerter Befund: Anfangs waren die Maler, zumal nach Erfindung der Farbtube, mit bedeutend leichterem Gepäck unterwegs als die Fotografen, welche schwere Platten und gar Zelte mit sich führen mussten. Erst mit der Zeit gab sich das und die Fotografie ging schneller und bequemer vonstatten.

Claude Monet: „Blick auf das Meer“, 1888 (Leinwand, 65 x 82 cm). Von der Heydt-Museum, Wuppertal.

Die Wuppertaler Raumfolge greift verschiedene Aspekte zwischen Malerei und Fotografie auf. Da geht es eingangs um den Vergleich von Bildern „majestätischer Weite“ (Himmel und Meer), wobei etwa Wellen-Darstellungen von Gustave Le Gray (raffinierte Kombination mehrerer Negative) und Claude Monet („Blick auf das Meer“, 1888) aufeinander bezogen werden. Während die Fotografie für damalige Begriffe ungemein detailreich erscheint, tendiert der malerische Zugriff zur Auflösung der Formen; ganz so, als wolle er sich von der Fotografie nachdrücklich distanzieren und eigene Stärken ausspielen.

Ein anderer Raum konzentriert sich auf Bilder der rasant gewachsenen Metropole Paris im Zeichen der Haussmannschen Boulevards. Hier findet sich beispielsweise Paul Signacs Ansicht von Notre-Dame (1885) in der Nachbarschaft einer um 1860 verfertigten Fotografie von Edouard Baldus, die zahlreiche Passanten auf einer Seine-Brücke zeigt. Durch die damals erforderliche lange Belichtung wirken die vielen Menschen leicht verwischt, geradezu ein wenig geisterhaft. Dies war eine häufige Erscheinung auf damaligen Fotografien.

Auch die andere große Erfindung jener Zeit wirkt hinein: Als die Eisenbahn nach Fontainebleau fuhr, brachen Künstler zuhauf in die waldreiche Gegend auf. Der Sehnsuchtsort war endlich ohne große Mühen erreichbar. Hochinteressant sind jene Fotografien, die just Maler bei der Arbeit unter freiem Himmel zeigen, so etwa Henry Peach Robinsons ländliches Motiv „Der Maler“ (um 1890 bis 1901, zusammengesetzt aus vier bis fünf Negativen), das neben Camille Pissarros Gemälde „Bäuerin mit Kuh“ (1883) gesetzt, welches einer ganz ähnlichen Situation zu entstammen scheint.

Es entwickelten sich folglich die Frühformen der Landschaftsfotografie. Diese wiederum trägt Spuren der impressionistischen Bildauffassung, indem Spiegelungen und Reflexionen am Wasser zum Bildthema werden – unter Verzicht auf die technisch durchaus mögliche Bildschärfe. Herausragendes Beispiel ist Peter Henry Emersons Fotografie „Seerosenpflücken“ (1886), die motivisch auf Monet zurückgeht.

Frühe Farbfotografie („Autochrome“): Antonin Personnaz‘ Bild „Armand Guillaumin beim Malen von ,Badende bei Crozant'“, um 1907. Autochrome, Faksimile, 9 x 12 cm (© Societé française de photographie, Paris)

Ein weiteres Kapitel ist der Bewegung des „Piktorialismus“ gewidmet, dessen Vertreter eine eigene Ästhetik der Fotografie im Sinn hatten. Diese innovative Strömung war alsbald international vernetzt und war auch auf lukrative Vermarktung aus. Ein Merkmal war eben gezielt herbeigeführte, quasi-impressionistische Unschärfe, mit der sich auch die Grenzen zwischen den Kunstgattungen verwischten. Man vergleiche Seurats Kreidezeichnung „Waldrand“ (um 1883) mit Heinrich Kühns Fotografie „Pappeln am Bach“ (um 1900). Das Foto wirkt wie eine Zeichnung und umgekehrt.

Nebenher werden auch technische Besonderheiten wie die Stereo-Fotografie (Stereoskopien), die das dreidimensionale menschliche Sehen imitierte, oder auch Geheimkameras streift, die sozusagen durchs Knopfloch blicken konnten. Auch das Aufkommen des Rollfilms in den 1880er Jahren kommt – wie andere Vereinfachungen und Beschleunigungen des Metiers – in Betracht.

Schließlich geht es noch um die Anfänge der Farbfotografie, die eine nochmalige Annäherung an malerische Verfahren bedeutete. Die vormalige „mathematische“ Genauigkeit der Fotografie war vollends passé, gerade im Gefolge des Impressionismus war die Auflösung fester Strukturen zu beobachten. Staunenswert, wie die vermeintlich so verschiedenen und doch verwandten Künste einander voranbrachten.

„Eine neue Kunst. Fotografie und Impressionismus“. Bis 8. Januar 2023. Di-So 11-18, Do 11-20 Uhr, Mo geschlossen. Von der Heydt-Museum, Wuppertal, Turmhof 8. Eintritt: Erwachsene 12 Euro, ermäßigt 10 Euro. Katalog 34 Euro.

www.von-der-heydt-museum.de




Der nächste Promi im Osthaus Museum: Dieter Nuhr als Fotograf

Vom Hagener Museumsdirektor aufgenommen: Dieter Nuhr mit digitaler Fotografie in seinem Atelier. (Foto: © Tayfun Belgin)

Die Zielrichtung ist unverkennbar: Schon wieder setzt das Hagener Osthaus Museum mit Aplomb auf den Promi-Faktor.

Wir erinnern uns, mehr oder weniger flüchtig: Zuerst hat der weltberühmte Hollywood-Star Sylvester Stallone („Rambo“, „Rocky“) hier seine Gemälde präsentiert, dann kam der Popmusiker Bryan Adams mit seinen Fotografien an die Reihe. Und jetzt? Stellt wieder jemand aus, den man aus anderen Bereichen kennt, allerdings eher im deutschen Sprachraum.

„Von Fernen umgeben“

Man weiß ja nicht einmal so recht, wie man seine Berufssparte bezeichnen soll. Ist er Comedian? Kabarettist? Satiriker? Naja, vielleicht irgend etwas in dieser groben Richtung. Es ist jedenfalls Dieter Nuhr, der – weit abseits seiner sonstigen Tätigkeit – „in fast 100 Ländern“ auf den Auslöser gedrückt hat und jetzt (vom 8. Mai bis zum 26. Juni) einige Resultate seiner digitalen Fotografie im Museum vorzeigt. Poetisierender Titel der Schau: „Von Fernen umgeben“. Man ist ja dankbar, dass die Chose nicht etwa „Nuhr belichtet“ oder so ähnlich heißt. Tatsächlich ist es technisch mehr als das. Laut Vorankündigung des Museums malt Nuhr, der auch einmal Kunst studiert hat, mit dem „digitalen Pinsel“, erzeugt also Bilder aus fotografischen Daten.

„Linke“ werden kaum begeistert sein

Wie auch immer: Etwas weiter „links“ angesiedelte Leute werden sich bei der bloßen Namensnennung mit Grausen abwenden und vielleicht alpträumen, dass der bei ihnen ebenso verpönte Harald Martenstein womöglich einen Katalogtext verfasst hat (was nicht der Fall ist). Oder sie bleiben gelassen und sagen sich feixend: Hauptsache, Dieter Nuhr steht nicht auf der Bühne. Mit Fotos kann er ja wohl nicht so viel anrichten. O, wie hinterhältig wäre das. Aber immer noch besser als „Cancel Culture“, oder?

Altbau des Hagener Osthaus Museums, bei Regen durch die Frontscheibe des Autos aufgenommen. Und nein: Das Bild soll nicht „trübe Aussichten“ bedeuten. (Foto: Bernd Berke)

„Demnächst“ eine Ausstellung in Russland?

Osthaus-Direktor Tayfun Belgin ist sozusagen in die Schlusskurve seiner aktiven Museumslaufbahn eingebogen. Offenbar hat er sich für die letzte Strecke vor dem Zieleinlauf vorgenommen, nicht mehr nur der hehren Kunst zu frönen, sondern auch noch einmal ordentlich „Betrieb“ zu machen und mit gesteigerten Besuchszahlen zu glänzen. Man darf schon jetzt gespannt sein, wer mit welchem Konzept seine Nachfolge antreten wird. Und wie es überhaupt weitergeht.

Ach so, übrigens: „Demnächst“, so heißt es auf der Museums-Homepage ganz nebenbei, werde Nuhr seine Fotografien auch im Puschkin-Museum zu St. Petersburg ausstellen. In Russland. Stimmt das wirklich? Immer noch?




„Freundschaftsanfrage“: Künstlerische Stellungnahmen zur Wuppertaler Sammlung

Die Spur der Sonne, erfasst mit exakter Zeit und Koordinaten: Hans-Christian Schinks Fotografie „2/20/2010, 6:53 am – 7:53 am, S 37°40,831`E 178°32.635″ – aus der Serie „1h“, 2003-2010. (© Hans-Christian Schink)

Wuppertals Von der Heydt-Museum legt eine neue Ausstellungsreihe auf. Als wären wir im sozialen Netzwerk, heißt die Serie „Freundschaftsanfrage“. Der erste Künstler, der sie angenommen hat, ist Hans-Christian Schink, er wurde 1961 in Erfurt geboren und betont – vor, neben und nach aller Weltoffenheit – seine ostdeutsche Identität.

Konzept der „Freundschaftsanfrage“: Gegenwartskünstler (Frauen inbegriffen) sollen auf Einladung gezielt Stellung zu ausgewählten Stücken der reichhaltigen Wuppertaler Sammlung beziehen. Der Fotograf Schink reagiert auf gemalte Landschaften, insbesondere aus dem 19. Jahrhundert. In der Zeit, als er „sehen gelernt“ habe, so Schink, existierte noch die DDR. Also kannte er aus eigener Anschauung zunächst vor allem das klassisch-romantische „Erbe“ und nicht die Ausprägungen neuerer Westkunst. Obwohl er inzwischen weltweit gereist ist, hat diese Vorgabe seine Auswahl in Wuppertal geprägt. Die hiesigen Bestände kamen seiner Neigung entgegen. Und die langwierige Suche führte auch kreuz und quer durchs Museumsdepot.

Hans-Christian Schink: „Büro“ (4), 1998 (© Hans-Christian Schink)

Der Rundgang umfasst sieben Räume und beginnt mit „Bürobildern“, bei denen die deutsch-deutsche „Wende“ Pate gestanden hat. Schink erläutert den Hintergrund: Bedingt durch Steuerabschreibungs-Modelle, wurden damals in der früheren DDR viele überflüssige Bürobauten hochgezogen, die danach leerstanden. Just solche Räumlichkeiten hat Schink auf nahezu abstrakte Weise fotografiert. Derlei pure Flächigkeit wiederum finden wir, wenn wir sie nur länger wirken lassen, z. B. auf Gemälden wie Ferdinand Hodlers „Thuner See mit Stockhornkette“ oder Edvard Munchs „Schneeschmelze bei Elgersburg (Tauwetter)“ wieder. Auch da kommt es weit weniger auf die unmittelbar sichtbare Realität an, sondern auf Eigenwerte von Fläche, Farbe und Struktur. Nicht die Motive sind zentral, sondern die durch sie erzeugte Atmosphäre.

Ferdinand Hodler: „Thuner See mit Stockhornkette“, 1910/11, Öl auf Leinwand, 65,5x88cm (Von der Heydt Museum, Wuppertal)

Raum zwei führt zu italienischen Landschaften, die im 19. Jahrhundert Scharen von Künstlern angelockt haben. Hans-Christian Schink nutzte anno 2014 ein Stipendium in der römischen Villa Massimo, um in seiner Serie „Aqua Claudia“ Wechselwirkungen zwischen moderner Urbanität und einem antiken Aquädukt nachzuspüren. Das Spannungs- und Näherungs-Verhältnis zwischen Altertum und Jetztzeit ergibt einen ganz eigentümlichen Kommentar zu romantischen Gemälden wie etwa Heinrich Bürkels „Italienische Landschaft“ von 1830/32.

Nun geht es nach Japan. Dort hat Schink 2009 ein dreiwöchiges Projekt absolviert, in dessen Rahmen alljährlich europäische Künstler Blicke auf das fernöstliche Land werfen. Unversehens hat ihn in der Fremde eine Gegend fasziniert, die ihn an Thüringen erinnerte. Die verschneite Hügellandschaft, die er dort entdeckte, begegnet hier Alfred Sisleys „Winterlandschaft“ oder auch einer Zeichnung von Paul Cézanne. Der wiederum habe, so die Kuratorin Beate Eickhoff, die Malerei – im Gefolge der damals noch jungen Fotografie – mit der Belichtung einer empfindlichen Platte verglichen.

Im nächsten Raum empfangen uns Werke von John Constable, aus der „Schule von Barbizon“ und des Realisten Gustave Courbet – im Kontrast und Zusammenklang mit Schinks Serie „Hinterland“ (2012-2019): Zunächst von Berlin aus und dann selbst auf dem Lande wohnend, hat sich Schink in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg umgetan, wo er vollkommen leere Landschaften vorgefunden hat. Nach etlichen Fernreisen war es eine Wiederentdeckung heimatlicher Gefilde. Was eine Wasserspiegelung in Mecklenburg mit einem Wasserbild Claude Monets zu tun haben könnte, ist nicht zuletzt eine Frage des Verweilens und Entdeckens.

Folgt das sogenannte „Einstunden-Projekt“. Schink hat keinen Auwand gescheut und nach zweijähriger Vorbereitung versucht, weltweit Eindrücke von Zeit und Licht fotografisch einzufangen. Vor-Bilder waren Überbelichtungen von Analog-Fotografien, nach denen die Sonne schwarz erschien. Diesen chemisch-physikalischen Umkehreffekt hat Schink ganz bewusst eingesetzt und den jeweils einstündigen Sonnenlauf per Langzeitbelichtung festgehalten. Dies ergibt schwarze Spuren am Himmel, und zwar in wechselnden Formen: anders in Algerien, anders in der Mojave-Wüste, wieder anders in Neuseeland und so weiter – an 15 Stationen rund um den Erdball. Aus der Sammlung steht dem in erhabener Vereinzelung Edvard Munchs grandioses Bild „Sternennacht“ gegenüber.

Hans-Christian Schink: „Unter Wasser (17)“, 2020 (© Hans-Christian Schink)

Eine neue Unterwasser-Serie hat Schink jüngst bei Boots-Streifzügen auf der mecklenburgischen Seenplatte aufgenommen. Nicht tauchend, sondern auf einem Board liegend, die Unterwasser-Kamera auf Armlänge benutzend und die (diesmal digitalen) Zufallsbilder später mit Tintenstrahldruck aufbereitend. Eine ungeahnte, ganz andere Welt tut sich da auf, die doch schon so dicht unter der Oberfläche beginnt. Ein zur Abstraktion drängendes Meeresbild von Claude Monet vergegenwärtigt demgegenüber einen ganz anderen Wasserzustand.

Claude Monet: „Blick auf das Meer“ (1888), Leinwand, 65×82 cm (Von der Heydt Museum, Wuppertal)

Markante Schlussakzente setzen Baumbilder aus dem vietnamesischen Nationalpark Bach Ma, wiederum mit (dem heimlichen Wegweiser) Edvard Munch und mit Otto Modersohns „Mondaufgang, im Moor“ in Beziehung gebracht.

Mit anderer Auswahl und anderer Hängung könnte man zahllose Varianten einer solchen Ausstellung bestreiten, es gibt natürlich nicht die „einzige wahre“ Version. Erklärtes Ziel von Künstler und Kuratorin war es, sozusagen eine strömende Ruhe herzustellen, in die man sich versenken kann. Ob dies gelungen ist, lässt sich wohl nur bei einem längeren Aufenthalt feststellen. In diesem Sinne wäre beinahe zu hoffen, dass der Besucherandrang sich in Grenzen halten möge.

Museumsdirektor Roland Mönig sieht in der neuen Ausstellungsreihe einen „Augenöffner“, der (Neu)-Bewertungen der Sammlung einleiten könne. Für die jeweiligen Künstler dürfte es eine Standortbestimmung sein, inwiefern sie an Traditionen anknüpfen – oder auch nicht. Es wären ja auch Formen der entschiedenen Abwehr denkbar. Auf weitere „Positionen“ (etwa eine pro Jahr) darf man gespannt sein. Jedenfalls soll es nicht bei bloßen „Freundschaftsanfragen“ bleiben, es dürfen laut Mönig auch gern „feste Beziehungen“ daraus entstehen, sprich: Ankäufe sind durchaus möglich.

