Im Bann der bunten Farben – Ausstellung zum 100. Geburtstag des Malers Heinz Kreutz in der Duisburger Küppersmühle

Heinz Kreutz: Ohne Titel, 1959 Öl auf Leinwand 65,5 x 81 cm (Bild: Henning Krause, MKM Museum Küppersmühle für Moderne Kunst, MKM Stiftung, Sammlung Ströher, Duisburg © Nachlass Heinz Kreutz)

Rot quillt aus blaugrünem Nebel hervor, unheilverkündendes Schwarz links davon, etwas schüchternes Gelb im Hintergrund. Gräulich-weiß das Drumherum, was die Bedrohlichkeit etwas abmildert. Irgendwie allegorisch, vielleicht; doch würde man angesichts des Bildes „Aus dem Leben der Eisblumen“, das Heinz Kreutz 1955 schuf, vor allem auf eine große Lust an Farben und ihren Kompositionen schließen, läge man wohl auch nicht falsch.

Nach der Nazizeit

Kreutz ist einer von den vielen Malern, die nach der Nazizeit mit ihren unsäglichen Kunstvorstellungen einen geradezu unstillbaren Drang nach Buntheit, Fläche, Bewegung verspürten, dem kein gegenständliches Postulat entgegenzustehen hatte. Gleichwohl ist er  eher einer aus der zweiten Reihe. Wenn seine großformatigen Gemälde in der Vergangenheit gehandelt wurden, lagen die Preise vorwiegend im vierstelligen Bereich, was ja auch nicht wenig Geld ist, aber doch wenig im Vergleich zu Hervorbringungen der Prominenz.

Kunst der Sieger

Er hatte aber auch zeitlebens viele Mitbewerber (die zudem, teilweise jedenfalls, erstaunlich alt wurden). Abstrakter Expressionismus erlebte in den Jahren nach dem Krieg in Deutschland West eine gewaltige Blüte, was zum einen wohl daran lag, daß er aus dem bewunderten Westen, nämlich den USA, zu uns kam, und zum anderen, daß er formal dem „sozialistischen Realismus“ der DDR geradezu diametral gegenüberstand. Kunst der Siegermächte mithin? Vielleicht auch, jedenfalls ein bißchen. Alles lange vorbei.

Quadriga

Bemerkenswert ist an Heinz Kreutz, der 2016 im gesegneten Alter von 93 Jahren starb, daß er zusammen mit drei Kollegen, die alle deutlich berühmter wurden als er, 1952 die Künstlergruppe Quadriga gründete. Die anderen drei waren Bernard Schultze (2015 – 2005), K.O. Götz (2014 – 2017) und Otto Greis (2013 – 2001), und jedem von ihnen widmet mein Brockhaus (der letzte!) einen Absatz nebst Abbildung, nicht aber Heinz Kreutz. Einen Grund dafür in der künstlerischen Qualität zu suchen, wirkt wenig zielführend. Eher schon könnte von Bedeutung sein, daß Kreutz, Jahrgang 1923, acht Jahre jünger war als der nächstjüngste im Bunde, Schultze, 1915. War er zu spät dran im unerbittlichen Kunstbetrieb? Natürlich ist das eine rein spekulative Frage.

Heinz Kreutz: Weiß und schwarz, 1967, Acryl auf Leinwand 130,5 x 130 cm (Bild: Henning Krause, KMKM Museum Küppersmühle für Moderne Kunst, MKM Stiftung, Duisburg © Nachlass Heinz Kreutz)

Anfang der 50er bis 2006

Jedenfalls schickt sich jetzt das Museum Küppersmühle (MKM) an, den Maler Heinz Kreutz anläßlich seines 100. Geburtstags mit einer feinen und keineswegs kleinen Ausstellung im so wohlgestalteten Neubau dem Vergessen zu entreißen. Die Werkschau beginnt Anfang der 50er Jahre – unter anderem, eben, mit dem beschriebenen „Eisblumen“-Bild, die letzte Arbeit datiert von 2006 und hat den Titel „Farbenleben Triptychon“. Mit seinen letzten Arbeiten, die nach der Jahrtausendwende entstanden, kehrt der Maler mit geradezu erstaunlicher Konsequenz zu seinen Anfängen zurück, kombiniert bei hoch emotionaler Grundierung Farben, Rhythmen, Strukturen, im Alter vielleicht etwas entspannter, flächiger, aber die enge Verbindung von früher und später Kunst ist ganz unübersehbar.

