Balkanien in Köln: Franz Lehárs „Lustige Witwe“ mit dem Essener GMD Andrea Sanguineti am Pult

Lieber Grisetten als das teure Vaterland: Adrian Eröd alias Graf Danilo in der Kölner „Lustigen Witwe“. (Foto: Matthias Jung)

Jetzt hat auch Köln seine „Lustige Witwe“. Es gibt wohl kein Theater in Nordrhein-Westfalen, in dem in den letzten Jahren niemand im Maxim intim gewesen und die „Weiber“ studiert hätte.

Nun gut, Intendant Hein Mulders wollte für das Ausweichquartier der Kölner Oper und in der (inzwischen erneut gefährdeten) Hoffnung auf rechtzeitige Eröffnung des Hauses am Offenbachplatz 2024 einen zugkräftigen Titel haben. Das ist Franz Lehárs Erfolgsoperette allemal noch – gehört sie doch zum Restbestand der Operetten-Monokulturlandschaft, die mit der „Fledermaus“, der „Csardasfürstin“ und dem „Orpheus in der Unterwelt“ des Kölner Operettenerfinders Jacques Offenbach weitgehend bestellt ist. Von den Dutzenden früherer Erfolgstitel ist kaum etwas geblieben; nur Paul Abraham darf sich im letzten Jahrzehnt über eine gewisse Renaissance freuen. Das Sterben der Operettenensembles, das Ausdünnen der Spielpläne, die generationenlang gepflegte Verachtung des jahrzehntelang lieblos abgenudelten Genres und der Hinschied des alten Operettenpublikums tragen Früchte.

Dem entgegenzuarbeiten ist eine reizvolle Aufgabe, der sich nicht nur Barrie Kosky früher an der Komischen Oper Berlin und die spezialisierten Häuser in Dresden, Leipzig und München widmen sollten. Insofern darf man hoffen, dass Hein Mulders in Köln, sonst eigentlich kein für Ideen verschlossener Kopf, auch einmal in die Tiefen des Repertoires der „leichten“ Muse greift. Immerhin: Dank der pfiffigen Regie von Bernd Mottl und einer beispielhaft schmähaffinen musikalischen Leitung des Essener GMD Andrea Sanguineti ist der Ausflug nach Pontevedro in Paris rundweg kurzweilig geraten.

Dialog von Wasserflecken an Neonröhren

20 Milliarden! Allein die Ansage lässt die Männer schmachten. Elissa Huber als Hanna Glawari und Herren des Chores der Kölner Oper. (Foto: Matthias Jung)

Pontevedro: Den Fantasie-Kleinstaat in Klischee-Balkanien verorten Friedrich Eggert (Bühne) und Alfred Mayerhofer (Kostüme) irgendwo im realsozialistischen Ambiente. Die großmustrigen braunen Tapeten erinnern an den biederen Charme Ost-Berliner Plattenwohnungen der siebziger Jahre. Über der Falttür rutschen die Porträts des pontevedrinischen Herrscherpaars in Schieflage. Der Vorraum ist mit Bauplastikplanen verhüllt, an der Decke prangt ein Dialog von Wasserflecken an kalten Neonröhren. Pontevedro zeigt sich so marode wie seine Staatskasse.

Und da kommt die Witwe ins Spiel: Deren 20 Milliarden sind das Kapital, das den fürstlichen Laden zusammenhält. Sie dürfen keinesfalls in die Hände eines leichtlebigen Franzosen geraten – etwa des in Brombeerfarbe hereinstelzenden Camille de Rosillon (Dmitry Ivanchey), des honeckerblau beanzugten Vicomte Cascada (John Heuzenroeder) oder eines gewissen Raoul de Saint-Brioche (Timothy Oliver). Die Milliarden selbst treten auf in aufreizendem Design in Schwarz, ein mondäner Gegensatz zu den schlicht geschnittenen Kleidern in gedecktem Bräunlichgrünlichblau der pontevedrinischen Hautevolee.

Elissa Huber ist eine hinreißende Hanna Glawari, die selbstbewusst und erfüllt vom Wissen um ihre Ausstrahlung verkündet, warum Witwen so begehrt sind, und später in wunderschön kitschiger Folklore-Ausstaffierung das Waldmägdelein im Vilja-Lied besingt. Ihr voller, samtig dunkel getönter Sopran strömt mit allem Charme und allem erotischen Prickeln, dem die Partie ihren Reiz verdankt.

Erst planen, dann bauen

Diese geldschwere Dame dem Vaterland zu erhalten, ist vornehme Aufgabe von Botschafter Mirko Zeta – und Ralf Lukas verkörpert ihn mit aller gewichtigen Pose, bedeutungsschwangere Deklamation eingeschlossen. Wäre da nicht die unsäglich gemusterte Krawatte, man könnte ihn gar für eine ernsthafte Person halten. Seine taktische Waffe heißt Graf Danilo: Adrian Eröd ist als Graf Danilo ein so souveräner Sängerdarsteller, dass er beinah zur heimlichen Hauptperson der ganzen Operette aufsteigt, wäre da nicht seine Noblesse, die der Diva stets den Vortritt gewährt. Er hat allerdings nicht die geringste Lust, dem Vaterland zuliebe ein Erbe zu erheiraten, zumal es mit einer Frau verbunden ist, mit der er eine unerfreuliche Vorgeschichte hat. Dass sich am Schluss die Liebe mit einem überraschenden Coup durchsetzt, ist dem Genre geschuldet. Tragische Operetten waren 1905 noch nicht im Blickfeld von Lehár.

Mottl inszeniert das Finale ohne derben Bruch, wie er dem Genre seinen Witz und seine Sentimentalität lässt. Nichts wird übertrieben, die Kalauer halten sich in Grenzen, der Herzschmerz auch. Beziehungen entstehen durch Gesten, Blicke, Pausen. Wenn Baron Zeta stolz den in nur einer Woche strahlend neu vergoldeten Saal seiner Botschaft preist, meint er, man habe erst geplant, dann gebaut. Da lachen die Kölner und denken an ihr Opernhaus. In den Choreographien von Christoph Jonas mischen sich Grisetten von „sämtlichen Ufern dieser Erde“, und die Tanzgruppe zitiert lustvoll alte Operettenklischees und baut mit leichtfüßiger Ironie daraus amüsante Körperwelten.

Zweifelhafte Zwitterwesen

Das Hin und Her zwischen diversen eifersüchtigen Paaren reduziert Mottl zugunsten des zentralen Konflikts, damit treten etwa Bogdanowitsch (Artjom Korotkov) und seine Frau Sylviane (Brigitta Ambs) ebenso in den Hintergrund wie Kromow (Zenon Iwan) mit seiner ewig des Seitensprungs verdächtigten Olga (Mariola Mainka). Dass die Romanze zwischen der „anständigen Frau“ Valencienne (Claudia Rohrbach als entzückendes Zwanziger-Jahre-Mädel) und dem trocken, aber passioniert die „Liebe aufglühen“ lassenden Camille (Dmitry Ivanchey) saftiger ausgespielt sein könnte, ist eine andere Sache.

