Ruhrtriennale: Seltsame Rituale in Harry Partchs Instrumenten-Wunderland

"Zeit des gemeinsamens Vergnügens" heißt diese Szene des Partch-Theaters. Foto:

„Zeit des gemeinsamens Vergnügens“ heißt diese Szene des Partch-Theaters. Foto: Wonge Bergmann/Triennale

Das erste Wort gönnen wir Karl Valentin: „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit.“ Die Erkenntnis des Münchner Komikers und Sprachkünstlers kommt uns alsbald in den Sinn, wenn wir vor dem Bühnenbild stehen, das vor allem eine Anordnung überwiegend riesiger, seltsamer Instrumente zeigt, das „Orchester“ des amerikanischen Komponisten Harry Partch.

Darin wuseln Solisten herum, die gleichzeitig Musiker, Sänger, Schauspieler und Pantomimen sind. Die bisweilen winzig klein wirken, wie Arbeiterfiguren in einem Baukasten fürs experimentierfreudige Kind.

Zumal sie hauptsächlich in bunter Werktätigenkluft, teils hübsch-hässlich den Prekariatsstandard erfüllend, sich an ihren klingenden „Maschinen“ zu schaffen machen. Auf dass eine wahrhaft un-erhörte, sirrende, flirrende, motorische Musik erklinge. Mit Anlehnungen an asiatische und afrikanische Exotismen. Was alles einem großen Ritual gleichkommt, das Partch „Delusion oft the Fury“ betitelt hat. Integrales Theater heißt diese Mixtur aus Klang, Sprache, Szene und Licht im Fachjargon – Richard Wagner hatte 100 Jahre zuvor vom Gesamtkunstwerk gesprochen.

Und die Ruhrtriennale, Heiner Goebbels’ Experimentallabor des Theatralischen, hat dem Amerikaner nun in Bochums Jahrhunderthalle ein Podium gegeben. Wir staunen, horchen auf ob verquerer Rhythmen und neuer Tonwelten, ergeben uns einem exzessiven Ritual, das indes alsbald tönende Züge der amerikanischen Minimalisten trägt. Kurzum: Die anfängliche Faszination weicht dem Wunsch, nun doch zum Ende zu kommen.

Der amerikanische Komponist Harry Partch. Foto:

Der amerikanische Komponist Harry Partch. Foto: Schott-Archiv/Andersen

Wer war Harry Partch? Einer jener amerikanischen Komponisten, die, fernab der Traditionen des alten Europa, eine eigene musikalische Sprache suchten. Der dabei mindestens so radikal zu Werke ging wie sein Landsmann John Cage. Der das wohltemperierte System, das eine Oktave in fünf schwarze und sieben weiße Tasten unterteilt, scharf ablehnte und eigene Skalen entwickelte. Zugleich tüftelte und baute Partch an einem neuen Instrumentarium. Allem voran ein „Chromelodeon“, ein Harmonium, bei dem eine Oktave 43(!) Tonhöhen zählt. Andere Skurrilitäten heißen „Gourd Tree“, ein baumartiges Gebilde aus Kürbisflaschen, oder „Marimba Eroica“, ein riesiges Marimbaphon mit nur vier wuchtigen Klangplatten.

Schon dies lässt erahnen, dass es sich bei Partch um einen Freak der Musikszene handelte. Wie denn auch die meisten Figuren in seinem zweiteiligen Instrumentaltheaterstück „Delusion oft he Fury“ äußerst freaky daherkommen. Obwohl doch ernste Dinge verhandelt werden, einerseits der reuevolle Bußgang eines Mörders, zum anderen der aus einem Missverständnis herrührende Konflikt, der vor Gericht schiedlich-friedlich gelöst wird – wenn auch von einem nahezu taubblinden Richter.