Die neue Strenge

Dabei gab es in Kreutz’ Schaffen durchaus Phasen, wo man ihn nicht wiedererkannt hätte. In den 1960er Jahren kombiniert er streng Farbflächen, die mit ihrem entindividualisierten Erscheinungsbild bunten Strichcodes auf Warenverpackungen ähneln. Um Farbe geht es nach wie vor, „Weiss, gelb und grau“ oder „Um Rot herum“ heißen Arbeiten aus dieser Zeit (1967), und denkt man beispielsweise an die quadratischen Farbkompositionen Josef Albers’, dann spürt man Verwandtschaft.

Heinz Kreutz: Mittag in der Nähe des RE, 1990 Acryl auf Leinwand 90 x 109,5 cm (Bild: Henning Krause, MKM Museum Küppersmühle für Moderne Kunst, Duisburg, Sammlung Ströher © Nachlass Heinz Kreutz)

Pop Art

Ende der Sechziger, Anfang der Siebziger hat Kreutz wohl auch mit der Pop Art geliebäugelt. Eine Arbeit mit dem denkwürdigen Titel „Denkmal für Philipp Otto Runge“ (1967) – vier typographisch gestaltete Quadrate („IIII“, wenn man so will) formen zusammen ein großes Quadrat, das Robert Indianas berühmtem ikonischem Pop-Schriftzug „LOVE“ (1964) formal stark ähnelt. Starkfarbige Flächenkompositionen wirken wie maschinell auf das Papier gebracht. „36 Quadrate über Blau / 36 Quadrate über Gelb“ ist ein Diptychon von 1973-1974 betitelt, sehr streng das alles, wie aus Legosteinen zusammengesetzt (wenn sie denn quadratisch wären), und eigentlich auch reichlich blutleer für einen abstrakten Expressionisten. In den späten Achtzigern scheint diese stocknüchterne Befassung mit klarer Form und steril aufgetragener Farbe überwunden zu sein, die Bilder haben, wenn man einmal so sagen darf, wieder Seele, Impuls, ursprüngliche Kraft, und man ahnt zumindest häufig auch wieder, mit welcher Methode der Farbauftrag erfolgte. Das vielleicht in Kürze zu dem was nun in Duisburg zu sehen ist.

Kombinierte Malgründe

Eine Besonderheit im Werk von Heinz Kreutz, dies sei noch vermerkt, ist die Zusammenfassung mehrerer Bilder zu waagerecht und senkrecht kombinierten Diptychen und zu Triptychen. Die wunderschön bunte, mit viel Blau und Gelb und zeichnerischer Struktur leuchtende „Hommage à Gustav Mahler“ (1989) gar besteht aus vier verschieden großen Gemälden und läßt an ein Kreuz (ohne „t“) denken. Und dem Betrachter geht durch den Kopf, daß vier komponierte Malgründe für diesen Komponisten wohl eine durchaus angemessene Größenordnung sind.

  • Heinz Kreutz: Schwarz-weiss und in Farbe zum 100. Geburtstag
  • Bis 28. Januar 2024
  • Museum Küppersmühle, Duisburg
  • www.museum-kueppersmuehle.de

 




Wie ich einmal Sylvester Stallone verpasst habe (obwohl er seine Gemälde in Hagen zeigt)

Offenbar gut gelaunt: Sylvester Stallone beim morgendlichen „Medienevent“ im Hagener Osthaus Museum – vor einem seiner Gemälde. (© sabinebrauerphotos)

Um die Überschrift gleich klarzustellen: Natürlich sehe ich den weltbekannten Sylvester Stallone auch sonst nicht, habe ihn überhaupt noch nie leibhaftig gesehen. Doch heute hätte es eine Gelegenheit gegeben, und zwar – man höre und staune – in Hagen.

Im dortigen Osthaus Museum werden jetzt einige seiner Gemälde gezeigt. Der Mann malt, wenn seine Zeit es erlaubt, seit Jahrzehnten leidenschaftlich. Der Hagener Termin wurde denn auch nicht als schnöde Pressekonferenz oder kreuzgewöhnliche Ausstellungs-Vorbesichtigung angekündigt, sondern als „Medienevent“ mit Pressecounter, Check-In, 2G-Regel und sonstigem Zipp und Zapp. Wow!

Als Jungredakteur wäre ich sogleich elektrisiert gewesen. Doch als nunmehr etwas älterer Knabe bin ich, obgleich akkreditiert (dafür Dank) und füglich dreifach geimpft, dann doch nicht hingefahren. Als ich die Wetterprognose (Nullgrade, Glatteisgefahr) hörte und auch noch vernahm, dass Hagen vor Innenstadt-Baustellen derzeit nur so strotze, dachte ich bei mir: Selbst für Stallone möchte ich mir das nicht antun und mir erst recht nicht die Gräten brechen. Sorry.