Zwitterwesen von allen möglichen Ufern. Ralph Morgenstern (Njegus) und das Tanzensemble in der „Lustigen Witwe“. (Foto: Matthias Jung)

Ralph Morgenstern gibt dem Njegus nicht zuletzt dank einer langen, dürren Gestalt ein köstlich volatiles Profil jenseits des klassischen Operettenkomikers. Man glaubt ihm aufs Wort, dass er in die Pariser Art total vernarrt ist, vor allem, wenn ihn die „zweifellos zweifelhaftesten Zwitterwesen“ umschwärmen. Das alles wäre nur halb so animiert, würde nicht das Gürzenich-Orchester den mal samtig schmeichelnden, mal keck auffahrenden Lehár-Sound treffen und Andrea Sanguineti mit dezidierter Agogik und wundervoll pikanter Phrasierungsdramaturgie die Musik so gestalten, wie es die Operette braucht. Alles etwas altmodisch gedacht, aber vielleicht gerade deswegen so wundersam musikalisch, nostalgisch und hinreißend.

Weitere Vorstellungen: 16., 21., 23., 25., 27., 29., 31. Dezember.
Info: https://www.oper.koeln/de/programm/die-lustige-witwe/6634




„Bist Du’s, lachendes Glück?“ – Vor 150 Jahren wurde der Operettenschöpfer Franz Lehár geboren

„Dein ist mein ganzes Herz! Wo Du nicht bist, kann ich nicht sein. So wie die Blume welkt, wenn sie nicht küsst der Sonnenschein …“.

Der Tenor Richard Tauber hat diesem Lied aus „Das Land des Lächelns“ zum Welterfolg verholfen. Der Komponist war vorher schon in den Olymp der Operette aufgenommen worden: 1929, als die Liebesgeschichte eines chinesischen Prinzen und einer jungen Wiener Dame der besten Gesellschaft im Berliner Metropol-Theater uraufgeführt wurde, hatte Franz Lehár schon über 25 Jahre lang einen Erfolg an den anderen gereiht.

Wer kennt sie nicht, die unsterblichen Titel seiner verführerischen, ins Ohr gehenden Erfindungen? Das „Vilja-Lied“ aus der „Lustigen Witwe“, Lehárs 1905 uraufgeführtem erstem Welterfolg? „Bist Du’s, lachendes Glück“ aus dem 1909 im Theater an der Wien erstmals gegebenen „Graf von Luxemburg“. „Hör‘ ich Cymbalklänge“ aus der „Zigeunerliebe“ von 1910, einer „romantischen“ Operette, in der Lehár die melancholische Melodik seiner ungarischen Heimat in farbige Klänge und verwegene Harmonien verwandelt. Und dazu noch das „Wolgalied“ aus „Der Zarewitsch“, mit dem sich Richard Tauber und seine Nachfolger an Weltstadt- und Provinzbühnen in die Herzen des Publikums geschmachtet haben.

Vielsprachiger Bürger der Donaumonarchie

Heute liegt Komárom, wo der Lehár Ferencz am 30. April 1870 geboren wurde, in der Slowakei. Vor 150 Jahren gehörte das heutige Komárno zu Ungarn, aber in der Habsburgermonarchie waren Grenzen noch nicht so wichtig. Der Vater war Kapellmeister im Infanterieregiment Nr. 50 der k.u.k.-Armee, die Familie stammt aus Mährisch-Schlesien. Franz sprach zu Hause Ungarisch, beherrschte Tschechisch und eignete sich Deutsch und Italienisch an.

Der Vater achtet auf frühen Unterricht in allen möglichen Instrumenten. Schon als Zwölfjähriger kommt Franz aufs Prager Konservatorium und studiert bei den besten Lehrern der Zeit, Anton Bennewitz und Joseph Förster, später heimlich bei dem renommierten Opernkomponisten Zdenĕk Fibich. Antonín Dvořák rät ihm, sich aufs Komponieren zu verlegen. Als „vorzüglicher Orchester- und Solo-Spieler“ auf der Violine bekommt er mit Achtzehn nach der „Austritts-Prüfung“ eine Stelle in Elberfeld-Barmen (Wuppertal). Dort bildet er sich „deutlichere Begriffe“ vom Theater und begeistert sich für Wagners Opern und eine blonde Sopranistin. Eine Stelle in des Vaters Regiment lockt ihn weg: Er bricht seinen Vertrag und verschwindet nach Wien. Dreizehn Jahre lang sollte er in sechs Regimentern der Doppelmonarchie dienen, in dieser Zeit auch Lieder und Tanzmusik schreiben und mit Märschen wie „Jetzt geht’s los“ oder „Wiener Humor“ bekannt werden.

Erste Oper in Leipzig

Lehárs Laufbahn als Theaterkomponist beginnt mit einer Oper: „Kukuška“, eine tragische russische Liebesgeschichte auf das Libretto eines Korvettenkapitäns, bleibt bei der Uraufführung in Leipzig 1896 nicht ohne Erfolg. Der reicht nicht, um dem jungen Mann den Weg zum freien Komponisten zu ebnen. Das schafft erst der bis heute berühmte Walzer „Gold und Silber“: Franz Lehár wird Theaterkapellmeister am Theater an der Wien und schreibt gleich zwei Operetten: „Wiener Frauen“ für den Star Alexander Girardi und „Der Rastelbinder“ für das Wiener Carltheater. Letztere wird ein Riesenerfolg; Léhar ist in der Welt der wiedererstehenden Wiener Operette plötzlich ein Star. Die volkstümlichen Weisen, humorvollen Märsche und mal wienerisch, mal slowakisch eingefärbten Melodien kommen an. „Jetzt, liebe Mutter, bin ich glücklich und frei!“, schreibt er nach Hause.

Drei Jahre später festigt er seinen Erfolg 1905 mit der „Lustigen Witwe“, die ihn international berühmt macht: „Lippen schweigen, `s flüstern Geigen: Hab‘ mich lieb!“ wird in England und Amerika, China und Japan gesungen. Über eine halbe Million Aufführungen erlebt die Operette in hundert Jahren. Lehár traf unbewusst den Ton der Zeit und sagt von sich: „Mit der ‚Lustigen Witwe‘ hatte ich meinen Stil gefunden.“ Die Presse rühmt die „beste Operettenmusik, die wir je hatten“: Lehár erweitert die Klangpalette des Orchesters, baut Tänze in modernen Rhythmen ein und schafft Melodien zum Mitsingen, die im Ohr bleiben. Felix Salten, Erfinder von „Bambi“ und vermutlich auch von Josefine Mutzenbacher, hört in der Operette die modernen Empfindungen tönen. Sie wird als „Manifestation des Zeitgeistes“ gefeiert. Bis heute ist sie ein Lieblingsobjekt mehr oder weniger gelingender Regie-Ambitionen.

Der Weg zur romantischen Operette

Lehárs Stil sollte sich freilich noch wandeln und nicht nur zu Erfolgen führen: „Der Sterngucker“ auf ein Libretto des später so bedeutenden Fritz Löhner-Beda war 1916 ein Misserfolg. Auch „Die gelbe Jacke“ von 1923 wird erst in der Umarbeitung zum „Land des Lächelns“ ein Hit. Die mit Richard Tauber gedrehte Kinoversion von 1930 war der erste international erfolgreiche deutsche Tonfilm.

Atmosphärisch dicht: Die erste Szene von Franz Lehárs „Das Land des Lächelns“ am Aalto-Theater Essen. Die Bühne ist von Lukas Kretschmer. Foto: Bettina Stöß.

