Boxlegende Muhammad Ali – mythische Momente auf der Frankfurter Buchmesse 2003

Muhammad Ali (ehedem Cassius Clay), der größte Boxer aller Zeiten, ist mit 74 Jahren gestorben. Dazu ein Artikel-Auszug als kleine Erinnerung von der Frankfurter Buchmesse 2003:

Gar keine Frage: Es war d e r Auftritt der Buchmesse überhaupt. Als die Boxlegende Muhammad Ali sich endlich zeigte, drängelten sich Hunderte von Journalisten aus aller Welt. Als er dann bedächtig in einen vorbereiteten Boxring stieg und durchs Geviert zwischen den Seilen tappste, jubelte ihm die Menge der Messebesucher zu wie einem Messias.

Da könnte einer wie Dieter Bohlen tausendmal „titanenhaft“ zur Tür `reinkommen – und hätte nicht den Bruchteil jenes Schauders ausgelöst, wie er sich gestern in Frankfurt unfehlbar einstellte. Man weiß nicht, wie und warum. Doch für Sekunden fühlte man sich plötzlich, als befinde man sich näher am Herzen der Dinge. So wirkt der geheimnisvolle Stoff, aus dem wirkliche Mythen sind.

Dabei war es eine überaus zwiespältige Angelegenheit. Der schwer kranke Ali, der bekanntlich seit Jahren unter Parkinson leidet, kann sich gleichsam nur noch in Zeitlupe regen – welch ein betrüblicher Kontrast zu seinen großen Boxerzeiten! Dennoch hat man ihn zwecks Werbung für ein sündhaft teures Huldigungsbuch eingeflogen. Es war gewiss eine Strapaze, als die zahllosen Kamera-Teams ihn und seine Frau zu immer neuen Posen animierten: Fäuste ballen, Küsschen geben usw. Doch vielleicht hat es seiner müden Seele auch noch einmal gutgetan. Wie aus einer anderen Sphäre herbeigezaubert, kam das eine oder andere Lächeln auf sein Gesicht…

Mehr Rummel geht nicht. Damit verglichen hat es auch Doris Schröder-Köpf, immerhin Ehefrau des Bundeskanzlers, schwer, die Aufmerksamkeit auf ihr Anliegen zu lenken. Im Lesezelt der Buchmesse startete sie gestern mit weiteren Prominenten (Amelie Fried, Petra Gerster) die Aktion „Deutschland liest vor“…

(Der komplette Bericht stand am 10. Oktober 2003 in der Westfälischen Rundschau, Dortmund)




Ein Rest von Unbehagen: Rundgang durch die Frankfurter Buchmesse / Erhöhte Sicherheits-Maßnahmen

Aus Frankfurt berichtet Bernd Berke

„Öffnen Sie bitte Ihre Tasche!“ heißt es freundlich aber bestimmt am Eingang. Erst nach eingehender Prüfung darf ich das Gelände der Frankfurter Buchmesse betreten. Später, an den Pforten zur Halle 8, erledigen die Sicherheitskräfte die Durchsieht nochmals – jetzt ganz ohne meine Mitwirkung. Hier geht’s noch bedeutend gründlicher zu. Es ist nur allzu verständlich, denn in diesem Bereich stellen u. a. Verlage aus den USA, Großbritannien und Israel aus.

Die sichtbare Polizei-Präsenz bei den folgenden Messerundgängen hält sich in Grenzen. Man ist jedenfalls froh, dass Vorkehrungen getroffen werden. Beispiel: Es gibt keine Schließfächer, in denen jemand Explosives deponieren könnte. Um Punkt 19 Uhr müssen alle Hallen menschenleer sein, am anderen Morgen werden sie erneut durchkämmt. Trotz alledem bleibt ein haarfeiner Rest von Unbehagen. Heuer in Frankfurt zu sein, ist etwas anders als ehedem.

Branchenthemen rücken in den Hintergrund

Der Terror des 11. September hat eben auch das altvertraute Buchmessen-Feeling nicht ganz unberührt gelassen. Branchenthemen wie Euro-Umstellung oder Urhebervertragsrecht rücken in den Hintergrund. Und Editionen, die sonst vielleicht Trends markiert hätten, wirken auf einmal läppisch, beispielsweise die nun zahlreich erschienenen Bände, die im Gefolge des Fernseh-Quizbooms die Lust an raschen und eindeutigen Antworten nähren. Doch das Leben ist leider kein Quiz.

Akutere Relevanz besitzen hingegen viele der eilig in den Vordergrund geschobenen Bücher über den Islam. Allseits sehen sich nun Schriftsteller unter Erwartungsdruck gesetzt, dem bitteren Ernst der Weltlage gerecht zu werden. Manche wehren sich schon gegen derlei Ansinnen, so etwa gestern am Messestand der Wochenzeitung „Die Zeit“ der prominente Dramatiker Moritz Rinke.

Der Druck, jetzt Bücher über Terror zu schreiben

Bis man ein Buch zum Thema geschrieben und herausgebracht habe, hätten die Journalisten doch schon alles abgegrast, befand der Autor. Der „hohe Geräuschpegel“ mancher Darstellung gehe ihm schon jetzt auf die Nerven. Dennoch fürchtet auch Rinke, dass alle anderen Stoffe jetzt unter Nichtigkeits-Verdacht geraten. Im WR-Interview (ausführlich in einer der nächsten Ausgaben) äußerte sich auch Wilhelm Genazino ablehnend. Wer von Autoren jetzt nur noch dieses eine Thema fordere, der übe geistigen Zwang aus.

Heute, genau einen Monat nach den Attentaten, soll in den Messehallen eine Schweigeminute zum Gedenken an die Opfer eingelegt weiden. Ohnehin geht es spürbar gedämpfter zu als sonst. Mag sein, dass sich dies im Lauf der Messetage normalisiert. Doch gestern hielten sich notorische Marktschreier für Druckwaren merklich zurück, und wo ein Werbefilm-Monitor lief, da hatte man den Ton zumeist auf Schwundstufe gedreht. Das gilt nicht zuletzt für die Hallenbezirke der US-Verlage. Wegen einiger Absagen klaffen hier denn doch ein paar empfindliche Lücken in den Reihen der Kojen.