Hans-Christian Schink – und die Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts („Freundschaftsanfrage No. 1″). 27. Februar bis 10. Juli 2022. Von der Heydt-Museum, Wuppertal, Turmhof 8. Geöffnet Di-Fr, Sa und So 11-18 Uhr, Do 11-20 Uhr, Mo geschlossen. Eintritt 12 €, ermäßigt 10 €, Kinder bis 17 Jahre 2 €.

www.von-der-heydt-museum.de

 




Befremdende Bilder aus dem Märchenwald – „Mühl“ von Bernhard Fuchs im Bottroper „Quadrat“

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© Bernhard Fuchs / VG Bild-Kunst, Bonn 2020. Bernhard Fuchs, ohne Titel, aus der Serie MÜHL, 2014-2019

Was hat er gesucht? Und was hat er gefunden? Es ist nicht eben so, daß diese Bilder des österreichischen Fotografen Bernhard Fuchs dem Betrachter ihre Botschaften aufdrängen wollten. Eher verschlossen wirkt diese Fotografie, und die formale Präsentation – quadratische Abzüge in einem insgesamt sehr quadratisch wirkenden Museum namens Quadrat – trägt das ihre dazu bei, das Publikum auf Abstand zu halten.

Fast nur Natur

Jenseits des Formalen wohnt den Arbeiten indes nur wenig Serielles inne. Zu sehen gibt es Bilder aus dem Wald im wilden oberösterreichischen Mühlviertel. Bäume, Zweige und Äste – blattlos, winterlich – kommen häufig vor, Steine, Wasser, Moos und Gräser sind mit dabei, Himmel und Erde schließlich auch. Die Kompositionen sind stets sparsam, mal zeigen sie zerklüftete, bemooste Felsen, mal Flächenkompositionen aus nackten Zweigen vor fahlem Himmel. Skurrile Ast- und Stammformen laden zu Assoziationen ein, einmal gar steht nur ein mäßig strahlender Mond über der schemenhaft erkennbaren nächtlichen Landschaft. Zivilisation fehlt weitgehend, wird in einigen Bildern lediglich angedeutet durch das Resultat menschlichen Handelns, durch auf dem Boden ausgebreitete, abgeschnittene Zweige beispielsweise.

© Bernhard Fuchs / VG Bild-Kunst, Bonn 2020. Bernhard Fuchs, ohne Titel, aus der Serie MÜHL, 2014-2019

Zurückhaltung

Ob man die Auseinandersetzung des Fotografen mit alledem als komponierendes Handeln wertet oder als das Resultat feinnervigen Erspürens besonderer Orte, ist letztlich fast egal. In beiden Fällen sind die Dinge sehr gut gesehen. Einige Male, bei den Steinbildern zumal, ist die Zentralperspektive zu erkennen, doch kompositorische Zurückhaltung herrscht vor. Die meisten Arbeiten übrigens könnte man glatt für Schwarzweißbilder halten, so farblos schwarz-weiß-grau sind sie in der unsommerlichen Zeit ihres Entstehens geraten. Und bei alledem erkennt man in Bernhard Fuchs den Becher-Schüler, der seine fotografischen Objekte gut behandelt und darauf vertraut, daß sie so bei Betrachterin und Betrachter wirksam werden.

© Bernhard Fuchs / VG Bild-Kunst, Bonn 2020. Bernhard Fuchs, ohne Titel, aus der Serie MÜHL, 2014-2019

Eine ewige Dunkelheit

„Oft schenkt während meiner Wanderungen das Betrachten und Erklettern eines Steinblocks dem Denken einen heilsamen Widerstand, weil in seiner Stärke und seiner Ruhe eine Art ,ewige’ Dunkelheit verborgen bleibt.“ So zitiert das Bottroper Museum den oberösterreichischen Künstler. Nicht alle Waldbesucher werden so intensive Empfindungen haben, da müssen Stichworte wie Heimat, Kindheit, Geborgenheit sicherlich hinzugedacht werden. Unzweifelhaft jedoch erschaffen Fuchs’ Bilder in ihrer Gesamtheit eine große, fast schon archaische Intensität, laden ein zu einer intuitiven Auseinandersetzung mit vertrauter Nähe und unerwarteter Fremdheit. Konsequenterweise gilt „Mühl“, ein winziges Schildchen auf der Wand erklärt es, als ein einziges „o.T.“, mithin als ein einziges, vielteiliges Werk „ohne Titel“, was etwas widersprüchlich ist. Aber gemeint ist wohl, daß kein einzelnes Bild sinnvollerweise einen Titel tragen kann, die Bilder in ihrer Gesamtheit indes schon.

Bei aller Radikalität, die der Fotografie Bernhard Fuchs’ im besten Sinne eigen ist, ist sie doch keineswegs unzugänglich – eine Position weit jenseits schneller Dramatisierungen mithin, die kennenzulernen allemal lohnt.

  • Bernhard Fuchs: „Mühl“
  • Josef Albers Museum, Quadrat, Bottrop
  • Bis 8. November 2020. Geöffnet Di bis Sa 11-17 Uhr, So 10-17 Uhr, Eintritt 6 EUR.
  • Das Buch zur Ausstellung erschien im Verlag Koenig Books, London, hat 96 Seiten und kostet 45,00 EUR.



Maschinen von gestern, verödet in der Zeit: Fotos von Ricarda Roggan in Düsseldorf

Ricarda Roggan: Garage 12, 2008. Courtesy Galerie EIGEN + ART Leipzig/Berlin and VG-Bildkunst, Bonn 2018

Ricarda Roggan:
Garage 12, 2008.
Courtesy Galerie EIGEN + ART Leipzig/Berlin
and VG-Bildkunst, Bonn 2018

Einst waren sie beweglich, voll Energie, wirkten dynamisch und lebendig. Jetzt sind sie starr, verödet, von der Zeit gezeichnet. Die Fotografin Ricarda Roggan hält sie in einem Moment ihrer verfallenden Existenz fest: Maschinen oder Automaten, ausgedient und abgestellt, längst überholte Hinterlassenschaften einer vergangenen Ära. In der Sammlung Philara in Düsseldorf sind die Fotos nun bis 17. März zu betrachten.

„Ex Machina“ heißt die Schau, und die vergessene Dingwelt der Bilder – Autowracks etwa, oder staubbedeckte Videospiel-Automaten aus der Anfangszeit der Digitalisierung – besteht aus technischen Artefakten, die „ex“ sind, ausgemustert. Aber der Titel will auch auf den antiken Theatereffekt des Gottes „aus der Maschine“ verweisen. Was damals zur Überraschung der Zuschauer als Wunder inszeniert wurde, soll in den Bildern wiederkehren: Überraschende Wendungen, Momente der Katharsis.

Ricarda Roggan: Reset 3, 2011. Courtesy Galerie EIGEN + ART Leipzig/Berlin and VG-Bildkunst, Bonn 2018

Ricarda Roggan:
Reset 3, 2011.
Courtesy Galerie EIGEN + ART Leipzig/Berlin
and VG-Bildkunst, Bonn 2018

Die 1972 in Dresden geborene Fotografin Ricarda Roggan studierte an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Darauf folgten zwei Jahre am Royal College of Art London im Photography Department. Ihre Arbeiten finden sich im Bestand öffentlicher Sammlungen wie in der Bundessammlung zeitgenössischer Kunst in Bonn oder der Fotografischen Sammlung des Museums Folkwang in Essen. Seit 2013 hat Ricarda Roggan eine Professur für Fotografie an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart inne.

Die Ausstellung „Ex Machina“ in der Sammlung Philara in Düsseldorf wird bis 17. März gezeigt. Sie ist im Rahmen einer 75minütigen Führung zu besichtigen: an Freitagen um 14 Uhr (deutsch) und 16 Uhr (englisch), an Samstagen um 14 und 16 Uhr (deutsch) und an Sonntagen um 12 Uhr (deutsch) und 15 Uhr (englisch). An Donnerstagen ist die Schau von 16 bis 20 Uhr ohne Führung zugänglich. Der Eintritt kostet zehn, ermäßigt fünf Euro.

Während des Düsseldorf Photo Weekends sind Ricarda Roggans Fotos zu folgenden Zeiten zu sehen: am Freitag, 8. März, 18 bis 21 Uhr; am Samstag, 9. März, 12 bis 20 Uhr; am Sonntag 10. März, 12 bis 18 Uhr.

Info:
www.duesseldorfphotoweekend.de
www.philara.de/de/aktuell

 




Wie eine späte Heimkehr: Essener Ruhr Museum zeigt stilbildende Revier-Fotografien von Albert Renger-Patzsch

Blick in die Ausstellung mit Fotografien von Albert Renger-Patzsch. (© Ruhr Museum / Foto: Rainer Rothenberg)

Blick in die Ausstellung mit Fotografien von Albert Renger-Patzsch. (© Ruhr Museum / Foto: Rainer Rothenberg)

Über Jahrzehnte hinweg hat dieser Mann den Blick geprägt, mit dem viele Menschen die Landschaft des Ruhrgebiets wahrgenommen haben: Albert Renger-Patzsch (1897-1966) ist wahrhaftig ein stilbildender Fotograf gewesen. Jetzt widmet ihm das Essener Ruhr Museum auf dem Gelände der Zeche Zollverein eine Ausstellung, die just hierher gehört: „Die Ruhrgebietsfotografien“ waren ab Ende 2016 zunächst in der Münchner Pinakothek der Moderne zu sehen, jetzt ist die Ausstellung – in stark erweiterter Form – gleichsam heimgekehrt.

Renger-Patzsch, sonst vorwiegend als Auftrags-Fotograf unterwegs, hat die Ruhrgebietslandschaften als sein größtes freies Projekt in Angriff genommen. Es sind keine Ansichten eines kurzfristig Zugereisten. Renger-Patzsch war mit dem Revier vertraut. Der Fotograf lebte von Ende 1929 bis zum Oktober 1944 (als sein Haus bei Luftangriffen zerstört wurde) in der Essener Künstlersiedlung Margarethenhöhe.

Schon vor seiner Umsiedlung ins Ruhrgebiet war der gebürtige Würzburger prominent gewesen, insbesondere durch seinen vielbeachteten Bildband „Die Welt ist schön“ von 1928, der mit Pflanzen-, Tier- und vor allem Objektaufnahmen bereits die neusachliche Sicht auf die Welt kultivierte.

Entdeckung der „Zwischenstadt“

Die jetzt in Essen gezeigten Serien seiner Ruhrgebiets-Aufnahmen sind vorwiegend zwischen 1927 und 1935 entstanden. Im Kontrast zwischen noch ländlichen Stadträndern und gewaltig aufkommenden Industrie-Giganten hat er völlig neuartige Räume bzw. Raum(un)ordnungen entdeckt und festgehalten. Viel später hat man für derlei schwer beschreibliches Niemandsland den Begriff „Zwischenstadt“ verwendet.

Und tatsächlich: Seine Bilder von Zechengebäuden und Halden-Landschaften, Vorstadt-Siedlungen und Schrebergärten zeigen ein damals atemberaubend neues Amalgam aus schwindender Natur und ungeheuerlich wachsender Industrie. Das hat es in dieser Form in ganz Deutschland nicht so beispielhaft monumental gegeben, auch in Europa suchten solche Konglomerate ihresgleichen.

„Fotograf der Dinge“ – wertfrei und objektiv?

Als Fotograf im Umkreis der Neuen Sachlichkeit hat sich Renger-Patzsch (ganz anders als etwa Erich Grisar, dem das Ruhr Museum und im Gefolge die Dortmunder Zeche Zollverein zuvor eine Ausstellung gewidmet haben) absolut nicht für Arbeitsbedingungen oder gar für Klassenkämpfe interessiert. Seine Bilder sind denn auch menschenleer, er ist ein „Fotograf der Dinge“.

Wohl erst mit heutigem Blick sieht man die Trostlosigkeit und die argen Verletzungen, die der Landschaft zugefügt wurden. Renger-Patzsch hingegen hat offenkundig noch den bizarrsten Industrie-Wüsteneien ästhetische Valeurs abgewonnen. Auch das macht diese Bilder so scheinbar zeitenthoben und klassisch. Ja, seine Sichtweise mutet weitgehend emotionslos, „objektiv“ und „wertfrei“ an, doch könnte man gegen die letzten beiden Zuschreibungen eine ganze Menge einwenden.

Ruhrgebiet früherer Zeiten

Es ist dies eine Wiederbegegnung mit dem „alten“ Revier, wie es bis in die 1960er Jahre hinein Bestand hatte, insofern liegen die 20er und 30er gar nicht so immens weit zurück. Die Ansammlungen von Schloten zwischen einer kahlen Baumreihe oder direkt hinter einer Arbeitersiedlung im Essener Nordend wirken durchaus imposant, die zuweilen monströsen Halden haben etwas von großer Geste.

Wertungen sind diesen Bildern allerdings fremd, auch die gewiss dürftigen Häuser wirken wie selbstverständlich hingestellt. Und wenn sich ein Zechenturm samt Schornsteinen direkt hinter einem geduckten Fachwerkhaus erhebt oder einige Kühe vor Schlotkulisse stehen, so sind das beileibe keine kritischen Stellungnahmen, sondern: Es ist, wie es ist.

Keine sonderlichen Schwierigkeiten nach 1933

Jedenfalls war sein bildkünstlerisches Werk auch nach 1933 sozusagen „anschlussfähig“, er scheint in der Nazi-Zeit keine sonderlichen Schwierigkeiten gehabt zu haben und konnte sogar für die paramilitärische NS-Organisation Todt tätig werden. Andererseits hatte er lediglich im Winter 1933/34 einen Lehrauftrag an der Essener Folkwang-Schule für Gestaltung. Hat er sich bewusst entzogen?

Ergänzt werden die zentral präsentierten Ruhrgebietslandschaften mit rund 200 weiteren Fotografien von Albert Renger-Patzsch, die sich in einigen Seitenkabinetten gruppieren und ebenfalls mehrheitlich Vintage-Prints, also Originalabzüge sind. Es handelt sich überwiegend um Auftragsarbeiten, entstanden ab den 1920ern bis in die 1960er Jahre, beispielsweise für die Bochumer Edel-Tischlerei Dieckerhoff oder fürs Museum Folkwang, wo Renger-Patzsch seinerzeit ein eigenes Atelier hatte.

Rare Porträtaufnahmen

Hinzu kommen Aufnahmen der Villa Hügel, des Essener Münsters (Domkirche), der Gartenstadt Margarethenhöhe und von markanten Zechenbauten, nicht zuletzt vom jetzigen Ausstellungsort, der Zeche Zollverein – und aus der kriegszerstörten Stadt Essen. Als sein Haus in der Margarethenhöhe zerstört wurde, zog die Familie zum Künstler Hermann Kätelhön nach Wamel (Möhnesee) bei Soest.

Die Ausstellung, gemeinsam kuratiert von Stefanie Grebe (Essen) und Simone Förster (München), hält noch eine weitere Spezialität bereit: Überraschend für den sonst so sehr auf Dinge fixierten Renger-Patzsch, finden sich auch einige Porträtaufnahmen, die zwar gleichfalls von meisterlichem Handwerk und von Kunstfertigkeit zeugen, aber bei weitem nicht so stilbildend sind wie eben seine (Zwischen)stadtlandschaften. Interessant auf jeden Fall einige der Dargestellten: Die Skala reicht vom berühmten Kunstmäzen Karl Ernst Osthaus (Hagen, 1920) über Großindustrielle wie Hugo Stinnes (Mülheim/Ruhr, 1930) bis zum 1935 porträtierten jungen Juristen bei den Rheinischen Stahlwerken in Essen. Er hieß übrigens Gustav Heinemann und wurde Jahrzehnte später Bundespräsident.

Kölner Galerie und Münchner Stiftung

Nun soll noch geklärt werden, wer all die fotografischen Schätze gesammelt und bewahrt hat. Es waren Ann und Jürgen Wilde, die schon sehr zeitig Fotografie als Kunst betrachtet und präsentiert haben, als die Marktpreise noch nicht verrückt gespielt haben. Bereits 1974 zeigten sie in ihrer Kölner Galerie Ruhrgebietsbilder von Albert Renger-Patzsch, dessen Werk sie auch hernach gepflegt haben. Seit 2010 ist die Stiftung Ann und Jürgen Wilde der Münchner Pinakothek der Moderne angegliedert, womit sich auch der Ort der Erstausstellung erklärt. Im Ruhrgebiet freilich wird man diese Ausstellung ganz anders rezipieren als an der Isar.

Albert Renger-Patzsch: Die Ruhrgebietsfotografien. Essen, Ruhr Museum auf Zeche Zollverein, Kohlenwäsche (A 14), Gelsenkirchener Straße 181 (Navigation: Fritz-Schupp-Allee, 45141 Essen). 8. Oktober 2018 bis 3. Februar 2019. Geöffnet Mo bis So 10-18 Uhr. Eintritt 7 €, ermäßigt 4 €, freier Eintritt für Kinder und Jugendliche unter 18 sowie für Studierende unter 25. Katalog (336 Seiten, ca. 200 Schwarzweiß-Abb.) 29,80 €. Weitere Infos: www.ruhrmuseum.de und Tel.: 0201 / 24 681 444.

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Nachbemerkung:

Aus Urheberrechtsgründen mussten die Fotos einzelner Werke zu dieser Ausstellung leider sechs Wochen nach Ende der Schau gelöscht werden. Somit steht jetzt nur noch der Text fast ohne bildliche Anschauung hier – bis auf einen einzige, sehr ungenauen Blick auf Stellwände. Ob wohl auch die Print-Medien Bilder in ihren Online-Auftritten getilgt haben?