Das China-Drama zeigt exemplarisch, in welche Richtung sich Franz Lehár in seinen späten Jahren orientierte: Er rückt näher an die Oper. Seine „romantischen Operetten“ verzichten auf Modetänze wie Shimmy oder Foxtrott. Am Ende steht kein Happy End, sondern tragischer Verzicht nach dem kurzen Rausch eines gesellschaftlich unmöglichen Glücks. „Der Zarewitsch“, „Paganini“ oder „Giuditta“ – mit der Lehár 1934 endlich seine ersehnte Premiere an der Wiener Staatsoper bekommt – gehören diesem heute als sentimental empfundenen und kaum mehr auf der Bühne zu erlebenden Genre an. Im Dritten Reich laviert sich Lehár auch wegen seiner jüdischen Frau Sophie durch die Zeiten; für seine jüdischen Librettisten wie den in Auschwitz erschlagenen Fritz Löhner-Beda hat er allem Anschein nach wohl nichts getan. 1948 stirbt er als kranker Mann in seiner Villa in Bad Ischl, die heute als Museum zu besichtigen ist. Dass Hitler die „Lustige Witwe“ zu seiner Lieblingsoperette erkoren hatte, dazu konnte er nichts.

Wegen der Corona-Pandemie fallen nicht nur die Feierlichkeiten zu Lehárs Geburtstag aus. Es kann derzeit auch keine seiner Operetten auf der Bühne gespielt werden, etwa am Aalto-Theater in Essen, wo „Land des Lächelns“ auf dem Spielplan gestanden hätte. Das Lehár-Festival in Bad Ischl hat zwar seltsamerweise keine Operette seines prominenten Namensgebers im Programm, kündigt aber unverdrossen für 14. August 2020 die Uraufführung einer musikalischen Lebensgeschichte mit den „berühmtesten Hits“ von Lehár an, gestaltet von Jenny W. Gregor. Auch eine Ausstellung mit Fotos von Lehárs „Leibfotografen“ Hugo Hofer wird angekündigt. Und ob die Bühne Baden (bei Wien) ab 31. Juli Lehárs Operette „Die blaue Mazur“ in der Sommerarena bringen kann, ist noch nicht entschieden.




Eher das böse Grinsen: Franz Lehárs „Das Land des Lächelns“ zeigt in Essen überraschend aktuelle Seiten

Für eine fröhliche Faschingsunterhaltung taugt „Das Land des Lächelns“ sowieso nicht. Aber Sabine Hartmannshenns ehrgeizige Regie-Bearbeitung macht Franz Lehárs Operette in Essen eher zum Land des bösen Grinsens.

Atmosphärisch dicht: Die erste Szene von Franz Lehárs „Das Land des Lächelns“ am Aalto-Theater Essen. Die Bühne ist von Lukas Kretschmer. (Foto: Bettina Stöß)

Während draußen unverdrossene Närrinnen und Narren den Stürmen trotzten, brauten sich drinnen auf der Bühne des Aalto-Theaters vor der Fassade eines Zwanziger-Jahre-Etablissements die braunen Stürme zusammen, die vier Jahre nach der Uraufführung von Franz Lehárs „romantischer Operette“ zahllose Künstler aus Deutschland wegfegen und der abgedreht-ironischen Gattung die kritischen Zähne glattschleifen sollten.

Die Inszenierung von Hartmannshenn, die im Dezember am Aalto Premiere hatte, schafft zunächst mit einer sorgfältig durchgestalteten Eingangsszene einen atmosphärischen Hintergrund: eilige Passanten, Zeitungsjungen, Straßenkehrer, eine etwas zu aufdringlich gestylte Schönheit und ein Flugblatt-Verteiler in SA-Uniform. Man bewundert die atmosphärische Treffsicherheit von Lukas Kretschmers Bühne. Dem Theater strebt nobel gekleidetes Publikum zu: Gegeben wird „Die gelbe Jacke“, jene China-Operette, die Lehár 1923 herausbrachte. Wenig erfolgreich, sollte sie sechs Jahre später dem Welterfolg „Land des Lächelns“ als Grundlage dienen.

Jessica Muirhead als Lea (Lisa). (Foto: Bettina Stöß)

So alltäglich das Treiben anmutet: die Atmosphäre ist lastend. Unterschwellige Aggressivität wird manifest, als ein Radfahrer einen älteren Herrn anfährt. Der Star der Abendvorstellung naht und wird vor dem Bühneneingang gefeiert. Die Menge verläuft sich, ein Herr bleibt zurück. Es ist der Darsteller des Leutnant Gustl, und er ahnt, dass seine bittersüße Sehnsucht bei der Diva nicht erfüllt wird: „Freunderl, mach dir nix draus‘“ ist ihr wohlgemeinter Rat an ihren „besten Freund“. Später, auf der Seitenbühne, als Lea, die im Stück die Lisa spielt, mit dem Gasttenor „bei einem Tee á deux“ flirtet, wird der abgeblitzte, eifersüchtig spähende Kollege beziehungsvoll eines der Flugblätter von draußen auf den Schminktisch legen: Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen…

Neuer Rahmen für die Erzählung

Es sind solche vielsagenden Gesten, Zeichen und Signale, die Sabine Hartmannshenns „Land des Lächelns“ zu einem dicht gewebten, virtuos konstruierten Theater-Ereignis machen. Details, über denen nie das Ganze aus dem Blick gerät, sondern die immer schlüssig auf den großen Bogen der Erzählung hingeordnet sind. Und die Regie zertrümmert nicht, sondern erzählt, aber in einem neuen, aus der Geschichte des Stücks und seiner Zeit entwickelten Rahmen. Nicht mehr das noble Wiener Aristokratenhaus, sondern das Theater ist der Schauplatz. Die exotische Pracht des Fantasie-Chinas aus dem zweiten Akt wird nicht dekonstruiert, sondern zitiert: als glamouröse Bühnenshow in einem Varieté, dicht an der Unterhaltungskunst der Zwanziger Jahre und näher an Lehárs originaler „Gelber Jacke“.

Im Gegensatz zu Verfremdungsversuchen und Subtextlektüren, die in der Operette nicht selten desaströs ausgehen, schafft es die Essener Inszenierung, die Liebesgeschichte nicht als trivial zu denunzieren, sondern im Gegenteil in berührenden Szenen zu unterstreichen. Die Frage nach der Maske, die Menschen tragen, spielt dabei eine entscheidende Rolle, aber auch die Fremdheit, allerdings anders gefasst als von den Librettisten Ludwig Herzer und Fritz Löhner-Beda: Der Darsteller des Sou-Chong ist nicht nur Konkurrent in amourösen Dingen, sondern gerät als Fremder („Lernt erst mal richtig Deutsch“ schallt es vom Balkon) ins Fadenkreuz eines Bühnen-Publikums, das vom „Gauleiter“ bis zur graumausigen Mamsell, die sich ihr Bier selbst mitgebracht hat, durch Susana Mendozas Kostüme liebevoll charakterisiert wird.

Die China-Welt bleibt glamouröse Show: Jessica Muirhead (Lisa) und Tänzerinnen. (Foto: Bettina Stöß)

Das Klischee-China ist bunte Show, aber die Menschen, die in einer zunehmend feindlichen Gesellschaft Fremde werden, sind bitter real: Der Conférencier (im Original der chinesische Obereunuch), beschimpft als „Judenbengel“, wird hinausgeschleppt und kehrt schmerzverkrümmt zurück; der fremde Tenor schafft es gerade noch, zum Ausgang hinauszuhuschen – in Hut, Schal und Mantel wie einst der strahlende Uraufführungs-Chinaprinz Richard Tauber, den die Nazis ins Exil getrieben haben. Und wer denkt nicht an Fritz Löhner-Beda? Lehár verdankt seinem loyalen Freund fünf Libretti und hat (nach allem, was wir inzwischen wissen) nichts für ihn getan, als ihn die Nazis 1938 verhafteten, in Buchenwald erniedrigten und 1942 in Auschwitz erschlugen.