Das ist ja das Schöne, wenn einem kein Chef-Darsteller mehr etwas vorzuschreiben hat: Man kann manche Dinge auch einfach mal bleiben lassen. Ein solches Versäumnis schmälert das Leben nur ganz unwesentlich; wenn überhaupt.

Sylvester Stallones Gemälde „Hercules O’Clock“. (© Courtesy Galerie Gmurzynska)

Kleiner Rückblick nach dem Motto „Was bisher geschah“: Vor ein paar Jahren hat mich ein wilder Haufen männlicher Nachbarn gedrängt, allen etwaigen Feinsinn fahren zu lassen und endlich einmal ein Video von „Rambo“ anzuschauen. Widerstrebend habe ich mich darauf eingelassen, hab’s tapfer durchlitten und mich beim gemeinsamen Videoabend mit Jacques Tati („Mon Oncle“) als zweitem Programmpunkt revanchiert – ein nahezu größtmöglicher Kontrast zum vorherigen Action-Geballer. Was ich damit sagen will? Ich bin „vorgeschädigt“, was Sylvester Stallone angeht, der bekanntlich „Rambo“ verkörpert hat.

Was habe ich heute wohl versäumt? Mit Sicherheit ein ziemliches Medien-Gerangel, ein Blitzlichtgewitter, wie es Hagen höchstens alle paar Jahre erlebt. Dazu Kameras und Mikrofone sonder Zahl. Es dürfte auf diesem Planeten nur wenige geben, die es an globaler Bekanntheit mit Sylvester Stallone aufnehmen können, der ja u. a. auch den legendären Boxer „Rocky“ Balboa gespielt hat. Nach ersten Vorberichten („Stallone kommt nach Hagen“) haben sich denn auch etliche Menschen aus der Region angelegentlich erkundigt, wie und wo sie Sylvester Stallone in Hagen live erleben können. Das vorherrschende Lokalblatt (Westfalenpost) gelobte daraufhin maximale Zurückhaltung in seiner diesbezüglichen Informationspolitik.

Selbige Zeitung begleitete heute Syvester Stallones Erscheinen ganz aufgekratzt. Rund 100 Fans des Filmstars hätten sich denn doch am Osthaus Museum eingefunden (von wem hatten sie wohl die Tipps?). Stallone sei einer schwarzen Limousine entstiegen, von Bodyguards abgeschirmt worden und habe dennoch ein paar Autogramme geschrieben. Nett von ihm. Die Vermutung steht im Raum und ist kaum von der Hand zu weisen: Die meisten Menschen wollen vielleicht gar nicht so sehr Stallones Bilder sehen, sondern den Filmstar himself.

Stolz auf den Coup: Hagens Museumsdirektor Tayfun Belgin mit Sylvester Stallone vor dessen Gemälde „Finding Rocky“. (© sabinebrauerphotos)

Den vorab versandten Presseunterlagen habe ich staunend entnommen, dass die rund 50 Bilder umfassende Stallone-„Retrospektive“ aus Anlass seines 75. Geburtstages (Geburtsdatum 6. Juli 1946) gezeigt werde. Die Gemälde seien „action-geladen“ wie seine Filme, doch auch „feinnervig und vielschichtig“. Zitiert wird Sylvester Stallones Auffassung von der Malerei als der unmittelbarsten aller Künste, die das Seelenleben unverfälschter ausdrücke als etwa die Literatur. Vom Film ganz zu schweigen. Darüber könnte man lange reden. Oder auch nicht.

Demnach hat Sylvester Stallone schon in den später 1960er Jahren mit dem Malen begonnen, als er noch längst nicht der große Kinostar gewesen ist. Schon vor dem Filmscript habe er zuerst auf der Leinwand die berühmte Figur entworfen – auf dem Bild „Finding Rocky“ (1975).

Bisher wurden seine Werke in St. Petersburg (2013) und Nizza (2015) gezeigt. Keine ganz gewöhnliche Abfolge. Jetzt also Hagen. Über die künstlerische Qualität der Bilder erlaube ich mir – aus der Distanz – selbstverständlich keinerlei Urteil. Osthaus-Direktor Tayfun Belgin wird sicherlich nichts dagegen haben, dass sein Institut einmal so richtig starke Publicity-Effekte außer- und oberhalb des sonst Üblichen erzielt. Er hat denn auch ein passendes russisches Sprichwort gefunden, um Stallones Mehrfach-Begabung zu unterstreichen: „Ein talentierter Mensch ist in jeder Hinsicht talentiert.“ In seinem Text „Der Zauber des Seins“ preist Belgin die expressiven Qualitäten dieser Malerei, dieser Zeit- und Gedankenbilder, wie er sie nennt.

Mh. Na gut. Eventuell gehe ich doch noch einmal hin. In aller Ruhe. Wenn der Medienrummel abgeklungen ist.