Griechenland – nicht allzu lektürefreundlich

Orts- und Szenenwechsel: Mit dem Griechenland-Schwerpunkt ist das so eine Sache. Das Land so vieler antiker Klassiker ist heute nicht gerade lektürefreundlich. Nur 19 Prozent der Griechen lesen regelmäßig Zeitung. Zwar gibt’s in der Hauptstadt Athen eine ruhmreiche Straße mit Dutzenden von Buchladen, doch nur rund 700 000 von 10 Mio. Einwohnern des Staates dürfen als verlässliche Buchkonsumenten gelten. Ein wenig spiegelt‘ sieh dies auch in der Frankfurter Sonderschau, die mit vielen touristischen Reminiszenzen, Musik und bildender Kunst durchaus sinnlich garniert ist. Fast könnte man die Bücher aus und über Griechenland für Nebensachen halten. Dennoch kann man nicht nur von Homer bis Platon, sondern auch bei den griechischen Gegenwartsautoren einiges entdecken; zumal auf dem Felde der lyrischen Produktion.

Ein Kompliment muss man den Messegestaltern machen. Sie haben einiges verändert. Die Messe ist deutlich kompakter geworden, die neue Halle 3 (hier und in Halle 4 konzentrieren sich die deutschsprachigen Verlage) lässt reichlich Tageslicht zu den Büchern, man fühlt sich nicht mehr wie in einem großen Lesebunker. Neu sind auch das „Forum“ (Griechenland-Schwerpunkt) und ein großes Parkhaus, das etwaiges Anfahrts-Chaos mildert. All das könnte man als Besucher ungetrübt genießen. Wenn denn die Begleit-Umstände anders wären…

Bis Freitag nur für Fachbesucher. Sa/So. (13. und 14. Oktober) ist die Messe für alle zugänglich (jeweils 9 bis 18.30 Uhr). Tageskarte 14 DM.




Ein Rundgang durch das Reich der Zufälle – Buchmesse: Sigrid Löffler, Harry Potter, Beatles und Nobelpreisträger Gao Xingjian

Aus Frankfurt berichtet Bernd Berke

Trübes, kühles Wetter in Frankfurt. Ausgesprochenes Bücherwetter. Hinein also in die Hallen der Buchmesse, hin zu den Büchermenschen.

Man muss sich Fix- und Zielpunkte schaffen, sonst droht man schier unterzugehen im Reich der Zufälle, das hier aus 380.000 Titeln besteht. Da trifft es sich, dass Sigrid Löffler (ehemals beim „Literarischen Quartett“) just die zweite Nummer ihrer Zeitschrift „Literaturen“ vorstellt und eine erste Bilanz ihres ehrgeizigen Projekts zieht. Von der ersten Nummer wurden rund 70.000 Exemplare gedruckt, nun sind es bereits 103.000. Buchhandel und Kioske hätten mehr geordert als zuvor, auch die Abo-Zahlen entwickelten sich ordentlich.

Löffler, leicht pikiert über das vielfach skeptische Echo auf die erste Ausgabe: „Viele Leser sind mir lieber als gute Kritiken.“ Trotzdem: Ein paar „Feinjustierungen“ habe man vorgenommen am Konzept, besonders in optischer Hinsicht. Auch den vierten Band von „Harry Potter“ bespricht man jetzt.

Apropos: Man kommt um den Millionen-Seller einfach nicht herum. Am Stand des Hamburger Carlsen-Verlages ist den Mitarbeitern die halbwegs überstandene Hektik rund um die Potter-Mania noch anzumerken. Sie schauen etwas erschöpft, aber glücklich drein. Ja, die erste Auflagen-Million sei restlos abgesetzt, man drucke nun eilends nach, denn es gebe schon 500.000 weitere Vorbestellungen. Nein, die Autorin Joanne K. Rowling werde nicht zur Buchmesse kommen, vielleicht befürchte sie einen gar zu großen Rummel. Nächstes Jahr wahrscheinlich.

Schwerpunkt mit Comics

Lässt man sich durch die Hallen treiben, so hat man den Eindruck, dass Kinder- und Jugendliteratur tatsächlich auffälliger und selbstbewusster präsentiert wird als in den Vorjahren. Vielleicht liegt’s ja auch am Comic-Schwerpunkt, den man kurzerhand mit verbucht, obwohl doch die fanatischsten Sammler gewiss Erwachsene sind, manchmal auch erwachsene Kindsköpfe.

Viele Comics bleiben ewig jung, einige Pop-Gruppen desgleichen: Die „Beatles“ ziehen immer noch – und wie! Ullstein präsentiert großflächig seine opulente „Beatles Anthology“, ein Werk, das wahrlich Besitzwünsche weckt. Bei Heyne hängt man sich mit „Die Beatles – Wie alles begann“ an den Nostalgie-Trend, ein weiterer Verlag hat rasch ein illustriertes Songbook neu aufgelegt. Und das sind nur die Zufallsfunde in Sachen „Fab Four“.

Warum hat die Jugend des Westens Mao verehrt?

Letztes Jahr war’s Günter Grass, diesmal ist es Gao Xingjian, der die Messe mit seiner Anwesenheit schmückt. Es ist doch immer wieder erhebend, einen frisch bestimmtenLiteraturnobelpreisträger leibhaftig zu sehen. Das dachten sich wohl auch die zahllosen Kamerateams und Fotografen der Weltpresse, die gestern den Chinesen in ein wahres Lichtgewitter tauchten. Tatsächlich wirkt Gao, dessen Werke in China strikt verboten sind, schon fast wie ein Europäer, seine Pressekonferenz absolvierte er auf Französisch.

„Comme un miracle“ (wie ein Wunder) sei ihm die Preisvergabe erschienen. Jaja, Gerüchte über Mauscheleien im Preiskomitee habe er „gestern vernommen“, dazu wolle er aber nun wirklich nichts sagen. In Anlehnung an den Polen Witold Gombrowicz, der gleichfalls Im Exil gelebt hat, rief Gao aus: „China – das bin ich.“ Will heißen: Das kommunistische Regime habe alle guten alten chinesischen Traditionen zerstört, er aber wolle sie aufsuchen und aufrecht erhalten.

In Hongkong und Taiwan sei er gelegentlich noch gewesen, doch er habe kaum Hoffnung, jemals das festländische China wieder zu sehen. Maos „so genannte“ Revolution sei „ein Wahnsinn, ein Albtraum“ gewesen. Er, Gao, frage sich bis heute, wieso die Jugend des Westens diesen Mann habe bewundern können. Jaja, vor mehr als dreißig Jahren war es so. Und schon damals sang John Lennon mit den „Beatles“ dagegen an („Revolution“). So schließt sich der Kreis.

