Zum Tod von Helmut Dietl: „Kir Royal“ – ein Gipfelglück der deutschen Fernsehgeschichte

Seine Fernsehserien „Monaco Franze“ und „Kir Royal“ sind Legenden. Man kann man sie wieder und wieder anschauen – und man wird ihrer nicht müde werden.
Der Regisseur Helmut Dietl, der jetzt im Alter von 70 Jahren an Lungenkrebs gestorben ist, war einer der ganz Großen des Metiers, der mit „Schtonk“ (1992) und „Rossini“ auch im Kino Erfolge feierte. Aus Anlass seines Todes hier noch einmal ein Beitrag aus der Revierpassagen-Reihe „TV-Nostalgie“, zu verstehen als Hommage und als tiefe Verneigung vor dem Regisseur.

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Wir erinnern uns: Nach den vergleichsweise kargen 70ern standen viele Leute nach 1980 ganz unverblümt auf Luxus und Verschwendung. Diese Zeitstimmung ist nirgends trefflicher eingefangen worden als in einer Fernsehserie: „Kir Royal“ (ab September 1986 im ARD-Programm) gehört wohl immer noch zum Besten, was das Medium in Deutschland je geboten hat.

Der feiste Fabrikant Haffenloher (Mario Adorf, re.) triumphiert über den konsternierten Klatschreporter "Baby" Schimmerlos (Franz Xaver Kroetz). (Bild: Screenshot aus: http://www.dailymotion.com/video/xyfa8q_kir-royal-folge-1-wer-reinkommt-ist-drin_creation)

Der feiste Fabrikant Haffenloher (Mario Adorf, re.) triumphiert über den konsternierten Klatschreporter „Baby“ Schimmerlos (Franz Xaver Kroetz). (Bild: Screenshot aus: http://www.dailymotion.com/video/xyfa8q_kir-royal-folge-1-wer-reinkommt-ist-drin_creation)

Man hätte all die Dekadenz und Korruption, den obszönen Reichtum und das dazu passende Schnorrertum in der Münchner „Bussi“-Gesellschaft ganz anders, nämlich viel zorniger darstellen können. Doch Regisseur Helmut Dietl und sein Drehbuchautor Patrick Süskind (beide entwickelten auch die ebenfalls famose Reihe „Monaco Franze“) bevorzugten die funkelnd elegante, vor Humor sprühende und doch nicht so leichthin versöhnliche Variante. In „Kir Royal“ wurde mit leichtem Florett gefochten, nicht mit dem Degen. Die Stiche „saßen“ aber umso zielsicherer.

„…und dann biste mein Knecht“

Schon die erste Folge (Titel „Wer reinkommt, ist drin“) des Sechsteilers darf als kleines Wunderwerk gelten. Wie spielerisch und doch überaus präzise die Figuren eingeführt werden, wie man gleich mitten in die pralle Handlung gezogen wird, das ist und bleibt meisterlich.

Sodann die großartige Besetzung: Franz Xaver Kroetz als hochmütiger, selbstherrlicher, oft grantiger Klatschreporter „Baby Schimmerlos“, der jegliche Bestechlichkeit weit von sich weist und dann doch ziemlich schnell kapitulieren muss, als der stinkreiche Klebstoff-Fabrikant Heinrich Haffenloher (Mario Adorf) finanziellen Druck macht, um groß in der Zeitung gefeiert zu werden. Unvergessen, wie Haffenloher diesen Schimmerlos zur Schnecke macht („Ich sch*** dich zu mit meinem Geld…und dann biste mein Knecht…“). Eine groteskere Mixtur aus armem Würstchen und erdrückendem Machtgehabe hat die Welt nicht oft gesehen.

Ein Ensemble sondergleichen

Dabei haben wir Senta Berger als „Babys“ Gespielin noch gar nicht erwähnt. Oder Dieter Hildebrandt, der einen ebenso servilen wie listigen Zeitungsfotografen mit heischendem Dackelblick gibt. Ruth-Maria Kubitschek als Verlegerin. Billie Zöckler als dralle Redaktionssekretärin. Harald Leipnitz und Peter Kern, die mit ihrem Restaurant nach Anerkennung in der Schickeria lechzen. Edgar Selge als arroganter Kellner im Edelfresstempel. Und und und. Ein Ensemble sondergleichen.