Fremd und einsam: Carlos Cardoso als Darsteller des Prinz Sou-Chong. (Foto: Bettina Stöß)

Der dritte Akt nimmt „eine neue Wendung“ nicht nur im China der Showbühne: Die frauenverachtenden Worte Sou-Chongs („Du bist hier nichts als eine Sache“) treffen mit ungedämpfter Wucht. Die Feststellung, ein Chinese könne sogar „sein Weib köpfen lassen“, quittiert der Uniformierte auf dem Balkon mit Beifall. Beim „Zig, zig, zig“-Duett reicht es den Damen im Bühnen-Publikum, viele verlassen türenknallend den Raum, während Chinamädels am Lederhalsband vorgeführt und herumgetrieben werden – Objekte der Gewalt-Geilheit, die an die Shows mit Josephine Baker in den Zwanzigern erinnern. Lisa allerdings, die beklemmend beziehungsreich in der Dirndl-Anmutung ihres Kleids von Sehnsucht nach der „Heimat“ singt, findet ihren Frieden mit dem zuprostenden Obernazi und dem in prächtigem österreichischem Rot-Weiß-Rot aufgetakelten Gustl: Auf sie wartet ein weißer Pelz. Als die Fassade des Theaters wieder auftaucht, prangen dort Hakenkreuzfahnen und ein Plakat, das „Land des Lächelns“ ankündigt…

Überraschend aktuelle Seiten

So verwebt Sabine Hartmannshenn die Geschichte der Lehár-Operette und die Zeitgeschichte ihrer Entstehungsstationen virtuos mit einem politischen Kommentar, der dem Stück keine Gewalt antut, sondern aus genau ausgearbeiteter Distanz befragt und seine überraschend aktuellen Seiten herausstellt. Dass sie dabei an die Grenzen der Gattung geht, schadet nicht, sondern lässt neu erleben, wie relevant Operette jenseits nostalgischer Unterhaltung sein kann.

Wenn dann auch die musikalische Umsetzung stimmt, wird ein spannender, berührender Abend daraus: Stefan Klingele am Pult weiß, wie weich und flexibel Lehárs Geigen geführt werden, wie sich die Bläser auf samtigem Streicherklang tragen lassen sollten statt ihn aufzureißen, wie die Balance zwischen der feinen Süße des Operetten-Sentiments und den auftrumpfend dramatischen Opern-Reminiszenzen herzustellen ist: Lehár, der Freund Puccinis, hat die China-Atmosphäre der „Turandot“ vorweggenommen. Anfangs schleppen die Tempi noch, aber in „Von Apfelblüten einen Kranz“ schaltet Klingele das Orchester auf höchste Schmeichelstufe.

Sorgfältig charakterisierte Figuren

Das Arioso inspiriert Carlos Cardoso zu berückenden Lyrismen, der in der Rolle des Sou-Chong überzeugend das Fremde einfängt, musikalisch aber gern die gestemmte Höhe italienischer Provinz-Provenienz einsetzt, statt den Ton elegant in die Linie einzubinden. „Dein ist mein ganzes Herz“ also eher á la „Turandot“. Frisch genesen, mit noch etwas schnupfigen Nebenhöhlen, strahlt die Stimme von Jessica Muirhead weitgehend frei, badet in den geschmeidigen Phrasierungen, charakterisiert  die sonst oft blässlich gezeichnete Lisa mit den Mikro-Färbungen expressiver vokaler Gesten.

Exemplarisch deutlich wird das im Tonfall, mit dem sie den enttäuschten Gustl beschwichtigen will. Ein erfahrener Darsteller wie Albrecht Kludszuweit füllt diese Rolle über Buffo-Tenor-Klischees weit hinaus, rückt den scheinbar so harmlosen österreichischen Leutnant an frustrierte, verschlagene Figuren heran, wie sie bei Hans Fallada oder in Heinrich Manns „Der Untertan“ auftauchen. Christina Clark erinnert als Mi fatal an die Showgirls, wie sie in den Vergnügungszentren von Berlin damals – etwa im „Haus Vaterland“ – materiell und sexuell ausgebeutet wurden. Karel Martin Ludvik gibt den „Gauleiter“ mit der stoischen Gewissheit, dass seine „neue“ Zeit kommen wird; Rainer Maria Röhr zeichnet – mit einem Intermezzo als Eunuch – sensibel den Conferencier, der die Frage nach der Menschlichkeit der Unmenschen herausschreit, bevor er von der Menge einfach überrollt wird.

Weitere Vorstellungen in dieser Spielzeit: 1. März, 12. April, 10. Mai, 17. Juni. Info: https://www.theater-essen.de/spielplan/aaltomusiktheater/das-land-des-laechelns/3818/




Das lachende Glück lässt auf sich warten: Franz Lehárs Operette „Der Graf von Luxemburg“ in Hagen

Das ist ja sowas von Neunzehnhundertachtzig! Roland Hüve nimmt sich am Theater Hagen Franz Lehárs einstigen Erfolg „Der Graf von Luxemburg“ vor und macht daraus genau den Operettenjux, der damals einem Publikum jenseits altmodischer Unterhaltungsbedürfnisse das Vergnügen an der Gattung vermiest hat. Liri, liri, lari, der ganze Spaß geht tschari – aber alles der Reihe nach.

Melancholie auf der Mondsichel: Kenneth Mattice als Graf von Luxemburg in Hagen. Foto: Klaus Lefebvre

Melancholie auf der Mondsichel: Kenneth Mattice als Graf von Luxemburg in Hagen. Foto: Klaus Lefebvre

Dabei signalisiert der Anfang, es könnte sich jemand etwas gedacht haben: Der titelgebende Graf René schaukelt auf einer Mondsichel und der blonde Tod grüßt den Nachdenklichen, bevor der Karneval von Paris explodiert – oder explodieren sollte. Denn schon dieses erste Bild ist brav aufgestellt, der Chor gestikuliert wie in tausend Operetten vorher, die Tanz-Fröhlichkeit ist aufgesetzt und das prickelnde Leben der Pariser Bohème ist bloße Behauptung. Die kunterbunte Kostümseligkeit von Siegfried E. Mayer lässt Menschen durcheinanderquirlen, denen anzusehen ist, dass sie die gierigen Ausschweifungen dieser Halbwelt, ihre künstlichen Freuden, den gnadenlosen Überlebenskampf, den besinnungslosen Rausch des Vergnügens und die lastende Einsamkeit dahinter höchstens aus Bohème-Kolportagen á la Henri Murger kennen.