Triennale-Intendant Heiner Goebbels erlaubt sich hier als Regisseur eine amerikakritische Spitze, indem er den Richter als übergroße „Kentucky Fried Chicken“-Pappfigur zeichnet. Die Anspielung, dass auch im Land der unbegrenzten Möglichkeiten das Fressen vor der Moral kommt, hätte Partch gewiss gefallen. Er selbst, 1901 geboren, erlebte in den USA die „Große Depression“ der 30er Jahre, schlug sich zeitweise als Hobo durch. Solcherart Landstreicher wird im zweiten Teil von „Delusion“ übrigens zur Hauptfigur. Dort mümmelt er, taub und arm, im Wasser sitzend, sein karges Mahl. Im Disput mit einer Ziegenhirtin kommt es zum oben erwähnten Konflikt. Am Ende aber wird der große Versöhnungsgesang angestimmt: „Pray for me“. Ob die rot ausgeleuchtete Bühne (Klaus Grünberg) nebst kleiner Flämmchen eine Art Vorhölle sein soll?

Das Instrumentarium als Werkbank. Foto:

Sonderbares Instrumentarium als Werkbank im hellen Licht. Foto: Wonge Bergmann, Triennale

Manches mag nach geschäftiger Aktion klingen, doch alles geschieht in höchster Strenge. Die Buße und Läuterung eines Mörders lässt Elemente des japanische No-Theaters erkennen – Klangfarben, die Gewandung der Hauptfigur und die rituelle Bedeutung fließenden Wassers deuten darauf hin. Der zweite Teil trägt hingegen afrikanische Züge. So gesehen, hat auch Partch nicht im luftleeren Raum gearbeitet.

Schwer zu tun hat zudem, in vielfältiger Funktion, das Ensemble musikFabrik. Anziehen, umziehen, schreiten, umherhuschen, singen, sprechen, musizieren – ein Mammutprogramm. Damit nicht genug: Partchs Original-Instrumentarium musste Stück für Stück nachgebaut werden – für Thomas Meixner und sein Team eine Herkulesarbeit.

So steht an diesem Abend Bewunderung neben Verstörung. Das letzte Wort geben wir dem Rockmusiker Frank Zappa: „Ich mag den Klang der Instrumente … aber gleichzeitig denke ich, das Zeug läuft und läuft und läuft und läuft und läuft zu lange.“




Als der Beat auch ins Ruhrgebiet kam

Ach ja, diese geschenktauglichen Generationenbücher! Da fühlt man sich beim Lesen und Betrachten so heimelig aufgehoben.

Man hört von Menschen, die mit dem selben Zeitaroma aufgewachsen sind und weitgehend ähnliche Erfahrungen gemacht haben wie man selbst. Widersprüche gibt’s im Leben sonst genug, hier aber erhält man rundum Bestätigung.

Nicht nur oberflächlich lassen sich solche Gemeinsamkeiten ungefähr seit Mitte der 50er Jahre vor allem an populärkulturellen Phänomenen ablesen: Man huldigt den gleichen Moden, Musikvorlieben, Kultmarken, Reklamesprüchen, lässigen Redensarten oder auch Fernsehfiguren.

Derlei Bücher heißen dann gern mal so: „Mini, Beat und Texashosen“. Unschwer zu erkennen, dass es sich um die 1960er Jahre dreht. Der Titel klingt liebenswert, kurios und beinahe schon putzig; Grundtenor ist der Seufzer all jener, die ein wenig in die Jahre gekommen sind: „Ach, weißt du noch…“ Und: „War es nicht schön, obwohl alles viel bescheidener zuging als heute?“

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Noch näher fühlt sich das alles an, wenn der regionale Aspekt hinzukommt. Also hatte die WAZ ihre Ruhrgebiets-Leserschaft aufgerufen, sich an die 60er im Revier zu erinnern. Dortmund kommt allerdings nur am Rande vor, denn die Stadt hat ja nie zum Kernland der WAZ gehört.