Hemmungslos auf dem Tisch tanzen

In „Kir Royal“ sind alle getrieben von der Gier nach Glanz und Prominenz. Jede(r) will gepflegt die Sau rauslassen, in der Klatschspalte des einflussreichen Boulevardblatts auftauchen und an den Partys teilnehmen, wo Champagner und eben Kir Royal in Strömen fließen. Ausgerechnet zu den schmetternden Freiheitsklängen der „Marseillaise“ wird in der ersten Folge turbulent auf dem Tisch getanzt. Da darf ein strohdummes Mäuschen beim Cancan auch schon mal im forcierten Überschwang die Brüste freilegen, damit’s ein schön frivoles Foto gibt… Das ist so herrlich peinlich!

Späte, allerdings weit weniger glanzvolle Pointe: Ausgerechnet die Münchner Abendzeitung (AZ), die damals für die Zeitung in „Kir Royal“ Pate gestanden hat, geriet vor einiger Zeit finanziell ins Schlingern. So ändern sich die Zeiten.

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Vorherige Beiträge zur Reihe : “Tatort” mit “Schimanski” (1), “Monaco Franze” (2), “Einer wird gewinnen” (3), “Raumpatrouille” (4), “Liebling Kreuzberg” (5), “Der Kommissar” (6), “Beat Club” (7), “Mit Schirm, Charme und Melone” (8), “Bonanza” (9), “Fury” (10), Loriot (11)

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Hier noch ein Link zum Nostalgie-Beitrag über „Monaco Franze“: http://www.revierpassagen.de/19073/tv-nostalgie-2-monaco-franze-bleibt-unvergesslich/20130726_1310




Neues aus dem versoffenen Alltag: Kroetz legt mit „Blut & Bier“ nach langer Schaffenspause „15 ungewaschene Stories“ vor

Von Bernd Berke

Lange nichts mehr gehört von Franz Xaver Kroetz. Er schien von der literarischen Bildfläche fast verschwunden. Auch die Schauspielhäuser der Republik haben ihn links (oder sonstwo) liegen lassen. Doch jetzt, zu seinem 60. Geburtstag, ist der kernige Bayer plötzlich wieder da – mit dem schmalen, aber durchaus heftigen Erzählband „Blut & Bier“.

Der Untertitel „15 ungewaschene Stories“ trifft ohne Wenn und Aber zu. Kroetz hat sich den ganzen, in erfolglosen Zeiten angesammelten Frust von der Seele geschrieben. Aggressionsgeladen setzt sich sein durchgängiger Erzähler (der kaum vom richtigen Kroetz unterscheidbar ist) an die Schreibmaschine. Zitat: „Hingefetzt, 7 eng beschriebene Seiten, 66 Zeilen à 75 Anschläge, keinen weißen Fleck auf dem Papier übriglassen, von links nach rechts rotzen, kotzen, klotzen.“

Meist angriffswütig, zwischendurch weinerlich

Wie „hingefetzt“ lesen sich denn auch die Geschichten aus dem versoffenen Alltag eines ebenso genialen wie verkannten Dichters. Meist angriffswütig, zwischendurch weinerlich. Unter all diesen Launen hat die dienstbare Ehefrau („das Loch“) zu leiden. Sie muss stets für reichlich Alkohol-Nachschub sorgen, ihm die lästigen kleinen Kinder vom Leibe halten, wenn er seine Räusche auspennt – und sie hat ihn nach all ihren Strapazen selbstverständlich oral zu befriedigen.

Solche Passagen scheinen idealtypisch zum Musterbuch eines früheren Feminismus zu passen: Männer sind halt Schweine. Der Kerl im Buch gibt sich jedenfalls alle Mühe, eins zu sein. In lichten Momenten weiß er selbst, dass er eïn Kotzbrocken ist, ein Möchtegern-Kraftmeier von der traurigen Gestalt. Daraus ergibt sich eine besondere Form der Ironie, sei sie nun freiwillig oder nicht.