Frankfurter Buchmesse: Bis einschl. Freitag für Fachbesucher, Samstag/Sonntag (21. und 22. Oktober) auch für Privatleute. 9-18.30 Uhr, Tageskarte 14 DM. Messekatalog (Buch und CD-Rom) 35 DM.




Buchesse als Rummelplatz der Auflagen-Giganten – die Auftritte des Literaturnobelpreisträgers Grass und des Kritiker-Papstes Reich-Ranicki

Aus Frankfurt berichtet Bernd Berke

Auftritt der Auflagen-Giganten gestern auf der Frankfurter Buchmesse: Zuerst begab sich Literaturnobelpreisträger Günter Grass vor die Presse, dann wurde sein kritischer Widersacher Marcel Reich-Ranicki am Verlagsstand umlagert wie ein Popstar.

Grass‘ noble Geste: Damit über seiner eigenen Auszeichnung der „Alternative Nobelpreis“ nicht etwa vergessen werde, stand er gemeinsam mit dessen Träger, dem SPD-Bundestagsabgeordneten Hermann Scheer, Rede und Antwort. Scheer setzt sich seit Jahren unermüdlich für die Sonnenenergie ein. Beide befanden, Grass habe die nahende ökologische Katastrophe seinem Roman „Die Rättin“ visionär geahnt.

So inständig man auch über Sonnenenergie als Abhilfe reden wollte, die Frage nach dem roten Tuch der SPD, Oskar Lafontaine, ließ sich einfach nicht vermeiden. Der hatte – wie berichtet – am Mittwoch auf der Buchmesse wissen lassen, seine Freundschaft mit Grass sei „belastbar“. Doch Grass blieb bei seiner „Kündigung“: Lafontaine habe sich der Partei gegenüber „jämmerlich und erbärmlich“ verhalten.

Lafontaine soll endlich „die Klappe halten“

Da Lafontaine von allen Ämtern zurückgetreten sei, in denen er etwas hätte bewegen können, müsse er nunmehr wirklich „die Klappe halten“. Grass ist freilich Realist: „Ob es ihm gelingt, wage ich zu bezweifeln“. Lafontaine sei gewiss begabt, er habe immer mal wieder sehr richtige Dinge gesagt, es fehle ihm aber seit jeher an Geduld. „Dann folgt er wieder anderen Einfällen, und sein neuestes Thema ist nur noch er selbst…“ Außerdem sei Sonnenenergie wichtiger als all dies.

Grass beklagte den Hang zur Mystifizierung und zum nahezu priesterhaften „Sehertum“, der sich in der Literatur wieder breitmache – bis hin zur vom Philosophen Peter Sloterdijk angestoßenen Debatte um die Gentechnik. Hier werde eine Abkehr vom Erbe der Aufklärung sichtbar. Ein Schriftsteller müsse „in der Zeit stehen“. Es kennzeichne den wahren Autor, dass er schreiben müsse, dass er nicht umhin könne, persönlichen Verlust-Erfahrungen zu Welt-Erfahrungen gerinnen zu lassen.

Gute Schriftsteller erkennt man an den Zumutungen

Am Abend zuvor hatte Grass beim Empfang am dtv-Verlagsstand ein Ärgernis benannt: Jungen deutschen Autoren werde von der Kritik immer öfter empfohlen, sie sollten das Publikum mehr unterhalten. Das reiche beileibe nicht aus, so Grass: „Einen guten Schriftsteller erkennt man vor allem an den Zumutungen“. Und auf die einigermaßen müßige Frage, wer nach seiner Meinung im Jahre 2000 den Literaturnobelpreis bekommen werde: „Ach, das weiß ich auch nicht. Die Chinesen wären mal an der Reihe. Die haben sehr gute Autoren.“

Böse Zungen nennen es „Lunger-Journalismus“. Was damit gemeint ist? Nun, beispielsweise stundenlang vor dem Kanzleramt stehen, um einen Kernsatz von Schröder zu erhaschen. Fast so erging’s einem, als man gestern zu Marcel Reich-Ranicki vordringen wollte. Chaotisch war der Stand von DVA umlagert, wo er die Memoiren „Mein Leben“ herausgebracht hat.

Ein Mikrofon fand sich nicht, nur jeweils acht bis zehn Leute konnten ihm lauschen. Ohne wüstes Drängeln ging’s nicht ab. Manchen reichte im Geschiebe schon die vage Impression („Ich habe seine Glatze gesehen, ich geh‘ wieder“). Postwendend reagierte Reich-Ranicki auf Grass‘ Äußerung, Zumutungen seien in der Literatur wichtiger als Unterhaltung. „Im Grunde richtig, aber in Deutschland falsch, ganz falsch!“ rief er aus. Hierzulande muteten die meisten Autoren den Lesern unentwegt etwas zu, verstünden es aber nicht zu unterhalten.

 




Goethe, Grass und Görner im Rucksack – ein Rundgang durch die Hallen der Frankfurter Buchmesse

Aus Frankfurt berichtet Bernd Berke

Der Buchmesse-Rundgang gerät an manchen Stellen ins Stocken. Nicht nur, weil die Leute blättern oder einen Schwatz halten wollen, sondern weil Menschenknäuel rund um die Hochprominenz die schmalen Wege verengen. Beispielsweise gestern am Econ-Stand. War Oskar Lafontaine mal wieder da? Nein, nein, nicht immer nur er! Manfred Krug gab sich die Ehre des Signierens.

Schöne Anblicke: Nebenan verteilte eine Dame im Brautkleid Rosen, derweil stehen zwei Nonnen ganz dicht beim „Kommissar Stöver“, der heuer „66 Gedichte“ präsentiert. Von hinten ruft ein Zaungast: „Der sieht aber schlecht aus.“ Nun ja: Krug war nicht eigens „in der Maske“, ihm ist’s warm unter den Scheinwerfern.

Beim Durchzwängen merkt man, wie viele Besucher die unvermeidlichen Rucksäcke tragen. Das kostet Platz. Gewagte Überleitung: In diesen Beuteln steckt oft viel drin, in den Büchern mitunter auch. Beispielsweise im Brockhaus-Lexikon „Multimedial 2000″, das auf drei CD-Rom-Scheiben 89 000 Stichworte bietet und jederzeit übers Internet aktualisiert werden kann. Zu vielen Schlagwortcn bekommt man noch „Links“ (Verbindungen zu anderen Internet-Adressen), wo man beim Durchklicken noch mehr erfährt – weit übers Lexikon hinaus.

