Beichte eines Abo-Nomaden

Von Mietnomaden hat man schon Übles gehört. Sie ziehen weiter und weiter, stets Chaos und womöglich Müllberge hinterlassend. Eigentlich müssten sie Mietverweigerungsnomaden heißen, denn sie zahlen nicht fürs Wohnen. So schlimm verhält es sich bei mir nicht. Ich bin ja auch nur ein Abo-Nomade und bezahle meine Zeitungen pünktlich. Aber wechselhaft bin ich doch. Man könnte geradezu von Presse-Promiskuität sprechen. Hier meine schonungslose Beichte:

Das eine oder andere Print-Produkt... (Foto: BB)

Das eine oder andere Print-Produkt… (Foto: Bernd Berke)

Früher war ich mal ein ausgesprochen treuer Leser, habe viele Jahre lang zuerst die Frankfurter Rundschau (FR) abonniert, dann – ebenfalls für sehr lange Zeit – die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ). Die regionale Westfälische Rundschau (WR) gab’s eh über Jahrzehnte als Freiexemplar, weil ich dort gearbeitet habe.

Als sich der erste Riss auftat

Dann aber tat sich sozusagen ein Riss auf. Es hat mit der Entlassung der kompletten WR-Redaktion Anfang 2013 begonnen. Zwar war ich davon nicht mehr direkt betroffen, dennoch habe ich das (nunmehr kostenpflichtige) WR-Abo daraufhin sofort gekündigt und dem Verlag auch ausdrücklich den Grund genannt.

Für einige Wochen habe ich damals zähneknirschend die Ruhrnachrichten (RN) ausprobiert und vor allem im Mantelteil für unzureichend befunden, dann bin ich bei der WAZ angelangt. Als rundum zufriedenen Leser würde ich mich jetzt nicht bezeichnen wollen, aber zeigt mir bitte eine regionale Alternative.

Zwischenstopp bei Springer

Inzwischen hat das Wechselfieber auf den Umgang mit überregionalen Blättern ansteckend gewirkt. Vor einiger Zeit habe ich die FAZ gekündigt und vorerst nicht ersetzt. Kein herber Verlust, dachte ich, denn meine Frau hält schließlich die Süddeutsche Zeitung – und das ist wörtlich zu nehmen: Getreulich hält sie an dem achtbaren Münchner Produkt fest. Das müsste doch als Tageslektüre vollauf genügen.

Nach ein paar Monaten habe ich gemerkt, dass ich besonders das FAZ-Feuilleton doch vermisse – und habe die Zeitung erneut bezogen. Gleichsam im Gegenzug habe ich freilich die FAZ-Sonntagszeitung (FAS) abbestellt und vorübergehend durch die Welt am Sonntag (WamS) ersetzt. Diese Springer-Zeitung ist ideologisch nicht so einseitig, wie man es von früher her gekannt hat und bietet überdies einen kleinen NRW-Teil. Doch, ach: Den füllen sie über Gebühr auch mit nichtigen Promi-Bildchen, vorwiegend aus Düsseldorfer Schnöselkreisen.

Die Sonntags-Illusion

Nicht nur deswegen erfolgte kürzlich die nächste Volte: WamS aufgeben und dafür die ehrwürdige „Zeit“ ordern. Hintergedanke: Man kommt zwar donnerstags nicht dazu, sich die immense Stofffülle der „Zeit“ vorzunehmen, könnte dies aber sonntags nachholen, wenn dann keine andere Gazette ins Haus käme. Pustekuchen! Schon jetzt, im Vorfeld, habe ich gemerkt, dass das nicht funktionieren wird. Sonntags will man denn doch nicht mehr auf den nachrichtlichen Stand von Donnerstag zurückfallen, es darf auch schon mal etwas Aktuelleres sein; zumal die FAZ freitags noch mit einem Wochenheft dazwischen funkt.

Was habe ich wohl getan? Richtig. „Zeit“ gekündigt, FAZ-Sonntagszeitung wieder bestellt. Und das fühlt sich jetzt richtig an. Einige FAS-Spezialitäten haben mir doch gefehlt, auch hat man sich ans ansprechende Erscheinungsbild gewöhnt.

Falsche Kundennummer

Mittlerweile hält man mich offenbar per se für einen unsteten Patron. So erhielt ich kürzlich ein Schreiben der FAZ, die meine Kündigung bedauerte, ihr aber selbstverständlich entsprechen wollte. Nanu? Diesmal hatte ich wirklich nichts dergleichen veranlasst. Ein Anruf klärte das Missverständnis rasch. Es waren zwei Kundennummern vertauscht worden. Eine Dame hatte abbestellt – und das wurde auf meine Nummer verbucht…

Als vermeintlich Fahnenflüchtigem hat mir die FAZ jedoch schon ein spezielles Angebot unterbreitet, das mich zum Bleiben verlocken sollte. Zwölf Monate lesen, neun Monate zahlen. Schnäppchenjagd ist sonst nicht mein Metier, doch das habe ich als Pseudo-Neuabonnent mal dankend angenommen. Aber pssst! Nehmt es euch nicht zum Beispiel. Bleibt euren Blättern gewogen, wenn sie es wert sind. Oder habt ihr etwa gar keine mehr?