Affäre ja – aber doch nicht mit einer Wildfremden

Nun der etwas widerliche Promi-Tratsch. Natürlich weiß man, dass Literatur das Leben nicht eins zu eins widerspiegelt. Wenn wir uns freilich an diese Erzählungen halten, so enthüllt Kroetz, dass er (oder eben seine literarische Ausformung) es im Suff mit seiner Schwiegermutter getrieben hat. Im biographischen Klartext wäre das keine andere als die im April 2005 verstorbene Schauspielerin Maria Schell. Wir wollen dies nicht als Tatsachenbehauptung verstanden wissen. Aber als Story „fetzt“ es. Zumal der Protagonist seiner Frau auch noch beibiegen will, es sei doch weniger schlimm, als wenn er mit einer Wildfremden gevögelt hätte. Bleibt ja in der Familie.

Irgendwo zwischen Bukowski und Hemingway?

Die Stories haben allemal Tempo und zuweilen bitteren Witz. Greifen wir mal hoch: Der trockene, schmucklose Stil liegt irgendwo zwischen Charles Bukowski und Ernest Hemingway, dessen Mythos Kroetz selbst mehrfach herbeizitiert. Er empfiehlt sich somit gleichsam als unser bajuwarischer Amerikaner.

Auch wenn man sich innerlich dagegen wappnet und wehrt, entfalten seine Geschichten einen gewissen Sog, eine wüste Faszination, etwa nach dem Husaren-Motto: dass der sich das traut!

Nebenher dementiert Kroetz, einst DKP-Mitglied, seine linke Vergangenheit aus den 70er Jahren. In einem fiktiven Interview – geführt bei 240 km/h in seinem Jaguar – brüllt der Autor heraus, er habe nie an die Arbeiterklasse gedacht, immer nur ans eigene Fortkommen: Er wollte nur „raus ausm Kellerloch“.

Franz Xaver Kroetz: „Blut & Bier – 15 ungewaschene Stories“. Rotbuch-Verlag, 155 Seiten, 16,90 Euro.

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ZUR PERSON

Franz Xaver Kroetz

  • Franz Xaver Kroetz (Bild) wurde am 25. Februar 1946 in München geboren, er wird heute 60 Jahre alt.
  • In den 1970er Jahren war er mit Theaterstücken wie „Wunschkonzert“, „Wildwechsel“ (1971 in Dortmund uraufgeführt), „Heimarbeit“ und „Stallerhof“ höchst erfolgreich.
  • Einem breiten TV-Publikum wurde Kroetz als Klatschreporter „Baby Schimmerlos“ in Helmut Dietls Serie „Kir Royal“ (1986) bekannt.
  • 1987 lernte Kroetz die Schauspielerin Marie-Theres Relin (Tochter von Maria Schell) kennen. 1992 heirateten sie, seit Anfang 2005 leben sie getrennt. Zwei Töchter und ein Sohn gingen aus der Ehe hervor.



Beim Schwinden und Scheitern des Lebens – Claus Peymann inszeniert Franz Xaver Kroetz‘ „Das Ende der Paarung“ in Berlin

Von Bernd Berke

Berlin. Bert will Sibylle über ihre Depressionen hinwegtrösten: „Wir kaufen uns die schönsten Cashmere-Pullover, die man in Bonn kriegen kann. Aber vorher wird gegessen. Iss!“ Doch die Abgemagerte mag weder essen noch kaufen, denn ihre Moral lässt es nicht zu: „Die Welt macht Holocaust, und wir kaufen uns Cashmere-Pullover…“

Sie ist eben eine unbedingte, eine unerbittliche Kämpferin für das Gute, gegen Not und Elend auf Erden. Eine, wie Petra Kelly gewesen sein mag, jene Vordenkerin der Grünen, die im Oktober 1992 von ihrem Gefährten, dem zur Umweltpartei konvertierten Ex-General Gert Bastian, erschossen wurde, der sich daraufhin selbst richtete. Nie ist der bestürzende Vorfall ganz geklärt worden.

Die Legende von Kelly und Bastian

Von den Legenden, die sich um das ungleiche Polit-Gespann ranken, hat sich Franz Xaver Kroetz zu seinem Stück „Das Ende der Paarung“ inspirieren lassen, wenngleich er anfügt, der Text sei „Fleisch von meinem Fleisch“, handle also von ihm selbst. 1996 wies Dieter Dorn in München eine Inszenierung von sich, jetzt hat Claus Peymann zugegriffen und damit seine erste eigene Premiere am Berliner Ensemble bestritten; ein Merkpunkt der Theatergeschichte.