Die Belletristik treibt zwar oft die schönsten Blüten am Bücherbaum, doch die meisten Regale sind mit Ratgebern gefüllt. Es findet sich alles, womit man gesund, reich, schön und glücklich werden soll.

Der Sammler hat das Jahrhundert gern „komplett“

Die meisten Verlage haben irgendetwas zum Thema „Millennium“ im Programm, es ist eben die hohe Zeit der Rückblicke. Der Büchersammler hat das Jahrhundert gern „komplett“. Danach sehen und lesen wir weiter. Doch wer einmal mit Sachbüchern Tagesumsatz macht, schmückt sich auch gern mit der schönen Literatur, mit Dichtung „für die Ewigkeit“. Bestes Beispiel ist DuMont. Mit ihrer noch recht jungen belletristischen Reihe zählen sie schon zur Creme.

Wer einen Grass hat, zeigt ihn deutlich vor – in erster Linie Steidl und der Deutsche Taschenbuchverlag. Auch Goethe „zieht“ – zumal bei den „Hörbüchern“: I.utz Görners Gedicht-Rezitationen und der „Faust“ mit Gründgens stehen auf den beiden obersten Plätzen der akustischen Hitliste.

„Picknick mit Eckermann“

Auch Kochbuchverlage sind in diesem Jahr gern „Zu Gast bei Goethe“. Gelegentlich darf’s auch schon mal ein „Picknick mit Eckermann“ sein, Goethes Vertrautem der späten Jahre. Unterdessen bietet der Leipziger Miniaturbuch-Verlag Goethes „Faust I“ im Streichholzschachtel-Format. Das spart etwas von dem Platz ein, den die Rucksäcke kosten…

Manche Verlagskojen wirken traurig. Ein einziger Autor sitzt melancholisch herum. Andere hingegen geben sich triumphal, es sind die großen Gemischtwarenläden, die jedem etwas bieten: Bertelsmann besetzt eine ganze Standlandschaft; die Gruppe Droemer/Weltbild braucht turmartige Lichtsäulen, um all die Verlage zu nennen, die zu ihr gehören. Wer hat, der hat.

Über das Gastland Ungarn, das sich in der Halle 3 gediegen präsentiert, hat der Autor Peter Esterhazy Wesentliches gesagt: Man sei literarisch eine Weltmacht geworden, aber in der so besonderen Sprache eingekerkert. Wohl wahr. Die Übersetzer sind nicht zu beneiden. Bleibt der Rat: Achten Sie in der Buchhandlung Ihres Vertrauens auf die Ungarn – auf Namen wie György Dalos, Imre Kertesz, Laszlo Krasznahorkai, György Konrad, Terezia Mora und all die anderen.

Frankfurter Buchmesse: Bis einschl. heute (Freitag) nur für Fachpublikum. Samstag/Sonntag (9-18.30 Uhr) für alle zugänglich. Tageskarte 12 DM. Messekatalog mit CD-Rom und allen Adressen 45 DM.




In der kleinen Messekoje spürt „Grafit“ den Trend zum Krimi – Verlag aus Dortmund-Hörde auf dem Frankfurter Büchermarkt

Von Bernd Berke

Wie ist das eigentlich – als Kleinverlag unter 8403 Ausstellern der Frankfurter Buchmesse um Aufmerksamkeit zu buhlen? Nun, unter Umständen gar nicht so schlimm.

Rutger Booß, Gründer und Eigner des Grafit-Verlages in Dortmund-Hörde, der sich vor allem auf Revier-Krimis und Hotelführer spezialisiert hat, ist mit dem Messeverlauf zufrieden. Zwar sagt er: „Eine Teilnähme ist so kostspielig, daß sie sich für uns kaum rechnet.“ Doch die Kontakte, die hier geknüpft werden können, sind im Grunde nicht bezahlbar. Allein in der Zeit, als die WR den Stand besuchte, wurden gleich mehrere Projekte angeregt, darunter eine Krimi-Nacht der VHS in Bottrop mit Beteiligung von Grafit-Autoren.

Seit etwa dreieinhalb Jahren gibt es den Verlag. Inzwischen kann Booß samt zwei Mitarbeitern davon leben. Und es stellen sich auch größere Erfolge ein. So hat der Deutsche Taschenbuchverlag (dtv) mehrfach wegen Lizenzen angeklopft, und kürzlich hat Grafit dem ZDF die Verfilmungsrechte an einem Münsterland-Krimi verkaufen können. Allmählich, so scheint es, weiß man auch außerhalb des Ruhrgebiets mit dem Namen Grafit etwas anfangen. Doch nach wie vor verkaufen die Dortmunder den Löwenanteil des Programms rund um Ruhr und Emscher.

Mit der Lage seines Messestandes ist Booß nicht so glücklich. Man ist mit der kleinen Koje zwischen lauter anderen Kleinverlagen gelandet. Durch diese Zeile fließen nicht gerade die großen Publikumsströme. Doch das, so Booß, werde durch einen noch verstärkten Trend zum deutschsprachigen Krimi mehr als wettgemacht: „Diese Sparte läuft spürbar besser als 1992.“ Unterdessen hat man auch die neuesten Zeitzeichen erkannt und ist zusätzlich in der Messehalle 1 vertreten – bei den elektronischen Büchern; freilich nur als Anbieter von Urheberrechten. Grafit sucht nämlich einen Partner, der die Daten seiner Hotelführer auf CDs überspielt.




Moderne Zeiten: Das Lesen wird zum Videospiel – Impressionen auf der Frankfurter Buchmesse

Von Bernd Berke

Frankfurt. Ein kleiner Blick ins Lexikon gefällig? Schauen Wir mal unter „V“ wie Vulkan nach. Da steht jede Menge. Welcher Berg wann Lava ausgespien hat usw. Aber das wollen wir jetzt auch vorgeführt bekommen.

Kein Problem. Wir rollen die kleine Computer-Maus so hin und her, daß ein Bildschirm-Pfeil auf das entsprechende Symbol zeigt, machen einmal kurz „Klick“ mit der Taste – und schon sehen wir den tätigen Ätna oder Vesuv. Natürlich unterlegt mit dem entsprechenden Katastrophen-Sound.

So sieht die elektronische Zukunft des Buches ungefähr aus, und sie hat schon begonnen. Demnächst auch bei Ihrem Buchhändler: Auf Disketten oder CDs (CD-Rom) gebannte, nach Belieben multimedial mixbare Informationen (Texte, Bilder, Töne) machen dasLesen zum Grenzfall zwischen Lektüre und Videospiel.