Sylvester Stallone. Retrospektive zum 75. Geburtstag. Osthaus Museum, Hagen, Museumsplatz 1. Vom 4. Dezember 2021 bis 20. Februar 2022. Di-So 12-18 Uhr. Tel.: 02331 / 207 2138. Derzeit 2G-Regel (geimpft oder genesen) mit Ausweispflicht.

www.osthausmuseum.de




Das Kind des Kunsthändlers – Gurlitt-Stück „Entartete Kunst“ als Berliner Gastspiel in Recklinghausen

Ein wirkliches Aha-Erlebnis: Auch wenn keine Ruhrfestspiele sind, wird im Recklinghäuser Festspielhaus Theater gespielt. Als Veranstalter fungiert dann die Stadt, und die Künstler kommen – manchmal – von weit her. Für Ronald Harwoods Schauspiel „Entartete Kunst“ kamen sie aus Berlin, vom Renaissance-Theater. Die Agentur Landgraf hat sie auf Tournee geschickt: Udo Samel, Boris Aljinovic, Anika Mauer und Ralph Morgenstern.

Im Großen Haus der Ruhrfestspiele in Recklinghausen war das Berliner Renaissance-Theater zu Gast (Foto: Ruhrfestspiele/Torsten Janfeld)

Ein Berg von Raubkunst

Wir erinnern uns: Als offiziell verkündet wurde, was der alte Herr Gurlitt in seiner Schwabinger Wohnung aufbewahrte, verfielen größere Teile der bundesdeutschen Journaille in lebensbedrohliche Schnappatmung. Ganz offenbar war hier ein Riesenkonvolut sogenannter Raubkunst aufgetaucht, das der Sohn eines notorischen Nazi-Kunsthändlers klandestin und illegal hütete. Und der Mann selber war ein Monstrum, wenn auch ein eher ungefährliches. Er zahlte keine Steuern und hatte keine Krankenversicherung.

Weder in der Sozialversicherung noch in der Steuerverwaltung zu existieren, das wurde Cornelius Gurlitt schließlich zum Verhängnis. Bei einer Zollkontrolle fiel er – durch legal mitgeführte – 9000 Euro und durch unbedachte Äußerungen über sein Finanzgebaren auf, was die Staatsanwalt zu einer Durchsuchung seiner Wohnung veranlaßte.

Gnadenlose Staatsanwaltschaft

Übermäßiges Feingefühl kann den Behörden bei ihrem Einsatz im Jahr 2012 nicht vorgeworfen werden. Sie taxierten Gurlitts Kunst mal eben so auf eine Milliarde Marktwert und schafften sie ins Depot. Im November 2013 wurde der behördliche Zugriff bekannt, ein Jahr später starb der alte Mann mit 82 Jahren, nachdem er zuvor noch den damals schon nicht unbeträchtlichen „unbedenklichen“ Teil der Kunstsammlung dem Kunstmuseum Bern vererbt hatte.

Mittlerweile ist unstrittig, daß die Staatsanwaltschaft mit unverhältnismäßiger Härte vorging und daß das Schlagwort von der riesigen Raubkunst-Sammlung kaum haltbar ist. Statt eine Milliarde Euro ist die Sammlung nach seriöseren Schätzungen nur noch einen zweistelligen Millionenbetrag wert (auch nicht wenig!), gerade einmal fünf von insgesamt 1500 Werken konnten bisher als eindeutig geraubt identifiziert und ihren rechtmäßigen Besitzern zurückgegeben werden.

Kunsthändler der Nazis

Natürlich ist die Provenienzforschung hier ein schwieriges Feld. Auch muß man befürchten, daß rechtmäßige Besitzer oder ihre Nachfahren in manchen Fällen Krieg und Holocaust nicht überlebt haben. Doch den größten Teil der Sammlung scheint Hildebrand Gurlitt, der erfolgreiche Vater Cornelius’, auf korrekte kaufmännische Weise zusammengetragen zu haben – jedenfalls so korrekt, wie es im Nationalsozialismus möglich war, wo man die besetzten Länder plünderte und den jüdischen Deutschen ihre Vermögen abpreßte, bevor sie im besseren Fall ausreisen durften oder in den Vernichtungslagern ermordet wurden.

Hildebrand Gurlitt hat sich die Verhältnisse bestens zunutze gemacht, wie es scheint, hat moderne, als „entartet“ verfemte Kunst im Auftrag der Nazis ins Ausland verkauft, hat in den besetzten Kriegsgebieten beschafft, was die braunen Bonzen gerne haben wollten, beispielsweise für Hitlers geplantes „Führermuseum“. In einer Zeit der Ungeheuerlichkeiten hat er sich bewegt wie ein Fisch im Wasser, und fast folgerichtig ging er nach dem Krieg aus seinem „Entnazifizierungsverfahren“ (was für ein Wort!) als unbelastet hervor.