Ein haltloser Geselle

Blickt ihr noch durch? Wollt ihr noch hören, dass ich zwischenzeitlich auch jeweils kurz den „Freitag“, „Cicero“ und „The Guardian Weekly“ im Briefkasten hatte (ihr seht, politisch bin ich nicht so starr festgelegt)? Interessiert es euch überhaupt noch, dass ich – wie hier schon dargelegt – zeitweise ein Online- statt ein Print-Abo der FAZ bezogen und ebenfalls wieder verworfen habe?

Wir fassen zusammen: Alles in allem bin ich, was Zeitungen anbetrifft, schon ein haltloser Geselle geworden. Aber in Zukunft will ich die Blätter nur mit Büchern betrügen und ansonsten standfest bleiben. Um es mit „Monaco Franze“ ebenso schillernd wie herzig zu sagen: „Seelisch bin i dir treu, Spatzl“.

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P.S.: Genau! Spiegel, Focus und Taz habe ich bei all den Wechseln immer ausgelassen, also niemals bestellt. Und das dürfte auch so bleiben.

P.P.S.: Bin mal gespannt, welche Abo-Werbung mir demnächst ins Haus und in die Mailbox flattert.




Moden und Marotten im Journalismus (3): Die Welt als Quiz, das Leben als Liste

Lange keine „Moden und Marotten im Journalismus“ mehr aufgegriffen. Das macht: Die allfälligen Insolvenzen und Entlassungen sind weder dies noch das, sondern harte Wirklichkeit. Nun aber doch noch ein paar einschlägige Worte zum Jahres-, äh, nun ja, sagen wir’s ruhig unverhohlen: „Ausklang“.

1.) In deutschen Gazetten vergeht kaum ein Interview, dessen Inhalt nicht in einem Dreischritt angekündigt würde. Ich erfinde jetzt mal eine solche Zeile: „Peer Steinbrück über billigen Wein, miese Kanzlergehälter und ordentliche Rednergagen“. Verzeihung. Aber so etwa in dieser Art. Es gibt auch den Vierfach-Anreißer, doch der ist sehr viel seltener und gerät auch leichter ins Schlingern. Die Drei erweist sich abermals als magische Zahl, mit der sich etwas glückhaft zu runden scheint.

2.) Früher sind halt Artikel erschienen. Beispielsweise mit 80, 120, 150 oder 200 Zeilen. Egal. Jedenfalls als zusammenhängende Texte, allenfalls durch Absätze oder eingestreute Bildelemente gegliedert. Irgendwann kamen die Zwischenzeilen auf, die mitten im Beitrag standen und die einzelnen Lesestrecken abkürzten. Auch fette Vor- und Nachspänne (siehe auch hier oben) sorgten für optische Erholung. Heute löst man – besonders in Regionalzeitungen – halbwegs komplexe Sachverhalte gern gleich in kurzatmige Frage- und Antwort-Spielchen auf. Besonders mit den oft bewusst naiv gestrickten Fragen „holt man den Leser da ab, wo er ist“ (oh, unsägliches Diktum!), will heißen: Man setzt nur ganz niedrige Einstiegsschwellen. Der Trend beim Hörfunk geht in eine ähnliche Richtung. Immer kürzere Häppchen, immer simplere Sprache. Vom Fernsehen ganz zu schweigen. Das degeneriert vielfach zum bloßen Bildchengucken mit Krawall.

3.) Apropos Fragen und Antworten. Bei den Jahresrückblicken, die jetzt wieder zuhauf auf uns eingeprasselt sind, wurde es wieder besonders deutlich: Im Gefolge von Kerkeling, Jauch und anderen wird quasi das ganze Leben zum Quiz. Die „Süddeutsche“ hat fast ihr ganzes Magazin mit Multiple-Choice-Fragen gefüllt. Motto: Was haben Sie von diesem Jahr im Gedächtnis behalten? Damit’s bloß nicht zu langweilig wird, überwiegen schräge Fragen mit Scherzfaktor. Bei wirklichen Wissenslücken lässt sich der Leser eben nicht so gern ertappen.

4.) Hurra, es lebe die Liste! In Feuilleton der heutigen FAZ-Sonntagszeitung (FAS) erlebt man es bis zum Exzess, praktisch das gesamte Zeitungsbuch wird auf diese Weise gefüllt. Das Spektrum der munteren Auflistungen reicht von -zig Gründen für den heiteren Abschied vom Jahr über „Die zehn scheinheiligsten Aussagen des Jahres“, neun „zu häufig gesehene Personen“ (Platz 1: Peter Sloterdijk) und die 18 „Trostloseste(n) Sätze des Jahres“ bis hin zur „Liste meiner Listen“. Zum einen bedient man also das längst gängige Muster, zum anderen geht es in diesem Intelligenzblatt selbstredend hochreflexiv und potenziert selbstironisch her.

5.) Das besagte letzte SZ-Magazin und das erwähnte Feuilleton der FAZ-Sonntagszeitung deuten einen weiteren Trend an: Thematisch beinahe beliebig bunt gewürfelte, aber formal über weite Strecken durchweg gleich (nämlich möglichst kleinteilig) strukturierte Produkte sind offenbar schwerstens „hip“.

6.) Aber wer weiß, was morgen ist.

7.) Und damit endet diese kleine Liste.

In diesem Sinne ein schönes Jahr 2013 mit neuen Moden und Marotten. Oder auch mit Abstand von denselben.

P.S.: Hier wird nicht postuliert, dass Journalismus möglichst kompliziert und nutzerabweisend sein möge. Auch von Marotten angekränkelte Beiträge können auf ihre Weise gut oder gar brillant gemacht sein.