Auf der Frankfurter Buchmesse füllen die 170 Anbieter zwar noch keine komplette Halle, aber immerhin eine weitläufige Etage, die eher an die Computermesse CeBit erinnert. Hier tummeln sich viele Kinder und Jugendliche, die all die schönen neuen Sachen unbefangen ausprobieren.

Mitten im Gewühl liegt ein Forum, in dem Seminare für Buchhändler und Verlagsleute abgehalten werden. Just hier schickt sich eine Yuppie-Fraktion des Buchhandels an, den Kollegen das elektronische Spielzeug schmackhaft zu machen. Die smarten Dozenten reden schnittig von „nice to have“-Produkten (Sachen, die man ganz gern mal hätte), von „Infotainment“ und „Edutainment“ (unterhaltsame Information bzw. Lernen).

Keine Lust zum Buchstabieren

Süffisant werden Techniken des Kundenfangs erläutert: „Wo man die Abspielgeräte kauft, da kauft man auch die Software.“ Diesen Markt dürfe man keinesfalls an Kaufhäuser und Computerhändler verlieren. Man könne zur Einstimmung ja schon mal Software-Abende im Buchgeschäft veranstalten: „Die Kunden zahlen sogar Eintritt dafür.“

Der Buchhandel, so predigen die Zukunftsjünger, solle sich jedenfalls endlich damit abfinden, daß die meisten Leute keine rechte Lust mehr zum altbackenen Lesen haben. Der Kunde wolle spielen, er brauche Animation. Und sie führen auch gleich vor, was sie meinen – selbstverständlich mit einem Elektro-Buch zum Modethema Dinosaurier. „Jetzt laden wir uns einen Brontosaurus“, heißt so was im Computerdeutsch. Und sogleich sieht man das liebe Tierchen, kann man ausgewählte Details „anklicken“. Auch Trickfilme stecken im Programm. Man erlebt z. B., wie ein herzzerreißend brüllender Dino bei der Jagd erlegt wird. Action zählt.

Überhaupt muß man befürchten, daß die neue Technik teilweise beherzt mit trivialen Inhalten gefüttert wird. Sicher, da gibt es sehr nützliche Dinge wie alle möglichen Lexika und Wörterbücher, gefahrlose Chemie-Experimente auf dem Bildschirm, umfangreiche Fußball-Statistiken zum beliebigen Umsortieren, elektronische Kochbücher (in denen man das fertige Menü schon betrachten kann, Karten und Reiseführer in nie gekannter optischer Ausführlichkeit.

Vereinzelt findet man auch schöne Literatur: Shakespeares Gesamtwerk paßt auf eine einzige CD. Don Quixote kommt, Tod der lesenden Phantasie, mit Text und Animation daher. Dabei ist es doch wichtig, sich nur vorzustellen, wie er mit dem Windmühlenflügeln kämpft. Aber solche Reisen durch den eigenen Kopf werden einem hier nicht gestattet. Kulturpessimisten befürchten bereits, demnächst müsse man Goethes „Werther“ beim Selbstmord zugucken…

Etwas, mulmig wird einem schon bei den Kinder-Bildschirmbüchern. Mit sogenannten „interaktiven“ Ausgaben (CD-I) können die Kids gar eine Geschichte nach Gutdünken unterbrechen und nach Wunsch immer wieder anders ablaufen lassen. Haben da die Eltern mit ihren Gutenacht-Geschichten überhaupt noch eine Chance?




Buchmesse: „Reden wir die Krise nicht herbei!“ – Zahl der Aussteller in Frankfurt geschrumpft

Von Bernd Berke

Frankfurt. „Reden wir die Krise doch bitte nicht herbei!“ Beinahe flehentlich klang gestern Dorothee Hess-Maier, Vorsteherin beim Börsenverein des deutschen Buchhandels. Was sie zur gestern Abend eröffneten 44. Frankfurter Buchmesse zu sagen hatte, erinnerte ein wenig an das Pfeifen im dunklen Wald. Natürlich, so Frau Hess-Maier, beginne sich auch der Buchhandel um die allgemeine Rezession Sorgen zu machen, doch gehe es der Branche immer noch besser als manch anderem Einzelhandelsbereich.

Obwohl das Buch also offenbar noch kein Notfallpatient ist, griff Frau Hess-Maier doch zu einem medizinischen Vergleich: „Wenn der Buchhandel einen Schnupfen hat, muß man ihm nicht gleich die Schwindsucht andichten.“ Also doch ein leichtes Unwohlsein? Nicht doch! Das neueste Krisengerede entspringe wohl mal wieder der „Untergangsfreude“ der deutschen Intellektuellen.

Auch Klaus G. Saur sah sich gestern bemüßigt, die Wogen zu glätten. Der Vorsitzende des Verleger-Ausschusses im Börsenverein formulierte, keine Krise sei eingetreten, lediglich „eine Beruhigung der Zuwachsraten“. Er und Messedirektor Peter Weidhaas mußten freilich einräumen, daß die Buchmesse erstmals seit 1954 einen Rückgang der Ausstellerzahl (um immerhin 113 ausländische und 68 deutsche Verläge) verzeichnet. Vor allem zahlreiche Häuser aus Frankreich und Italien mochten  oder konnten sich eine Teilnahme nicht mehr leisten. Daß man mît 103 beteiligten Ländern dennoch einen Rekord melden kann, liegt nur an der Aufspaltung der ehemaligen UdSSR und des früheren Jugoslawien.

Osteuropa fällt als Markt für deutsche Bücher fast komplett aus

Ein Alarmzeichen ist ferner das praktisch komplette Wegbrechen der osteuropäischen Märkte für deutsche Bücher. Wurden einst jährlich bis zu 15 Millionen Stück (vorwiegend aus der Ex-DDR) dorthin geliefert, sind es jetzt gerade mal 30.000 Exemplare. Hier will man, unterstützt von Sponsoren und Bundesregierung, heftig gegensteuern.

Fast beiläufig verkündeten Saur und Weidhaas eine grundlegende Neuerung für das Jahr 1993: Dann will man den elektronischen Medien (vom Video über die Info-Platte bis zur Computersoftware) auf der Buchmesse eine eigene Halle zur Verfügung stellen. Saur machte seinen Frieden mit jenen Medien, die früher als größte Bedrohung der Lesekultur galten: „Wir Verleger handeln doch nicht mit Papier, sondern mit Informationen.“

Wie in den Vorjahren, so ist die Messe auch diesmal nur an zwei Tagen fürs breite Publikum geöffnet – am Samstag und Sonntag (3./4. Oktober), jeweils von 9 bis 18.30 Uhr. Bis dahin bleibt das Fachpublikum unter sich.

