Vorfälle (4): Die Zechpreller vom Nebentisch

Saßen wir doch dieser Tage abends auf zwei Gläser Wein vor einem Dortmunder Lokal. Am Nebentisch eine Frau mittleren Alters, die las und las und las. Und gar nicht aufblickte. Und immer mal ein wenig an ihrem Getränk nippte. Irgendwann ist sie dann aufgestanden und gegangen.

Warum ich das so breit erzähle? Gemach!

Kurz darauf erschien der Wirt: „Ist die Dame etwa gegangen?“ Tja. Sie hatte zwar „generös“ zwei Euro hingelegt, aber ihr Getränk kostete ein bisschen mehr. Wie soll man das nennen: negatives Trinkgeld?

Egal.

Egal?

Am selben Tisch, den besagte Dame verlassen hatte, nahmen nun zwei geschniegelte Typen Platz und legten ihre Smartphones vor sich hin. Wie man das so macht, wenn man zeigen will, welche man hat. Die selbstgefälligen Herren tranken ein Pils und hatten es offenbar eilig.

Dieses Foto (© Bernd Berke) zeigt den Ausschnitt einer ordnungsgemäß bezahlten Getränkerechnung des Abends.

Dieses Foto (© Bernd Berke) zeigt den Ausschnitt einer ordnungsgemäß bezahlten Getränkerechnung des Abends.

Sie ließen sogar, als hätten sie das eichstrichgenau abgesprochen, jeweils ein Drittel im Glas zurück. Mit anderen Worten: Sie waren ebenfalls einfach gegangen, ohne einen Cent zu bezahlen. Doch auf so etwas achtet man nicht im Moment des Geschehens. Man merkt es erst, wenn die Kellnerin nachfragt, ob die Leute vom benachbarten Tisch etwa schon…

Bin ich denn der Hüter des verhexten Nebentischs? Nein.

Aber ein paar Fragen drängen sich wohl auf: Zeigen solche kleinen Szenen einen Zustand in der Gesellschaft an – oder muss man so etwas niedriger hängen und sich nur ein bisschen wundern?

Man könnte ausgiebig über das schäbige Verhalten dieser Zechpreller spekulieren. Es waren jedenfalls ersichtlich keine bedürftigen Leute. Und auch keine herkömmlichen Kleinkriminellen.

Schwappt hier etwa die im Internet täglich antrainierte Gratis-Mentalität auf andere Bereiche über? Reichen denen die üblichen Schnäppchen und Flatrates nicht mehr aus? Muss es jetzt auch noch „umsonst und draußen“ sein? Empfinden sie so etwas wie kleptomanische Angstlust, wenn sie sich aus dem Staub machen?

Noch eine Mutmaßung: Seit 1. Mai darf in NRW bekanntlich nur noch draußen vor der Tür geraucht werden; dort also, wo man sich – sitzend, stehend, sich bereits halbwegs entfernend – schon mal viel leichter den Blicken des Personals entziehen kann. Damit soll keinesfalls unterstellt werden, dass Raucher… Nein, nein! Wo denkt ihr hin? In ihrem Windschatten drucksen ja auch Nichtraucher herum – und schwupp…

Eins aber steht fest. Wenn der Wirt ein gutes Personengedächtnis hat, so können sich diese Zechpreller bei ihm nie wieder blicken lassen. Ihre Kneipenauswahl schrumpft und schrumpft. Ein schwacher Trost für die Gastronomie.




Sie lauern überall: Dortmunder Peinlichkeiten

Eigentlich wollte ich – nach diversen miesen Erfahrungen in jüngster Zeit – an dieser Stelle nur über Dortmunder Gaststätten schreiben, die es mit dem Service nicht so haben. Doch dann trug es mich weiter von hinnen. Vielleicht liegt’s ja am Kater nach dem verlorenen Revierderby.

Eines dieser Ausflugslokale liegt an prominentester Stelle im Westfalenpark; dort, wohin viele Dortmunder ihre auswärtigen Gäste mitnehmen. Wie peinlich! Es dürfte weit und breit kaum einen anderen gastronomischen Betrieb geben, in dem derart viele freudlose Dispute zwischen Personal und Gästen anliegen. Allgemeines Kopfschütteln, galgenhumoriges Einverständnis zwischen den Tischen. Berechtige Beschwerden sind hier nicht die Ausnahme, sondern die Regel, ja fast schon Folklore. Da trifft Loriots guter alter Spruch zu: „Herr Ober, dürfen wir I h n e n vielleicht etwas bringen?“

Eine andere Lokalität zehrt vom Ruf als idyllisches Hofcafé, bekommt aber nicht mal eine Zusammenkunft mit knapp 20 Gästen geregelt. Pannen werden dort in absurden Serien produziert, als sei’s dummdreiste Absicht. Ein drittes Haus lockt ebenfalls mit pittoresker Lage in einem Park. Man kann aber an gewissen Tagen von außerordentlichem Glück sprechen, wenn dort binnen 45 Minuten die Bestellung den Weg zum Tisch gefunden hat. Aber wehe, man weist zaghaft auf Fehlleistungen hin…

Oh, ich könnte mich länglich über solche Betriebe auslassen, in denen Unfähigkeit sich mit Hirnrissigkeit und zuweilen auch noch Frechheit vermengt. Halt! Diesen noch! Diesen angemessen peinlichen Kalauer muss ich jetzt noch loswerden, auf dass das letzte Lachen im Ansatz ersterbe: Gastronomie hat hier nichts mit Gast zu tun, sondern mit Gastritis, die man sich vor lauter Ärger zuzieht.