Gebäude und Gesichter: Das Museum Ludwig Köln wirft einen Blick auf den Fotografen Werner Mantz

Gesichter und Fassaden: Für Werner Mantz waren sie künstlerisch einander ähnliche Herausforderungen. Der 1901 geborene Fotograf begann seine Laufbahn 1921 in Köln als Porträtist.

Werner Mantz Porträt einer jungen Frau, Familie Huyben, Maastricht, 1968. Gelatinesilberpapier. Nederlands Fotomuseum, Rotterdam. © VG Bild-Kunst, Bonn 2017, Werner Mantz/Nederlands Fotomuseum. Foto: Nederlands Fotomuseum, Rotterdam.

Werner Mantz Porträt einer jungen Frau, Familie Huyben, Maastricht, 1968. Gelatinesilberpapier. Nederlands Fotomuseum, Rotterdam. © VG Bild-Kunst, Bonn 2017, Werner Mantz/Nederlands Fotomuseum. Foto: Nederlands Fotomuseum, Rotterdam.

Bald kamen Aufträge zum Fotografieren von Architektur hinzu. Mantz lichtete Bauten von Wilhelm Riphahn, Peter Franz Nöcker, Caspar Maria Grod und anderen bekannten Protagonisten modernen Bauens ab und wurde so zum Chronisten der architektonischen Avantgarde im Köln der Zwanziger und beginnenden Dreißiger Jahre.

1932 eröffnete Mantz in Maastricht ein zweites Atelier, wohin er 1938 auch umsiedelte. Dort kam er auf die Porträtfotografie zurück und spezialisierte sich auf Kinderbildnisse. Für ihn waren seine Porträts ebenso bedeutend wie seine Architekturaufnahmen.

Erstmals ermöglicht nun das Museum Ludwig in Köln mit einer Ausstellung, beide Aspekte des Schaffens des 1983 verstorbenen Fotokünstlers zusammen zu sehen: In der bis 21. Januar 2018 gezeigten Schau werden Architekturfotos und bisher nie ausgestellte Porträts miteinander in Bezug gesetzt.

Die Ausstellung ist ein Gemeinschaftsprojekt mit dem Nederlands Fotomuseum in Rotterdam, das den Bestand von Mantz‘ Aufnahmen in den Niederlanden bewahrt.

Werner Mantz: Haus Am Botanischen Garten, Köln, um 1929. Bromsilberdruck. © VG Bild-Kunst, Bonn 2017. Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln.

Werner Mantz: Haus Am Botanischen Garten, Köln, um 1929. Bromsilberdruck. © VG Bild-Kunst, Bonn 2017. Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln.

Zur Ausstellung erscheint ein Katalog, herausgegeben von der Werner Mantz Foundation. Die 151 Abbildungen mit Texten in Deutsch, Englisch und Niederländisch ergänzt ein Gespräch zwischen den Kuratoren Frits Gierstberg und Miriam Halwani. Der Katalog kostet 19,50 Euro.

Die Ausstellung „Werner Mantz. Architekturen und Menschen“ ist im Museum Ludwig in Köln bis 21. Januar 2018 zu sehen. Geöffnet ist das Museum von Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr und an jedem ersten Donnerstag im Monat bis 22 Uhr. Der Eintritt kostet 11 Euro, ermäßigt 7,50 Euro.

 




Akte und Architekturen: Essener Museum Folkwang würdigt den Schweizer Fotografen Balthasar Burkhard

Balthasar Burkhard: Normandie 01,1995. Silbergelatineabzug 115 x 115 cm. Museum Franz Gertsch, Burgdorf © Estate Balthasar Burkhard, 2017.

Balthasar Burkhard: Normandie 01,1995. Silbergelatineabzug 115 x 115 cm. Museum Franz Gertsch, Burgdorf © Estate Balthasar Burkhard, 2017.

Einen der bedeutenden Fotografen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts würdigt das Museum Folkwang in Essen mit einer Ausstellung: Die 150 Werke und Werkgruppen umfassende Retrospektive für Balthasar Burkhard ist die erste große museale Würdigung des Schweizers in Deutschland und zeichnet das facettenreiche Schaffen des Fotografen etappenweise nach. Die Palette der Werke reicht von frühen Schwarzweiß-Aufnahmen aus den sechziger Jahren bis zu Architektur- und Landschaftsfotografien aus dem Spätwerk des 2010 gestorbenen Fotokünstlers.

Der 1944 geborene Balthasar Burkhard lernte bei Kurt Blum, einem der bekanntesten Schweizer Fotografen seiner Generation. 1965 eröffnete er ein eigenes Studio in Bern und fotografierte im Auftrag der Kunsthalle Bern die Künstler, die der bekannte Kurator Harald Szeemann damals ausstellte.

1966 und 1968 fotografierte Burkhard auf der Biennale in Venedig, 1972 dann auf der documenta Kassel. 1969 zeigte er erstmals die gemeinsam mit Markus Raetz geschaffenen großformatigen Fotoleinwände, mit denen er international beachtet wurde. Erstmals sind in der Essener Ausstellung Burkhards Fototagebücher dieser Zeit in einer umfassenden Zusammenschau zu sehen.

Balthasar Burkhard: Der Körper I (Installationsansicht Ausstellung Kunsthalle Basel 1983), 1983. Silbergelatineabzug 30,7 x 45,5 cm © Estate Balthasar Burkhard, 2017.

Balthasar Burkhard: Der Körper I (Installationsansicht Ausstellung Kunsthalle Basel 1983), 1983. Silbergelatineabzug 30,7 x 45,5 cm © Estate Balthasar Burkhard, 2017.

Auch in den USA, wo er einen Lehrauftrag an der Universität von Illinois annahm, arbeitete er weiter an monumentalen Leinwand-Tableaus und hatte 1977 in Chicago seine erste Einzelausstellung.

Ab 1983, zurück in der Schweiz, entdeckte Balthasar Burkhard zunehmend den menschlichen Körper. Es entstanden riesige Akte, etwa ein dreizehn Meter langer liegender Akt. Aber Burkhard interessierte sich auch für Details, Fragmente und Mikrostrukturen. Die Essener Retrospektive widmet sich dieser Werkgruppe anhand des erhaltenden Materials in Form von Studien und Skizzen und mit Hilfe von Nachdrucken. Gezeigt werden auch Architekturfotos, die seit Mitte der neunziger Jahre entstanden, und Burkhards großformatige Luftaufnahmen von Städten und Wüsten.

Balthasar Burkhard: Mexico City (Vulkan), 1999. Silbergelatineabzug auf Barytpapier 136,7 x 267,7 cm. Fondation Cartier pour l'Art contemporain, Paris © Estate Balthasar Burkhard, 2017.

Balthasar Burkhard: Mexico City (Vulkan), 1999. Silbergelatineabzug auf Barytpapier 136,7 x 267,7 cm. Fondation Cartier pour l’Art contemporain, Paris © Estate Balthasar Burkhard, 2017.

Die Ausstellung entstand in Kooperation des Museums Folkwang mit dem Fotomuseum Winterthur, der Fotostiftung Schweiz und dem Museo d’arte della Svizzerra italiana.

Essen, Museum Folkwang, 20. Oktober bis 14. Januar 2018. Öffnungszeiten: Di, Mi, Sa und So 10 bis 18 Uhr, Do und Fr 10 bis 20 Uhr. Eintritt 8 Euro, ermäßigt 5 Euro. Katalog (Steidl Verlag, Göttingen) 28 Euro.




Fotokunst von Axel Hütte: Die Welt als geistiger Raum

Hey, Sie da mit dem hochgereckten Smartphone! Ist die Fotografie überhaupt noch eine Kunst? Eine heikle Frage. Die allgegenwärtige Technik, diese Domina des 21. Jahrhunderts, ermöglicht jedem Laien gelungene Bilder. Es wird gepostet, bis es uns vor den Augen flimmert.

Axel Hütte Lemaire Channel-1, Antarctic, 2017 C-Print, 135 x 165 cm © Axel Hütte

Axel Hütte
Lemaire Channel-1, Antarctic, 2017
C-Print, 135 x 165 cm
© Axel Hütte

Und doch behauptet sich das besondere Werk – durch Konzept, Konsequenz, Reduktion und das gute alte Gespür für Motiv und Augenblick. Fotografie kann immer noch eine hohe Kunst sein, der Malerei ebenbürtig. Das beweist Axel Hütte in der wunderbaren Ausstellung „Night and Day“ im Düsseldorfer Museum am Ehrenhof.

Der 1951 in Essen geborene Künstler missachtet alles Spektakuläre. Er missachtet das sich anbietende Motiv. Mit einer altmodischen, bleischweren Plattenkamera reist er durch die Welt und lässt die Attraktionen und Panoramen links liegen.

In den kanadischen Bergen wartet er im Mondschein, bis der Nebel aufsteigt über den Wäldern, nur ein paar Konturen preisgebend. Das, wagt man zu bemerken, könnte auch der Schwarzwald sein, wozu die weiten Reisen? „Es geht hier nicht um ein paar Tannenbäume“, murrt der Künstler – er mag die blöden Fragen von Journalisten nicht.

Das Geheimnis bleibt unantastbar

Immer wollen sie das Geheimnis mit Fakten und Erklärungen durchbohren. Axel Hütte hingegen zelebriert das Verschleierte. Nicht ohne Grund hing sein Schweizer Bild vom total vernebelten „Furkablick“ in Beat Wismers großer Verhüllungs-Ausstellung „Hinter dem Vorhang“. An der rechten Seite des Bildes erscheint gestochen scharf die Fassade des historischen Pass-Hotels mit seinen Schnörkelbalkonen, die der Aussicht dienen. Doch nur die Vorstellungskraft vermag in die Ferne vorzudringen. Ein Bild wie aus einem sonderbaren Traum.

„Ich suche den Ort nicht, ich finde ihn“, bemerkt Axel Hütte. Das kann in Griethausen sein, wo ihn 1999 das gekreuzte Eisengitter einer Brücke faszinierte, oder in der Antarktis, wohin er erst in diesem Jahr reiste, um den graublauen Himmel über im Meer treibenden Eisstücken aufzunehmen.

Zwischen weißen und dunkelblauen Wänden geht es in dieser Ausstellung um etwas, was Kurator Ralph Goertz „geistigen Raum“ nennt. Der Blick darf endlich einmal ruhen – sogar auf Bildern, die sich sanft bewegen wie Axel Hüttes Video der Lichter von Detroit. Tatsächlich hatte der junge Mann in den 1970er-Jahren zwei Semester in der Filmklasse der Düsseldorfer Akademie studiert, bevor er zur Fotografie wechselte und einer der frühen Schüler der berühmten Düsseldorfer Becher-Klasse wurde.

Die Kunst in der Natur entdecken

Aber bei einem reifen Künstler ist der obligatorische Rückblick auf die Ausbildung eigentlich absurd. Als ob das eine Rolle spielte. Was zählt, ist das Werk in seiner Stille und Schönheit.

Wir sehen, wie wuchernde Zweige sich spiegeln in den dunklen Wassern des Rio Negro, während der Dschungel im Hintergrund undurchdringlich bleibt. Wir sehen, wie blaue Fensterlichter funkeln an einem Hochhaus in Kuala Lumpur. Wir erkennen die konstruktivistischen Strukturen von ganz gewöhnlichen Brücken-Stahlträgern in Japan oder Australien. Wir wandern in den Dunst eines italienischen Waldes mit kahlen und abgebrochenen Bäumen.

In schwarzer Nacht liegt der Hügel von Bourg St. Maurice in Frankreich, nur ein Schimmer deutet auf menschliche Behausungen. Irgendwo bei Ingelheim scheinen Büsche zwischen Fluss und weißem Himmel zu schweben, und ein wirres „Geäst“ erinnert an die Strukturen des Abstrakten Expressionismus.

Axel Hütte ist auch ein Entdecker der Kunst in der Natur und im profanen Bauwerk. Seine Bilder zeigen Phänomene, verbreiten Atmosphäre, sie erzählen keine Geschichten. Man müsste gar nicht wissen, wo er sie aufgespürt hat. Aber die Namen der Orte, die uns bereitwillig genannt werden, setzen bei jedem Betrachter eine eigene Fantasie frei. Und auch das ist ein Teil von Kunst.

Information:

„Axel Hütte: Night and Day“: bis 14. Januar 2018 im Düsseldorfer Museum Kunstpalast, Ehrenhof. Di.-So. 11 bis 18 Uhr, Do. bis 21 Uhr. Eintritt: 12 Euro. Katalog 39,90 Euro. www.smkp.de

Parallel wird in Bottrop das Frühwerk (1978-95) von Axel Hütte gezeigt. Neben Porträts von Kollegen interessierten Hütte damals insbesondere architektonische Formationen, wie Treppenhäuser und Flure in Mietshäusern der Nachkriegszeit, U-Bahnhöfe in Berlin, Gebäude und Plätze in London, Venedig und Paris. Di-Sa. 11 bis 17 Uhr, So. 10 bis 17 Uhr. Eintritt: 6 Euro. Katalog: 38 Euro. www.bottrop.de/mq




Wenn markante Gebäude nicht mehr ohne Weiteres fotografiert werden dürfen…

Ich behaupte ja gern mal, dass manchen Politikern von Berlin bis Brüssel ein gewisser Hang zur realitätsfernen Naivität nicht abgesprochen werden kann. Bei Kommissären der Europäischen Union ist das nicht anders – oder sogar noch ausgeprägter? Ein Urheberrecht ist nicht nur eine feine und absolut zu befürwortende Sache, gerade in Zeiten der Weltweitnutzung von Bildern via facebook und anderer sozialer Netzwerke. Aber man kann bei Anpassungen dieser Rechtsvorschriften an aktuelle Medialität auch derartig übers Ziel hinaus schießen, dass es absurd wird.

Künftig ein urheberrechtlich geschütztes Panorama? Dortmunder Innenstadt mit Bibliothek und RWE Tower. (Foto vom 29.10.2010 - Bernd Berke)

Künftig ein urheberrechtlich geschütztes Panorama? Dortmunder Innenstadt mit Bibliothek und RWE Tower. (Foto vom 29.10.2010 – Bernd Berke)

Angenommen, nur mal angenommen, die in Deutschland übliche „Panoramafreiheit“ würde aufgrund der EU-diskutierten Vorschriftsänderung fallen, dann wird es aber kritisch für jeden, der gern fotografiert und schon gar für alle, die das hauptberuflich unternehmen. Alle urheberrechtlich geschützten Fassaden neuerer Provenienz, jede urheberrechtlich geschützte achitektonische Leistung innerhalb eines Stadtgebildes, jede Beleuchtungsinstallation, die einen solchen Schutz für sich in Anspruch nehmen kann, birgt dann Abmahn-Gefahren ohne Ende. Die einschlägigen Kanzleien würden entzückt sein und eigene Abteilungen einrichten, die das Netz nach „Sündenfällen“ absuchen und flugs strafbewehrte Forderungen an jegliche Übertreter solcher Vorschriften versenden.

Auch bei Selfies wäre dann Vorsicht geboten. Schon heute gilt das beim Eiffelturm (Frankreich kennt keine Panoramafreiheit). Grinst man urlaubsfröhlich in die Linse und hat die ehrwürdige Stahlkonstruktion im Hintergrund, ist das tagsüber unproblematisch. Macht man das aber bei Nacht, wird’s kritisch. Denn die aktuelle Erleuchtung der Tour Eiffel ist nicht etwa seit dem 31. März 1889 (Eröffnungstag zur Pariser Weltausstellung) an Gustav Eiffels epochalem Werk installiert, sondern erst seit 2008. Wenn man solch ein Selfie dann postet, müssten streng genommen Gebühren an die Betreibergesellschaft SETE gezahlt werden.

Setzte sich die EU mit dieser schrägen Nummer durch, wäre dies eine praktische Folge: Das Foto mit der Dortmunder Reinoldikirche im Hintergrund stellt kein Problem dar. Wäre aber beispielsweise die Landesbibliothek im Vordergrund zu sehen, könnte Unbill drohen. „Die Zentralbibliothek der Stadt- und Landesbibliothek Dortmund, ein markantes Gebäude aus der Ideenwerkstatt des Schweizer Architekten Mario Botta, ist ein architektonisches Ereignis, ein Blickfang und ein ,Tor zur Stadt‘.“ So steht es im Webauftritt der Stadt Dortmund. Und in der Schweiz könnte man Urheberrechte vermuten.

Also, Finger weg in Bälde von Bildern mit solchen „Eingangstoren“ in eine Stadt. Sobald eine wirtschaftliche Nutzung aus dem Ablichten von dessen Formen resultiert, träte das Urheberrecht auf den Plan. Und da man mit dem Posten auf facebook jedes Nutzungsrecht an Mister Zuckerman abtritt… Auch das Atomium in Brüssel ist geschützt, das Guggenheim-Museum in Bilbao, das Empire State Building in New York, der Louvre in Paris – nur ein paar Exempel, an denen Urheberrechtsinhaber ein solches statuieren könnten.

Vielleicht gesellen sich nächstens zahllose neue Stätten dazu. Ich überlege, ob ich schnell mal Gebrauchsmusterschutz auf Klohäuschen mit eingesägtem Herzchen anmelde. Oder auf Fotografien, die ich von Schlaglöchern auf bundesdeutschen Straßen gemacht habe. Ehe mir da jemand zuvor kommt und mir Chancen nimmt, all‘ die Abmahnverfahren der Zukunft bezahlbar zu halten.