Entstanden ist eine streckenweise interessante und aufschlussreiche Materialsammlung in Text und Bildern, ein Heimatbuch mit vielen kleinen Impressionen und manchen funkelnden Facetten. Auf tiefere Sondierungen oder analytische Ansätze muss man hingegen verzichten.

Die rund 80 Erinnerungs-Texte ergeben – auf wechselndem Reflexionsniveau – dennoch ein Mosaik der Zeit. Gerade die privaten Fotos aus Partykellern, von Beatkonzerten, Spielstraßen oder Autoausflügen bersten zuweilen geradezu vor jener neuen Zeitstimmung, die sich allmählich neben die traditionell geprägten Lebensbereiche schob und auch das Proletarische weit hinter sich lassen wollte.

Solch ein Buch ist im Grunde relativ rasch beisammen. Lesertexte auswählen, ordnen, redigieren, illustrieren, Vorwort und Chronik hinzufügen – fertig ist die Laube. Wie günstig zudem, dass der Klartext Verlag zum WAZ-Imperium gehört. Da bleibt gleich alles in der Familie.

Den bei weitem größten Raum nimmt das Anfangskapitel über Musik ein. Etliche Geschichten ranken sich um drei zentrale Daten: Auftritt der Rolling Stones in der Essener Grugahalle (12.9.1965), Gastspiel der Beatles am selben Ort (25.6.1966) und Internationale Essener Songtage (25. bis 29.9.1968) mit Dutzenden Programmpunkten von Degenhardt bis Fugs, von Amon Düül bis Frank Zappa. Übrigens: Nach einigen Vorgruppen haben die Stones, wie sich ein Leser erinnert, im September 1965 angeblich nur 18 Minuten (!) gespielt, und zwar ziemlich miserabel.

Es ist heute kaum noch vorstellbar, auf welche teils absurden gesellschaftlichen Widerstände die anfangs so genannte „Beatmusik“ damals traf. Manche Ko-Autoren des Bandes vergolden freilich in der Rückschau selbst diese misslichen Verhältnisse. Zitat: „Aber die tolle Rolling-Stones-Musik war für die Eltern einfach nur ‚Negermusik’. Die 60er waren eine Superzeit!“ Der Übergang hört sich arg abrupt an.

Die weiteren, nicht immer trennscharf abgegrenzten Kapitel heißen Mode, Moral, Alltag und Auf Achse. Man spürt an vielen Stellen, dass das Ruhrgebiet damals (vor Gründung der ersten Hochschulen) zwar noch einigermaßen prosperierte, aber doch in manchen Belangen sehr provinziell gewesen ist. Fotos von Studentendemos stammen denn auch aus Berlin, Frankfurt und Hamburg, nur ein Ostermarschbild kommt aus Essen. Manche Essenzen des Zeitgeistes kamen im Revier nur sehr verdünnt und verspätet an. Man kann sehr gut nachempfinden, dass damals etwa unter Jugendlichen in Kamp-Lintfort besonders große Sehnsucht nach London aufkommen musste. Gerade solche ungeheuren Diskrepanzen machen einen Reiz dieses Buches aus.

„Mini, Beat und Texashosen“. Erinnerungen an die 60er Jahre im Ruhrgebiet. Hrsg.: Rolf Potthoff, Achim Nöllenheidt. Klatext Verlag, Essen, 176 Seiten, 13,95 Euro.




Zappa, Varèse, Cage: Alarmsirene schallgedämpft

Rückschau: Das Ensemble musikFabrik spielte Zappa, Varèse und Cage in der Essener Philharmonie

Von „ernster Musik“ zu sprechen, klingt bei Frank Zappa ulkig. Doch hat er, der die Saiten so anzuschlagen verstand, als handele es sich bei jedem Ton um eine Parodie des Rock-Gitarrenspiels, längst seinen Platz unter den Klassikern des 20. Jahrhunderts erobert. Wenn Zappa auf der Bühne auch gern als Komiker improvisierte – die Aufführungen seiner Werke überwachte er stets mit der Strenge eines Perfektionisten. Und sein Album „Does Humor Belong in Music?“ formuliert, nicht nur auf seine Musik bezogen, eine viel diskutierte Sorge.