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Roman auf Diskette?

In Frankfurt erlebt man in diesem Jahr die letzte reine Buchmesse. Im nächsten soll ein großer Bereich für elektronische Medien freigehalten werden. „Bücher“ auf Diskette oder CD, mit blitzschnell abrufbaren Informationen, zieren zwar die Wohnung nicht so wie ein herrlich volles Regal, sparen aber mächtig Platz.

Nicht nur deswegen haben sie Zukunft. Auch der Zugriff auf lexikalische Informationen erfolgt hier wesentlich rascher und effektiver als beim mühsamen Durchblättern herkömmlicher Papier-Lektüre. Die Japaner haben dies schon auf der Buchmesse 1990 eindrucksvoll demonstriert.

Ist es Feigheit und Kapitulation vor dem früher so heftig bekämpften „Feind der Lesekultur , wenn der Buchhandel die Elektronik in seine heiligen Hallen einläßt? Es ist eine wahrscheinlich (über-)lebensnotwendige Reaktion des gebeutelten Verlagsgewerbes auf verändertes Konsumverhalten. Die Kölner „photokina“ hat es ja gerade erst gezeigt: Vermutlich werden wir schon bald daheim ganze Zimmer für die Vielfalt der untereinander vernetzten audiovisuellen Medien brauchen.

Hoffentlich verderben wir uns dann nicht die langen Herbst- und Winterabende, indem wir den neuen Roman am Bildschirm lesen. Sondern im guten alten Lese-Eckchen.

Bernd Berke




Harenberg gibt der Buchmesse einen Korb

Von Bernd Berke

Diese Nachricht wird man am Main mit Mißvergnügen aufnehmen, vielleicht wird sie sogar zum Signal: Der Dortmunder Harenberg Verlag teilt mit, daß er nicht mehr an der Frankfurter Buchmesse teilnehmen will.

Das vor allem durch seine „Chronik“-Editionen bekannte Haus ist einer der Riesen in der Buchlandschaft – nicht unbedingt wegen höchsten Renommees bei der Kritik, wohl aber wegen Auflagenzahlen, Größe und Einfluß; dies auch durch sein Branchen-Magazin „Buchreport“.

Verlage, Buchhändler und Leser kämen in Frankfurt nicht mehr miteinander ins Gespräch, lautet ein Argument für die Messeabsage. Überdies seien „bei wachsender Unübersichtlichkeit rapide steigende Kosten zu beklagen“, der Aufwand sei nicht mehr angemessen.

Der erste Teil der Begründung mag etwas für sich haben. In der unüberschaubaren Vielfalt der Messe kann tatsächlich kaum ein Gespräch in die Tiefe gehen, leicht gerät es in marktgerechter Eile zum bloßen Small talk, zum Geschwätz kultureller Bescheidwisser. Wenn aber Harenberg „Gespräche“ vermißt, dürfte es sich nicht um einen Mangel an Literaturtheorie, sondern um Geschäfte drehen. Und da wittert man auf mittlere Sicht höhere Wachstumsraten in Ostdeutschland. Von einer Absage an die Leipziger Messe ist nicht die Rede. Im Gegenteil.

Etwas vorgeschoben wirkt das Kostenargument. Wer je auf der Frankfurter Buchmesse war, weiß, daß gerade Harenberg immer einen der allergrößten Hallenbereiche aufwendig belegte. Auch richtet man neuerdings in größeren Buchhandlungen Extra-Harenberg-Ecken (mit eigenem Lesetisch usw.) ein und trägt sich in Dortmund mit gigantischen Neubauplänen für das Verlagszentrum. Wahrscheinlich ist es halt so, daß in Frankfurt die vielen hundert anderen Verlage doch sehr stören…




Notizen von der Buchmesse

Ein heimlicher „Starautor* der Frankfurter Buchmesse ist – Johann Wolfgang von Goethe. Üppige neue Werkausgaben beim Suhrkamp-Ableger „Deutscher Klassiker Verlag sowie bei Hanser wurden in der Geburtsstadt des „Dichterfürsten“ vorgestellt und markieren einen allgemeinen Trend zur Klassik.

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Der Farbband „24 Stunden Ruhrgebiet“, für den auf Anregung des Kommunalverbands Ruhr (KVR) Dutzende von Fotografen aus aller Welt an ein und demselben Tag im Revier Station machten, liegt in wenigen Tagen beim Verlag Reise und Verkehr, München, vor. Erster Eindruck beim Durchblättern eines Vorausexemplars: Die Vielfalt des Revierlebens kommt, entsprechend den sehr verschiedenen Temperamenten der beteiligten Fotografen, durchaus zum Vorschein.

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Seit seiner Gründung vor fünf Jahren ist der kleine Siegener „Machwerk-Verlag“ dabei: „Für uns ist die Teilnahme Pflicht und die Kontakte sind lebenswichtig“, sagen die Siegener Büchermacher.

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Der Stand des Bhagwan-Verlags „Rajneesh Services“ liegt zumeist still und verlassen da. Vor kurzem wäre das wohl noch undenkbar gewesen.

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.Außerdem bin ich lang genug, um drüber wegzugucken“ – Kanzler Kohl bei seinem gestrigen Messerundgang über den Besuchertrubel (Allein gestern 50 000 Leute).

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Die Immunschwäche AIDS läßt auch die Buchbranche nicht ruhen. Der R. S. Schulz Verlag aus Percha/Starnberger See vermeldet stolz zwei vergriffene Auflagen eines AIDS-Bandes (20-000 Stück) und kündigt eine Loseblattsammlung zum Thema an.

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Während einige südamerikanische Länder (u.a. Peru, Uruguay) aus Finanzgründen diesmal nicht auf der Messe vertreten sind, ist Nordkorea zum ersten Mal dabei. Das Angebot besteht praktisch ausschließlich aus Schriften des „Großen Vorsitzenden“ Kim Il Sung, um den in Nordkorea auch sonst ein beispielloser Personenkult betrieben wird.

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„Trank erstmals 1957…lebt in Essen“ – so preist der neue Schweizer Verlag mit dem schönen Namen „Narziß & Ego“ einen seiner Autoren an.

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Auch beim Erfinden von Buchtiteln sind manche Verlage nicht kleinlich. Durch geradezu weltumspannende Allgemeinheit frappierende Beispiele: „Alles – und noch viel mehr“ sowie „Über Gott und die Welt“ (letzterer Titel ziert den neuen Band von Umberto Eco bei Hanser).