Die Zuschauer erleiden, als seien sie mit den beiden eingesperrt, den allerletzten Tag des Paares – vom Frühstück bïs zu den tödlichen Schüssen. Es ist (wie bei Kroetz gang und gäbe) mal wieder ein Gebräu aus Körpersäften, deren Fließen oder Stocken ausgiebig beredet und in bittere gegenseitige Vorwürfe gegossen wird.

„Bärli“ (Bert alias Bastian) ist alt, vertrocknet und impotent, bei „Rehlein“ (Sibylle, sprich Kelly) bleibt die Periode aus, das Klimakterium der Kinderlosen kündigt sich an. Und beide leiden an Inkontinenz, so dass der Geruch des Harns sich nun sozusagen mischen kann mit dem Vorgeschmack des Todes; wie auf einer Siechenstation.

Das düstere Ende ist immer schon Inbegriffen. Bezeichnend Berts Hörfehler: Sibylle, politisch tief enttäuscht vom Weltenlauf und am eigenen Unvermögen verzweifelnd, zudem offenbar in der Partei weitgehend kaltgestellt (das Telefon läutet zu ihrem Leidwesen nicht mehr), Sibylle also will, dass jemand sie von sich selbst erlöse – und Bert versteht „erschießen“…

Das Elend eines isolierten Paares

Im niederdrückend geschmacklos möblierten Bonner Reihenhaus, dessen Zimmer auf schräg stürzender Bühne klaustrophobisch spitz zulaufen, erleben wir das Elend eines isoliert eingeschlossenen Paares, wie es wohl manche geben dürfte. Wir sehen, wie sie einander belauern, umschleichen, argwöhnisch ausspionieren, jeder ein letzter Halt für den anderen, aber auch gnadenloser Zeuge beim Schwinden und Scheitern des Lebens.

Sibylles infantile Angst- und Ohnmachtsanfälle (Therese Affolter windet sich in Verkrampfungen oder embryonalen Haltungen) prallen ab an der stoischen Ruhe Berts (Traugott Buhre, oft schier unnahbar, von fast staatsmännischer Statur). Im einen Moment sucht sie Schutz bei ihm, im nächsten beschimpft sie ihn als Nazi und Militaristen. Doch politische Begriffe sind hier sowieso nur noch ein dünnes Substrat, aus dem Verletzungen und Beleidigungen rinnen. Rund drei Stunden dauert das ewiggleiche Auf und Ab, die ermüdende Abfolge aus Provokationen und Bitten um Verzeihung.

Schauen wir da etwa nur voyeuristisch in die Abgründe einer üblichen Mesalliance, oder ist die Liaison exemplarisch im weiteren Sinne?

Genrebild der Bonner Republik?

Die ganze Szenerie (Bühnenbild: Karl-Ernst Herrmann) ist eingefaßt in einen großen goldenen Bildrahmen, als sei’s denn doch ein Genrebild aus den Tagen der ach so beengten Bonner Republik, wie der Neu-Berliner Peymann findet. Doch nur wenige Szenen greifen ins Allgemeinere aus, so wenn Sibylle/Kelly an die Unerbittlichkeit einer Ulrike Meinhof anknüpft und sich deren militante Sätze zu Eigen macht: „Entweder Schwein oder Mensch…entweder Problem oder Lösung – dazwischen gibt es nichts“. Oh, du ewig rigide, erzdeutsche Sinnesart, Marke 70er Jahre!

Vielleicht eine Temperamentsfrage: Peymann beschwichtigt Kroetz‘ Furor. Der Text hebt gleich schäumend an und will sich immerzu steigern. Das lässt die Regie ihm nicht durchgehen. Zum bedrohlichen Ticken eines Metronoms werden die Szenen immer wieder für Sekunden als Standbilder eingefroren – eine Gratwanderung zwischen Spannungs-Stau und Spannungs-Verlust. Es ist, als wolle Peymann in solchen Momenten sanfte Zwischentöne erlauschen. Aber welche?

Termine: 22. und 23. Februar. Karten: 030/28 408-155.