Dass dem adligen Bonvivant das Geld ausgegangen ist und das Elend aus den Eiffelturm-Kulissen winkt, geht in einer Fröhlichkeit unter, die weder den resistenten Überlebenswillen noch die nihilistische Unbekümmertheit durchscheinen lässt, die letztlich zu dem Ehe-Geschäft mit dem alternden Fürsten Basil führt: Der hält äußerlich an Standesethik und Adelsmoral fest und offenbart damit, wie innerlich morsch die gesellschaftlichen Regeln sind: Um eine bürgerliche Opernsängerin zu heiraten, verschachert er diese um eine halbe Million an den Grafen René. Der soll sie heiraten und drei Monate lang – ohne sie zu sehen oder um ihre Identität zu wissen – als Frau Gräfin behalten. Geschieden, geadelt und unberührt kann sie anschließend standesgemäß und formal korrekt im fürstlichen Ehehafen einlaufen.

Kein Zaubertrank fürs Heute

Natürlich kommt die Liebe dazwischen. Und der Zufall bricht sich mächtig Bahn, als im dritten Akt aus dem Nichts eine bejahrte Gräfin auftaucht, um ein Eheversprechen einzulösen, das die fürstliche Hoheit wohl in ihren wilden Jugendjahren ohne weiteres Nachdenken ausgesprochen hat. Immerhin ist diese „dea ex machina“ eine Paraderolle für Marilyn Bennett, die sie weidlich auskostet: „Alles mit Ruhe genießen, stets sich das Leben versüßen, ich lass zu allem mir Zeit.“

So geht Pariser Karneval in Hagen: Kenneth Mattice, Chor und Extrachor des Theaters Hagen in Franz Lehárs "Der Graf von Luxemburg". Foto: Klaus Lefebvre.

So geht Pariser Karneval in Hagen: Kenneth Mattice, Chor und Extrachor des Theaters Hagen in Franz Lehárs „Der Graf von Luxemburg“. Foto: Klaus Lefebvre.

Aus diesem Stoff mit faszinierend aktuellen Zügen ließe sich ungeachtet des abgestandenen Ehemoralins ein Zaubertrank fürs Heute brauen. Hedonismus und die Rolle des Geldes, der Wert von Beziehungen, die Frage nach authentischen Gefühlen und der Tanz auf dem Vulkan – „Wir bummeln durchs Leben, was schert uns das Ziel“ – sind Themen auch des 21. Jahrhunderts. Man kann sie ausspielen, ohne die Operette konzeptuell zu überfrachten.

Aber bei Hüve bleiben solche Themen in Bilderbanalität bunt übertüncht. Und Siegfried E. Mayers Bühne hat ihren besten Moment im zweiten Akt, für den er statt eines mondänen Salons die Bühne der Pariser Oper von hinten zeigt, wo Madame Angèle Didier in Erwartung ihrer fürstlichen Vermählung gerade das Finale ihrer letzten „Tosca“ singt und von einer Sperrholzkulisse der Engelsburg springt.

Wackere Sänger, aber kein Operetten-Ensemble

Die Opernsängerin, die eine ebensolche mimt, ist in Hagen Angela Davis: Ein klangsatter Sopran mit Stamina und Opulenz, aber keine Operettendiva. Dazu fehlt ihr Leichtigkeit und Eleganz. Ihr Inkognito-Ehemann, in Hagen ein Bariton, ist mit Kenneth Mattice attraktiver Bühnenerscheinung passend besetzt. Seine Höhe hat der Sänger technisch nicht im Griff, aber die melancholischen Seiten seiner Rolle trifft er, wenn er der Stimme im Zentrum auch verschattete Töne abgewinnt.

Richard van Gemert ist ein gekonnt charakterisierender Sänger, aber kein Operettenbuffo, und Cristina Piccardi hangelt sich bei ihren neckischen Auftritten an handgestrickten, vibratogemusterten Stimmfäden durch die Partie der Juliette Vermont, die mit ihrem mittellosen Maler Armand Brissart von einer soliden Zukunft träumt – aber in diesem Fall macht das fehlende Geld die ehrliche Liebe unmöglich. Keine Soubrette also, die sich mit Charme und flexiblem Changieren zwischen Sprache und Gesang ihre Partie zu eigen macht.

Die Hagener Sängerinnen und Sänger schlagen sich wacker, aber ein Operetten-Ensemble bilden sie nicht; auch das lustlos sich bewegende Ballett (Eric Rentmeister als Choreograph) hilft ihm nicht auf die Beine. Was etwa für die Barockoper gilt – das Bemühen um eine „historisch informierte“ Aufführungspraxis – liegt in der Operette (noch?) weit entfernt. Doch wer sie als Diminutiv der Oper versteht und entsprechend besetzt, geht an ihr vorbei.

Nota bene: Vor einer Generation gab es sie noch, die alten Entertainer der Operette. Eine Ahnung davon, wie so etwas funktionieren könnte, vermittelt Oliver Weidinger als Fürst Basil immer dann, wenn er hart an der Übertreibung entlang agiert, ohne die Grenze zu überschreiten. So eingefahren, klischeehaft und abgelebt sich das Genre früher präsentiert hat: Die agierenden Personen waren oft noch echte Könner ihres Fachs. Ohne Verklärung der Vergangenheit sei’s gesagt.

Das Hagener Orchester bemüht sich unter dem treibenden Stab von Rodrigo Tomillo, die schmierige Sentimentalität früherer Routine-Aufführungen gar nicht erst aufkommen zu lassen, in der Lehár’schen Partitur das leichthändige Erbe Jacques Offenbachs zu entdecken und mit frischen Tempi und spritziger Artikulation zu punkten. Dass es aus dem Graben öfter nach Paul Lincke tönt, liegt an den unterbelichteten Geigen, deren Glanz sich mit Sparbesetzung nicht gegen die üppig besetzten Bläser entfalten kann. Vom „lachenden Glück“ der Operette sind wir in Hagen also diesmal ein gutes Stück entfernt.

Weitere Vorstellungen: 15., 23. November; 4., 14., 18., 31. Dezember 2019; 5., 15. Januar; 16. Februar 2020.
Karten: Tel. (02331) 207 32 18. www.theaterhagen.de




Operetten-Passagen (2): Franz Lehárs „Die lustige Witwe“ am Gelsenkirchener Musiktheater im Revier

Düstere Noblesse: "Die lustige Witwe" von Franz Lehár in Gelsenkirchen. Foto: Pedro Malinowski

Düstere Noblesse: „Die lustige Witwe“ von Franz Lehár in Gelsenkirchen. (Foto: Pedro Malinowski)

Nein, lustig ist diese Witwe nicht. Eher melancholisch, desillusioniert, in Sachen Liebe entzaubernd realistisch. Kein Wunder: Als Mädchen durfte sie ihren Geliebten nicht heiraten, weil es nicht standesgemäß war. Der schwerreiche Bankier, der sie bekam, starb unverzüglich. Und danach war immer die Frage, wer anziehender ist: die Frau oder das Vermögen.

Franz Lehár hat in seiner Erfolgsoperette „Die lustige Witwe“ zwar – wie sollte es auch anders sein – die Wirrungen zweier Herzen und ihr Zusammenfinden zum roten Faden der Handlung versponnen, aber drum herum jede Menge Zeittypisches und Zeitloses verwoben: Lebemänner und Bankrotteure, wie sie zur saturierten Gesellschaft vor dem ersten Weltkrieg gehörten, Halbwelt-Erscheinungen, alte eifersüchtige Habitués oder noch ältere, für Eifersucht emotional zu blind gewordene Trottel.

Hinzu kommen die klassische Komikerrolle und eine bunte Schar offenbar für alles bereiter Damen: „Ja wir sind die Grisetten von Pariser Cabaretten …“ Und dazu einen bankrotten Zwergstaat namens Pontevedro – der Anklang an Montenegro, erst seit 1878 ein unabhängiges Fürstentum, dürfte nicht zufällig sein.