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Die Publikationen der Gruppe „Internationale Ärzte für die Verhütung eines Atomkrieges“, die den Friedensnobelpreis bekommt, waren gestern auf der Messe stark gefragt.

                                                                                                                 Bernd Berke




Europas Autoren rücken zusammen – Thema auf der Frankfurter Buchmesse

Von Bernd Berke

Frankfurt. „Europa“ ist ein wichtiges Stichwort auf dieser 37. Frankfurter Buchmesse. In den Eröffnungsansprachen von Jack Lang und Bundesminister Bangemann spielte es eine zentrale Rolle. Gestern griff es auch Hans-Peter Bleuel, Vorsitzender des Verbands deutscher Schriftsteller (VS) auf einer Pressekonferenz im Rahmen der Buchmesse auf.

Europas Autoren schließen sich, so Bleuel, immer enger zusammen, um gemeinsam für ihre Rechte einzutreten. Bleuel kündigte einen „europäischen Schriftsteller-Kongreß“ für den 15. bis 19. Dezember in Bergneustadt an, an dem Vertreter von 27 westeuropäischen Verbänden teilnehmen sollen.

Abseits stehen dabei die Autoren aus osteuropäischen Ländem. Bleuel scheint hier Illusionen aufgegeben zu haben. Gespräche, die er jüngst mit Schriftstellern in Moskau geführt habe, seien „hart, zäh und stockend“ verlaufen. Vollends auf taube Ohren sei er mit der Frage nach dem Schicksal und dem Befinden von Andrej Sacharow gestoßen. Sacharow sei doch gar nicht Mitglied im sowjetischen Schriftstellerverband, beschied man den VS-Vorsitzenden kühl.

Klagen aber auch über bundesdeutsche Verhältnisse: Die neuen Medien bieten Bleuel zufolge kaum ernsthafte Arbeitsmöglichkeiten für Autoren, außerdem sei gerade hier die Honorarmoral unterentwickelt. Überhaupt sei auch die Urheberrechtsnovelle vom 1. Juli dieses Jahres unzureichend, da Behörden und gewerbliche Wirtschaft weiterhin ohne Urheber-Obolus kopieren dürften. Düstere Aussichteh auch im Rundfunkbereich, wo Kulturprogramme reihenweise gekürzt würden. Einzig und allein manche Kommunen seien mit Literaturpreisen, Literaturbüros und Förderungsmaßnahmen kulturpolitisch erfreulich aktiv.

Wenn nicht alles täuscht, müßten dieser Buchmesse gute Geschäfte folgen, sind doch alle (spöttisch sogenannten) „Großschriftsteller“ (vom Verstorbenen Heinrich Böll über Lenz, Walser, Härtling, Bernhard bis hin zu Simmel und Konsalik) mit neuen Büchern in einer Fülle vertreten wie seit langem nicht mehr. Einer ganz speziellen Welle könnte man das Etikett Kanzlerliteratur geben. Jugenderinnerungen von Helmut Kohl, sowie einige Bücher über Kohl – teils ernster, teils spöttischer Art – füllen inzwisehen ganze Regalmeter. Aber auch Neuerscheinungen über Helmut Schmidt (und von Willy Brandt) fallen auf.

Daß erstmals extra für Graphikeditionen und Kunstbuchverlage eine eigene Halle eingerichtet wurde, wirkt wie eine etwas künstliche Abtrennung vom Belletristik-Programm. Eine Rückkehr zum Mischkonzept früherer Jahre wäre für 1986 wünschenswert. Wenig Risikofreude übrigens: Mit Picasso, Miró und Chagall hört die moderne Kunst in den allermeisten Fällen schon auf.




Comic-Känguruh soll neue Leselust wecken – Zeltstadt auf der Frankfurter Buchmesse

Aus Frankfurt berichtet
Bernd Berke

Frankfurt. Ein Begriff, den man sonst eher vom Tourismus her kennt, soll jetzt auch zum Zauberwort in der Buchbranche werden: „Animation“. Anregung zum Lesen tut not.

Das „Zentrum Leseförderung“, die kleine, erstmals eingerichtete Zeltstadt auf der Frankfurter Buchmesse, fordert im Zeichen eines Comic-Känguruhs dazu auf, als Leser „große Sprünge zu machen“. „Im Beutel“ hat das Känguruh jede Menge Mitmach-Aktionen, mit denen vor allem bei Kindern und Jugendlichen Leselust geweckt werden soll.

Den Nachwuchs zum Lesen verlocken sollen vor allem Wechselspiele zwischen Texten und Bildern, ohne die man eben nicht mehr auskommt. Da werden zum Beispiel Texte theatralisch umgesetzt, Bilder mit Texten versehen, oder zu Texten passende Bilder erfunden und gemalt. Der Zweck heiligt viele Mittel: Eine der 35 Leseförderungs-Organisationen, deren Aktivitäten hier in geballter Form zusammenwirken, ist – man höre und staune – der Philatelistenverband, der anhand von Dichterporträts auf Briefmarken die Texte der Abgebildeten zur Debatte stellt. Etwas abseitig zwar, aber vielleicht lohnt auch solch ein Versuch.

Im Zelt nebenan produzierten Kinder schon gestern unter fachkundiger Anleitung munter ein eigenes Buch – vom Schreiben der Texte über Satz und Druck bis hin zum Verfahren der Buchbindung. Dagegen wirken Werbemaßnahmen wie Autorenlesungen, die gleichfalls in den Zelten stattfinden, geradezu konventionell. So wie es gestern den Anschein hatte, wurden die Aktionen in Saus und Braus in Anspruch genommen. Wer allerdings von dem Aktionsspektakel genug hatte, konnte sich in die „Lesehöhle“, sozusagen dem Zielpunkt aller Aktionen, zurückziehen.

All diese Anstrengungen, die der Börsenverein des Deutschen Buchhandels mit rund 200000 DM bezuschußt, begründet Klaus Kluge vom Börsenverein (und zugleich Chef in den Zeiten) damit, daß Lesen (Umfragen zufolge) von einer wachsenden Zahl von Menschen als die reinste Mühsal empfunden werde. Kluge nennt auch als Ziel der Aktionen: „Wir wollen, daß Lesen wieder Spaß macht!“ Einige Stände sind leider nur gut gemeint, aber nicht sehr gut gemacht: Sie beschränken sich auf die Ausgabe von Auswahllisten für Jugendliteratur. Schade auch, daß die (sicher auch notwendige) Leseförderung für Erwachsene viel zu kurz kommt. Der Volkshochschulverband, der seine Alphabetisierungs-Kampagne hatte vorstellen wollen, sagte kurzfristig ab.