Das wahrscheinlich wertvollste Bild in Gurlitts Sammlung stammt von Claude Monet (1840–1926): „Waterloo Bridge“ (1903, Öl auf Leinwand, doubliert 65×101,5 cm) (Foto: Bundeskunsthalle Bonn)

Lust am „Fuppen“

Der Hildebrand Gurlitt, dem wir in Ronald Harwoods Theaterstück begegnen, ist nurmehr verklärende Erinnerung seines Sohnes Cornelius. Udo Samel gibt ihn als ewiges Kind, dem die Bilder in der Wohnung seine Familie sind und das voller Hingabe mit seiner Modelleisenbahn spielt. Er bewundert seinen Vater, was bleibt ihm auch übrig, aber dessen Fußabdrücke sind für ihn viel zu groß.

Cornelius Gurlitt hat studiert, wie später zu erfahren ist, Kunstgeschichte, aber das hat ihn nicht davor bewahrt, sein unbedeutendes Kinderleben nach dem Tod des Vaters endlos fortzuführen, das Erbe zu pflegen, zu „seiner Familie“ zu machen. Nur wenige Künstler bedeutender Eltern haben dieses Danach so zurückgezogen und exzentrisch gleichermaßen gelebt wie Cornelius Gurlitt; doch das schmerzende Gefühl der eigenen Bedeutungslosigkeit dürften viele von ihnen kennen, die Verletzlichkeit, die sie die Welt draußen meiden läßt.

Wer, wenn nicht Udo Samel, wüßte das herauszuspielen, der kleine dicke Mann mit seiner inneren Getriebenheit, die ihm die großen, schönen, reinen Gedanken ebenso einzugeben scheint wie sie die unvermittelt aufblitzenden kleinen Niederträchtigkeiten formt, die sexuellen Anspielungen, die peinlichen Tiraden über die allgegenwärtige, altersgeile Lust am „Fuppen“. Udo Samel zelebriert mit sparsamen Mitteln große Schauspielkunst; sein Cornelius Gurlitt ist ein tragischer Mensch auch ganz jenseits jeder Beutekunst-Diskussion.

Um den Hauptdarsteller Udo Samel herum inszeniert

Wie für Udo Samel geschrieben wirkt dieses inklusive Pause kaum zwei Stunden dauernde Stück. Auf jeden Fall hat Regisseur Torsten Fischer es in dieser Uraufführung um ihn herum inszeniert. Nur so, mit dieser armseligen, abgründigen Figur in ihrer strahlenden Mitte, funktioniert die Inszenierung. Die weiteren drei Mitwirkenden – Boris Aljinovic und Anika Mauer als hart vorgehende Vertreter der Staatsanwaltschaft, Ralph Morgenstern als halbseidener Kunsthändler Andras Weisz – sind zwar allesamt bemerkenswert gute Darsteller und weit mehr als nur Stichwortgeber, haben aber nur selten die Möglichkeit, mit ihrem Spiel nennenswert zum Fortgang des Stückes beizutragen.

Schrecklich viele leere Plätze

Darf man es verschweigen? Der große Saal im großen Haus war geradezu erschreckend leer. Vielleicht gab es zu wenig Werbung für diesen Theaterabend, auch ist er innerhalb des Monatsprogramms mit seiner Mischung aus Musik, Kindertheater und Comedy fast so etwas wie ein Fremdkörper. Gleichwohl schmerzt es, Udo Samel, der einst als Kaldewey in Botho Strauß’ gleichnamigem Stück an der Berliner Schaubühne unvergeßliche Auftritte hatte (für die man kaum Karten bekam), hier vor weitgehend leeren Reihen spielen zu sehen. Es sei dies, schreibt die Agentur, Samels erste Theatertournee, und bis 5. Dezember ist sie (laut Internet) terminiert. Da ist man gespannt, ob er sich in der Zukunft auf weitere Tournee-Abenteuer einlassen wird.