Merkwürdig verblendete Figuren

In ihrer Inszenierung am Musiktheater im Revier hat Sandra Wissmann wohltuend Abstand gehalten vom Versuch, Operette als „lustiges“ Genre zu begreifen und mit Klamauk aufzupäppeln. Heiterkeit und Komik resultieren nicht aus der unterhaltsamen Pointe oder dem Zündfunken für spontanes Gelächter (zumindest nicht bei Lehár),  sondern aus der merkwürdigen Verblendung der Figuren.

Baron Mirko Zeta (mit würdigem Nachdruck: Joachim Gabriel Maaß), pontevedrinischer Spitzendiplomat in Paris, kapiert nicht, welche amourösen Kriechströme das Herz seiner Gattin Valencienne (facettenreich weiblich: Bele Kumberger) elektrisieren, wenn sie „diplomatisch“ mit dem Schwerenöter Camille de Rossillon (mit allen Wassern erotisiert und toll bei Stimme: Ibrahim Yesilay) verkehrt. Dass die drei Herren Bogdanovich (Thomas Möwes), Kromow (Lars-Oliver Rühl) und Pritschitsch (Tobias Glagau) mit ihren drei Angetrauten (Katharina Borsch, Judith Urban und Gudrun Schade) jeweils spezifische (außer-)eheliche Probleme bewältigen müssen, versteht sich.

Das sind die Grisetten von Pariser Cabaretten - allerdings in Gelsenkirchen am Musiktheater im Revier, gemeinsam mit Valencienne (Bele Kumberger). Foto: Pedro Malinowski

Das sind die Grisetten von Pariser Cabaretten – allerdings in Gelsenkirchen am Musiktheater im Revier, gemeinsam mit Valencienne (Bele Kumberger). (Foto: Pedro Malinowski)

Auf dem Markt erotischer Möglichkeiten

Die Wahrheit sagt hier niemand. Und Gefühle sind Show oder Kapital auf dem Markt erotischer Möglichkeiten. So ist es nur konsequent, dass sich ein innerlich müder, gefühlsstumpf gewordener Mann wie Graf Danilo gleich zu Clo-Clo, Frou Frou und Margot abseilt, wo er „intim“ sein kann, ohne sich seelisch zu verausgaben. Michael Dahmen singt und spielt mit resignierter Melancholie und manchmal bitterem Witz.

Die Lippen schweigen, dafür flüstern die Geigen "Hab mich lieb". Anke Sieloff (Hanna Glawari) und Michael Dahmen (Graf Danilo Danilowitsch). Foto: Pedro Malinowski

Die Lippen schweigen, dafür flüstern die Geigen „Hab mich lieb“. Anke Sieloff (Hanna Glawari) und Michael Dahmen (Graf Danilo Danilowitsch). Foto: Pedro Malinowski

Die Wunden sitzen tief, auch bei Hanna Glawari, der reichen, aber im Herzen so verarmten Frau. Anke Sieloff, stimmlich nicht auf der Höhe, zeigt sich als souveräne Gestalterin. Die beiden umkreisen sich in unstillbarer Sehnsucht nach der einstigen, ursprünglichen Liebe, können nur noch in Metaphern zueinander sprechen und müssen selbst in dem Moment, in dem die Geigen das Innere ihrer Herzen aussingen, die „Lippen schweigen“ lassen. Erst im allerletzten Moment, wenn der Fluch des Geldes genommen wird, bricht sich das Bekenntnis Bahn: Ein wunderbar illusorischer, operettenhafter und deswegen so wahrhaftiger Coup.

Psychologische Wahrhaftigkeit

Sandra Wissmann, gebürtig aus Wattenscheid und bis 2014 Regieassistentin in Gelsenkirchen, lässt diesen Operetten-Menschen ihre Würde und ihren Ernst. Die Dialoge, zumal zwischen Hanna und Danilo, entfalten psychologische Facetten; selbst die Standardsituationen der Operettenkomik haben den Mehrwert, genau beobachtet zu sein. Wissmanns Ansatz korrespondiert mit der Bühne von Britta Tönne, auf der sich in der Einleitung ein kühl-düsterer Art-déco-Raum aus Architektur-Einzelelementen zusammenfügt. Die Ausleuchtung (Andreas Gutzmer) wirkt wie Gaslicht hinter einem Schleier von Absinth. Auch die Kostüme von Andreas Meyer bleiben in Farbe und Schnitt zurückhaltend elegant.

Aufgewertet und nicht lediglich als Lieferant für running gags eingesetzt hat die Regie die Figur des Njegus: Der Kanzlist der Botschaft mit einem unerschöpflichen Vorrat an schrägen Anreden für seinen Chef darf sogar singen und steppen: Dirk Weiler macht beides sehr gekonnt in einem Couplet, das Lehár für eine Londoner Aufführung nachkomponiert hat: „Wär‘ ich ein Operettenstar“ hat deutlich mehr Swing als das chansoneske Grisetten-Lied oder das marschartige „Studium der Weiber“.

Wunder an Diskretion und Leichtigkeit

Bernhard Stengel als Dirigent des Abends formt die forschen Stückchen ohne banalen „Schmiss“, hüllt die walzerseligen Melodien Lehárs in ein Wunder an Diskretion, Leichtigkeit und luftiger Noblesse. Und die Neue Philharmonie Westfalen lässt sich auf diesen Ton ein und schwelgt im weiten Land der Piani und des sanften Mezzoforte.

Der Chor Alexander Eberles belebt im Verein mit den Statisten die Szene und lässt auch vokal nichts fehlen. Der Abend, obwohl schon mitten in der Serie der Vorstellungen und gut vier Wochen nach der Premiere, zeigt keine Spur von Routine: Gelsenkirchen pflegt sein – zugegeben längst nicht mehr so breit wie früher – aufgestelltes Repertoire sorgsam; so lässt sich der Besuch der Operette vorbehaltlos empfehlen.

Vorstellungen: 3., 10., 19., 26. Februar; 9. und 16. April; 21. Mai; 5. Juni 2017.

Karten Tel.: (0209) 4097 200. Info: www.musiktheater-im-revier.de




Die Säulen der Macht: Franz Lehárs „Das Land des Lächelns“ wird in Hagen ernst genommen

Maskenhaft starr die Menschen und die Tradition: China im Bühnenbild der Hagener Neuinszenierung von Franz Lehárs "Das Land des Lächelns". Foto: Klaus Lefebvre

Maskenhaft starr die Menschen und die Tradition: China im Bühnenbild der Hagener Neuinszenierung von Franz Lehárs „Das Land des Lächelns“. Foto: Klaus Lefebvre

Säulen stehen für Macht, für Festigkeit, für ewige Werte. Sigfried E. Mayer stellt sie in das imperiale Wien; zwischen ihnen entwickelt sich die schwärmerische Liebe zwischen Lisa und Sou-Chong. Sie ragen aber auch im zweiten Teil in die Bühnenhöhe, wenn sich in China die Tragödie dieser Beziehung ereignet. In beiden Ländern stützen steinerne Grundsätze die Gesellschaft. Unverrückbar für Individuen wie die gebildete, persönlichkeitsbewusste Feldmarschallstochter; unbeweglich auch trotz seiner politischen Macht für den selbstbewussten, reformbereiten chinesischen Prinzen. Ein einfaches, aber sprechendes Bild, das Mayer für die Neuinszenierung der Franz-Lehár-Operette „Das Land des Lächelns“ in Hagen entworfen hat.