Wer die Zappa-Stücke, die kürzlich in der Philharmonie Essen aufgeführt wurden, aus den Konzert-Videos der Mothers of Invention kennt oder wer Zappa auf der Bühne erleben konnte, mag überrascht sein, dass diese Musik auch ohne Show-Elemente des Rock und Jazz und ganz ohne Star-Allüren auskommt. Selbst beim fetzigen Solo der E-Gitarre in „RDNLZ“ scheint es den Virtuosen nicht zu reizen, sich an die Rampe der Bühne zu rocken; alle Musiker bleiben an ihren Notenpulten. Ein Konzert von Musterschülern, mochte man bei den ersten beiden Stücken denken – „Big Swifty“ und „T’Mershi Duween“ von der fünfköpfigen Bläsergruppe und Schlagwerk in schnellem Tempo durchgespielt – ohne die Aura des Meisters.

Danach sind erst einmal drei Kompositionen von John Cage an der Reihe. „Radio Music“ von 1956, beim Konzert des Ensemble musikFabrik mit drei Röhrengeräten und einem Kofferradio. Die Frequenzen, die Lautstärken und die jeweilige Dauer sind von der Partitur vorgegeben, was aber auf den Frequenzen ertönt, variiert je nach Aufführungsort. „Credo in US“ (1942) ist geschrieben für präpariertes Klavier, zwei Schlagwerke (Konservendosen, Wecker) und Plattenspieler. Zur Aufführung von „The Perilous Night“, entstanden im Winter 1943/44, betrat mit Benjamin Kobler ein erfahrener Pianist, der lange Zeit mit Karlheinz Stockhausen zusammengearbeitet hat, die Bühne. Das mit Radiergummis, Metallteilen und Holzstückchen präparierte Klavier nähert sich – besonders in der raffinierten Rhythmik des Teils VI – dem von Schlaginstrumenten dominierten Schwerpunkt des Abends an.

Frank Zappas frühe Bewunderung für Edgar Varèse (1883–1965) ist hinlänglich dokumentiert. So war es konsequent, mindestens ein Stück des amerikanischen Komponisten französischer Herkunft in die Reihe „‘Now!‘ – America“ der Philharmonie Essen aufzunehmen. Für „Ionisation“ (1931) wurden die 41 Schlaginstrumente und zwei Sirenen in einem eindrucksvoll beleuchteten Halbkreis aufgebaut. An das zuvor gehörte John-Cage-Stück knüpfte das Werk von Edgar Varèse auch insofern gut an, als hier ein weiterer Konzertflügel auf der Bühne zu den Schlaginstrumenten gerechnet werden kann. Erstaunlich leise, geradezu schallgedämpft anmutend, fügten sich die beiden Kurbelsirenen in die Komposition ein. Der Nachklang bleibt so lange im Raum stehen, als sei das gesamte vorausgegangene Rhythmusstück ein einziger Anlauf, um das Ausklingen erfahrbar zu machen. Der Dramaturgie des Abends kam es sehr entgegen, das nur rund sechs Minuten dauernde Stück zweimal zu spielen, jeweils unmittelbar vor und nach der Pause.

