Zwei machen auf Skandal: Alice Sara Ott und Francesco Tristano beim Klavier-Festival Ruhr

Alice Sara Ott und Francesco Tristano - zwei Pianisten, harmonisch vereint immerhin zum Schlussapplaus. Foto: Mohn/KFR

Alice Sara Ott und Francesco Tristano – zwei Pianisten, harmonisch vereint immerhin zum Schlussapplaus. Foto: Mohn/KFR

Neue Musik ist nicht gerade ein Publikumsrenner. Wenn sich die Klänge im Konzert avantgardistisch geben, nehmen viele Hörer Verteidigungsstellung ein. Oder schütteln erschrocken, verdrossen, fragend, vielleicht auch altersmilde lächelnd ihr Haupt. Atmen auf, wenn endlich, etwa mit einer Beethoven-Symphonie, wieder sicheres ästhetisches Fahrwasser erreicht ist. Doch eines ist selten geworden bei der Beurteilung tönender Moderne: der (handfeste) Skandal.

„Scandale“ rufen die Pianisten Alice Sara Ott und Francesco Tristano. Die französische Wortvariante ist bewusst gewählt, geht es ihnen doch darum, musikalische Eklats ins Gedächtnis zu rufen, die sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der aufregenden Kulturmetropole Paris ereigneten. Die entsprechende CD soll im Herbst erscheinen, einen Vorgeschmack hat es nun beim Klavier-Festival Ruhr gegeben.

Fürs Plattencover – und das Festival-Programmheftchen – haben die beiden das elegante Konzertoutfit abgelegt und sich ganz existenzialistisch schwarz gekleidet. Alice Sara blickt uns in herausfordernder Gleichgültigkeit an, Francesco wiederum schaut auf seine Klavierpartnerin, als sei sie ein fleischgewordenes Rätsel. Man mag auch über die Botschaft dieser Ikonographie nachdenken – beider Auftritt in Duisburgs Gebläsehalle jedenfalls bedient eher das konventionelle Bild zweier junger Pianisten, die eben Werke für zwei Klaviere zu spielen gedenken.

Am Beginn steht Maurice Ravels „Bolero“, ein Stück, zu dem der Komponist selbst anmerkte, es sei eigentlich keine Musik. Sie wurde geschrieben für die Tänzerin und Mäzenin Ida Rubinstein, und war, wohl erst in Verbindung mit einer lasziven Choreographie, skandalträchtig. Die Fassung für zwei Klaviere stammt nun von Tristano. Er zupft zunächst im Klavierbauch an einer Saite den charakteristischen Trommelrhythmus, später verlagert sich die repetitive Dauerfigur auf die Tasten. Alice Sara Ott ist für die zweiteilige Melodie zuständig, die sich aus aller Zartheit ins Orgiastische steigert.

Das Paar in Aktion. Foto: Mohn/KFR

Das Paar in Aktion. Foto: Mohn/KFR

Das alles macht mächtig Effekt, ohne noch irgendwie verstörend zu wirken. Die Interpretation zeigt indes exemplarisch die Probleme, die dieser Abend mit sich bringt. Und die ergeben sich nicht zuletzt daraus, dass hier zwei stark verschiedene Pianistentypen am Werk sind. Wobei Tristano den Takt vorgibt, auf dass die Musik nur ordentlich groove. Handwerkliche Probleme, die sich etwa dadurch ergeben, dass beide auf Umblätterer verzichten, fallen auf, spielen aber bloß eine Nebenrolle.

Im „Bolero“ also tackert’s rhythmisch, gewinnt die Dynamik an Intensität, bevor Tristano (aus welchen Gründen auch immer) auf die Bremse tritt. Dann ertrinkt das Trommeln im Hall, wird die Lautstärke zwei Mal extrem zurückgeführt. Das Ergebnis hat mit Skandal wenig zu tun. Viel mehr aber mit Nivellierung und einem faden Groove, den der Pianist aus seinem eigenen Werk ableitet, hier aus einer impressionistisch, jazzig und minimalistisch angehauchten Lounge Music namens „A Soft Shell Groove Suite“.