DDR-Verlage mit Partnern in Österreich

Wohl weniger Probleme mit neuen Medien und ihren Folgen sowie mit der Leseförderung hat sicher die DDR. Dort ist das Problem eigentlich umgekehrt: Genügend Lesestoff zu produzieren und vorhandene Spielräume zu erweitern. Wie gestern auf einer Pressekonferenz der DDR-Verlage verlautete, werden in Kürze auch Umberto Ecos Bestseller „Der Name der Rose“ sowie vermutlich auch weitere Arbeiten des Philosophen Ernst Bloch in der DDR erscheinen. Zusammen mit Österreich will die DDR außerdem eine gemeinsame „österreichische Bibliothek“ mit literarischen Werken aus Vergangenheit und Gegenwart herausbringen. Das jedenfalls kündigten Verlagsvertreter aus Ost-Berlin gestern an. Darüber hinaus sollen in nächster Zeit Bücher von Autoren veröffentlicht werden, die früher in der DDR lebten. Dazu gehören Titel von Günter Kunert und Sarah Kirsch. Als Lizenzausgaben verlegt die DDR auch Werke von Botho Strauß, Siegfried Lenz, Martin Walser, Rolf Hochhuth und August Kühn. Zur Auswahl der Texte wurde betont, es sei wichtig, daß die einzelnen Arbeiten in das „Pro und Contra der literarischen Debatte paßten“.




Lesen als „Gehirn-Jogging“ gegen die Flut der Bilder – Frankfurter Buchmesse: Branche in der Defensive

Aus Frankfurt berichtet
Bernd Berke

Frankfurt. „Zum Wachstum verdammt“ – so sieht Messedirektor Peter Weidhaas die Frankfurter Buchmesse, die heute zum 37. Mal ihre Pforten öffnet und natürlich wieder mit neuen Rekordzahlen aufwartet. 6598 Verlage aus 77 Ländern präsentieren bis zum 14. Oktober 320000 Titel, davon über 90000 Neuerscheinungen.

Trotz der imponierenden Zahlen: Das Buch ist ganz offenkundig arg in die Defensive geraten. Daher wird unter anderem erstmals ein „Zentrum Leseförderung“ als „Antwort auf die neuen Medien“ eingerichtet, wie es Günther Christiansen, Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, gestern bei der Eröffnungspressekonferenz formulierte. In der „Leseförderungs“-Zeltstadt sollen rund 40 einschlägige Initiativen (von „Das lesende Klassenzimmer“ bis zum Zeitungsverlegerverband) fürs Lesen aktiv werden. Eine „Zweiklassengesellschaft“ von Lesern und Nichtlesern, so befürchtet Ulrich Wechsler, Aufsichtsratsvorsitzender der Messegesellschaft, könnte heraufdämmern, wenn nicht aktiver für das Buch geworben werde. Wechsler empfahl das Lesen als „Gehirn-Jogging“, mit dem man Herrschaft über die allgegenwärtige Bilderflut erlangen könne.

Verlage wollen den Markt sichern

Eher vorsichtig gab sich Günther Christiansen. Zwar wolle man es nicht „bei apokalyptischen Tönen bewenden lassen“, doch, so gestand er zu,  es gehe nunmehr um die „existentielle Zukunft“ der Verlage und des Buchhandels sowie um „Marktsicherung“. Umsatzzuwächse von rund sechs Prozent in den ersten acht Monaten dieses Jähres geben allerdings Anlaß zu vorsichtigem Optimismus.

„Man stelle sich vor, über die Bildschirme würde nur die Realität flimmern!“ Mit diesen Worten unterstrich Bundeswirtschaftsminister Martin Bangemann gestern Abend die Bedeutung der Kultur in seiner Eröffnungsansprache zur Buchmesse. Kultur als Realitätsflucht? Das denn doch nicht. Das Buch, so Bangemann, helfe vor allem, den „technischen Fortschritt auch geistig“ zu bewältigen. Und: „Ein Wirtschaftsminister darf sich den kulturellen Werten und Strömungen nicht entziehen, Kunst und Kultur einerseits, Wirtschaft andererseits erhalten und beleben sich wechselseitig.“ Gleichzeitig sprach sich Bangemann allerdings für eine stärkere Förderung der europäischen audiovisuellen Programmindustrie aus. Ob die Buchmesse dafür der rechte Anlaß ist, sei dahingestellt.

Recht deutlich schälen sich schon bei einem flüchtigen ersten Messerundgang Trends heraus: Bücher zum 150. Eisenbahnjubiläum, zum Jahr der Musik und – wohl ein längerfristiger Trend – zu den Schönheiten deutscher Landschaften werdenbesonders auffällig postiert. Weiterhin bemerkenswert: Video wird nur noch sehr dezent als Präsentationshilfe eingesetzt, beziehungsweise fällt es kaum noch als Fremdkörper auf.

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Kommentar

Die Angst der Verlage vor den bunten Bildern

Lesen – egal, was?

Buchhandel und Verlage gehen in Abwehrstellung gegen die immer größere elektronische Bilderflut. Kassandra-Rufe über den Zerfall der Lesekultur gehören zwar seit jeher zum kulturkritischen Begleitprogramm der Buchmesse. Jetzt aber scheint es nicht mehr um feinsinnige Auseinandersetzungen zu gehen, sondern schlicht und einfach „ums Eingemachte“. Eine wirkliche Angst vor übermächtiger Konkurrenz durch Fernsehen und Video ist spürbar.

Auffallend ist, daß nun gar nicht mehr eine bestimmte Lesekultur gefordert wird, sondern Lesen überhaupt und in jeder Form. Das zeugt sicher von größerem Realismus und Pragmatismus. Man will eben niemandem vorschreiben, was Niveau zu sein hat. Es zeugt aber wohl auch von der Defensive, in die die Buchmacher und Verkäufer geraten sind.

Von „Marktsicherung“ ist die Rede, also von dem, was am Markt noch durchsetzbar ist. Eine durchweg solide, vielleicht konservative Position, die von Inhalten absehen zu können glaubt. Dabei kommt es, so könnte man entgegenhalten doch auch ein bißchen darauf an, welche Bücher gelesen werden. Wichtig ist nicht nur, d a ß, sondern auch w i e man mit ihnen umgeht.

Bernd Berke, z. Z. Frankfurt