Aber mal im Ernst, ich frage mal so ganz naiv: Wie wird die Welt zukünftig davon erfahren, dass es großartige Gebäudearchitektur gibt, wenn sich keiner mehr traut, Bilder von ihr zu veröffentlichen? Nur aus autorisierten Katalogen?




„In Pittsburgh roch es wie in Oberhausen“ – Wim Wenders‘ Fotografien in Düsseldorf

Foto: Wim Wenders/Courtesy Blain Southern

„Dust Road in West Australia“ (1988) (Foto: Wim Wenders/Courtesy Blain Southern)

Weit sind diese Landschaften, leer und von einem überdimensionalen Himmel überspannt: Die Handschrift des Filmemachers Wim Wenders drückt sich kongenial auch in seinen großformatigen Fotografien aus. Noch bis Mitte August ist die Ausstellung „4 REAL & TRUE 2“ des gebürtigen Düsseldorfers Wenders im Museum Kunstpalast in der NRW-Landeshauptstadt zu sehen.

Interessanterweise beobachtet Wenders „Menschenleere“ nicht nur in Weltgegenden wie dem Mittleren Westen der USA oder der australischen Wüste, die naturgemäß dünn oder gar nicht besiedelt sind. Er schafft diesen Eindruck auch in Fotos aus Japan oder Israel, in denen durchaus menschliche Ansiedlungen zu sehen sind, doch auch hier von Ferne, aus der Distanz.

Manchmal schlägt die Naturbetrachtung sogar ins Idyll um und nimmt Caspar David Friedrichsche Züge im Medium der Fotografie an. Die Landschaft selbst scheint zu sagen „Seht her, wie schön ich bin.“ Ganz ohne den Hinweis eines menschlichen Vermittlers, der dem Betrachter die Naturwunder erst erklären muss. Und so wirft man als Museumsbesucher einen ganz neuen und unverbrauchten Blick auf die Elblandschaft im Sommer oder die Morgendämmerung über dem See Genezareth.

Doch wohnt allen Bildern ebenso das narrative Element des Filmemachers inne, denn nahezu zu jedem gibt es eine Geschichte. „Der Weg nach Emmaus“ zeigt einen Pfad durch eine Gebirgslandschaft, sonst nichts. Trotzdem ist die Fotografie aufgeladen mit biblischer Geschichte, im Kopf des Betrachters laufen die Szenen der Begegnung von Jesus und seinen Jüngern ab, obwohl von ihnen auf dem Foto gar nichts zu sehen ist.

Ähnlich verhält es sich mit Wenders‘ Bildern von Ground Zero in New York: Die Sonne bricht durch die Wolken und beleuchtet zerstörte Hochhäuser und Krater im Boden; als Betrachter erinnert man sich sogleich an 9-11 und verknüpft die Ruinen unweigerlich mit der Tragödie der Terroranschläge. Absolut unheimlich sind Wenders‘ Bilder aus Fukushima nach der Reaktorkatastrophe, denn sie zeigen die unsichtbare radioaktive Strahlung als wellenförmige Linie auf der Fotografie. Wenders hat diese „Zerstörung“ der Fotos erst nach seiner Rückkehr aus Japan entdeckt.

In Armenien hat Wenders ein verlassenes und halb kaputtes Riesenrad fotografiert, das auf einem freien Feld steht. Hier erzählt erst der Gegenschuss die ganze Story: An der gegenüberliegenden Wand zeigt sein Foto eine verlassene russische Kaserne; mit den Soldaten ist auch ihr Vergnügungspark obsolet geworden.

Eine Entdeckung mit lokalem Bezug waren für mich die Wenders-Fotos aus einem Eisenbahntunnel in Wuppertal: Sie zeigen bunte Graffiti-Männchen – gemalt von den Zwillingen Os Gemeos aus Sao Paulo – deren leuchtende Gesichter in der Schwärze des Tunnel kontrastreich aufscheinen und irgendwie rührend wirken, als habe man die kleinen Gespenster bei ihrem geheimen Treiben im Dunkeln überrascht.

Und auch an das Ruhrgebiet denkt Wenders: In Schwarz-Weiß hat er eine (etwas trostlose) Straßenecke in Pennsylvania fotografiert, der Text dazu lautet: „In Pittsburgh roch es genauso wie in Oberhausen im Ruhrgebiet, wo ich aufgewachsen bin.“




Detlef Orlopps starke Strukturen und Plakate aus der DDR im Essener Folkwang-Museum

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Nur Struktur. Das Bild heißt „2.8.1987“ (Foto: Museum Folkwang/Detleff Orlopp)

In der Malerei wären solche Bilder etwas Vertrautes. Viele von ihnen zeigen gleichmäßige Oberflächen, sind monochrom und wirken in der Hängung schnell wie Serien. Vielleicht würde man, wäre es Gemaltes, von „konkreter Kunst“ sprechen, vielleicht auch könnte man in ihnen Totalübermalungen im Stil Gerhard Richters zu erkennen glauben.

Tatsächlich jedoch sind die rund 160 Bilder Fotografien und zeigen sorgfältig abgelichtete Strukturen in urwüchsigen Landschaften oder auf bewegten Wasseroberflächen. Sie entstanden in einem Zeitraum von rund 60 Jahren, ihr Schöpfer ist der Fotograf Detlef Orlopp, dem das Essener Folkwang-Museum jetzt eine große Werkschau ausrichtet. Die Bilder entstammen einem Ankauf von rund 500 Arbeiten, den das Museum 2012 tätigte.

Detlef Orlopp, 1937 in Westpreußen geboren, gehörte zu den ersten Schülern Otto Steinerts, der als Fotolehrer zunächst in Saarbrücken, später in Essen die „subjektive Fotografie“ begründete. Und wenn man nun in Essen Orlopps Arbeiten sieht, mag man das kaum glauben. Denn schon seine seriellen Portraitreihen, die er in den frühen 60er Jahren beginnt, prägt offenkundig der Versuch, die subjektive Handschrift des Lichtbildners durch formale Einheitlichkeit verblassen zu lassen.

Orlopps Landschaften aus jener Zeit indes lassen das Topographische, das Ortstypische noch erkennen, zeigen Bergspitzen und Felswände, Dünenformationen und Küstenlinien. Man ahnt die Wucht der urwüchsigen Natur, doch „beweist“ der Fotograf sie nie, etwa durch Größenvergleiche mit Spuren zierlicher Zivilisation. Die minimalistische Kunstrichtung Zero, so Kurator Florian Ebner, habe Orlopp in seinen frühen Schaffensjahren sehr beeinflusst. Man glaubt es, sieht man seine Bilder, gern.

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„4.9.1966“ (Foto: Museum Folkwang/Detlef Orlopp)

In den folgenden Jahrzehnten entstehen Arbeiten, die noch radikaler sind. Sie zeigen ausschließlich rhythmische Struktur und sind nicht mehr verortbar. Seriell reiht Orlopp das Ähnliche aneinander , was dieser Ausstellung in den angenehm zurückhaltenden Räumlichkeiten des Folkwang-Neubaus geradezu meditativen Charakter verleiht. Doch auch wer hier nicht die Seele schweben lässt, ist tief beeindruckt von der Vielfalt der wahrgenommenen Strukturen und von der vielen (Fotografier-) Arbeit, die in dieser Ausstellung steckt. Übrigens entstanden alle Abzüge – die meisten von ihnen im lange Zeit größten Konfektionsmaß 50 x 60 Zentimeter – sämtlich noch auf traditionelle Weise als Bromsilbergelantine-Abzüge in der Dunkelkammer.

Der serielle Charakter des Oeuvres lässt einen an die Bechers denken, die es mit ihren fotografischen Reihungen von Industrieanlagen, Fachwerkhäusern usw. zu Weltruhm brachten. Interessanterweise machte Orlopp von 1952 bis 1954 eine Fotografenlehre in Siegen, der selben Stadt, in der der sechs Jahre ältere Bernd Becher das Licht der Welt erblickt hatte. Gleichwohl war ihrer beider künstlerischer Werdegang höchst verschieden, haben sich die kreativen Lebensbahnen wahrscheinlich nie gekreuzt.

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„Helen von B., 8.10.1963“ (Foto: Museum Folkwang/Detlef Orlopp)

Der vorzügliche Katalog zur Ausstellung übrigens wurde, eine Besonderheit, auf zwei verschiedenen Papiersorten gedruckt. Frühe Bilder erscheinen in Hochglanz und reinem Weiß, spätere mit einem Hauch von Sepia auf mattem Papier. So kommt der Druck den Vorlagen besonders nahe. Ältere Fotografen fühlen sich bei dieser Materialwahl an die traditionsreichen Agfa-Fotopapiere „Brovira“ und „Record rapid“ erinnert.

Plakate aus der DDR 1949 – 1990

Die andere neue Ausstellung im Essener Folkwang-Museum hat mit der ersten nur Ort und Zeit gemein. Sie zeigt „DDR-Plakate 1949 – 1990“, ein Gutteil des Materials kommt von der Berliner Stiftung Plakat Ost.

Ja, auch in der DDR wurde geworben – für die richtige Politik und gegen den Klassenfeind, gewiss, aber ebenso für Kino und Theater und auch für die Waren, die beispielsweise der „Konsum“ für die Werktätigen (oft leider nicht) bereithielt.

Werbung hatte in der Mangelwirtschaft der DDR immer die Aura des Absurden. Und sie galt als ungelenk, über „Plaste und Elaste aus Schkopau“, die mit schäbigem Schild an einer Brücke beworben wurden, haben Generationen von westdeutschen Transitautobahnbenutzern gelacht. Gleichwohl entstand in der DDR eine Vielzahl vorzüglicher Plakate. Manche davon waren auch im Westen bekannt, wie die schwungvolle Erweiterung des „MM“-Logos der Leipziger Messe zu einem Pärchen mit Koffern, das energisch durch das Bild strebt, der Messe entgegen vermutlich. Es entstand schon 1956, seine Schöpfer waren Margarete und Walter Schultze.

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Klaus Wittkugel: „Kunst im Kampf“. Plakat zur Ausstellung der deutschen Akademie der Künste, 1962 (Foto: Museum Folkwang/VG Bild-Kunst, Bonn)

Viele klassenkämpferische Arbeiten mit roten Fahnen und geballten Fäusten, für den sozialistischen Aufbau und gegen die Bonner Kriegstreiber, sind fachlich und ästhetisch ausgesprochen gelungen. Es ist Plakatkunst im Stil der Zeit, der auf beiden Seiten der immer stärker befestigten Staatsgrenze recht ähnlich war. In den Siebzigern hielt vereinzelt die Pop Art Einzug ins DDR-Plakatschaffen, beispielsweise in der Werbung für Ulrich Plenzdorfs auch im Westen stark beachteten Film „Die Legende von Paul & Paula“ mit Angelica Domröse und Winfried Glatzeder. Auf den ersten Blick wirkt das wie ein Entwurf von Heinz Edelmann, der das Cover der Beatles-Platte „Yellow Submarine“ gestaltete. Doch der tatsächliche Schöpfer hieß Klaus Vonderwerth.

Die jüngsten Plakate stammen aus der Zeit, als es die DDR fast schon nicht mehr gab. 1990 bewarb das Bündnis 90 einen gewissen Jochen Gauck mit dem Slogan „Freiheit – wir haben sie gewollt – wir gestalten sie!“ – „Tatkräftig – zuversichtlich – mit norddeutschem Profil“ steht außerdem noch auf dem Plakat, was immer mit Letzterem gemeint ist.

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Jürgen Freeses Plakat „Nürnberg schuldig!“ von 1946 ist sogar um einiges älter als die DDR. (Foto: Museum Folkwang)

„Anschläge von ,Drüben’“, so der Titel der Plakatausstellung mit dem heutzutage wohl unvermeidlichen Doppelsinn, ist nicht zuletzt eine Einladung zum Nachdenken über den anderen deutschen Staat, den es eben auch einmal gab und den viele am liebsten einfach vergessen wollen. Bilder aus einer untergegangenen Welt mithin. Das wäre fast schon ein Plakatmotiv.

  • Detlef Orlopp: „Nur die Nähe – auch die Ferne. Fotografien“. Katalog 34 €.
  • „Anschläge von ,Drüben’. DDR-Plakate 1949 – 1990“. Katalog 20 €.
  • Beide Ausstellungen: Bis 19. April 2015, Di-So 10-18 Uhr, Do u. Fr 10-20 Uhr, Eintritt 5 €.
  • Museum Folkwang, Museumsplatz 1, Essen
  • www.museum-folkwang.de



Das Menschliche mit der Kamera suchen – Werkschau Herlinde Koelbls in Oberhausen

01 Schein und Sein, Andrea und Anita, München 2007 © Herlinde Koelbl

Schein und Sein, Andrea und Anita, München 2007. (Foto: Ludwiggalerie Schloß Oberhausen/Herlinde Koelbl)

Von Angela Merkel wird berichtet, dass sie die Fototermine mit Herlinde Koelbl in den ersten Jahren nicht so sehr schätzte. Nach einiger Zeit jedoch änderte sich das; dann habe sie ihre Sekretärin ab und an schon mal gefragt „War die Koelbl dieses Jahr eigentlich schon hier?“ Herlinde Koelbl erzählt es mit der ihr eigenen Fröhlichkeit, als sie sagen soll, wie sie denn so zurechtkomme mit den Mächtigen der Republik.

Gut kommt sie mit den Mächtigen zurecht, mit der Kanzlerin ebenso wie seinerzeit mit Joschka Fischer, Gerhard Schröder und etlichen anderen. Für ihre über Jahrzehnte laufende Arbeit „Spuren der Macht“ hat sie sie alle portraitiert, Jahr für Jahr, manche ein rundes Vierteljahrhundert lang. Nun hängen viele der Bilder in der Ludwiggalerie und erzählen vor allem vom Älterwerden. Und wer genauer hinguckt, erkennt vielleicht auch leichte Verschleißspuren. Doch alles in allem haben sich die Portraitierten gut gehalten – und Herlinde Koelbl wäre auch nicht der Typ, der um des Effekts willen mit der Kamera nach Kaputtheit und Ruin suchte. Die Fotografin schätzt das Positive, wie ihre große Werkschau auf drei Etagen jetzt erneut beweist.

02 Herlinde Koelbl, 2014 © Johannes Rodach

Die Fotografin Herlinde Koelbl, 2014 (Foto: Ludwiggalerie Schloß Oberhausen/ Johannes Rodach)

In Oberhausen gibt es ein Wiedersehen mit den Serien, die Herlinde Koelbl in den 70er und 80er Jahren bekannt machten: „Kinder“, „Männer“ und „Starke Frauen“, Blicke in „Das deutsche Wohnzimmer“, Blicke in die Schlafzimmer dieser Welt, auch in die einiger Prominenter. Da sehen wir dann zum Beispiel, dass das Bett des kolumbianischen Bildhauers Fernando Botero und seiner Frau von zwei prallen, überlebensgroßen, typischen Botero-Skulpturen flankiert ist. Erkennbar lebt der Meister in geradezu symbiotischer Nähe zu seinem Werk.

In einer weiteren Serie blicken wir in die Schreibzimmer deutschsprachiger Dichter – in das messihafte Chaos bei Friederike Mayröcker, in die klösterliche, nur mit Tisch und Stuhl möblierte Schreibklause Peter Handkes, in das voluminöse, aber gut geordnete Ambiente einer Christa Wolf. Ganz ähnlich hat die andere große Dame der deutschen Gegenwartsfotografie, Barbara Klemm, Künstler in ihrer Umgebung fotografiert – mit dem Unterschied, dass die Personen in Klemms Bildern anwesend sind. Trotzdem haben beide fotografische Positionen Ähnlichkeit, was für beidseitiges großes Einfühlungsvermögen spricht und daher letztlich nicht verwundern kann.

Mal sind Herlinde Koelbls Bilder eher klein und schwarzweiß, mal farbig, mal seriell gereiht, mal Einzelstücke. Warum mal so und mal so? Nun, die Freiheit nimmt sie sich eben und wählt den Stil, der ihr jeweils am besten zu passen scheint. Aus dem selben Grund auch werden einige Serien mit Interviewtexten ergänzt und andere nicht.

Am Anfang stand der Journalismus

Koelbls ungezwungener Umgang mit dem Formalen hat ihr hier und da allerdings den Vorwurf der Beliebigkeit eingetragen. Man weiß auch gar nicht so genau, als was man sie ansprechen soll: Bildjournalistin, Portraitistin, Konzeptkünstlerin? Ihre Anfänge jedenfalls haben eine unübersehbar journalistische Note. Die Schwarzweißbilder der „feinen Leute“ zum Beispiel, die zwischen 1979 und 1985 entstanden, zeigen die Lächerlichkeit vieler Rituale des sich selbst feiernden Blut- und Geldadels besonders deutlich, weil sie gut journalistisch zur richtigen Zeit am richtigen Ort in der richtigen Situation entstanden.