Der gesamte zweite Teil des Konzerts war Frank Zappas Kompositionen gewidmet. „The Black Page“ hat Zappa ursprünglich geschaffen, um die Virtuosität und Notenfestigkeit seiner Schlagzeuger zu testen. Zu deren Qual hat er die Noten so dicht gesetzt, dass die Seite von ihnen geschwärzt ist – daher der Name des Stücks. Am Mittwochabend wurden drei Versionen nacheinander aufgeführt. Die Schlagzeug-Fassung, die wir zum Beispiel aus einer Aufnahme kennen, in der die beiden Zappa-Drummer Terry Bozzio und Chad Wackerman den komplizierten Rhythmus perfekt synchron schlagen, wird in Essen von gleich fünf Schlagzeugern der musikFabrik gespielt. Übergangslos folgt die Variante für großes Ensemble, Black Page # 1 – gestrichener Kontrabass und Cello, drei Geigen, zwei E-Gitarren, Vibraphon, Marimbas, ein E-Piano und eine zehnköpfige Bläsergruppe bestehend aus Querflöte, Klarinette, Oboe, Trompeten, Zugposaune, Horn und Tuba. Black Page # 2, (laut Ansage) „The Easy Teenage New York Version“ gibt einen Einblick in Zappas Art, seine Kompositionen mit der Zeit mehrfach, auch radikal, zu verändern. Und spätestens jetzt ist der erste Eindruck von braven Musterschülern, aus denen sich die musikFabrik zusammensetzt, nicht mehr haltbar. Die Musik ist einfach groß, hymnisch; und die Musiker zeigen, dass sie es mit dieser Größe aufnehmen können.

„RDNZL“, „Echidna’s Art (Of You)“ und „Don’t You Ever Wash That Thing?“ werden grandios in einem Rutsch gespielt, so wie Zappa selbst gern seine Stücke ohne abzusetzen aneinanderfügte. Die Stellen der Partitur, an denen einst Ruth Underwood ihre Vibraphon-Soli lieferte, werden heute freudvoll von Geigern gezupft. Bei „RDNZL“ kommt neben dem Rock-Gitarristen ein mittlerweile historisches erscheinendes E-Piano zur Geltung; in „Echidna’s Art“ zeigt besonders der Schlagzeuger sein Können; und „Don’t You Ever Wash That Thing?“ bietet Raum für ein überzeugendes Bass-Solo. Danach gibt es für die musikFabrik und ihren Dirigenten Carl Rosman Standing Ovations. Als Zugabe spielte das große Ensemble „Sofa # 2“ – ohne Gesang in einer Full-blown-Version – und gleich im Anschluss „Son of Mr. Green Genes“.

Ein gelungenes Konzert. Es gibt nichts zu kritisieren. Allenfalls klingt in so manchem mitgehörten Pausengespräch etwas Bedauern durch, dass 1968 schon so weit zurückliegt. „My Guitar Wants to Kill Your Mama“ hat sich zwar nicht musikalisch, aber inhaltlich überlebt. An dem Zappa-Abend in der Philharmonie dürften neben zahlreichen Müttern auch Großmütter und Großväter ihre Freude gehabt haben, für die der Original-Frank-Zappa auf den Essener Songtagen 1968 noch das Versprechen auf eine nicht nur musikalische Revolution bedeutete. Junge Menschen gab es ebenfalls in nicht geringer Zahl im Publikum. Sie wirkten wie Kenner, nicht wie eine Schar, die aus Vergnügungssucht zu einer Massenveranstaltung strömt.

„Now!“ – America: Cage Reich Adams Zappa. Ensemble musikFabrik: Frank Zappa (Mittwoch, 30. November 2011, 19:30 Uhr in der Philharmonie Essen)

.Das Ensemble musikFabrik spielte in der Philharmonie Essen




Chaot der Rockmusik – Zum Tod von Frank Zappa

Von Bernd Berke

Das Poster, das den verzottelten Kerl auf der Toilette zeigte, hing fast überall, wo man rebellisch gestimmt war. Es war eine Ikone der 60er Jahre. Und der Titel seines ersten Albums „Freak out“ (etwa: Brich aus!) wurde zum Schlachtruf der Aufsässigen. Der Rockmusiker Frank Zappa, Symbolfigur einer ganzen Generation und Inbegriff des Underground, ist tot. Mit nur 52 Jahren starb er an Prostatakrebs.

