Kindermorde als Gruselshow – WLT bringt den Filmklassiker „M“ von Fritz Lang auf die Bühne

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M (Heiko Grosche) (Foto: Volker Beushausen/WLT)

Vor wenigen Tagen lief er noch mal im Fernsehen: „M – eine Stadt sucht einen Mörder“, der Kinoklassiker von Fritz Lang aus dem Jahr 1931. Sein Thema ist von ungebrochener Aktualität. Immer wieder muss man in der Zeitung von Männern lesen, die Kinder sexuell missbrauchen und ermorden, in 80 Jahren hat sich da offenbar kaum etwas geändert.

Lange auch, bevor Fritz Lang mit „M“ seinen ersten Tonfilm drehte, gab es schon die schaurigen Geschichten von den unsichtbaren Kindermördern. Die Bühnenfassung des Westfälischen Landestheaters, die jetzt in der Stadthalle Castrop-Rauxel ihre Uraufführung erlebte, verweist mit einem an die schwarzen Wände geschmierten „Kinderlied“ darauf: „Warte, warte nur ein Weilchen…“ (Ausstattung: Manfred Kaderk).

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Der Conférencier (Thomas Zimmer) (Foto: Volker Beushausen/WLT)

Hamann war ein Vorbild für M

Doch anders, als dort notiert, geht es in dem gruseligen Liedchen nicht allgemein um den „schwarzen Mann“, sondern um Fritz Hamann, den Hannoveraner Serienmörder von 24 Knaben und jungen Männern, der dafür zum Tode verurteilt und 1925 hingerichtet wurde. Das gruselige Thema fasziniert die Massen, und in Castrop singen sie es auf der Bühne, ausgelassen, gar zur Polonaise.

Der Film bleibt erkennbar

Die Polonaise aber ist eher ein Ausreißer; für den größten Teil des Abends folgt die Inszenierung brav der filmischen Vorlage, bis in manche altertümelnden Formulierungen hinein. Hier wie dort ist man beispielsweise noch „auf eine Zeitung abonniert“, was so ja kein Mensch mehr sagen würde.

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Der blinde Luftballonverkäufer und der Mörder (Guido Thurk und Heiko Grosche) (Foto: Volker Beushausen/WLT)

Szene um Szene wird abgearbeitet, was Fritz Lang damals auf die Leinwand brachte: Die Geschichte eines Störers, den die Polizei ebenso unschädlich machen will wie die vorzüglich organisierte Verbrecherschaft der Hauptstadt, deren kriminelle Aktivitäten unter der hektischen Fahndungsarbeit der Polizei leiden. Die Kriminellen fangen den Mörder, stellen ihn vor ein Tribunal, und erst in letzter Sekunde verhindert die Polizei einen Lynchmord; dem Gesetz ist Genüge getan, doch auf beunruhigende Weise ging es im Ganoven-Prozess um „wertes“ und „unwertes“ Leben eines Täters, postuliert der Film eine gewisse Gleichrangigkeit von Ganoven und Staatsgewalt, die beide mit mehr oder weniger Legitimation ihr Ding machen. Die Nazis nahmen, wie man weiß, solche gesellschaftlichen Unmutsäußerungen der Weimarer Republik dankbar auf und machten sie zu Bestandteilen ihrer Ideologie.

Kinderbälle auf der Bühne

Meistens freut man sich ja, wenn Stücke und Vorlagen im Theater erkennbar bleiben; hier jedoch hätte in der Regiearbeit (Markus Kopf) gern ein bisschen mehr Gewichtung sein können, etwas mehr energische Inszenierung. Szene für Szene treibt die Geschichte ihrem Ende zu, und was der Film etwa in furiosen Gegenschnitten erzählt, reduziert sich auf der Bühne zu laut vorgetragener Erregtheit.

Dabei fängt die Bühnenfassung vielversprechend an, wenn zunächst nur einige rote und blaue Kinderbälle aus der düsteren, verwinkelten, vollgekritzelten Kulisse rollen, wenn Menschen eilig durch das Bild huschen und offenbar nicht erkannt werden wollen und auch noch, wenn Passanten von einer hysterischen Menschenmasse gestellt und der Kinderschändung bezichtigt werden.