Spätere Koelbl-Arbeiten vermeiden den spontanen Beobachterstandpunkt; lieber spürt die Fotografin dem Menschlichen in mehr oder minder strengen formalen Setzungen nach und hütet sich vor allzu großer Nähe. Besonders radikal geschieht dies in ihrer Serie von Mündern. Ein machtvolles Tableau von 11 mal 13, mithin 143 gleich großen Mund-Bildern beherrscht den ersten Raum der Ausstellung.

Berühmte Serien und ein echtes Oberhausener Original

Haare und Körper sind ausgiebig ausgestellt, ebenso größere Teile der Serie „Kleider machen Leute“, die Menschen in Uniform und in Zivil zeigt und vor nicht allzu langer Zeit voll umfänglich in Dortmund zu sehen war. Ebenfalls sind einige ihrer „Jüdischen Portraits“ zu sehen.

Doch bietet die Oberhausener Schau mehr als ein sehenswertes „Best of“. Die Wand nämlich, auf der unter der Überschrift „Einmalige Begegnungen“ zahlreiche Promi-Fotos hängen, hat Herlinde Koelbl am Vorabend der Präsentation noch schnell mit Filzstift beschriftet, Name und Aufnahmejahr, Bild für Bild. So ist die Wand zu einem urigen Unikat geworden; man darf gespannt sein, ob es die Ausstellung überlebt.

Und woran arbeitet sie zur Zeit? Schon seit langem, antwortet die Fotografin, sei es ihre Gewohnheit, nicht über laufende Projekte zu sprechen. Auch eine „Lieblingsarbeit“ gebe es nicht. Fraglos liebt sie alle ihre Projekte, die in rund 40 Jahren entstanden. So unterschiedlich sie auch sind.

  • „Herlinde Koelbl – Fotografien von 1980 bis heute“, Ludwig Galerie Schloss Oberhausen. Bis 3.5.2015. Di-So 11-18 Uhr, Eintritt 8 €, Kombiticket m. Gasometer 11 €. Begleitheft (16 Seiten) 4 €. www.ludwiggalerie.de



Magische Momente mit „Magnum“ und mehr: Starker Start für C/O Berlin an neuer Stätte

Der einsame Mann, der sich auf dem Pekinger Platz des Himmlischen Friedens in todesmutiger Verzweiflung einer Panzer-Kolonne entgegenstellt und vergeblich versucht, ein Massaker zu verhindern. Che Guevara, der mit dem selbstbewussten Charme des siegreichen kubanischen Revolutionärs seine Zigarre pafft. Die lasziv auf einem U-Bahn-Luftschacht posierende Marilyn Monroe, deren Kleid im Wind flattert. Drei Momente, drei Bild-Ikonen, die sich ins kollektive Gedächtnis eingegraben haben.

Fotografen der berühmten Agentur Magnum haben im richtigen Moment auf den Auslöser ihrer Kameras gedrückt und die perfekte Synthese aus Sensibilität und Technik, Form, Zufall und purer Intuition geschaffen. Doch was geschah kurz vorher, und was sah der Fotograf kurz danach?

Die Kontaktbögen der Fotografen dokumentieren den Arbeitsprozess und die Entscheidung für den einen Moment und das perfekte Bild. Normalerweise werden diese Abzüge unter Verschluss gehalten. Dass sie jetzt unter dem Titel „Magnum Contact Sheets“ im Amerika Haus, der neuen Heimstatt der Fotogalerie C/O Berlin gezeigt werden, ist ein Tabubruch und eine kleine Sensation. Die grandiose Ausstellung gibt Einblicke in die Fotowerkstatt und wirkt wie ein Blättern im künstlerischen Skizzenbuch. Doch sie ist nur eine von vier Foto-Installationen, mit der C/O Berlin ihre frisch renovierte Herberge eröffnet.

Jahrelang war die international hoch angesehene Galerie auf Wanderschaft, hatte in einer leer stehenden Gießerei und im ehemaligen Postfuhramt in Berlin-Mitte neue Talente entdeckt und Bilder legendärer Künstler wie Annie Leibovitz oder Robert Mapplethorpe gezeigt. Nachdem ein Immobilien-Investor ihre letzte temporäre Bleibe aufkaufte, um sie profitabel zu vermarkten, zog C/O Berlin weiter, verließ das angesagte Szene-Milieu und landete ausgerechnet im West-Teil der Stadt, der seit der Wende als spießige Kunst-Einöde verpönt ist.

Doch nun, so scheint es, werden in Berlin die Kunst-Karten neu gemischt. Und C/O Berlin, inzwischen eine Stiftung mit einem 21 Jahre laufenden Mietvertrag, hat dem Amerika Haus, in dem einst den Berlinern Nachhilfestunden in Demokratie erteilt wurden, neues Leben eingehaucht. Es ist der passende Ort, um die Fotos von Will McBride zu präsentieren: „Ich war verliebt in diese Stadt“, sagt der inzwischen hoch betagte Fotokünstler, der in den 1950er Jahren aus Amerika nach Berlin kam und fasziniert war vom Freiheitsgefühl in der Frontstadt. Seine Schwarz-Weiß-Bilder zeigen eindringlich, wie zwischen Ruinen und Trümmerlandschaften neues Leben erblühte und eine freche und forsche Jugend sich Freiräume erkämpfte.

Luise Schröder und Hannah Petersohn, beide Jahrgang 1962, beschäftigen sich in „Arbeit am Mythos“ mit der Zerstörung Dresdens und übermalen fotografisch die Bilder von Tod und Leid. Bei „Picture Yourself“ schließlich können Besucher in eigens installierten Fotoautomaten Bilder im Stile der Magnum-Fotografen machen. Eine neckische Spielerei. Gespannt sein darf man, ob die Euphorie des Anfangs in die Niederungen des Alltags hinüber gerettet werden kann und C/O Berlin, nur einen Steinwurf vom maroden Bahnhof Zoo entfernt, ein dauerhafter Publikumsmagnet werden kann.

Alle erwähnten Ausstellungen bis zum 16. Januar 2015. C/O Berlin im Amerika Haus, Hardenbergstraße 22-24, täglich 11-20 Uhr, weitere Infos unter www.co-berlin.org

(P.S.: Die Illustrationen wurden Mitte Januar 2015 entfernt, weil die Leihgeber und Veranstalter das Publikationsrecht auf die Dauer der Ausstellung begrenzt haben).




Streng, schwarzweiß und einfühlsam – Fotografien von Barbara Klemm und Stefan Moses in der Küppersmühle

Neo Rauch hat sich beim Malen schmutzig gemacht und läuft, warum auch immer, aus dem Bild; und Willy Brandt steht im Wald. Den Leipziger Maler Neo Rauch hat Barbara Klemm 2011 fotografiert, den Altbundeskanzler Willy Brandt 1984 Stefan Moses. Auf den ersten Blick haben die beiden Fotografien wenig gemein. Doch beide eint, dass sie Portraits sind, dass berühmte Pressefotografen sie machten und dass sie jetzt in der Duisburger Küppersmühle in der selben Ausstellung hängen.

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Ikonen unter sich (wenn man so will): 1981 fotografierte Barbara Klemm Pop-Art-Ikone Andy Warhol vor Tischbeins berühmtem Goethe-Portrait. (Bild: Barbara Klemm/MKM)

Barbara Klemm, Jahrgang 1939, war viel Jahre lang Bildjournalistin bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, und sie machte Pressebilder, von denen einige zu Ikonen wurden. Neben dem tagesaktuellen Geschäft bearbeitete sie – und tut es zum Teil noch heute – Dauerthemen wie ihre Künstlerportraits oder Besucher in Kunstausstellungen. Arbeiten aus diesen beiden Serien sind nun in Duisburg zu sehen, ergänzt unter anderem mit einer kleinen Bildfolge über das Gesamt-Lichtkunstwerk Roden Crater, das der Lichtkünstler James Turrell in Arizona schuf. Stefan Moses, Jahrgang 1928, war unter anderem für den „Stern“ und die Fotoagentur Magnum unterwegs und portraitierte ebenfalls.

Formal zeigen die Arbeiten der beiden Fotoschaffenden Ähnlichkeit, zumal so, wie sie jetzt in Duisburg präsentiert werden. Bild hängt dicht neben Bild, und das ist an Strenge kaum zu überbieten. Durchgängig sind sie schwarzweiß, die Abzüge haben einheitliche, mittlere Größe, nichts wurde um des Effekts willen „aufgeblasen“. Doch davon abgesehen könnten die Unterschiede in der fotografischen Handschrift größer kaum sein.

Barbara Klemm, die es dank mehrerer Ausstellungen in den letzten Jahren zu einer gewissen Berühmtheit brachte, ist bekannt für ihren zurückhaltenden Stil, der die Totale dem engen Ausschnitt meistens vorzieht. Mit Distanziertheit sollte das nicht verwechselt werden. Mal um Mal arbeiten ihre Künstlerportraits die Individualität der Abgebildeten schlüssig heraus, manchmal geradezu auratisch. Einige blicken in die Kamera, andere wirken wie unbemerkt beobachtet. Eine Nadine Gordimer füllt fast das ganze Bildformat, während ein Umberto Eco in seinem Sessel im unteren Bilddrittel wegzusacken scheint. Natürlich ist die immer wieder wechselnde Proportionierung kein Ausdruck von Wertschätzung, sondern kluge, empathische fotografische Charakterisierung. Auch die eher dunkle Grundstimmung der Abzüge trägt zu dieser gleichsam analytischen Haltung bei, die nicht mit dem Neutralitätsstreben der Becher-Schule gleichgesetzt werden sollte.

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Bundeskanzler Willy Brandt steht im Wald; Stefan Moses lichtete ihn dort – im Siebengebirge – 1984 ab. (Foto: Stefan Moses/MKM)

Stefan Moses‘ Portraits sind demgegenüber kontrastreicher, knalliger, näher dran. In der Wald-Serie, in der auch Willy Brandt seinen Platz fand, stellte er Mitte der 80er Jahre deutsche Prominenz aus Politik und Kultur zwischen die Bäume und lichtete sie ab. In einer späteren, in Duisburg breit präsentierten Serie stellte er im Wendejahr 1989 gleichsam typische Vertreter der DDR-Werktätigen in die Hohlkehle und drückte drauf. Anscheinend strebte er danach, ähnlich wie in den 20er Jahren August Sander, die „typischen“ Vertreter einer Gesellschaft zu konservieren. Aus heutiger Sicht scheint der Versuch gelungen, wirkt diese Serie doch wie das Dokument einer versunkenen Welt. Denn Werktätige wie die „Facharbeiter für Tierproduktion“, die lachend und mit kleinen Schweinchen im Arm posieren, gibt es wahrscheinlich nicht mehr. Ebenso wenig die furchteinflößenden „Empfangsdamen“ aus Jena und etliche andere mehr.

Das bildjournalistische Schaffen, vor allem aus den Jahren nach der Wende im Osten Deutschlands, nimmt bei Stefan Moses vergleichsweise mehr Platz ein als bei Barbara Klemm. Das mag damit zu tun haben, dass deren beste Pressebilder in einer eigenen Ausstellung versammelt sind, die zuletzt im Berliner Gropius-Bau zu sehen war. An der Qualität jedoch liegt es nicht. Zwar ist Moses’ Portraitfotografie im Ansatz konventioneller, schwankt stärker zwischen Schnappschuss und Inszenierung, doch das hat immer wieder zu überzeugenden Resultaten geführt. Berühmt ist sein Bild des Staatsanwalts Fritz Bauer, der Mitte der 60er Jahre den ersten Auschwitz-Prozess initiierte; doch auch die Fotos aus der Familie Mann, von Marcel Reich-Ranicki und dessen Frau Teofila auf einem Bahnsteig oder, ganz stark, vom Theaterregisseur Fritz Kortner, sind von zeitloser Intensität.

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Besonders sehenswert sind in der Duisburger Ausstellung die Schwarzweißfotos, die Barbara Klemm 2004 vom Landschaftskunstwerk „Roden Crater“ des amerikanischen Lichtkünstlers James Turrell in Arizona machte. (Foto: Barbara Klemm/MKM)

In einem Zeitraum von mehr als 50 Jahren entstanden die jeweils rund 200 Fotografien, die jetzt in der Küppersmühle zu sehen sind, und für einen so großen Zeitraum sind sie erstaunlich homogen. Man sieht: Hier haben Zwei der Besten früh ihren Stil gefunden und gepflegt. Zudem lassen ihre Arbeiten die Disziplin erahnen, die den professionellen Pressefotografen frommt und unerbittlich von ihm fordert, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Und einen Film in der Kamera zu haben, hätte man früher noch gesagt. Heute reicht etwas Platz auf der Speicherkarte.

Barbara Klemm/Stefan Moses. Fotografien. Museum Küppersmühle MKM, Duisburg, Philosophenweg 55. Bis 18. Januar 2015. Mi 14-18 Uhr, Do-So 11-18 Uhr, Feiertage 11-18 Uhr. Eintritt: Wechselausstellungen 6 €, gesamtes Haus 9 €. Katalog (272 S., 238 Abbildungen) 29 €.

www.museum-kueppersmuehle.de

 




Ein Kapitel Foto-Geschichte: Bilder aus der Sammlung Ernst Scheidegger im Museum Folkwang

Der Blick eines Top-Fotografen: Henri Cartier-Bresson nahm dieses Motiv bei der Feuerbestattung Mahatma Gandhis 1948 auf. © Henri Cartier-Bresson / MagnumPhotos / Agentur Focus.

Der Blick eines Top-Fotografen: Henri Cartier-Bresson nahm dieses Motiv bei der Feuerbestattung Mahatma Gandhis 1948 auf. © Henri Cartier-Bresson / MagnumPhotos / Agentur Focus.

Das Folkwang Museum Essen zeigt seit heute eine Ausstellung mit rund 60 Fotografien aus der Sammlung des Zürcher Fotografen Ernst Scheidegger. Sie stammen aus einem Ankauf, den das Museum mit Unterstützung der Krupp-Jubiläums-Stiftung in diesem Jahr tätigen konnte. Anlass ist der 90. Geburtstag des Bildjournalisten und Künstlerfotografen am Samstag, 30. November.

Das Konvolut von Fotos, das nun zum großen Teil in der Sonderausstellung im Folkwang Museum zu sehen ist, stammt aus einer Schachtel, die Scheidegger jahrzehntelang verwahrt hatte. Darin sammelte er lose Abzüge, die er als junger Fotograf mit berühmten Kollegen tauschte. So erhielt er Bilder von Robert Capa, Henri Cartier-Bresson, Ernst Haas oder David Seymour. Im Januar 2013 öffnete er die Schachtel mit den Bildern seiner Freunde für Tobia Bezzola, den Direktor des Folkwang Museums. Zu den 86 angekauften Fotografien schenkte Scheidegger dem Folkwang Museum noch 25 eigene Bilder aus Burma.

Die wertvollen Vintage-Prints entstanden damals als Tauschobjekte unter Freunden – daher rührt auch der Titel der Ausstellung: „Bilder unter Freunden“. Unter ihnen finden sich Ikonen der Fotogeschichte wie Capas umstrittenes Bild „Fallender Soldat“, aber auch Reportagefotos etwa aus dem Japanisch-Chinesischen Krieg. Werner Bischof, Ernst Haas oder George Rodger spannen mit ihren Arbeiten ein weites Panorama der frühen Nachkriegsfotografie, etwa mit Aufnahmen aus dem Sudan oder dem Wien der vierziger Jahre. Von Henri Cartier-Bresson hängt unter anderem eine bestechend eingefangene Szene von der Verbrennung des Leichnams von Mahatma Gandhi 1948 in der Schau.

Sogar ein Motiv aus Essen ist unter den Bildern: Entstanden 1951, zeigt es einen Arbeiter an einer Mauer mit einer politischen Parole. Im Titel wird vermerkt, der Mann sei Mitglied einer Nazi-Jugendorganisation gewesen. Die Fotos sind teils im Pressebildformat 18×24, teils in größeren Formaten für Ausstellungszwecke abgezogen. Die Präsentation versteckt den Werkstattcharakter der ausgezeichnet erhaltenen Abzüge nicht hinter Passepartouts, sondern zeigt die Bilder in ihrem ursprünglichen Zustand, manche mit breiten unbelichteten Randstreifen.

Vielseitig tätiger Fotokünstler

EIn Foto von Ernst Scheidegger selbst, aufgenommen bei einem Initiationsfest in Burma. Es gehört zu den 25 Bildern, die der Fotograf dem Folkwang Museum Essen schenkte. © Fondation Ernst Scheidegger Archiv

EIn Foto von Ernst Scheidegger selbst, aufgenommen bei einem Initiationsfest in Burma. Es gehört zu den 25 Bildern, die der Fotograf dem Folkwang Museum Essen schenkte. © Fondation Ernst Scheidegger Archiv

Der aus Rorschach am Bodensee stammende Scheidegger hat ein Kapitel Fotogeschichte geschrieben. Einem Studium der Fotografie bei Hans Finsler an der Kunstgewerbeschule Zürich folgten Assistenzen bei Werner Bischof und Max Bill. Zwischen 1949 und 1952 verantwortete Scheidegger im Rahmen des Marshallplanes fünf internationale Foto-Ausstellungen. Vielfältig waren die Bereiche, in denen Scheidegger tätig war: Er fotografierte für die Agentur Magnum Photos, war 1959/60 Dozent an der Hochschule für Gestaltung in Ulm, verantwortete als Bildredakteur von 1960 bis 1988 die Wochenendbeilage der Neuen Zürcher Zeitung, für die er rund 200 Bildreportagen erstellte. Außerdem war Scheidegger auch als freier Filmregisseur, Verleger und Galerist tätig.