Erst gestern früh wurde die traurige Nachricht bekannt, und die Agenturen verbreiteten sie mit dem Dringlichkeits-Vermerk „Vorrang“. Zappa starb bereits am Samstag in Los Angeles, am Sonntag wurde er schon im engsten Kreise von Freunden und Angehörigen beigesetzt. Seine Familie, Frau und vier Kinder, teilte lapidar mit, er sei nun „zu seiner letzten Reise aufgebrochen“. Vielleicht ist er ja nun in jener anderen Welt auf Tournee und logiert in einem jener „200 Motels“, die er einst besang und im Film zeigte.

„Kein Akkord ist häßlich genug…“

„Kein Akkord ist häßlich genug, um all die Scheußlichkeiten zu kommentieren, die von _ der Regierung in unserem Namen verübt werden“, befand Zappa zur Zeit des Vietnam-Krieges. Er soll schon als kleiner Junge gegen seines Vaters Arbeit in der Rüstungsindustrie protestiert haben, indem er tagelang eine Gasmaske trug. Mag das auch fromme Freak-Legende sein, so hielt sich Zappa später doch an die Sache mit den Akkorden. Keiner (außer vielleicht Jimi Hendrix konnte der Bühnen-Elektronik so nervenzerfetzende Kreischtöne entlocken und so chaotisch erscheinende Klang-Collagen basteln wie Zappa.

Impulse aus neuer E-Musik und Free Jazz

Das ging nur, wenn man andere künstlerische Fixpunkte hatte als lediglich die Rockmusik. Bei Zappa waren es Komponisten moderner E-Musik wie Strawinsky, John Cage und Edgar Varese, aber auch der Free Jazz. Ob man ihn bei solchen Grenzgängen zwischen den musikalischen Welten für ein Genie oder einen Scharlatan hielt, war ihm letztlich schnurz. So viel Sarkasmus wie seine Kritiker brachte er allemal auf. Übrigens hat er bis zuletzt verbissen gearbeitet und gegen seine Krankheit angekämpft: Im Frühjahr ’94 wird die kurz vor seinem Tod fertiggestellte Platte „Civilization: Phase III“ erscheinen.

Symbolische Massaker auf der Bühne

Berühmt wurde der am 21. Dezember 1940 in Baltimore/Maryland (USA) als Sohn sizilianischer Einwanderer geborene Zappa anfangs vor allem als Provokateur von speziellen Gnaden. Da ließ er von der Bühne herab Stofftiere ins Publikum ejakulieren, verübte symbolische Massaker an Baby-Puppen und lieferte obszöne Songtexte ab, in denen schmutzige „Four-Letter-Words“ reihenweise vorkamen. Wäre er tatsächlich in den Wahlkampf um die US-Präsidentschaft gezogen, wie er es einmal vorhatte, man hätte Amerika nicht wiedererkannt. Jedenfalls machten die rabiaten Auftritte ihn und seine Band „The Mothers of Invention“ zu Kultfiguren. Daß musikalisch eine ganze Menge Originalität dahinter steckte, merkten anfangs nur wenige.

Vermarktung – nicht ohne Zynismus

Doch auch der wildeste Freak kommt in die Jahre und möchte noch ein wenig abkassieren. So wurde Zappa in den 80er Jahren zum zynisch-gewieften Vermarkter. Auch seine Kinder spannte er ein. Kaum konnten sie singen, mußten sie vors Mikro, kaum konnten sie etwas kritzeln, gab es die Motive auf T-Shirt in Zappas Postversand. Und manchmal verstieg er sich in seiner Provokationslust auch ins Unsägliche, etwa indem er Spezial-KZ’s empfahl, um lasche Musiker auf Vordermann zu bringen…

Irgendwie hatte Grace Slick, die Sängerin von „Jefferson Airplane“ wohl schon recht, als sie mal über Zappa sagte: „Er ist das intelligenteste Arschloch, das ich je getroffen habe.“ Zappa selbst hätte gegen solche Sätze in seinem Nachruf wohl nichts einzuwenden gehabt.