Nur ein kleinbürgerliches Ferkel – Uraufführung von Franz Xaver Kroetz‘ „Der Dichter als Schwein“

Von Bernd Berke

Düsseldorf. Man stelle sich vor, jemand ließe immerzu ein Tonbandgerät etwa in seiner Wohnküche mitlaufen. Alle Worte und auch jeder Mist, den man schwätzt, würden aufgezeichnet und sodann schriftlich für Mit- und Nachwelt festgehalten. Schrecklicher Gedanke. Und schon eine schnurgerade Hinleitung zu Franz Xaver Kroetz‘ Stück „Der Dichter als Schwein“, das jetzt in Düsseldorf zur Uraufführung gelangte.

Bereits zwischen 1986 und 1988 hat Kroetz diesen ungefügen Text aus seiner Feder rinnen lassen. Mit guten Gründen hat sich seither niemand heranwagen wollen an dieses allseits ausufernde, so gut wie unverdichtete Geplapper, das – je nach Durchgangstempo – ungekürzt wohl für vier bis fünf Stunden Spieldauer gut wäre, von der Substanz her aber auf einige gedrechselte Aphorismen zusammenschnurren müßte.

In Düsseldorf, wo derzeit offenbar auch das Telefonbuch eine reelle Bühnenchance hätte, erlebt man nun die vorweihnachtliehe Bescherung, eine seltsame Mixtur aus Kraftmeierei und Weinerlichkeit.

Gipfelsturm zum fäkalischen Frohsinn

Rund um den Dichter Toni Keck (Jörg Pose) hat Kroetz all das aufgehäuft, was für unbürgerlich gilt. Dieser Keck ist ein Säufer, er treibt’s heftig bisexueil mit Inge (Veronika Bayer) und dem Schauspieler Max (Marcus Kiepe), die er ansonsten beide wie Sklaven behandelt, und er hat sich bei den Eskapaden wohl einen Tripper eingefangen.

Trotz all der Bemühungen bringt’s der Mann aber nicht zum wirklichen Schwein, sondern bloß zum kleinbürgerlichen Ferkel. Er wirkt wie ein reichlich unseriöser Verkäufer in eigener Sache.

So beginnt das Stück: Gerade hat Keck wegen eines Vorabendsuffs eine Lesereise nach Kairo platzen lassen (Ach, wäre er doch abgeflogen!), da klingeln auch schon seine drei Telefone: Regiegrößen wie Zadek und Peymann oder das Goethe-Institut wollen ihn unbedingt sprechen. Anhand dieser Telefonate serviert Kroetz klägliche Bruchstücke einer „Dramentheorie“. Wir erfahren beispielsweise, daß Gentechnik schwer fürs Theater umzusetzen sei, da man ja die Gene nicht sehen und zeigen könne. Potzblitz!

Hernach ist manchmal von der Nichtigkeit der Welt und oft von Sperma oder Exkrementen die ungebremste Rede. Als Keck seine bäuerlichen Bekannten in Bayern aufsucht, darf sich jeder mal so richtig vollsudeln, indem er/sie auf dicken Haufen von Hundescheiße ausgleitet und sich die stinkenden Schuhe sogleich am TV-Gerät abstreift. Welch ein Gipfelsturm fäkalischen Frohsinns!

Der Schmarrn läßt sich schwerlich mit Sinn durchdringen

Genug. Der Schmarrn läßt sich schwerlich mit Sinn durchdringen, man kann ihm nur ein paar Applikationen aufnähen – oder besser gleich: auf einen Schelmen anderthalbe setzen. Die Dramaturgie und die tapfere Regisseurin Thirza Bruncken haben zu mindest ein Drittel der Textmasse gekürzt. Dafür Dank.

Kroetz‘ Figuren werden wie Genre-Marionetten behandelt, und das läßt sich mit den versierten Darstellern auch passabel an. Mal agieren sie gravitätisch mit gepuderten Perücken, sozusagen in Opernkluft, dann wieder verfallen sie gezielt in dumpfes Bauerntheater oder hampeln in Revue- und Slapstick-Manier herum. Vermutlich sind derlei Wechselspiele ja auch postmodern – oder so ähnlich.

Man verbirgt zudem keineswegs, daß man über eine Drehbühne verfügt. Die saust in einem Akt ohne Unterlaß wie ein Karussell umher. Dabei bekommt man doch schon vom bloßen Text einen Drehwurm.