Ernst Scheideggers Archiv umfasst rund 80.000 Negative und 50.000 Diapositive, dazu Filme über Künstler und Reisereportagen. Seit 2011 pflegt die „Stiftung Ernst-Scheidegger-Archiv“ den von der Neuen Zürcher übernommenen Archivbestand, inventarisiert und digitalisiert die Bilder. 2013 erschien im Verlag Scheidegger & Spiess eine Neuausgabe des Buchs „Alberto Giacometti. Spuren einer Freundschaft“ mit rund 30 bisher unveröffentlichten Farbfotografien. Scheidegger hatte Giacometti schon als junger Mann kennengelernt und 1964 bis 1966 einen preisgekrönten Film über den Künstler gedreht.

Die Ausstellung „Bilder unter Freunden – die Sammlung Ernst Scheidegger“ im Folkwang Museum Essen wird bis 16. Februar 2014 gezeigt. An den vier Adventswochenenden ist der Eintritt in das Museum frei. Geöffnet ist das Folkwang an diesen Tagen von 10 bis 18 Uhr.




Dortmund damals: Beim Betrachten alter Bilder aus der Heimatstadt

Manchmal entdecke ich im Internet Vorlieben wieder, die zwischendurch geschlummert haben. Da gibt es z. B. intelligente Schwärme, die schöne, noch schönere oder gezielt hässliche Worte aufspüren, was sich mitunter als Hauptspaß, seltener auch als Tiefsinn erweist. Doch hier und jetzt geht es um alte, zuweilen nostalgische Fotos aus meiner Heimatstadt Dortmund.

Bei Facebook und wohl auch in anderen Netzwerken tummelt sich dazu die eine oder andere Interessengruppe, die mit Fleiß und Akribie bei der Sache ist. Eine hat sogar rund viertausend Mitglieder: Man kann dort quasi keinen Pflasterstein oder Grashalm aus der Stadt posten, den nicht irgend jemand wiedererkennen, exakt benennen und mit historischen Hintergrundinfos anreichern könnte.

Da gibt es Leute, die sich mit lokalen Details offenbar mindestens ebenso gut auskennen wie Stadtarchivare, Regionalhistoriker oder Fachleute vom Katasteramt – und das nicht aus Pflicht, sondern aus Leidenschaft, die bekanntlich bei jeder Anstrengung Flügel verleiht. Amateure, so kann man hier mal wieder sehen, sind keineswegs Dilettanten. Sie heben denn auch ungeahnte Bilderschätze.

Ich selbst habe als Kind kaum fotografiert – und erst recht nicht als Jugendlicher. Das galt damals als „uncool“. Schade drum, sonst hielte man heute die eine oder andere Erinnerung mit städtischem Kolorit in den Händen. Von digitaler Dauerknipserei ahnte man noch nichts.

Nicht nur, aber auch wegen dieses Defizits habe ich heute ein Faible für historische Fotos aus der Stadt – ungefähr zwischen 1860 und 1980 ist so manches An- und Aufregende zu finden. Den jeweiligen Zeitgeist kann man geradezu einatmen oder aus den Bildern trinken.

Wie sich die Straßen und ganze Stadtteile gewandelt haben! Welche (hie und da noch dörfliche) Beschaulichkeit oder Pracht in der oder jener Ecke früher geherrscht hat! Wie glanzvoll war ehedem die Kaiser-Wilhelm-Allee, die heute als Hainallee vergleichsweise kümmerlich wirkt. Wie schmuck war die Hohenzollernstraße in der östlichen Innenstadt. Auch da zeugen nur noch Restbestände von damals. Wie weh wird einem zumute, wenn man all die tiefen Wunden sieht, die dann die Bomben des elenden Weltkrieges gerissen haben. Von den Menschenleben natürlich ganz zu schweigen.

Danach war Dortmund – ehedem freie Reichsstadt und Hansestadt – zwar keine geschichtslose, doch in weiten Teilen eine gesichtlose(re) Stadt: Die sozialdemokratische Abrisswut zur Schaffung von Verkehrsschneisen tat nach 1945 ein übriges. Und heute wanken manche denkmalgeschützten Bauten, wenn ein Großinvestor winkt.

Über lange Zeiträume betrachtet, blieben im Stadtplan lediglich Grundstrukturen wie etwa der Wallring, der Hellweg oder (bedeutend kleinteiliger) das Rund des Borsigplatzes erhalten. Auch die Westfalenhalle und die großen Sportstätten haben immerhin über einige Jahrzehnte nicht ihre Gestalt, wohl aber ihren Platz behauptet.

Ein besonders eigentümliches Gefühl beschleicht einen dann, wenn man alte Fotos aus dem Viertel sieht, in dem man aufgewachsen ist; womöglich gar noch aus der passenden Zeit. Häuser, die man damals gar nicht richtig beachtet hat (als Kind hat man ja auf „Jugendstil“ und dergleichen gepfiffen), wirken da auf einmal wie Persönlichkeiten oder gar wie Freunde, die über all die Jahre hinweg immer da gewesen sind. Es ist, als könnte das Spiel von neuem beginnen.

Man kann den historischen Bildern schon beim flüchtigen Hinsehen einige generelle Erkenntnisse entnehmen, die so ähnlich für viele Städte gelten dürften. Man vergleiche: Nicht nur die Autos haben die ehedem unverstellten Straßen schrecklich überwuchert, auch das Fernsehen hat zwischenzeitlich verheerend gewirkt, weil seither abends weniger Menschen die Stadt bevölkert haben.

Staunenswert war allein schon die Vielzahl der Dortmunder Caféhäuser und Amüsierbetriebe, etwa in den 20er Jahren. In den 50ern hatte dann nahezu jeder Vorort sein eigenes Kino – und nun schaue man sich die heutige Situation an. Bis in die 1960er Jahre hinein gibt es Bilder, die von einer vollen Innenstadt zeugen, in der ganz offensichtlich mehr Betrieb war als heute.

Speziell in Dortmund und dem Ruhrgebiet zeigen sich selbstverständlich die Monumente der alten Industrie – Zechen, Stahlwerke, Brauereien. Doch nicht nur das. Welch ein imposantes Theater hat es einst in dieser Stadt gegeben, welch einen prächtigen Amüsierpalast am Fredenbaum, welch einen repräsentativen Hauptbahnhof! Und welch eine großartige Synagoge, die 1938 von braunen Horden ruchlos zerstört wurde!




Die harte Gangart der Fotografie – Bilder von Weegee in Oberhausen

Immer `ran, gleich` ran: Wenn Weegee ein starkes Bildmotiv sieht, so hält ihn nichts mehr auf Distanz.

Dann rückt der Pressefotograf den Mördern, Opfern, Cops und Underdogs im New York der 1930er und 1940er Jahre ganz dicht auf den Leib und drückt sofort ab. Menschen, deren Behausung gerade in Feuersbrünsten niederbrennt, hält er die Kamera mitten in die entsetzten Gesichter.

Weegee: "Der Erkennungsdienst bei der Arbeit", 1941 (© Weegee/Institut für Kulturaustausch, Tübingen 2013)

Weegee: „Der Erkennungsdienst bei der Arbeit“, 1941 (© Weegee/Institut für Kulturaustausch, Tübingen 2013)

Seit 1935 als Freelancer tätig, kann sich der Autodidakt keine Sentimentalitäten erlauben. Er muss die besten, unmittelbarsten Bilder haben, sonst würden die sensationsgierigen Zeitungen sie nicht kaufen. „Murder is my business“, sagt Weegee einmal.

Die heute noch hinreißenden Ergebnisse seiner Arbeit sind jetzt in der Ludwiggalerie Schloss Oberhausen zu sehen. Die Dokumente werden längst als Kunstwerke wahrgenommen. Es liegt nicht am bloßen Verstreichen der Zeit und an der generellen musealen Aufwertung der Fotografie, sondern an wahrhaftigen Qualitäten dieser Schwarzweiß-Bilder. Die rund 100 Exponate stammen aus dem Fundus des Instituts für Kulturaustausch in Tübingen, aus dem Christine Vogt und ihr Oberhausener Team eine schlüssige Auswahl zusammengestellt haben. Übrigens gab’s im Ruhrgebiet noch nie eine Weegee-Schau.

Delinquenten verbergen ihre Gesichter: Charles Sodokoff und Arthur Webber, 1942 (© Weegee/Institut für Kulturaustausch, Tübingen 2013)

Delinquenten verbergen ihre Gesichter: Charles Sodokoff und Arthur Webber, 1942 (© Weegee/Institut für Kulturaustausch, Tübingen 2013)

Weegees Art zu fotografieren (buchstäblich Bilder zu „schießen“) glich einem gewaltsamen Akt. Und so wirken die Aufnahmen denn auch auf den ersten Blick. Vom krassen Blitzlicht hart und grell konturiert, unerbittlich realistisch. Doch man weiß, dass Weegee zuweilen manch ein Detail eigenhändig arrangiert hat (so stellte er etwa nach einem Mord beim Bocciaspiel die Bocciakugeln „dekorativ“ in den Vordergrund), dass er Ausschnitte mit Bedacht wählte. Auch hat er Verbrechensopfer nicht in aller möglichen Drastik gezeigt, sondern ihnen einen Rest von geradezu ästhetischer Aura gelassen. In Wien würde man vielleicht sarkastisch sagen „A schöne Leich’“.

Vor allem aber hatte Weegee – mitten im heißesten Moment – ein untrügliches Gespür für wirksame Komposition und Dynamik. Wer heute versucht, den Augenblick mit schier endlosen Reihen von Digitalbildern zu fangen (Motto: Ein Gutes wird schon darunter sein), macht sich keinen Begriff davon. Damals, in der Zeit der Plattenkameras, mussten gleich die allerersten Bilder „sitzen“. Umso erstaunlicher, dass viele inzwischen den Status von Klassikern haben. So auch jenes umwerfende Bild von der gaffenden Menge, die uns auch auf unseren eigenen Voyeurismus verweist. Wir schauen Zuschauern beim Zuschauen zu, ganz fasziniert.

Oft war Weegee (1899-1968, bürgerlich Arthur Fellig) früher am Tatort als die Polizei selbst. Ab 1938 mit der offiziellen Genehmigung versehen, den Polizeifunk abhören zu dürfen, raste der besessene Nachtarbeiter sofort los, um gleichsam auf frischer Tat zugegen zu sein. Was er dann auf Platte bannte, wäre heute und zumal in Europa so nicht mehr publizierbar. Aber damals herrschten andere Gesetze. Und in den USA geht es ohnehin anders her.

Polizei beendet Straßendusche der Kinder, 1944 (© Weegee/Institut für Kulturaustausch, Tübingen 2013)

Polizei beendet Straßendusche der Kinder, 1944 (© Weegee/Institut für Kulturaustausch, Tübingen 2013)

Schnell wurde der im heute polnischen Złoczew geborene Fotograf, der 1910 als Kind in die USA gekommen war, bekannt und kultivierte ein entsprechendes Image, nannte sich höchst selbstbewusst „Weegee – The Famous“ und zeigte sich gern als zerknautschter harter Kerl, allzeit mit Zigarre im Mundwinkel. Als Zeitgeist-Typus der Hardboiled-Ära hätte er jederzeit in einem Marlowe-Roman von Philip Chandler auftauchen können (wenn die nicht in Los Angeles spielen würden).

Eines seiner Fotos zeigt das unglaublich überfüllte Badeufer von Coney Island. Die vielen, vielen Menschen schauen hinauf zur Kamera, Weegee steht offenbar auf einem Podest inmitten der Massen. Er ist das Gegenteil eines „unsichtbaren“ Fotografen, der heimlich auf Motive lauert. Weegee wirft sich geradezu hinein in die Situation oder stellt sich beherrschend über sie. Dass er auch subtile, ja ätherische optische Sensationen zu erfassen weiß, zeigen seine Bilder von Stadtstrukturen, etwa vom mysteriösen Schattenwurf unter der Hochbahn.

Unter der Hochbahn, Bowery, o. J. (© Weegee/Institut für Kulturaustausch, Tübingen 2013)

Unter der Hochbahn, Bowery, o. J. (© Weegee/Institut für Kulturaustausch, Tübingen 2013)

Manche haben versucht, Teile seines Werks sozialkritisch zu interpretieren. Tatsächlich hat er ja die Schattenseiten der Gesellschaft gezeigt, hat Huren, Stripperinnen, Verbrecher, Säufer, Obdachlose oder auch die diskriminierten Farbigen in Harlem abgelichtet, doch wohl weniger aus edelmütigen politischen Antrieben. Er hat sich just in die harte Wirklichkeit begeben und dort Anzeichen sozialer Tatsachen vorgefunden, sofern man sie überhaupt sichtbar machen kann. Bei einem Fotografen mit dieser formalen Könnerschaft werden eben gültige Szenen daraus. Die Verhältnisse, sie waren so.

Ostersonntag in Harlem, 1940 (© Weegee/Institut für Kulturaustausch, Tübingen 2013)

Ostersonntag in Harlem, 1940 (© Weegee/Institut für Kulturaustausch, Tübingen 2013)

So auch bei einem seiner berühmtesten Bilder, das zwei schwerstreiche Damen beim Gang in die Oper zeigt und die Aussage noch mit einem Trick steigert: Eine völlig desolat wirkende „Kritikerin“, die als Kontrastfigur auftritt, soll Weegee eigens angeheuert und unter Alkohol gesetzt haben. So obszön wirkte demgegenüber der zur Schau gestellte Reichtum, dass die Nazis das Bild zu perfiden Propagandazwecken nutzen und auf in Italien abgeworfenen Flugblättern die US-Soldaten hinterhältig fragten: „GI’s, is this what you’re fighting for?“ – „Dafür wollt ihr kämpfen?“

"Kritik", 1943 (© Weegee/Institut für Kulturaustausch, Tübingen 2013)

„Kritik“, 1943 (© Weegee/Institut für Kulturaustausch, Tübingen 2013)

Einmal prominent und wohlhabend, ließ es Weegee bequemer angehen. Er unternahm Europa-Reisen, verlegte sich vor allem auf Star-Fotografie und porträtierte etwa Louis Armstrong, Marilyn Monroe, Salvador Dali, Jackie Kennedy oder auch das verzückte weibliche Publikum des Frank Sinatra. Man wähnt sich hier beinahe schon in einem Konzert der Beatles mit hysterischem Kreischen und massenhaften Mädchen-Ohnmachten.

Auch Weegees Selbstinszenierungen weisen ja schon gelegentlich voraus auf Phänomene der 60er Jahre. Nicht ausgeschlossen, dass ein Mann wie Cassius Clay alias Muhammad Ali („I am the greatest“) einige seiner Imponier-Posen von einem wie ihm gelernt hat. Bei beiden, so wissen wir, steckte wirkliche Substanz hinter dem Gehabe. Und wie!

Sollte Weegee gar ein Vorvater der Pop Art gewesen sein? Ein Bild, auf dem er sich mit Andy Warhol zeigt, könnte die Vermutung nahelegen. Doch wie verschieden sind diese beiden Typen! Ein jeder steht für seine Zeit.

Weegee – The Famous. Fotografie. Bis 8. September 2013 in der Ludwiggalerie Schloss Oberhausen, Konrad-Adenauer-Allee 46. Geöffnet Di-So 11-18 Uhr, Mo geschlossen. Eintritt 6,50 €, ermäßigt 3,50 €.
Kombiticket mit Gasometer Oberhausen (dort ist bis Ende Dezember die Christo-Installation „Big Air Package“ zu sehen) 13 €.

Statt eines Katalogs erscheint ein Booklet für 4 €.
Wenn’s etwas mehr sein darf, so greife man zu Weegees erstmals 1945 erschienenem Buch „Naked City“.




„Der Augentäuscher“: Ist die Fotografie eine Erfindung aus der Barockzeit?

Ein arbeitsloser Kunsthistoriker ist auf der Suche nach dem ganz großen Coup. Wäre es nicht eine Sensation, wenn er Bilder von Silvius Schwarz auftreiben und beweisen könnte, dass der Künstler tatsächlich gelebt hat?

Denn hartnäckig hält sich das Gerücht, dieser Silvius Schwarz hätte im Dresden des 17. Jahrhunderts ein ausschweifendes Leben geführt und mit seinen Werken die Kunst revolutioniert. Manche meinen, er habe nicht nur Stillleben gemalt, sondern optische Apparate gebaut und mit fotografischen Visionen experimentiert.