Da ist nun alles auf Wellness gebürstet und so wundert es kaum, dass Igor Strawinskys „Le Sacre du Printemps“, 1913 das Skandalstück schlechthin, in dem der Komponist nicht zuletzt die Emanzipation des Rhythmus feiert, seine archaische Kraft nur bedingt entfalten kann. Tristano und Ott setzen auf Struktur, skelettieren beinahe das Werk. Feine Linien schimmern auf, in Kontrast gesetzt zur futuristischen Maschinenmusik der stampfenden Bässe. Doch Ekstase und harsche Dissonanzen kommen in dieser Interpretation recht harmlos daher.

Das ungleiche Paar findet nicht wirklich zusammen. Damit ist kein Skandal zu machen. Da hilft auch keine existenzialistische Pose.




Francesco Tristanos Gebrauchsmusik – Klangmixturen mit Klavier

Francesco Tristano. Foto: Matthew Stansfield

Crossover? Das war gestern. Als Waldo de los Rios 1970 den „Song of Joy“ herausbrachte, die seichte Variante des Schlusssatzes von Beethovens 9., mit der „Ode an die Freude“. Oder als drei Jahre später das Electric Light Orchestra einen alten Chuck-Berry-Hit, „Roll over Beethoven“ coverte, mit den Anfangstakten der schicksalsträchtigen 5. Sinfonie als Intro. Oder etwa als der japanische Synthesizer-Guru Tomita die „Bilder einer Ausstellung“ Mussorgskys in ganz andere Sphären hob (1975).

Alles längst vergangen. Heute steht Francesco Tristano in den Startlöchern. Der junge luxemburgische Pianist (der seinen Nachnamen Schlimé abgelegt hat), der sich als ein Techno-Nerd sieht und Crossover ablehnt. Einer, der sich in Klangtüftelei und rhythmischem Minimalismus auslebt. Dem der Sound das wichtigste ist, unabhängig davon, ob die dazugehörigen Noten barocken, klassischen oder modernen Ursprungs sind.

Was das bedeuten kann, hat Tristano nun während der Ruhrtriennale in zwei Konzerten – oder besser: Performances – klar gemacht. Zum einen bei einem Soloauftritt mit Klavier, Keyboard und elektronischer Zuspielung, andererseits in Kooperation mit Instrumentalisten der Duisburger Philharmoniker sowie den Club-Musik-Berühmtheiten Carl Craig und Moritz von Oswald.

Tristano solo: „… Towards Meditation“ will er sich begeben, gewissermaßen auf eine Klangstraße Richtung Erleuchtung – mit einer Mixtur aus dröhnendem Bass-Sound, schwebend hohen Keyboard-Klängen (als wär´s ein Stück von Jean Michel Jarre), darin eingeflochten Werke von Bach, Debussy oder John Cage. Der Weg ist das Ziel, und der 30jährige Pianist lässt keinen Zweifel daran, dass er auf dieser Strecke ein Suchender ist. Sonst wäre die teils holprige Bach-Rhetorik ebenso wenig zu erklären wie der bisweilen manieristisch verzärtelte Impressionismus Debussys.

Was schwerer wiegt, ist die Tatsache, dass Tristano nur dann frei aufspielt, ja sich in Trance musiziert, wenn er die Gefilde einer gleichförmigen Rhythmik erreicht hat. Darauf scheint alles hinauszulaufen, auf eine Meditation im Geiste des Maschinellen, letzthin des Stupenden. Wer da über eine Mischung von Hochkultur mit, ja was eigentlich (niedererer Kultur ?) schreibt, formuliert floskelhaft am Problem vorbei.

Das macht das zweite, großbesetzte „Konzert“, wie der Soloauftritt Tristanos erneut in Bochums Jahrhunderthalle erklingend, überaus deutlich. Da ist der teils sphärische Klang und der Beat, da ist zwischendrin ein wenig Klaviermelos, da bettet sich Streicher- oder Bläsersound ins rhythmische Geschehen ein. Die Duisburger Symphoniker, das klassische Orchester also, wird zur Staffage eines Events.

Der Eindruck will sich einstellen, dass hier jemand sehr wohl auf alte Crossover-Zeiten schielt, als Welthits der Rockmusik ein orchestrales Gewand bekamen. Das letztendlich aber alles in die Dominanz des Rhythmus mündet. Die Jahrhunderthalle wird zum Dancefloor. Wer stille sitzen bleibt, entbehrt des ästhetischen Zugewinns. Insofern sind Francesco Tristanos Mixturen nicht mehr als ein Stück Gebrauchsmusik. Wie etwa die seichten Salonstücke des 19. Jahrhunderts. Ist dies die große Versöhnung von „E“- und „U“-Musik?