Das Stück konnte also nicht gerettet werden. Die Schauspieler hatten halt was zu spielen. Der Betrieb geht weiter. Fragt sich nur, wie: Bei dieser Uraufführung klafften enorme Lücken im Parkett, der Beifall war begrenzt. Erosionserscheinungen?

Termine: 27., 30. Dezember 1996 – 3. und 10. Januar 1997.




Der Kleinbürger möchte ein Monster sein – Franz Xaver Kroetz‘ Sexualkomödie „Der Drang“ bei den Stücketagen

Von Bernd Berke

Mülheim. Otto möchte mit seinem Weibe auch mal tun, was „alle anderen Männer“ mit ihren Frauen dürfen. Doch Ottos Hilde scheut Eskapaden zwischen den Daunen. Kommt vor. Ist normal. Dann taucht Hildes Bruder Fritz auf. Der hat wegen Exhibitionismus im Knast gesessen. Kommt auch vor. Ist aber nicht normal. Oder verhält es sich anders?

In Franz Xaver Kroetz‘ Szenenfolge „Der Drang“, mit der jetzt der 20. Mülheimer Dramatikerwettbewerb eröffnet wurde, ist Normalität nur ein Vexierbild entfesselter Träume. Besagter „Herzeiger“ Fritz ist auf Bewährung frei, er findet Unterschlupf samt Fronarbeit bei Schwester und Schwager in der Friedhofsgärtnerei. Auf den Pflanzenbeeten schießt nicht nur Blattwerk wollüstig ins Kraut…

Um seinen Trieb zu dämpfen, schluckt Fritz Medikamente. Das mindert seinen Drang, doch nicht die Phantasien der anderen. Otto hält seinen Schwager für ein Sex-Monster, das er am liebsten kastriert sähe, das er andererseits aber gern selbst einmal wäre. Der Kleinbürger möchte rasend werden. Auch Ottos Angestellte Mitzi läßt sich anheizen. Sie entlockt Fritz das (falsche) Geständnis, er sei Sadist – und ist sofort bereit, sich erregungshalber mit der Stricknadel pieken zu lassen. Sie bekommt aber nur Ohrfeigen, läßt sich ersatzweise mit Otto ein und beschwört dessen Ehekrise herauf. Am Schluß renkt sich alles halbwegs ein: Fritz geht „geheilt“ seiner Wege, und Otto scheint zu Hilde heimzufinden, die endlich mal wieder Reizwäsche anzieht.

Kroetz, der in dieser Fassung der Münchner Kammerspiele selbst Regie führt, hat seinen Lust-Boulevard in Dutzende von kurzen Szenen gestückelt. Die Bühnenarbeiter, die zwischendurch immer wieder umbauen, sind insgesamt fast ebenso lang auf der Szene wie das sehr beachtliche Schauspieler-Quartett (Sibylle Canonica, Franziska Walser, Horst Kotterba, Edgar Selge). Die Räumerei kostet Zeit, ergibt aber einen gewissen Verfremdungs-Effekt.

In Mülheim geht es vornehmlich um die Qualität des Textes. Dieser erkundet die Bereiche unter der Gürtellinie und in der Hirnschale – bei aller groben Gaudi – letztlich ernsthaft und genau. Auch wenn die Sache im zweiten Teil arg ausgewalzt wird, so ist dies doch ein brauchbares Stück über Domestizierung und Freisetzung des Triebes. Keine bloße Ferkelei also, sondern eine mit gedanklichem Überbau.

Heute abend wird’s in Mülheim mutmaßlich noch härter hergehen. Für den zweiten Wettbewerbsbeitrag, Elfriede Jelineks „Raststätte oder Sie machens alle“, verkünden die Prospekte: „Für Jugendlliche unter 18 Jahren nicht geeignet!“ Kommt noch so weit, daß man mit hochgeschlagenem Kragen ins Theater schleicht.