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M (Heiko Grosche) (Foto: Volker Beushausen/WLT)

Der Conférencier weckt Erwartungen

Auch die Einführung eines öligen „Conférenciers“, den der Film nicht vorsieht und dem Thomas Zimmer mit viel Einsatz Kontur verleiht, erscheint zunächst sinnhaft, übernimmt er doch Teile der filmischen Erzählung wie etwa einige Telefonmonologe, die auf der Bühne sicherlich äußerst steif wirken würden.

Die große Kindermördershow denn also? Warum nicht, wenn es das Thema trifft. Vielleicht hätte man zudem einen ehemaligen Bundeskanzler auftreten lassen sollen, der etwas von „Wegsperren, und zwar für immer“ knurrt.

Doch leider bleibt diese Inszenierung nicht nur gänzlich ironiefrei, sondern sie glaubt erkennbar auch nicht an die eigene Idee von der peppig moderierten Bühnenunterhaltung. Die Auftritte des Conférenciers, die zu Beginn spielbestimmend sind, reduzieren sich bald schon stark und machen dem schlichten Nachspiel Platz. Es fällt schwer, darin ein Konzept oder eine Regieidee zu erkennen.

Überzeugendes Ensemble

Der munter aufspielenden Darstellerriege ist zu danken, dass dieser Theaterabend trotzdem eher in angenehmer Erinnerung bleibt. Samira Hempel macht vor allem als berufspolitisch engagierte Hure (wieder einmal) eine gute Figur, Burghard Braun, wenngleich seinem filmischen Vorbild Gustaf Gründgens nicht eben aus dem Gesicht geschnitten, ist ein überzeugender „Schränker“. Pia Seiferth und Vesna Buljevic wissen in verschiedenen Frauenrollen (Frau Beckmann, Wirtin u.a.) ebenso für sich einzunehmen wie Guido Thurk als Bettler und Bülent Özdil als Kommissar Lohmann. Heiko Grosche schließlich ist der Mörder, die Idealbesetzung geradezu für den netten Nachbarn von nebenan, dem niemand so etwas zutrauen würde.

Herzlicher Applaus.

  • Weitere Aufführungstermine:
  • 14.12.2015  20.00h   Versmold Aula der Hauptschule
  • 17.01.2016  18.00h   Hameln Theater
  • 26.02.2016  20.00h   Dormagen Gymnasium
  • 02.03.2016  19.30h   Radevormwald Bürgerhaus
  • 11.03.2016  19.30h   Witten Saalbau
  • 13.03.2016  19.00h   Herford Stadttheater
  • 14.03.2016  19.30h   Bottrop Josef-Albers-Gymnasium
  • 14.04.2016  19.30h   Rheine Stadthalle
  • 26.04.2016  20.00h   Heinsberg Stadthalle-Begegnungsstätte
  • 04.05.2016  19.30h   Bad Oeynhausen Theater im Park
  • www.westfaelisches-landestheater.de

 




Mensch-Maschine: „Metropolis“ am Schauspiel Bonn

„Wir sind die Roboter, tam, tam, tam, tam“: Der Song der legendären Band Kraftwerk schwebt stilbildend über Jan-Christoph Gockels Inszenierung von „Metropolis“, die nun in der frisch renovierten Halle Beuel am Schauspiel Bonn Premiere hatte.

Foto: Thilo Beu/Theater Bonn

Foto: Thilo Beu/Theater Bonn

Zurückgegelte Haare, schwarze Anzüge, kombiniert mit einer grellen Farbe und das Kling-Klang des Elektropops bilden den atmosphärischen Soundtrack in der Maschinenhalle der Megacity „Metropolis“, berühmt geworden durch Fritz Langs epochalen Film von 1927. Dabei werden die Arbeitssklaven verdoppelt durch kleine skelettartige Wesen, die den Menschen zur Maschine verlängern, regiert von Industriebaronen im Faltenrock. Das Bühnenbild ist angelehnt an die Ästhetik der Industriekultur, die man sonst eher aus dem Ruhrgebiet kennt. Doch war auch die Halle Beuel eine Jutespinnerei, die im „Dritten Reich“ Zwangsarbeiter ausbeutete, die „Sackleinen für die Front“ weben mussten.