  • Weitere Termine (ohne Anspruch auf Vollständigkeit): 2.12. Scharoun-Theater Wolfsburg, 3. 12. Festhalle Viersen
  • Zwei Ausstellungen zeigen aktuell Bilder aus der Sammlung von Cornelius Gurlitt:
  • „Bestandsaufnahme Gurlitt – Der NS-Kunstraub und die Folgen“, Bundeskunsthalle Bonn, bis 11. März 2018
  • „Bestandsaufnahme Gurlitt. Entartete Kunst – Beschlagnahmt und verkauft“, Kunstmuseum Bern, bis 4. März

 




Portraitist der jungen Bundesrepublik – Bilder von Hans Jürgen Kallmann in Haus Opherdicke

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Junger Orang-Utan, 1970, Tempera, Pastell (Bild: Kreis Unna)

Der Kopf von Bert Brecht ist so groß, daß er kaum auf das Blatt paßt; der Kopf von Franz Josef Strauß füllt kaum die Hälfte des Blattes und ähnelt in seiner halslosen Rundheit einer Bowlingkugel. Zufall? Vielleicht schon, zwischen den beiden Pastellen liegen fast 30 Jahre. Vielleicht aber auch nicht. Der Maler Hans Jürgen Kallmann, der von 1908 bis 1991 lebte und dem der Kreis Unna nun in Haus Opherdicke eine Ausstellung ausrichtet, hatte Humor.

Kallmanns Kunst ist anspruchsvoll, aber nicht sperrig, war es wohl auch zu keiner Zeit. Natürlich probierte der junge Mann vieles von dem aus, was in den 20er, 30er Jahren in der Malerei als modern galt, versuchte sich in impressionistischen und expressionistischen Bildauffassungen – doch wenn man durch die Bilderschau im Obergeschoß wandert, sieht man schnell, daß größte Stärken in der Abbildung von Menschen und Tieren liegen.

„Entarteter Künstler“

Den Tieren verdankt Hans Jürgen Kallmann sozusagen seine Einordnung als „entarteter Künstler“, 1937 bereits. Wenn Geschichten wie diese im mörderischen Rassenwahn der deutschen Nationalsozialisten nicht einen so ernsten Hintergrund hätten, müßte man über sie lachen. Eins der Kallmann-Bilder nämlich, die die Nazis aus Ausstellungen in Köln und Berlin entfernten, zeigte eine „Hyäne in der Nacht“, an der den Machthabern mißfiel, daß eine „rassisch minderwertige“ Tierart Hauptthema eines Bildes war. Auf so was muß man erstmal kommen. Hans Jürgen Kallmann konnte mit dem Stigma des „entarteten Künstlers“ einigermaßen leben, wenngleich er bis zuletzt Angst vor Diffamierung und weiterer Repression hatte.

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Bundeskanzler Konrad Adenauer, 1963, Pastell (Bild: Kreis Unna)

Und nach dem Krieg kam die große Zeit für den Künstler. Politisch unbelastet und dem angesagten Informel der Wirtschaftswunderzeit gegenüber eher ablehnend gestimmt, wurde er schnell zu einem der gefragtesten Portraitisten der jungen Bundesrepublik. Konrad Adenauer, der erste Kanzler, hatte mehrere Sitzungen bei Kallmann, in denen 17 Pastelle entstanden sowie das Ölbild, das im Bundeskanzleramt die Reihe der deutschen Kanzler eröffnet. Die Pastelle, die ähnlich wie Fotoserien verschiedene Perspektiven ausprobieren, gefielen „dem Alten“ – im Entstehungsjahr 1963 war Adenauer 89 Jahre alt – übrigens besser als das naturgemäß recht statuarische Endprodukt in Öl, erinnert sich die Witwe des Künstlers Dr. Gerda Haddenhorst-Kallmann. Sie hat er übrigens 1977 in Öl und im Profil gemalt und das Bild „Gerda in Burgunder“ genannt. Wahrscheinlich ist das burgunderfarbene Kleid der Gemahlin gemeint, doch läßt die Zubereitung „in Burgunder“ durchaus auch ans Essen denken. Ein „lecker Mädchen“ mithin in rheinischer Lesart. Der Maler hatte Humor.

Leuchtende Trompete

Den Bundespräsidenten Theodor Heuss (1884-1963) hat er gemalt, den Philosophen Ernst Bloch (1885-1977), Papst Johannes XXIII (1881-1963) und viele mehr. Nicht alle Bilder entstanden nach persönlichen Begegnungen in Sitzungen. Louis Armstrong beispielsweise malte Kallmann in starker expressionistischer Verknappung, ein konzentrierter Mensch vor dunklem Grund, dessen Trompete, mit großen Händen gespielt, gelbgolden hervorleuchtet.

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Der Schauspieler Max Proebstl in der Rolle des Falstaff, 1962, Öl auf Leinwand (Bild: Kreis Unna)

Überhaupt, die Künstler: Da geht die Reihe von der Opernsängerin Grace Bumbry bis zum Dirigenten Hans Knappertsbusch, vom Autor Rolf Hochhuth bis zur Schauspielerin Tilla Durieux (1880-1971).