Provokation ohne Ertrag – Franz Xaver Kroetz‘ „Stallerhof“ in Wuppertal

Von Bernd Berke

In der Geisterbahn bekommt die geistig „zurückgebliebene“ Stallerhof-Tochter „Beppi“ dermaßen Angst, daß ihr etwas höchst Peinliches passiert. Der alte Hofknecht Sepp heißt sie die Unterwäsche ausziehen und beseitigt hilfreich die Spuren des Malheurs. Dann geschieht’s, wie in einem Anfall: „Nimmt sie, entjungfert sie“, heißt es lakonisch in Franz Xaver Kroetz‘ Szenenanweisung.

Auf dem Wuppertaler Bühnenboden folgt die Andeutung eines hastig-bizarren Beischlafs. Einem praktizierenden Zyniker im Parkett reichte das quicke Tempo noch nicht: „Schneller!“, feuerte er die Darsteller lautstark an. Auch andere wollten es hinter sich haben: Diese Szene der „Stallerhof“Inszenierung (Regie: Ulrich Greiff) sorgte bei der Premiere für einen veritablen Publikums-Exodus. Dutzende verließen zornig das Elberfelder Schauspielhaus. Hier kann Theater noch schockieren.

Der Inhalt des 1972 uraufgeführten Kroetz-Stücks ist rasch erzählt: Besagter Knecht schwängert die debile Beppi; deren Eltern jagen Sepp vom „Stallerhof“ und vergiften seinen Hund. Sie überlegen, ob sie Beppis Leibesfrucht abtreiben sollen (hier flüchteten erneut einige Zuschauer), können sich aber nicht dazu durchringen. Schlußbild: Die Wehen setzen ein.

Das Fatale an der Aufführung ist gar nicht die Drastik einiger Szenen (die schließlich im Text stehen), sondern der geringe künstlerische Ertrag der Provokation. Das Bühnenbild (Rosemarie Krines) zeigt simultan alles her, was zur engen bäuerlichen Welt gehört: Riesenbett mit Kruzifix, Heuballen, Herdstelle samt Eßtisch, ländliches Ausflugslokal.

Bei Kroetz heißt es zum Bühnenbild: „Äußerst sparsam. Nur Versatzstücke“. In Wuppertal wird zu vieles vorgezeigt, beinahe wie in einem Museum bäuerlicher Kulturdenkmale; ganz so, als fürchte man, vor dem Publikum sonst „mit leeren Händen“ dazustehen bzw. als mißtraue man der Phantasie der Zuschauer. Ähnliches gilt für die Musik (Heinz Becker/Karl-Heinz Stegmann), die jedes Körnchen des Geschehens zu Tönen verarbeitet – vom Katzengejammer bis hin zum Jahrmarktsrummel. Und: Die Geisterbahn-Fahrt wird durch albernes Lichtgeflacker „verdeutlicht“.

Auch der Text wird über weite Strecken schlicht ausgebreitet, nicht ausgelotet. Die bayerischen Dialekt-Tupfer vermitteln hier allenfalls blasses Kolorit, nicht aber Schärfe und Kontur. Auch in den langen Redepausen der „sprachenteigneten“ Figuren klingt wenig nach, oft ist es nur die schiere Leere statt gezielt quälender Stille.

Franz Träger und Isabel Zeumer als Stallerhof-Ehepaar vermögen ihren Figuren kaum Tiefenschärfe zu verleihen. Dörte Steindorff (Beppi) und besonders Günther Delarue (Sepp) stehen hingegen für ein paar anrührende Szenen ein, in denen spürbar wird: Es ist zwar eine trostlose Liebe zwischen den beiden. Aber es ist eine Liebe.




Neue Suhrkamp-Titel nur noch als Paperback – Verlag bestreitet Hardcover-Programm aus dem Archiv

Von Bernd Berke

Frankfurt. „Tragisch und unerfreulich“ findet Franz Xaver Kroetz die ganze Angelegenheit, doch er resigniert: „Ich muß mich wohl fügen.“ Grund für das Stimmungstief des bekannten Dramatikers („Stallerhof, „Wildwechsel“) ist eine Hiobsbotschaft aus dem Frankfurter Suhrkamp-Verlag. Erstmals in seiner 33jährigen Geschichte will das renommierte Haus im Frühjahr 1983 keine Neuerscheinungen in Hardcover-Ausstattung (fester Einband) herausbringen.