Was ist nun interessant daran, einen ollen, gleichwohl kultigen Stummfilm auf die Bühne zu bringen? Die Eingangssequenz gibt einen Hinweis auf die Antwort: „Guten Tag, wie kann ich Dir behilflich sein?“, sagt Telefonstimme Siri, die jeder iPhone-Nutzer kennt und wartet die Replik kaum ab: „Tut mir leid, ich habe Dich leider nicht verstanden.“ Die Abhängigkeit des Menschen von Maschinen ist im Internetzeitalter schon längst eingetreten, aber anders, als sich die düstere Utopie von Fritz Lang oder George Orwell sich das vorstellten.

Diese Macht der Computer über unser Leben kommt viel bunter, witziger und vordergründig harmloser daher und umspannt doch nicht nur eine Metropole, sondern agiert global. Sie weiß alles über uns und wir zeigen uns auch gerne her. Sie will uns kaufen und wir verkaufen uns. Wie die Arbeiter in Metropolis sind wir nicht nur geknechtet von unseren kleinen Maschinen, nein, wir lieben sie und geraten ohne sie sofort in Panik. Heroisch ist, wer zwei Wochen ohne Internet und Smartphone auskommt und anschließend seine Gefühle darüber postet.

Foto: Thilo Beu/Theater Bonn

Foto: Thilo Beu/Theater Bonn

All das reißt die Inszenierung an, verfolgt es aber nicht weiter, sondern erzählt die Liebesgeschichte von Freder Fredersen (Hajo Tuschy) und Maria (Mareike Hein): Der verwöhnte Spross aus Metropolis Elite verknüpft die Auflehnung gegen seinen Vater und Industriebaron Joh Fredersen (Wolfgang Rüter) mit den revolutionären Ideen der Geliebten. Er will Arbeiter sein, nicht mehr Kapitalist, er will Freiheit für alle, statt Macht für sich.

Doch die neue Untergrundbewegung wird selbstredend abgefilmt und verraten, die Arbeiter, die er retten wollte, können mit ihrer neuen Freiheit nicht umgehen und lassen sich kaufen. Maria wird von einem Dr. Frankenstein namens Rotwang als Puppe geklont, die niemand mehr von der echten Frau unterscheiden kann. Michael Pietsch, der Puppenbauer, hat sich dabei ins Zeug gelegt und der Umgang mit dem diabolischen Spielzeug meistert das Ensemble so charmant, dass es alle Zuschauer angemessen gruselt.

Eine Psychologie dagegen entwickeln die (Film-)Figuren nicht, teilweise interagieren sie merkwürdig brüllend – scheinbar um längst nicht mehr vorhandenen Maschinenlärm zu übertönen. Die Szene schließlich, in der Fritz Lang, Sigfried Kracauer, Romanautorin Thea von Harbou etc. mit Namensschildchen auf dem Klemmbrett die Thesen ihrer Filmproduktion verhandeln, wirkt seltsam zusammengegoogelt und kann das Verhältnis von Vorlage zu Bühnenstoff, von damals zu heute nicht wirklich klären.

Kein Wunder, dass Metropolis untergehen muss. Die Rückwand der Fabrik stürzt ein und öffnet den Blick in eine Schaltzentrale des Computerzeitalters. Doch auch diese unsere gegenwärtige Epoche währt nur kurz. Schon geht das Rolltor hoch, die Überlebenden von Metropolis werfen sich den Affenpelz über und tanzen draußen um einen mickrigen Baum auf Rädern. Fortsetzung folgt? Vielleicht auf dem „Planet der Affen“…

Karten und Termine: www.theater-bonn.de