„Der Mensch ist niemals ganz zufrieden“ – Gespräch mit Gabriele Wohmann

Von Bernd Berke

Frankfurt. Seit Jahrzehnten zählt Gabriele Wohmann zu den etablierten Autorinnen. Die Mittvierzigerin Sue ist Hauptperson ihres neuen Romans „Das Handicap“ (Piper Verlag). Durch einen Treppensturz verliert sie die Sehkraft und muß sich in ihrer häuslichen Welt einrichten. Als sie durch besondere Umstände das Augenlicht wiedererlangt, betrachtet sie ihr Leben mit hellsichtigem Argwohn. Ein Gespräch mit Gabriele Wohmann auf der Buchmesse.

Wie sind Sie an Ihr Thema geraten?

Gabriele Wohmann: Es gab keinen biographischen Anlaß. Niemand, den ich kenne, ist von der Treppe gefallen. Wie man zu Themen kommt, sollte man sich als Autor wohl gar nicht fragen, sonst kommt man vielleicht zu gar keinem mehr.

„Die Summe des Elends ist immer gleich.“ Dieser Satz fällt, als Sue ihre Blindheit überwunden hat.

Wohmann: Der Mensch ist so. Ein Übel ist weg, aber sofort stellt man sich um und ist schon wieder nicht mehr ganz und gar zufrieden, weil jetzt etwas anderes nicht stimmt. Das erlebt man im Alltag dauernd.

„Freuden erschrecken auch“, schreiben Sie.

Wohmann: Ja, weil sich herausstellt, daß Sues Ehemann, ihr Fels in der Brandung, doch ins Wanken geraten ist und sie vielleicht betrogen hat.

Sie schildern Schwebezustände: die erste Verliebtheit, dann schon das Abflauen der Zuneigung. Gibt es dazwischen nichts, keine Erfüllung?

Wohmann: Ich hab‘ gern die kleinen Dramen, die sich im Kopf abspielen, wo die Phantasie viel Schöneres erbringt, als die Wirklichkeit es vermöchte. Mit „Erfüllung“ kann ich wenig anfangen, es führt zum Kitsch. Verliebtheit ist toll. Aber dann wird es immer prekär. Gewohnheiten, Kompromisse, Besitz-Verhalten…

Ihr Buch spielt in einer Sphäre, die weitgehend sorgenfrei sein könnte.

Wohmann: In den „besseren Verhältnissen“ kenne ich mich auch besser aus. Statt der materiellen stellen sich dort seelische Sorgen ein. Die interessieren mich am meisten.

Sind Sie eher eine Autorin für Frauen?

Wohmann: Ach, ich wäre ja dumm, wenn ich sagen würde, ich schreibe fiir die oder für den. Aber das Belletristik-Publikum scheint überwiegend weiblich zu sein. Die meisten Männer lesen offenbar lieber Sachbücher – oder Wälzer mit furchtbar viel Action.

Von „Action“ kann in Ihrem Roman keine Rede sein.

Wohmann: Ich zitiere Schiller: „Es geschieht viel, indem nichts geschieht.“ Das kann besonders spannend sein.

Sie erwähnen Alfred Hitchcock und Patricia Highsmith, Sie geben Sues Schwester den Hitchcock-Namen „Marnie“. Neigen Sie zum Psychothriller?

Wohmann: Als Leserin ja, als Autorin nein. Ich schweife zu sehr ab. Ich lege mich nicht gern auf Konstruktionen fest, die man für Thriller braucht.

Man hat Sie als „Vielschreiberin“ bezeichnet.

Wohmann: Idiotischerweise zieht es in Deutschland einen schlechten Ruf nach sich, wenn jemand viel schreibt. In angelsächsischen Ländern denkt man sich nichts dabei. Wer schreibt, ist doch heilfroh, wenn ihm noch viel einfällt. Aber hier wird immer gewartet auf die Schreibkrise und die Krämpfe. Ich finde das albern und schrecklich.

Von vielen Kritikern werden Sie heute ignoriert.

Wohmann: Stimmt. Das hat mit dem „Vielschreiben“ zu tun. Da sagt sich wohl mancher: Naja, schon wieder ’ne Wohmann. Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde: „Das ärgert mich nicht.“ Es hat den Beigeschmack von „Bist du vielleicht schon tot?“ Aber ich bin’s ja nicht. (Lachend) Außerdem wird die Kritik vergessen sein, und ich werde vielleicht ein bißchen Nachwelt haben, verdammt nochmal!