Dortmunder Peinlichkeiten also. Und damit betreten wir ein weites Feld.

Blick vom Florianturm auf den Phoenixsee (Foto: Bernd Berke)

Blick vom Florianturm auf den Phoenixsee (Foto: Bernd Berke)

Beispielsweise die seit Jahrzehnten währende, schier endlose Geschichte um den (Nicht)-Umbau des Hauptbahnhofs, der einer Großstadt nicht würdig ist. „Pommesbude mit Gleisanschluss“ ist beinahe noch gelobhudelt. Neuerdings geht das Gerücht, die Sanierung werde sich womöglich um weitere Jahre verzögern. Ist ja auch egal, ob Behinderte barrierefrei zu den Gleisen kommen oder nicht.

Man muss den jetzigen Zustand mal vergleichen mit den Großmannsträumen, die früher einmal gehegt wurden. Die sehen (auch auf anderen Gebieten) regelmäßig so monströs aus, wie klein Mäxchen sich ungefähr zur Mitte der 60er Jahre Größe und Zukunft vorgestellt hat. Wenn 2014 vis-à-vis vom Bahnhof das Deutsche Fußballmuseum eröffnet (dräuen damit etwa neue Peinlichkeiten?), sollen jährlich Hunderttausende allein deswegen anreisen. Sie werden den Ruhm des Bahnhofs weit hinaus in die Welt tragen.

Beispielsweise die Pfütze namens Phoenixsee. Im Sonnenuntergang mag das überschaubare künstliche Gewässer ja manchmal seine funkelnden Momente haben. Aber das ganze Projekt ist wohl in erster Linie eine Maßnahme, um im Umfeld maximale Immobilienpreise herauszuwuchern. Unterdessen brüstet man sich damit, der See sei größer als die Hamburger Binnenalster. Sprechen wir mal gar nicht von Flair und Tradition, aber wo wäre denn dann das Pendant zur Außenalster? Geradezu lachhaft mutet es an, dass auf diesem Gewässerchen Segelboote fahren dürfen. Kaum sind sie „in See gestochen“, müssen sie schon wieder beidrehen.

Vom sündhaft teuren „Dortmunder U“, das auf Biegen und Brechen noch im Kulturhauptstadtjahr „Ruhr 2010“ eröffnet werden musste, bei dem es aber jetzt immer noch an etlichen Ecken klemmt und hapert, wollen wir nicht weiter reden. Quicklebendiges Kulturzentrum, blühende „Kulturwirtschaft“? Aber nicht doch! Übt euch gefälligst in Geduld!

Hinreichend peinlich auch das Jubiläums-Jubeln der von Anzeigen abhängigen Regionalpresse, die das einjährige Bestehen der Thier-Galerie (Einkaufszentrum mit ca. 160 Geschäften) quasi ohne Gegenstimmen gepriesen hat. Man muss sich nur mal die verwahrlosenden Leerstände bzw. Schlichtläden an den Rändern der City ansehen, um zu ahnen, was hier schleichend vorgeht.

Na und? Dafür haben wir aber den weltgrößten Weihnachtsbaum, freilich zusammengestoppelt aus rund 1700 Fichten, also schlichtweg eine grandiose Sinnestäuschung – auch wenn Japaner, Russen und Holländer das Ding gern fotografieren. Just heute (an diesem sonnigen 22. Oktober) bin ich an der Stelle vorbeigekommen. Und siehe: Sie arbeiten schon wieder am Fundament der Scheußlichkeit (wie es das grässliche, aber mutmaßlich weltexklusive Foto zeigt).

22. Oktober: Hier und heute werkeln sie schon wieder am Fundament für den "weltgrößten Weihnachtsbaum". (Foto: Bernd Berke)

22. Oktober: Hier und heute werkeln sie schon wieder am Fundament für den "weltgrößten Weihnachtsbaum". (Foto: Bernd Berke)

Nun gut. Zugegeben: So gigantische Peinlichkeiten wie Berlin mit seinem Flughafen, Hamburg mit der Elbphilharmonie, Köln mit dem Stadtarchiv oder „Stuttgart 21“, die kriegen wir hier nicht zustande. Aber immerhin! Wir bemühen uns.

P. S.: Jeder beschmutze sein eigenes Nest. Ergo: Wer aus anderen Städten kommt, kehre vor der eigenen Tür. Auch da findet sich eine Menge.