Stattdessen grub man vergriffene Bande aus der Zeit seit Verlagsgründung aus, um sie dem Leservolk wieder zugänglich zu machen. Dazu äußerte sich Siegfried Unseld, Leiter des Verlags, in wohltönender Beschönigung schon schriftlich: „Der Suhrkamp-Verlag hat sich mit diesem ,Weißen Programm‘ zu einem Experiment entschlossen. Es soll… Autoren wie Lesern dienen.“

Ob sich freilich die Autoren, die gerade an neuen Werken arbeiten, mit dem Nostalgie-Programm anfreunden können, darf bezweifelt werden. Immerhin ist Suhrkamp einer der ganz wenigen Verlage in der Bundesrepublik, die den Mut aufbrachten, auch neuere, experimentelle Literatur zu verlegen. Zu den Autoren des Frankfurter Unternehmens zählen Peter Handke, Thomas Bernhard, Franz Xaver Kroetz, Thomas Brasch, Martin Walser und Herbert Achternbusch – mithin ein Großteil der bundesdeutschen Schriftsteller-Elite.

Beispiel Franz Xaver Kroetz, der soeben den zweiten Teil einer Romantrilogie abgeschlossen hat. Kroetz, quasi beim Leser „im Wort“, dem ersten Teil („Der Mondscheinknecht“) eine Fortführung folgen zu lassen, zur WR: „Ich hatte mich schon so darauf gefreut, daß der Band im nächsten Frühjahr bei Suhrkamp erscheint. Daraus wird jetzt wohl nichts.“ Kroetz denkt trotzdem, nicht daran, sein Buch einem anderen Verleger anzubieten, denn bislang habe er mit der Verlagspolitik von Suhrkamp gute Erfahrungen gemacht: „Meine Bücher sind ständig im Buchhandel vorrätig und werden oft neu aufgelegt.“ Auch die Auflagenhöhen könnten sich sehen lassen.

Nachfragen bei Franz Xaver Kroetz und Karin Struck

Suhrkamp-Chef Siegfried Unseld, der seinen Rückgriff auf ältere Werke von Oskar Loerke, Hermann Hesse und Wolfgang Koeppen schon vorab werbewirksam darzustellen versuchte, war nicht zu sprechen. Er befinde sich auf einer USA-Reise, hieß es. Auch sein Stellvertreter war nicht erreichbar. In „unteren“ Verlagsetagen gab man sich äußerst wortkarg. Immerhin; Der bereits von der „Frankfurter Rundschau“ erhobene Vorwurf des „künstlerischen Offenbarungseides“ sei „Quatsch“, im übrigen seien die Autoren vorher informiert worden und einverstanden gewesen. Nachfragen der WR ergaben: Franz Xaver Kroetz und Karin Struck („Klassenliebe“, „Die Mutter“) waren zum Beispiel nicht unterrichtet. Kroetz wußte nur vom Hörensagen von den Verlagsplänen, Karin Struck erfuhr es erst durch die WR („Da muß ich gleich mal meinen Lektor anrufen.“) Kroetz und Struck sind seit Jahren Suhrkamp-Autoren.

Ein Suhrkamp-Verlagsmitarbeiter salopp: „Wenn uns jetzt das ,Werk des Jahrhunderts‘ auf den Tisch flattert, werden wir es wohl doch als Hardcover veröffentlichen.“ Schließlich hoffe man, mit dem „Weißen Programm“ einen höheren Umsatz zu erzielen, als mit ehrgeizigen Neuerscheinungen. KeinWunder: Schließlich lassen sich auf diese Weise erkleckliche Autoren-Honorare einsparen.

Franz Xaver Kroetz, dessen Romanteil dem harten Kalkül zum Opfer fallen wird: „In meinern Fall hält sich aber der finanzielle Verlust in Grenzen, weil ich am meisten durch Aufführungen meiner Theaterstücke verdiene.“ Mit Galgenhumor kann Kroetz der farbloseren Neuerscheinungspalette gar noch positive Seiten abgewinnen: „Vielleicht bin ich selbst mal froh, wenn meine Bücher 20 Jahre nach Erscheinen plötzliche Neuauflagen erleben.“ Härtere Worte fallen derweil bei der Bundesgeschäftsstelle des Schriftstellerverbands (VS) in Stuttgart: „Da bekommt der Suhrkamp-Verlag wieder unverdiente Publizität.“