Pastelle geraten nach der Natur, hin und wieder jedoch genehmigt sich der Künstler eine pointiertere Deutung seines Gegenübers, wenn er etwa den italienischen Schauspieler Lino Ventura (1919-1987) mit einer momenthaften, jedoch überaus charakteristischen abwägend-zögerlichen Gesichtsmimik zeigt, die optisch durch die vorgestülpte Unterlippe geprägt wird; oder wenn er sich – eine ungewöhnliche Anordnung – im Gespräch mit dem österreichischen Schauspieler Helmut Qualtinger (1928-1986) abbildet und Qualtingers Kopf in dem Bild viel, viel größer ist, als es nach der Natur sein könnte. Vermutlich ist dies eine tiefe Verbeugung des Malers vor dem intellektuellen Bühnenberserker, der an der Welt litt, dem Alkohol zugewandt war und zu früh starb.

Bilder aus Ismaning

Thomas Hengstenberg als Leiter des Fachbereichs Kultur und Sigrid Zielke-Hengstenberg als Kulturrefentin haben die rund 90 Arbeiten in Haus Opherdicke sinnhaft zusammengestellt und klug gegliedert. Die meisten von ihnen sind Leihgaben des Kallmann-Museums in Ismaning, wo der Künstler seit den frühen 60er Jahren lebte.

Bilder wie die jetzt gezeigten, die zahlreichen Pferdebilder zumal, gefallen vielen Menschen auch heute noch. Würde man sie deshalb gefällig nennen, wäre das ungerecht, weil dem Wort eine gewisse Geringschätzung anhaftet. Hans Jürgen Kallmanns Bilder sind harmonisch in Farbe und Strich, handwerklich untadelig, souverän proportioniert und, so weit es die Portraits betrifft, von psychologischer Genauigkeit. Außerdem bieten sie ein oft vergnügliches Wiedersehen mit berühmten Köpfen von früher. Ein großes Aufregerthema jedoch ist dieses Oeuvre nicht. Wer sich über Kunst aufregen will, braucht nicht nach Opherdicke zu kommen.

  • Hans Jürgen Kallmann, Haus Opherdicke, Dorfstraße 29, Holzwickede.
  • 23. August bis 22. November 2015
  • Geöffnet Di-So 10.30 – 17.30 Uhr
  • Eintritt 4 €, Katalog 24 €
  • www.kreis-unna.de, www.kulturkreis-unna.de



Künstler auf der Suche – Hagener Museum zeigt frühe Bilder von Emil Schumacher

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Der junge Emil Schumacher im Jahr 1950 (Foto: Emil Schumacher Museum Hagen)

Als Emil Schumacher begann, ein berühmter Maler zu werden, war er immerhin schon 33 Jahre alt. Der Moment ist klar bestimmbar. Am 8. Mai 1945, dem Tag der deutschen Kapitulation, kündigte Schumacher seinen Job als technischer Zeichner in einer Hagener Batteriefabrik und wurde freier Künstler.

Dieser mutige Schritt – wie auch das Ende des Zweiten Weltkriegs – liegt jetzt fast 70 Jahre zurück und ist Anaß für eine Sonderausstellung im Hagener Schumacher-Museum, die dem Frühwerk gewidmet ist, Titel: „1945 – Wiedersehen in den Trümmern“.

Wenn ein Familienvater in schwerster Zeit eine solche Lebensentscheidung trifft, dann ist Druck da, Getriebenheit, Radikalität. Mit gleicher Radikalität hatte der 21-jährige Emil Schumacher 1933 sein Studium an der Dortmunder Kunstgewerbeschule abgebrochen, weil er sich nicht der Nazi-Ideologie unterwerfen wollte. Nun aber gab es so etwas wie eine zweite Chance, wenngleich ein Studium wohl nicht mehr in Frage kam.

Sodom (1961)

Entgrenzt: Schumacher-Bild Sodom (1957) im Format 132 x 170 cm (Foto: Emil Schumacher Museum Hagen)

In den Jahren 1945 bis 1951, deren Schaffen die Hagener Ausstellung dokumentiert, erlebt man einen Künstler, der zum einen fraglos noch auf der Suche nach dem richtigen Weg ist, der andererseits bereits auffällt durch die tiefe Durchdringung von Themen und Sujets zum einen und großer handwerklicher Meisterschaft zum anderen. Wenn dieser Suchende Anfang der 50er Jahre scheinbar so plötzlich seinen unverwechselbaren „informellen“ Stil gefunden hat, ist das zwar nicht selbstverständlich, aber auch nicht verwunderlich. Viel Typisches war früh im Keim schon angelegt.

Schlüsselwerk für ein besseres Schumacher-Verständnis ist fraglos „Die brennende Stadt“ von 1946, eine Serie von schwarz gedruckten Holzschnitten, die der Künstler auf mehreren Blättern mit unterschiedlichen Farbigkeiten belegte.