Warum Norbert Blüm die Schriftsteller beneidet – Diskussion über Sprache in Literatur und Politik

Von Bernd Berke

Düsseldorf. „Im Zentrum steht vielmehr der Dialog als Prozeß, in den sich jeder einbringen kann.“ Bekenntnis einer Selbsterfahrungs-Gruppe? Nein, das Zitat stammt aus einer Einladung der CDU. Die Christdemokraten baten zu einer prominent besetzten Kulturdiskussion in die Düsseldorfer „Rheinterrassen“, als Moderator fungierte Geert Müller-Gerbes (Talkmaster von RTL plus). Motto, ganz ohne Fragezeichen ausgedruckt:„Sprachlos: Politik und Literatur“.

„Kritikerpapst“ Marcel Reich-Ranicki argwöhnte gleich zu Beginn, „daß wir hier in den Wahlkampf eingespannt werden“. So sei es doch bisher immer gewesen: Nach dem Urnengang hätten die Parteien die Kultur sehr bald wieder ignoriert. Reich-Ranicki: „Aber heute wird uns sicher wieder gesagt, wie sehr diese Partei die Literatur liebt.“

Ihm gegenüber saß der, der sich angesprochen fühlen mußte: Norbert Blüm, Arbeits-und Gesundheitsminister sowie Vorsitzender der CDU in NRW. Blüm wich der Attacke aus, und zwar mit dem Knabber-Sprachbild, das er so gern benutzt: „Ich liebe die Literatur nicht. Manchmal geht sie mir sogar auf den Keks“. Warum? Nun, Geist und Macht ließen sich nicht vorschnell versöhnen. Die schreibenden Intellektuellen seien immer stärker im Kritisieren gewesen als im Bejahen. Das sei zwar ihre Rolle, die man akzeptieren könne, aber: „Manchmal werde ich da ein bißchen neidisch“. Denn ein Politiker müsse viel genauer auf Konsequenzen seines Redens und Tuns achten als ein Literat. Reich-Ranicki hatte das passende Böll-Zitat zur Hand: Der Schriftsteller müsse mitunter „zu weit gehen, um zu sehen, wie weit er gehen kann“.

Die Frage des Abends brachte Düsseldorfs Schauspiel-Intendant Völker Canaris auf den Punkt: Öffentliche Politiker-Sprache richte sich oft gar nicht mehr an den Zuhörer, sie sei vielfach zur puren Selbstdarstellung verkommen und geeignet, Realität zu verschleiern. Blüm räumte ein, daß die Politik Schaden nehme, wenn sie sich zu sehr von Alltags- und Literatursprache abkapsele. Aber: In den bestenfalls 90 Sekunden langen Fernseh-Statements könne ein Politiker auch nur schematisch reden. Komplizierte Entscheidungswege seien da kaum darstellbar, man müsse sich auf Resultate beschränken. Canaris: „Aber ihr Politiker erweckt doch den Eindruck, als könntet ihr in 90 Sekunden alles erklären“. Statt zur Schau getragener Selbstgewißheit wünsche er, Canaris, daß Politiker öfter mal Hilflosigkeit oder Angst eingestünden. Außerdem fehle die Dimension der Utopie, fehlten Visionen in der politischen Rede. Hier habe die Literatur eine wichtige Funktion.

Doch auch die Literatur, wortkarg vertreten durch Gabriele Wohmann („Ich weiß zu wenig über das Thema“), blieb nicht ungeschoren. Kritiker Reich-Ranicki: „Es ist schon viel politischer Unsinn aus Autoren-Federn geflossen“. Amt der Literatur sei es ja auch eher, „besser zu formulieren“. Blüm pflichtete bei: Er könne keine „höhere Autorität“ der Schriftsteller auf politischem Felde anerkennen.

Zu einem kleinen Eklat kam es, als Reich-Ranicki die „Unverantwortlichkeit“ von Literatar ausgerechnet am Beispiel Kurt Tucholskys verdeutlichen wollte: Tucholsky habe zu jenen gehört, die das Ende der Weimarer Republik herbeigeschrieben hätten. Volker Canaris: „Die Republik ist doch wohl von ganz anderen zerstört worden“. In einem war man sich dann wieder einig: Politiker müssen keine Literatur-Experten sein. Reich-Ranicki: „Bei meinem Arzt ist es mir ja auch lieber, wenn er Fachzeitschriften liest, als Rilke“.