Einer anderen Legende zufolge ist Silvius Schwarz ein Magier und Gotteslästerer gewesen, der in blutige Ritualmorde verwickelt war. Doch leider existiert kein einziges Dokument, das diese Legenden mit Leben füllen könnte. Bis zum großen Elbhochwasser im Jahr 2002. Da fischt der brotlose Mythenjäger aus dem Brackwasser der Elbe ein paar durchgeweichte und verklebte Papiere. In ihnen berichtet der stumme Setzer Leopold vom Leben und Sterben seines Freundes Silvius Schwarz. Doch das ist nur ein Baustein in der Beweiskette, die der kunsthistorische Luftikus plötzlich in den Händen hält. Der Zufall spielt ihm nicht nur weitere Papiere des Bleisetzers zu, sondern auch einen verschollen geglaubten Briefroman, in dem die Mathematikerin und Gambenvirtuosin Sophie von Schlosser von ihrer Liebesaffäre mit Silvius Schwarz berichtet.

Und dann ist da noch diese geheimnisvolle Metallplatte, die der Legendensammler bei einem Dresdner Antiquar findet: Zeigt die dunkel angelaufene Metallplatte, in die die Jahreszahl 1673 eingeritzt ist, nicht die Reste eines Fotos? Doch wie kann das sein, wurde die Fotografie doch angeblich erst im 19. Jahrhundert erfunden?

In seinem Roman „Der Augentäuscher“ treibt Mathias Gatza ein furioses Spiel mit kunsthistorischen Visionen, mörderischen Fantasien und schriftstellerischen Finten. Wer Umberto Ecos „Der Name der Rose“ liebt, wird auch den ebenso brillant konstruierten und elegant erzählten „Augentäuscher“ goutieren.

Gatza, 1963 in Berlin geboren, versteht etwas vom Bücherhandwerk. Er hat bei Wagenbach als Volontär und bei Suhrkamp und im Berlin Verlag als Lektor gearbeitet. Bevor er selbst zum Autor wurde, hat er sich als Verleger zeitgenössischer Literatur versucht. Nachdem er mit „Der Schatten der Tiere“ ein gelungenes Debüt feierte, zieht er nun im „Augentäuscher“ alle literarischen Register. Gatza fungiert als Herausgeber fingierter Dokumente. Zwischen dem aufgedrehten Wissenschaftsbetrieb der Gegenwart und dem barocken Leben des 17. Jahrhunderts pendelt er aberwitzig hin und her und nimmt den Leser mit auf eine literarische Abenteuerreise.

Ob er sich als kunsthistorischer Lügner und Betrüger, als Setzer Leopold oder als frühemanzipierte Sophie von Schlosser verkleidet: für alle Figuren und Erzähler findet Gatza einen eigenen Ton. Außerdem weiß er alles über Malerei und Sehgewohnheiten, gefälschte Dokumente und spannende Krimis, ironisches Flunkern und satirische Verballhornung historischer Romane und wissenschaftlicher Sensationslust. Atemlos folgt man den Berichten über dieses von seinem hilflosen Vater in den Schnee geworfene Baby, das von einem in Dresden lebenden Muslim aufgelesen und erzogen wurde und aus dem später der Kunstrebell Silvius Schwarz werden sollte. Wir trauen diesem gegen Neid und Missgunst kämpfenden und nach absoluter Erkenntnis strebenden Künstler alles zu. Aber sollte er wirklich, nur weil die Umkehrung des Bildes ein Prinzip der Fotografie ist, zum teuflischen Mörder geworden sein, der 13 Kastraten des Dresdner Opernhauses kreuzigt, verstümmelt und auf den Kopf stellt?

Mathias Gatza: „Der Augentäuscher“. Roman. Graf Verlag, München 2012, 383 S., 19,99 Euro.




Düstere Szenen und klare Linie – Plakate, Fotos und Grafiken im Museum Folkwang

Karl Jacob Hirschs Plakat "Was will Spartakus?" (1919). Foto: Museum Folkwang

Kaum etwas scheint langweiliger zu betrachten, nichtssagender in der Wirkung als Wahlplakate. Eine bunte, zumeist familienkompatible Szenerie oder ein plumpes Symbol, garniert mit so flotten wie hohlen Sprüchen – fertig. Doch vielleicht ist dies nur Ausweis eines routinierten, ja ritualisierten Politikbetriebes, trotz aller Krisen und Probleme.

Dieser Eindruck von gesitteter Normalität verfestigt sich, blickt man nur ein wenig zurück. Vor 90 Jahren, also in den „wilden“ 20ern, war Wahlkampf nicht weniger als Glaubenskrieg, schufen die Plakatmaler drastische und krasse Szenarien, in denen die werbende Partei als Engel, der Gegner indes als Killer der Menschheit dargestellt werden. Diese grob expressionistische Bildsprache ist nun in Essens Folkwang-Museum (kopfschüttelnd) zu bestaunen, im Rahmen einer Ausstellung, die sich mit Plakaten, Fotos und Grafiken zumeist der 20er Jahre auseinandersetzt. „Unsere Zeit hat ein neues Formgefühl“ ist der fast neutral wirkende Titel der großen Schau.

Die Formen waren, mit Blick auf die illustrierte politische Propaganda, ziemlich wuchtig. Der bildmächtige Expressionismus hielt sich nicht mit Filigranem auf. Hinzu kommt eine klare Farbsymbolik bei zumeist düsterer Grundierung. Ein Plakat mit dem Titel „Der rote Hammer der Vereinigten Sozialdemokratie zerschlägt den faschistischen Drachen“, Max Schwimmer schuf es 1927, bedarf im Grunde keiner näheren Beschreibung. Die Gegner, also die Rechten, waren in der Wahl ihrer Mittel nicht weniger zimperlich: Bei ihnen stellt sich der Bolschewismus als Zwergenfratze dar, mit wirrem Haar und gezücktem Dolch. Nur gut, dass ein engelsgleiches Wesen das Volk vor diesem Schurken beschützt.

All dies war gewissermaßen Symbol eines brodelnden Vulkans namens Nachkriegsdeutschland oder Weimarer Republik, wo die politische Debatte regelmäßig in Straßenkämpfen endete. Doch ungeachtet dessen wurde getanzt, gelebt, gelacht – zumindest von denen, die es sich leisten konnten. Und so zeigt die Essener Schau eben auch das dekorative Plakat jener Zeit. Präsentiert mit Walter Schnackenbergs „Deutsches Theater – Vornehmstes Variété Münchens“ symbolträchtig den Hang zum Vergnügen. Ein Paar bestaunt aus der Loge heraus eine Tänzerin – geschwungene Linien, freundlicher Blick, das Leben scheint schön.

Andere Exponate verweisen auf den Aufstieg des Kinos. B. Namirs Plakat zu „Quick“, mit Lilian Harvey und Hans Albers, wirkt fast fotorealistisch. Später entwirft Jan Tschichold, im Sinne von Bauhaus und Neuer Sachlichkeit hellgrundierte Blätter mit grafischen Elementen und viel leerer Fläche. Hier offenbart sich die neue Form, die der Ausstellungstitel vorgibt.

Anneliese Kretschmer: Der Arbeiterdichter Karl Höller (1931).

Von expressiver Kraft zur klaren Linie: Die Essener Ausstellung zeigt auch in der Sparte Fotografie wirkmächtige Beispiele. Auffällig ist, dass die Porträtaufnahmen, als messerscharfe Studien einfacher Leute, überwiegen. Helmar Lerskis „Köpfe des Alltags“ (1928-1931) sind markantes Beispiel. Leere, abgewandte oder trotzig aufbegehrende Blicke, die Gesichter motivfüllend, einzelne Partien durch wunderbares Licht-Schatten-Spiel hervorgehoben: Lerski illustriert das Leiden (an) der Zeit. Oder nehmen wir nur das Bild der Dortmunder Fotografin Annelise Kretschmer, die 1931 den Arbeiterdichter Karl Höller ablichtete. Gesicht und Kleidung verschmutzt, alles wirkt düster wie mancher Holzschnitt von Kirchner. Daneben aber hatte Kretschmer auch den Blick fürs Glamouröse, wie das Bild „Modisches Porträt“ (etwa 1931 entstanden) zeigt. Die fotografierte Dame, vornehm gekleidet mit Kappe, Handschuhen, Gürtel und Rüschenbluse senkt fast schüchtern den Blick – eine Aufnahme der stillen Art.

Das Neue, Sachliche in der Fotografie ist hier vor allem Produkt der zunehmenden Industrialisierung. Die Meister der Kamera entdeckten Strukturen wie etwa Germaine Krull die Verstrebungen des Eiffelturms oder Lotte Goldstern-Fuchs die Kölner Eisenbahnbrücke. Anton Bruehl wiederum bannte eine Anordnung von Garnrollen aufs Fotopapier, gesehen aus der Froschperspektive und aus nächster Nähe. Dieser Blick und das elegante Spiel mit Schatten gibt den Gebrauchsgegenständen eine bedrohliche Größe, als handele es sich um Fabrikschornsteine. Hier also überlagert sich grafische Anordnung mit expressivem Gehalt.

Schließlich Zeichnungen und Druckgrafik: Die Schau blickt etwa auf die Landschaften Alexander Kanolds, die mit ihren geometrisch angehäuften Gebäuden eher bedrohlich denn einladend wirken. Düster-expressionistisches (Kirchner) steht in schärfstem Kontrast zum Konstruktivismus eines László Moholy-Nagy oder El Lissitzky. Es ist eine imposante Schau im Folkwang-Museum, die die Kunst einer aufregenden Zeit ins Blickfeld rückt.

Die Ausstellung „Unsere Zeit hat ein neues Formgefühl“ ist im Essener Museum Folkwang bis zum 5. August zu sehen.




Lang lebe das Lichtbild

Weil es in diesem Beitrag etwas dauert, bis ich zum Punkt komme, hier eine kurze Einordnung: Es geht um einen Lichtbild-Vortrag der Bochumer Gruppe „Dunix“ mit dem Titel „Sex & Schimmel oder als Oma noch laufen konnte“, kürzlich zu sehen im Sissikingkong, und um Dia-Karaoke im Rasthaus Fink am Nordmarkt – zwei gelungene Versuche, eine sterbende Form der gepflegten Abendunterhaltung, eben die Dia-Schau, am Leben zu erhalten. Eingeflochten sind dabei Betrachtungen über die (Dia-)Fotografie im Allgemeinen und Besonderen. Und los geht’s!

Dia aus der Dunix-Schatzkiste

Glückliche Kindheit, dokumentiert im Dia - aus der Dunix-Schatzkiste

Es gibt eine Menge Erlebnisse, die unsere Kindern vermutlich vorenthalten werden. Zum Beispiel der Moment, in dem man ungeduldig noch im Laden die zugeklebte Tüte mit den selbst fotografierten, frisch entwickelten Fotos aufreißt. Zum Beispiel das Bezahlen solcher Fotos. (Wie, jedes einzelne Foto hat Geld gekostet?) Zum Beispiel das Gefühl, mit anderen mehr oder weniger interessierten Bekannten in einer Diashow zu sitzen, ermüdend schlecht fotografierte Landschaftsimpressionen zu betrachten und das Klicken des Projektors als hochwillkommene Abwechslung vom langatmigen Vortrag des Fotografen zu empfinden.

Dia-Shows! Für jüngere Leser: Das funktioniert so ähnlich wie eine Slideshow im Internet. Oder nein: So, als würde man sich mit einem Beamer auf die Leinwand geworfene Fotos anschauen, nur dass die Dia-Positive jeweils in kleinen Plastikrähmchen stecken und in einem Karussell auf Knopfdruck weiter und weiter, bis ins Licht befördert werden. Manchmal steckten die Dias auch falsch herum im Karussell, dann musste der Dia-Vortragende sie erst umdrehen. Manchmal war ein Steckfach leer, dann konnte man sich die feinen Unebenheiten und Kratzer auf der Linse ganz genau auf der Leinwand anschauen. „Die praktischen Vorteile des Diafilms liegen vor allem in der hohen Schärfe und Farbtreue sowie dem großen Tonwertumfang des Diapositivs. Diese Vorteile treten in der Projektion klar zu Tage“, weiß Wikipedia. Es ist nicht überliefert, ob die  fotografierende Menschheit in ihrer Masse in den 1960er, 1970er Jahren von diesen Vorteilen wusste. Überliefert ist nur, dass sie massenhaft Dias produzierte, vermutlich aus einem anderen Grund: Weil man dann so prima Dia-Shows veranstalten konnte. So kommt es, dass sich auf Flohmärkten und in Trödelhallen heute sorgfältig sortierte Dias in ihrem zierlichen Plastikrahmen in Holz- oder Plastikkisten stapeln.

Sport oder Trinken? Sporttrinken. Aus der Dunix-Schatzkiste.

Sport? Trinken? Sporttrinken - aus der Dunix-Sammlung.

Gottseidank gibt es Menschen, die damit noch etwas anzufangen wissen. Mindestens zwei Veranstaltungsreihen im Revier beleben derzeit das Format Dia-Show neu. Die Bochumer Alex Schwegl und Florian Biedermann haben irgendwann damit begonnen, Flohmarkt-Dias zu sammeln und zu sortieren – in Kategorien wie „Urlaub“, „Tiere“, „Weihnachten“ oder „Menschen vor Blumen“. Dann haben sie Serien zusammengestellt, Dramaturgien ersonnen und Musik dazu ausgesucht. Schon seit Jahren zeigen sie ihre Shows, bevorzugt im Dortmunder Sissikingkong und in Bochumer Kneipen und Cafés. Die aktuelle Show heißt „Sex & Schimmel oder als Oma noch laufen konnte“ und zeigt genau das: privatpornografische Aufnahmen aus der Zeit vor Youporn, feucht gewordene und angeschimmelte Dias (die, auf die Leinwand projiziert, von ganz erstaunlich abstrakter Originalität sind, sowohl farblich als auch kompositorisch) und Dias, in denen die Fotografen familiäre Ereignisse rund um Krankheit und Tod festhielten. Außerdem eine sensationelle, mit Avantgarde-Musik unterlegte Serie von der Riesen-Baustelle Brasilia, der futuristischen Hauptstadt Brasiliens, aufgenommen während der Bauarbeiten Ende der 1950er Jahre. Gequatscht wird während des Dunix-Lichtbildvortrags nicht – dazu ist die liebevoll ausgewählte Musik auch viel zu laut. Wenn Death Metal zu Bildern von Buffet-Schlachten läuft oder ein Liebeslied aus den 1920er Jahren zu den Szenen einer Rentner-Ehe, braucht es keine weiteren Erläuterungen.

Das ist beim Dia-Karaoke, einer Erfindung des Rasthaus Fink auf dem Dortmunder Nordmarkt, ganz anders. Hier ist das Quatschen Programm, hier kann man damit sogar einen Preis gewinnen. Dia-Karaoke ist keine durchkomponierte Show, jeder Abend verläuft anders. Dia-Serie an die Wand geworfen, die allen Anwesenden völlig fremd ist. Fremde Menschen in einer nicht näher bestimmten Zeit tun Dinge an einem unbestimmten Ort. Dazu improvisiert der Vortragende nun spontan eine Geschichte, so überzeugend, wie er nur kann. Gleiches tun die anderen Kandidaten mit Zunächst braucht es einige Freiwillige, die gegeneinander antreten wollen. Dann wird eine jeweils anderen Dia-Serien. Am Ende entscheidet das Publikum, wer die überzeugendste, verrückteste, unterhaltsamste Geschichte ersonnen hat.

Beide Veranstaltungen sind toll – weil sie Erinnerungen zurückholen und sie zugleich ironisch brechen. Und weil sie vor Augen führen, dass der Wandel von der analogen zur digitalen Fotografie weit mehr bedeutet als nur eine technische Neuerung.

Wer um 1900 fotografierte, schuf mit der Fotografie sein Bild für die Ewigkeit – ein Foto war so teuer (und so umständlich herzustellen), dass es mit heiligem Ernst zelebriert wurde. Als das Fotografieren in den 1950er Jahren erstmals für den Normalbürger bezahlbar wurde, änderte sich das Fotografierverhalten nur langsam. Zwar wurde nun viel mehr fotografiert, doch der Gedanke dahinter war der Alte geblieben: Fotografieren ist Verewigen. Fotos konnte sich zwar jedermann leisten, doch hinter jedem „Klick“ lag noch immer eine bewusste Entscheidung, eine Komposition („Stell dich mal da hin!“). Ich hinterlasse der Nachwelt ein Bild von mir und meinem Leben, so wie ich von anderen gesehen werden möchte.

So erklären sich all die Aufnahmen von Landschaften und Städten (Seht her, dort war ich!), von Ehemännern und -frauen, Kindern und Haustieren vor bunten Blumen (So harmonisch ist mein Familienleben!), von Statussymbolen wie Autos, Wohnwagen, Fernsehern und Schrankwänden (Das kann ich mir leisten!) und Feierlichkeiten (So beliebt bin ich, so lustig ist mein Leben!).

Wer ist das? Und wieso so bunt? Aus der Dunix-Schatzkiste.