Keine Chance also, die Schranken auf Dauer zu überwinden zwischen dem alten Europa und dem noch älteren China. Der greise Offizier im unmerklich sich auflösenden k.u.k-Vielvölkerstaat – Werner Hahn ist der arg plebejische Marschall – hat zwar keine Chance mehr, seiner emanzipierten Tochter Widerstand zu leisten. Aber umso eiserner ist die Faust, mit der Onkel Tschang – Rainer Zaun in traditionellem Gewand und undurchdringlicher Miene – das fernöstliche Riesenreich zusammenhält und seinen Neffen in die Bahn der Tradition zwingt.

In Roland Hüves Inszenierung zieht sich die psychische Fessel unnachsichtig zu. Den Ausweg finden die flotte Prinzessin Mi und der unbekümmerte Leutnant Gustl: Sie schlüpfen unter dem Gewicht von Herkommen und Staatsräson durch: „Ich liebe Dich und Du liebst mich, und da liegt alles drin.“

Nicht weniger erstarrt - die Gesellschaft des alten Europa. Szene aus dem ersten Akt der Lehár-Operette "Das Land des Lächelns". Foto: Klaus Lefebvre

Nicht weniger erstarrt – die Gesellschaft des alten Europa. Szene aus dem ersten Akt der Lehár-Operette „Das Land des Lächelns“. Foto: Klaus Lefebvre

Maria Klier holt die Tennis spielende Mi heraus aus der putzigen Soubrettensphäre. Da leidet ein junges Mädchen, das etwas verstanden hat vom Eigenwert des Individuums, von persönlicher Liebe, von der seelisch mörderischen Folge eines hohlen Traditionalismus. Sie äußert bare Verzweiflung, wenn sie in ihren „Zig-Zig“-Rufen den Schmerz aussichtsloser Liebe über kulturelle Grenzen hinweg hinausschluchzt. Aber sie entdeckt den Fluchtweg, der dem „hohen“ Paar verschlossen bleibt. Mit ihrem Leutnant – Richard van Gemert lässt das Tenorbuffo-Klischee weitgehend hinter sich – ist sie auch der sängerische Pluspunkt der Hagener Aufführung.

Am Rollenporträt liegt es nicht, dass Veronika Haller als Lisa nicht zur Gänze überzeugt: eine elegante Erscheinung im Frack, eine Frau die weiß, was sie will, kein naiver Schwarmkopf aus der Wiener Oberschicht. Aber Haller kann das technische Niveau für ihre anspruchsvolle Gesangspartie nicht garantieren. Nach wunderschön verhaltenem Beginn wird ihr Sopran immer steifer und härter, in der Höhe kalt und forciert, im Legato uneinheitlich und unfrei.

Die Macht der Tradition verkörpert Onkel Tschang (Rainer Zaun). Gegen sie hat Sou-Chong (Kejia Xiong) keine Chance. Foto: Klaus Lefebvre

Die Macht der Tradition verkörpert Onkel Tschang (Rainer Zaun). Gegen sie hat Sou-Chong (Kejia Xiong) keine Chance. Foto: Klaus Lefebvre

Für den Prinzen aus dem Reich der Mitte kann Hagen mit einem chinesischen Sänger aufwarten: Kejia Xiong artikuliert ausgezeichnet, aber der Tenor hat keinen Schmelz im gequetschten Timbre, trifft die Intonation zu oft nur ungefähr. Bei Verena Grammel reicht ein Satz, mit dem sie als Tante Hardegg die ganze verknöcherte Welt der alten europäischen Monarchie vergegenwärtigt – so bringt man Nebenrollen ein.

Mit dem Philharmonischen Orchester Hagen waltet Mihhail Gerts über den Lehár-Klang. Er hat 2014 den „Deutschen Operettenpreis für junge Dirigenten“ gewonnen. Die zu klobigen Anfangstakte und das etwas schwerfällige Tempo überwindet er schnell, muss aber immer wieder nach einer flüssig-eleganten Phrasierung suchen. „Von Apfelblüten einen Kranz“ lässt er arg verschleppen. Im ersten Finale am chinesischen Hof macht der estnische Dirigent mit majestätischem Aplomb deutlich, wo Lehár wohl auf die drei Jahre vorher uraufgeführte – und schon im Juli 1926 in Dresden nach Deutschland gekommene – „Turandot“ Giacomo Puccinis geschielt haben mag. In der Zeremonie der „gelben Jacke“ (so hieß die erste Version der Operette) trumpfen Chor (Wolfgang Müller-Salow) und Orchester beeindruckend wuchtig auf.

Doch dabei bleibt es nicht: Das Orchester arbeitet immer wieder schöne instrumentale Details heraus. Alfonso Palencias Choreografie unterstreicht, wie die Gesellschaften funktionieren: in Wien mit hohler militärischer Mechanik, in Peking in ritualisierten Bewegungen maskenhaft-unheimlicher Gestalten.

Man verlässt das Theater Hagen voller Hochachtung für eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Franz Lehárs viel gespieltem Meisterwerk und voller Trauer, dass solche Leistungen seit Jahren von einer Kulturpolitik, die diese Bezeichnung nicht verdient, ignoriert und finanziell immer weiter ausgehöhlt werden.

Nächste Vorstellungen am 31.12.2015, 8. und 20.1.2016. Karten: Tel.: (0 23 31) 207 32 18. Weitere Infos: www.theaterhagen.de




Heldentenor auf Operettenkurs: Jonas Kaufmanns Debüt im Konzerthaus Dortmund

Jonas_Kaufmann. Foto: GregorHohenberg/SonyClassical

Jonas Kaufmann. Foto: GregorHohenberg/SonyClassical

Es ist sein Debüt. Doch Jonas Kaufmann kommt nicht als strahlender Wagner-Held oder schmachtender Verdi-Tenor. Vielmehr bedient er hier, im Dortmunder Konzerthaus, das Fach der Nostalgie. Mit Arien des oft totgesagten Genres Operette und mit Filmschlagern der Jahre 1905 bis 1934, allesamt bekannte Evergreens und deshalb so recht nach dem Geschmack des Publikums im prallvollen Saal.

Kaufmann braucht keine Aufwärmphase. „Freunde, das Leben ist lebenswert“ schmettert er uns gleich zu Beginn entgegen, als gelte es, nicht Lehár, sondern Gustav Mahlers „Lied von der Erde“ zu interpretieren. Die kraftvollen Höhen seiner Stimme, die er gewissermaßen aus der Hüfte feuert, leuchten in allem Glanz. Das überrascht umso mehr, weil der Sänger doch ein ausgesprochen baritonal gefärbtes Timbre hat.

Doch für Kaufmann ist das kein Problem. Ohne Ansatz singt er die tenoralen Höhepunkte heraus. Andererseits weiß der Sänger die dunklen Farben weidlich für sich zu nutzen, sei es markant, etwa in Richard Taubers „Du bist die Welt für mich“, oder als balsamische Grundierung, wie in Lehárs „Gern hab ich die Frau’n geküsst“. Dass er hin und wieder kleine Schluchzer einbaut, ist eine verzeihliche Manier.