 




Frank Zappa enttäuscht Publikum in Ahlen – ganz im Gegensatz zu Rory Gallagher

Von Bernd Berke

Ahlen. Es war nach Mitternacht, als die Legende endlich besichtigt werden durfte. Mit zwei Stunden (leider festivalüblicher) Verspätung trat er, als hätte sich die Erde aufgetan und Mephisto sei erschienen, urplötzlich ins Rampenlicht: Frank Zappa.

Ein artiger Dank ans Publikum, daß es bei dieser Kälte ausgeharrt habe, dann ging „die Post ab“. Kam aber nicht an. Wirkliche Aufnahmebereitschaft für Zappas hochdifferenzierte Musik war zu dieser Stunde kaum noch vorhanden. Wer (oh, rebellische Zeiten der „Mothers of Invention“!) eine provokante Bühnenshow erwartet hatte, ging gänzlich fehl. Statt dessen, der kunstvollen (bisweilen auch erkünstelten) Sperrigkeit dieser Musik zum Trotz, Perfektion ohne Ecken und Kanten. Die vielköpfige Begleitband des „neuen“ Zappa webt einen lückenlosen Klangteppich, der zwar Falten schlägt, aber nirgendwo mit der Gitarre „ausfranst“. Darauf setzt Zappa ins erwartete Improvisationsmuster, deren Variationsbreite vom Jazz bis zu neuerer E-Musik reicht.

Zappa, mittlerweile 43 Jahre alt, wirbt keine Sekunde lang um die Gunst des Publikums. Ohne Umstände, ohne Zwischenansagen liefert er seine Musik ab, läßt die Titel bruchlos ineinander übergehen. Viele enttäuschte Gesichter. Man nimmt die Klangkaskaden staunend bis bewundernd zur Kenntnis – nicht mehr und nicht weniger.

Wie anders hatte zuvor der Ire Rory Gallagher den Zuschauern eingeheizt! Während Zappas Distanzbedürfnis sich bereits in einer rigorosen Sonderabsperrung rund um die Bühne dokumentierte, gab sich Gallagher (natürlich wieder im karierten Kaufhaushemd) wie einer „von nebenan“. Er läßt nichts anbrennen, spielt sein „Rockpalast“-getestetes Repertoire („Double Visions“, „Big Guns“ usw.), tief in den Traditionen verwurzelten, erdigen Blues-Rock. Er fegt energiegeladen über die Bühne, macht den „Ritt“ auf der Gitarre wie weiland sein Vorbild Chuck Berry. Wie Zappa mit rund 20 Jahren Bühnenerfahrung gesegnet, verschreibt er sich ganz den Wünschen des Publikums. Zwei Weiten.

„Schlammschlacht“ auf Motocross-Gelände

Nicht nur zwei. Bereits zur Mittagszeit hatte das Freiluft-Festival begonnen: Mit den Gruppen „Lake“, „Sisters of Mercy“, „Waterboys“, „Blancmange“ und der besonders enttäuschenden Formation „The Alarm“. Viel Spreu, wenig Weizen. Und offenbar eine Programmzusammenstellung nach dem Zufallsprinzip.

Mit dieser Veranstaltung reiht sich Ahlen, für Rockfans bislang weißer Fleck auf der Landkarte, in den Reigen der Festivalorte ein. Wenn sich dort allerdings kein anderer Platz finden läßt als das Motocross-Gelände am Morgenbruch, sollte dies das erste und letzte Mal gewesen sein. Für Tausende nämlich geriet diese „Golden Summernight“ (Goldene Sommernacht) vornehmlich zur „Schlammschlacht“. Im regenweichen Lehmboden sank man unweigerlich zentimetertief ein. Mancher, der zu hastig ging oder Tanzversuche riskierte, klatschte gar vollends in den Morast.