Der Umbruch, den die digitale Fotografie mit sich bringen wird, ist vielleicht noch revolutionärer als der zwischen den Anfängen der Fotografie und ihrer Massentauglichkeit. Wenn man für Bilder nicht mehr zahlen muss und Speicherplatz fast unbegrenzt vorhanden ist, wird viel, viel, viel mehr fotografiert. Gleichzeitig sind die Fotografien erst mal nicht greifbar, sondern bleiben Daten in privaten Speichermedien – so lange, bis sie zum Beispiel in Communities veröffentlicht werden. Dass diese Umstände Auswirkungen auf die Motivwahl, auf das Fotografieren selbst haben, liegt auf der Hand. Welche, das werden wir vielleicht in einem halben Jahrhundert erfahren. Dann, wenn unsere Enkel oder Urenkel unser Fotomaterial kreativ weiterentwickeln.




Digitales Leben ohne Lustaufschub – Abschied von Fotografie auf Film hat Folgen für die alltägliche Wahrnehmung

Von Bernd Berke

Die Nachricht klingt nüchtern: Der japanische Kamerahersteller Nikon will nur zwei herkömmliche Modelle im Programm behalten. Ansonsten verlegt er sich völlig auf digitale Apparate. Die wirtschaftliche Entscheidung setzt allerdings ein markantes Zeichen der Zeit.

Bei Canon und anderen Firmen wird es über kurz oder lang kaum anders sein. Es erhebt sich die Frage, wie lange es die Fotografie auf Film überhaupt noch gibt. Vielleicht wird sie demnächst eine sündhaft teure Sache für Spezialisten und Freaks.

Jedenfalls lässt sich daran die wachsende Geschwindigkeit in unserem Alltag ermessen. Früher konnte die Spannung, nachdem man einen belichteten Film im Fotoladen abgegeben hatte, über Tage hinweg anschwellen. Dann kamen Schnellentwickler („fertig in einer Stunde“) und Polaroid-Fotos, die noch etwas zögerlich und klebrig aus dem Gerät krochen. Jetzt drückt man halt auf den Auslöser, sieht das Resultat direkt auf dem Computer, versendet es weltweit per e-Mail oder aufs Handy und stellt es ins Internet. Toll! Aber auch ein wenig betrüblich.

Auch der Frust hat sich beschleunigt

Es gibt nämlich keinen Lustaufschub mehr. Damit schwindet wohl auch die wahre Leidenschaft, weil alles umstandslos verfügbar ist und man es gleich haben kann. Dies wiederum kommt einer ziemlich weit verbreiteten Konsumhaltung entgegen: „Ich will alles – und zwar jetzt!“ Allerdings: Auch enttäuschende Ergebnisse sieht man nun sofort. Der Frust hat sich ebenfalls beschleunigt.

Vom geradezu poetischen Erlebnis im heimischen Fotolabor, wo das Motiv zunächst schemenhaft und wie von Geisterhand auftauchte, wollen wir gar nicht weiter reden. Schon das Wort „Entwicklung“ signalisierte ja einen Reifungsprozess. Wie prosaisch erscheint hingegen eine Speicherkarte. Zack auf dem Chip, zack gelöscht.

Zugegeben: Man hat ja selbst die „gute alte Zeit“ des Bildermachens verlassen. Ich hantiere mit zwei Digitalkameras, während die analoge Spiegelreflex kaum noch zum Einsatz kommt. Der Mensch kann’s eben nicht abwarten, das Leben ist kurz.

Die technischen Möglichkeiten und Effekte sind ja auch verlockend. Kaum „geknipst“, schon am Computer nachbearbeitet – und ver(schlimm)bessert. Baumkronen mit Rot- oder Blaustich? Kein Problem. Sofortige Umwandlung in Negativ-, Sepia- oder Schwarzweiß-Darstellung? Nur ein Mausklick.

Schneller und raffinierter lügen

Dies alles bedeutet freilich auch: Man kann mit Fotoapparat und Computer immer besser montieren, manipulieren und also lügen. Willentlich veränderte Fotos etwa aus der sowjetischen Ära wirken dagegen plump.

Es beschleicht einen bei all dem ein leises Unbehagen; ganz so, als hätte man„natürliches“ Verfahren aufgegeben und sich der Künstlichkeit verschrieben.

Aber vielleicht ist ja nicht aller Tage Abend. Manche glauben gar, dass es irgendwann eine Renaissanc des Zelluloid-Films geben könnte. Nach Einführung der Musik-CD (die nun ihrerseits unter Bergen von i-Pods und MP3-Dateien verschwindet) haben wir’s erlebt: Nicht wenige Leute haben sich wieder dem angeblich „wärmeren“ Klang der alten Vinyl-Scheiben zugewendet oder halten sich eben beide Abspielmöglichkeiten offen. Man muss ja nicht gleich zur Schellack-Scheibe zurückkehren.

Doch was soll die „Maschinenstürmerei“? Man sollte die älteren Techniken nicht vergöttern und die neueren nicht verteufeln. Wie groß war einmal die Aufregung, als die Fotografie erfunden wurde und alsbald der Malerei den Rang streitig zu machen drohte –anfangs zumindest auf dem Felde realistischer Darstellung. Längst existieren beide recht friedlich nebeneinander. Und auf beiden Gebieten gibt es Kunst, aber auch Quatsch.

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HINTERGRUND

Markt verändert sich rapide

  • Schätzungen besagen, dass 2006 in Deutschland voraussichtlich rund acht Millionen Digitalkameras verkauft werden – und nur noch etwa 1 Million herkömmliche Apparate.
  • Immerhin: In 80 Prozent der deutschen Haushalte gibt es derzeit noch analoge Fotokameras.
  • Beispiel Nikon: Herkömmliche Kameras machen nur noch drei Prozent des Umsatzes in der Fotosparte aus.
  • Die Traditionsmarke Leiça geriet mit analogen Geräten in die roten Zahlen und hofft nun auf Erfolge mit digitalen Modellen.
  • Auch Filmhersteller wie Kodak und llford haben den Vormarsch der Digitalfotografie schmerzlich zu spüren bekommen. Agfa ging sogar pleite.

 

 




Krämpfe der Wirklichkeit – Fotografien von Diane Arbus im Essener Museum Folkwang

Von Bernd Berke

Essen. Von Erotik keine Spur: Einsam hockt die Stripperin zwischen zwei Auftritten im schäbigen Hinterzimmer. Von Glorie kein Schimmer: Ein namenloser US-Patriot hat sich mit Flagge und Anstecker („l’m proud“) gerüstet. Doch der „stolze“ Mann sieht erbärmlich aus; ganz so, als hätte er in dieser Leistungsgesellschaft nie eine Chance gehabt. Man glaubt ohne weiteres, dass er zum seelischen Ausgleich glühender Patriot werden musste.

Wenn man die Fotografien der US-Künstlerin Diane Arbus (1923-1971) anschaut, rieseln einem häufig Schauer über den Rücken. Hier begegnet man meist Menschen von den Rändern der Gesellschaft – ungemein frontal und unausweichlich. Jedes Bild scheint einem zuzurufen: Stelle dich der Wirklichkeit!

Oberflächlich betrachtet, summieren sich die rund 180 Schwarzweiß-Aufnahmen im Essener Folkwang-Museum zum Panoptikum wie auf längst vergangenen Jahrmärkten. Ist es Voyeurismus? Man sieht Transvestiten, Dominas mit devot winselnden Kunden, Nudisten, dicke Kinder, Kleinwüchsige, Behinderte, schräge Leute aus der High Society.

Viele der erfassten Momente sind sirrend, manche auch brüllend bizarr. Hier waltet ein Wille zur ungeschönten Wahrheit. „Diane Arbus – Revelations“ heißt die Schau. Enthüllungen also. Im Wörterbuch steht auch: Offenbarungen.

Die in New York geborene Diane Arbus war eine „höhere Tochter“ und schuf anfangs elegante Modefotografte. Dann aber suchte sie andere Welten auf. Wohl in einer Mischung aus Angst und Faszination hat sie sich auf die Schatten- und Nachtseiten der Gesellschaft begeben. In den 50er und frühen 60er Jahren war dies ein Tabubruch. Die Abweichungen, die Arbus gezeigt hat, erweisen sich als eine Art Vorschuss auf spätere, schrille Zeiten. Heute wimmelt jede Nachmittags-Talkshow von Freaks.

Das Bizarre wird allmählich „normal“

Bei Diane Arbus kann jedoch von Banalisierung noch keine Rede sein. Mit geradezu heiligem Ernst verwandelt sie all diese Randfiguren in Ikonen. Dies geschieht mit solcher Beharrungskraft, dass das Bizarre irgendwann beinahe alltäglich wird. Wenn Arbus sich hingegen dem Alltag der „schweigenden Mehrheit“ zuwendet, so entdeckt sie darin wiederum bestürzend krampfhafte Momente. Ein kleiner Junge auf der Straße schreit da unvermittelt existenzielle Not heraus. Und ein ganz junges Paar wirkt so desolat, als wäre es längst in ehelicher Ödnis erstarrt.

Mögliche Folgerung: All diese Menschen sind, in welcher Ausprägung auch immer, aus einem Holz geschnitzt. Ein humaner Ansatz, der auch abseitige Existenzen gleichsam eingemeindet. Dahinter lauert die Grundsatzfrage: Was ist überhaupt „normal“? Doch heute nimmt man diese Gesellschaftskritik in erster Linie als Kunst wahr. Ethik verschwindet hinter Ästhetik. Die Ausstellung war auf US-Toumee und hat nun ihre Europa-Premiere in Essen, es folgen London und Barcelona.

Die von RWE gesponserte Folkwang-Schau bietet mehr als nur die bloße Präsentation der (auf dem Kunstmarkt sehr hoch gehandelten) Fotografien. In drei atmosphärisch dicht gespickten Kabinetten blickt man in die Werkstatt der Künstlerin. Tagebücher, Notizen, Briefe, Lektüre, Handwerkszeug und dergleichen sind hier versammelt. Auch sieht man Kontaktabzüge ganzer Serien, so dass man nachvollziehen kann, welche Motive und Ausschnitte die Fotografin verworfen hat.

Diane Arbus hat den Freitod gewählt. Mit 48 Jahren schnitt sie sich die Pulsadern auf. Vielleicht hat sie die Trennung von ihrem Mann nicht verwunden. Medikamente, die sie gegen Hepatitis nehmen musste, haben vermutlich zusätzliche Depressionen ausgelöst. Oder hatte die Verzweiflung auch etwas mit den Motiven ihrer Fotografien zu tun? Wir werden es nie wissen, wir können nur schauen und ahnen.

„Diane Arbus – Revelations“. Museum Folkwang. Essen, Goethestraße 41. Bis 18. September. Geöffnet Di-So 10-18, Fr 10-24 Uhr. Katalog 49.80 €.




Bazillus der Begabung – die Dortmunder Fotografen-Familie Angenendt

Von Bernd Berke

Dortmund. Wenn eine Familie über drei Generationen beachtliche Fotografen hervorbringt, wird man hellhörig. „Einen Bazillus oder irgend etwas mit den Genen“ vermutet Rudolf Angenendt als Ursache für die fortgepflanzte Begabung.

Aber es waren auch Patriarchen im Spiel. Rudolf Angenendt (Jahrgang 1924) kam zur Fotografie, weil ihn sein Vater Erich (1894-1962) rabiat dazu gezwungen hat. Und Rudolfs Sohn Christian Angenendt (geboren 1956) geriet – nach abgeschlossenem Germanistik-Studium – in die Fänge des Dortmunder Foto-Professors und Fach-Despoten Pan Walther. Da konnte auch er nicht mehr anders.

Arbeiten von Großvater, Vater und Sohn sind jetzt im Dortmunder Museum für Kunst und Kulturgeschichte (Hansastraße) vereint. Und da zeigt sich, daß in der Lichtbildner-Dynastie Angenendt, die aus Hamm kam und dann in Dortmund ansässig wurde, nicht durchweg ein- und derselbe Geist geherrscht hat.

Großvater Erich widmete sich noch vorwiegend Motiven aus der herkömmlichen Schwerindustrie. Bewunderung für imposante Technik rund um Kohle und Stahl spricht aus diesen Bildern. Vielfach gerinnt diese Sicht zu prototypischen „Ikonen“ des Ruhrgebiets früherer Zeiten. Die Aufnahmen sind so formbewußt gestaltet, daß sie der Gefahr einer Glorifizierung des industriellen Heldenlebens entgehen.

Rudolf Angenendt ging zwar auch unter Tage, um dort ungewöhnliche Farbaufnahmen anzufertigen, doch interessierten ihn später vor allem grundlegende chemische und physikalische Prozesse, die er mit aufwendigen Verfahren in Forschungslabors fotografisch festhielt. So gelangen ihm erstaunliche Bilder von Wärme- und Kälteströmen oder von den Wallungen des Chlorgases. Verblüffende Erkenntnis: In den Naturgesetzen waltet eine verborgene Ästhetik, die gewissen Formen der abstrakten Kunst nahe kommt.

Auch Christian, der Jüngste, hat sich für seine Diplomarbeit in einem Hüttenwerk umgetan. Doch er spürt zwischen den Hochöfen lauter Zeichen des Verfalls auf. Wie er denn überhaupt einen wachen Sinn für Verletzungen der Dinge hat. Wenn er etwa zersprungene Flaschen oder abgeblätterte Farben zeigt, schwingt Wehmut mit über den Zustand der Welt.

Bis 14. April. Tägl. außer Mo. 10-17 Uhr, Katalog 49 DM.




Kaltes Weltall und Leben im Stillstand – Fotoarbeiten von Thomas Ruff im Kunstverein Arnsberg

Von Bernd Berke

Arnsberg. Auf den Fotos von Thomas Ruff scheinen Leben und Bewegung zu gefrieren. Eine Bilderserie zeigt Ausschnitte von seltsam gestrigen Wohnungs-Interieurs. Da ist der mit Nippes vollgestopfte Schrank: angestaubtes Hochzeitsbild, Spitzendeckchen, Figur eines sich aufbäumenden Pferdes – zu Erinnerungen geronnene, liebevoll bewahrte und dennoch schon verwischte Lebensspuren.

Ein anderes Ruff-Foto zeigt verblaßte Kinderbilder auf grauslich-altmodischer Tapete. Man kann auf die ganze Wohnung schließen. Die Kinder sind außer Haus, es herrscht Stille und Einsamkeit, doch wohl auch Beschirmung vor hektischer Gegenwart.

Es ist dies denn auch eine Ausstellung im Arnsberger Kunstverein, die auf den ersten Blick fast klösterliche Stille ausstrahlt. Sinnfällig wird dies anhand der wandfüllenden Porträts. Ohne besondere Vorbereitung lichtet Ruff Bekannte und Freunde ab, als sollten nur notdürftige Paßbilder angefertigt werden. Doch dann vergrößert er die frontal aufgenommenen Gesiebter ins Riesenhafte (Standardgröße: 1,65 m Breite, 2,10 m Höhe). Und nun haben diese Bilder etwas Forderndes. Still und unbewegt, geradezu stoisch wird man von diesen gigantischen Gegenübern angeblickt. In innere und womöglich äußere Bewegung gerät indes der Betrachter. Wie lange kann er vor diesen Blicken bestehen, soll er flüchten oder standhalten?

Solche Ruhe der Bilder (die freilich Unruhe erzeugt), treibt Ruff ins Endlose: Eine weitere Serie sind nämlich jene im Observatorium gefertigten Bilder vom Weltall. Auch diese Fotos sind auf enorme Großformate gebracht. Da starrt einen sozusagen die ganze Leere und Kälte des Weltenraums an. Auch ein vorbeiziehender Komet wird hier nicht als bewegtes Objekt abgebildet, sondern“ als starrer Strich, der wie ein Riß quer durch das Bild geht.

Der in Düsseldorf lebende Ruff ist Schüler von Bernd und Hilla Becher, die besonders durch nüchtern abgelichtete Zechentürme bekannt wurden. Bei Ruff ist es nicht nur Nüchternheit, sondern oft geradezu Ernüchterung, die aus den Bildern spricht.

Die relativ kleine, aber konzentrierte Ausstellung, vom Künstler selbst gehängt, präsentiert auch Beispiele für Thomas Ruffs neues Interesse an Zeitungsfotos, die er seinerseits ablichtet und wiederum vergrößert. In Kunstform haben sie natürlich eine ganz andere Wirkung denn als Nachrichten-Illustration. Bilder aus dem Jahrhundert sind da versammelt: Hitler mit verzückt lauschenden Jugendlichen, der tote Chomeini, Festnahme eines Terroristen, untergehender Ozeanriese, Rheinfelsen, eine eiserne Hand usw.

Und der Zusammenhang? Jedenfalls ist es kein dokumentarischer. Thema ist eher, was Bilder überhaupt aussagen und vermitteln können.

Ruff, der zur Eröffnung der Ausstellung kommt (Sonntag, 11 Uhr), ist im Kunstbetrieb ziemlich „angesagt“. Er ist bei der zwar allseits herzhaft verrissenen, aber wohl doch den Marktwert steigernden Berliner Überblicksschau „Metropolis“vertreten, desgleichen 1992 bei der Kasseler „documenta“. Arnsbergs Kunstverein hat erneut einen guten „Riecher“ bewiesen.

Kunstverein Arnsberg, Königstraße 24. – Vom 28. April bis zum 7. Juni. Katalog 30 DM.