Gleichwohl bleiben Fragen. Die nach der dynamischen Balance etwa, weil das Münchner Rundfunkorchester und Dirigent Jochen Rieder es nicht nur bei Ouvertüren und Zwischenspielen ordentlich krachen lassen, sondern auch den Sänger gern zudecken. Kaufmanns schönstes Legato und gewissenhafteste Diktion garantieren deshalb nur bedingt Textverständlichkeit.

Daraus aber ergibt sich die Frage nach der  Authentizität. Denn oft fehlt diesen Operettenschmankerln Leichtigkeit, Charme, Esprit. Und wenn Kaufmann die in vielen Stücken geforderten, halblauten Höhen ausmalt, wirkt die Stimme bisweilen angeraut. Ein Heldentenor, der sich offenbar nicht ganz wohlfühlt im neu gewählten Genre.

Plötzlich aber geschieht Außerordentliches: Die Ouvertüre zu Lehárs „Land des Lächelns“ leuchtet beim Spiel des Münchner Orchesters in schönsten Farben, die Dynamik ist ausgewogen, der Klang transparent. Und wenn dann Jonas Kaufmann „Dein ist mein ganzes Herz“ zelebriert und eben mit allem Herzblut beschwörend heraussingt, ist das Publikum ganz aus dem Häuschen. Und die Operette – ja, sie lebt.

(Der Text ist in ähnlicher Form zuerst in der WAZ erschienen.)




Liebe und Staatsbankrott: „Lustige Witwe“ ist nicht so lustig

Valencienne (Dorothea Brandt) geht mit ihrem Mann Mirko (Miljan Milović) nicht immer so pfleglich um ... Foto: Andreas Fischer

Valencienne (Dorothea Brandt) geht mit ihrem Mann Mirko (Miljan Milović) nicht immer so pfleglich um … Foto: Andreas Fischer

Franz Lehárs „Lustige Witwe“ begeistert mit musikalischer Qualität und dramaturgischem Pfiff. Irgendwie scheint sie aber auch in unsere Zeit zu passen. Denn momentan wird zwischen Lübeck und Innsbruck auf mehr als ein Dutzend Bühnen versucht, der Dame ihre Millionen abzuluchsen. Allein in NRW intrigiert die pontevedrinische Diplomatie an vier Orten: ab Dezember in Düsseldorf, in Detmold ab 4. November in der Neuinszenierung von Holger Potocki und ab Silvester geht man in Dortmund an der Hand von Regisseur Matthias Davids ins Maxim. Im Barmer Opernhaus hatte Lehárs sensationelle Erfolgsoperette von 1905 am Samstag, 15. Oktober, ihre zweite Premiere – die erste fand schon im Juni in Solingen statt.

Gar so lustig, wie der Titel glauben machen will, ist diese „Witwe“ aber nicht: Es geht zwar ums erotische Vergnügen, um Grisetten und Seitensprung, aber vor allem ums Geld. Zwanzig Millionen ist Hanna Glawari wert. Eine begehrte Beute für die Pariser Lebewelt. „Die Millionen sind angekommen“, kündigt einer der Pariser Filous ihre Ankunft an: Damit ist alles gesagt. Charme, Intelligenz, Selbstbewusstsein, selbst Schönheit und Ausstrahlung? Egal. Hauptsache, die Frau ist millionenfach vergoldet.

Derweil plagen den pontevedrinischen Gesandten (im Rollstuhl, aber bei den „Weibern“ gut zu Fuß: Miljan Milović) lastende Sorgen: Wird das Geld der Frau Glawari aus seinem Vaterlande abgezogen, droht der Staatsbankrott. Abhilfe muss Graf Danilo schaffen. Der zeigt sich jedoch wenig patriotisch und lehnt den erotischen Staatseinsatz rundweg ab. Die Tanzmädels sind ihm lieber …

Pascale-Sabine Chevroton weiß um die gesellschaftlichen Untiefen in diesem Stück. Und inszeniert die „Lustige Witwe“ in dieser Koproduktion mit den „Folies lyriques“ in Montpellier weit weg von der üblichen Operettenästhetik. Weder Bühnenbild noch Kostüme (Tanja Liebermann) schwelgen in Frack und Tutu. In der Botschaft des Beinah-Bankrott-Staates sind Wände rissig und Stuckleisten geborsten. Für Madame Glawaris Heim ersinnt Bühnenbildner Jürgen Kirner eine gewaltige Handtasche. Es könnte auch ein Geldbeutel sein, der sich öffnet und wie aus einem roten Rachen die leichtlebige Festgesellschaft ausspuckt. Die Damen vom Maxim sehen aus wie Buchhalterinnen. Auch das passt: eher Dienerinnen des Geldes als des Eros. Dass Esprit und Humor gestutzt werden, scheint kalkuliert. Hans Richter als Komiker Njegus darf zwar wienern, aber die üblichen Stegreifsprüche sind ihm nicht erlaubt. So bleibt diese kommentierende Figur profillos. Chevrotons Lesart nimmt die Operette und ihr Sentiment ernst, aber die Szene moussiert nicht. Stellenweise glaubt man, Lehár habe ein Kammerspiel von Ibsen vertont.

Im Orchester sieht das zum Glück anders aus. Florian Frannek entschlackt die Partitur, gibt ihr kammermusikalische Finesse, welche die Orchester-Solisten der Wuppertaler Sinfoniker bereitwillig erfüllen. Der Dirigent „champagnerisiert“ den Rhythmus. Er gibt den schmeichelnden Melodien ohne schmierige Agogik Raum. Die Geigen flüstern wirklich „hab‘ mich lieb“ in feinstem, wenn auch nicht in süffigem Pianissimo der geforderten großen Besetzung. Und das Studium der Noten ist im Graben mindestens so eifrig betrieben worden wie auf den Brettern das Studium der Weiber.

"Lippen schweigen, s'flüstern Geigen ... Hanna Glawari (Susanne Geb) und Danilo (Kay Stiefermann)Foto Aandreas Fischer

„Lippen schweigen, s’flüstern Geigen …“: Hanna Glawari (Susanne Geb) und Danilo (Kay Stiefermann).Foto Andreas Fischer

Dorothea Brandt ist eine nahezu perfekte Tanzsoubrette; ihre Valencienne hat Format. Susanne Geb zeigt die selbstbewussten Seiten der Hanna Glawari. Doch ihrem soliden, zu strahlendem Ton fähigen Sopran fehlt schmeichelnde Weichheit; die lyrische Bezauberung kleidet sie eher in Silber als in Samt. Kay Stiefermann – der Wuppertaler „Holländer“ – erweist sich als wandlungsfähiger Darsteller und routinierter Sänger: Trotz Krankheit singt er den Danilo respektabel und rhetorisch reflektiert. Boris Leisenheimer als Camille de Rosillon scheitert ob der verfehlten Position seines Tenors an den Anforderungen der Partie. Seine Tongebung wirkt gequält, die Höhen sind trocken forciert. Tomas Kwiatkowski und Nathan Northrup sind als Cascada und Saint-Brioche richtige Klischee-Pariser mit Baskenmütze und Halstuch. Der Chor ist von Jens Bingert zuverlässig einstudiert.

Im Programmheft liest man mit Erstaunen, wie oft die Bankrott-Kandidaten unter den europäischen Staaten schon zahlungsunfähig waren – an Pontevedro ist dieses Schicksal noch einmal vorübergegangen. Die Botschaft ist angekommen: reicher Beifall.