Es sind Bilder des Grauens, Feuer, Rauch, Verwüstung und Verzweiflung, und die Farben machen es noch schlimmer. Es sind Schmerzensschreie wie Picassos „Guernica“ von 1937 – und sie markieren gleichzeitig Schumachers Abwendung vom Figurativen, hin zur grundlegenden elementaren Empfindung. In der Ausstellung wie im Katalog hat Kurator Rouven Lotz die Reihe der kolorierten Holzschnitte dankenswerterweise in räumliche Nähe zu dem Kolossalgemälde „Sodom“ von 1957 gerückt, stattliche 132 x 170 cm groß, das in Flächenentgrenzung, Farbe und Stimmung und unter Weglassung gegenständlicher Elemente doch dem „Bombenangriff“-Zyklus ganz nahe ist.

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Die Hütte in Hagen-Haspe – als es sie in den späten 40er Jahren noch gab (Foto: Emil Schumacher Museum Hagen)

Der „suchende“ Schumacher malte, zeichnete, druckte mit Holz und Linoleum, arbeitete mit gefundenen Materialien wie groben Geweben oder ausgestanzten Blechen. Immer wieder scheint das karge Leben der Nachkriegsjahre in seinen Arbeiten auf. Eine Zeichnung zweier alter Männer, die sich unterhalten, ist mit „1000 Kilokalorien“ unterschrieben; das war das Diskussionsthema jener Zeit, ganze 1000 Kalorien gab es pro Kopf.

Vier Bilder eines alten Mannes hängen an der Wand. Alte Männer prägten das Bild, der männliche Teil der Nachkriegsbevölkerung beschränkte sich weitgehend auf Greise und Kinder, die anderen waren großenteils im Krieg geblieben. Nutzlose Greise verkörperten gleichsam die trostlose Lage. Der eine Greis, den Schumacher immer wieder abbildete, war bei seiner Familie zwangseinquartiert worden und in diesem Sinn ein „dankbares Objekt“ für den jungen Maler. Wiederum beeindruckt bei diesen Blättern die souveräne Technik, die Sicherheit des Ausdrucks, gleichgültig, ob sie mit Farbstift, Tusche oder als Aquarell ausgeführt wurden.

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Da war der Künstler erkennbar noch auf der Suche nach seiner malerischen Position. Papierfabrik Kabel, 1949 gemalt. (Foto: Emil Schumacher Museum Hagen)

Ja, diese 40er- und 50er-Jahre waren eine schlimme Zeit, obwohl das elterliche Haus in Hagen nicht Opfer von Bombardierungen geworden war und der junge Emil in seinem Dachzimmer malen, zeichnen und drucken konnte. Trotzdem lugt bei vielen Arbeiten auch Humor hervor, Lebenshunger und ein leise triumphierendes „Hurra, wir leben noch“. Die Kirmes zum Beispiel ist auf einem Linolschnitt von 1948 schwarz vor Menschen, und die Finger, die sich auf einem farbigen Linolschnitt über einem Kanonenofen wärmen, tun dies in recht neckischer Pose. Mit betonter Leichtigkeit und frecher Kombination von bunten Flächen und gegenständlichen Formen können etliche Bilder ihre Herkunft aus der frühen Nierentischzeit nicht verleugnen, aber warum sollten sie auch?

Man sieht, daß er ein brillanter Portraitist war, dessen Zeichnungen einem Kirchner oder Zille zur Ehre gereicht hätten; zum anderen zeigt sich ganz früh schon, insbesondere bei den harten Drucken, der souveräne Flächenkompositeur, als der der Hagener bald schon berühmt wurde.

In den Fünfzigern ging es steil bergauf mit Emil Schumachers Ruhm, waren seine Bilder unter anderem auf Biennalen in Venedig und Sao Paulo sowie auf der Documenta in Kassel zu sehen. Die vorzügliche kleine Hagener Schau mit ihren rund 60 Arbeiten – Eigenbestand und Leihgaben – macht höchst informativ, abwechslungsreich und manchmal auch vergnüglich klar, wie und wo dieses unverwechselbare Oeuvre seinen Anfang nahm.

„Emil Schumacher – 1945 – Wiedersehen in den Trümmern“, Emil Schumacher Museum Hagen, Museumsplatz 1. 22. Februar bis 7. Juni 2015. Geöffnet Dienstag bis Sonntag: 11 – 18 Uhr. Katalog mit Vorwort von Ulrich Schumacher und einem Beitrag von Rouven Lotz, 84 Seiten, 19,90 €. Eintritt 9 €. Tel.: 02331/207-3138. www.esmh.de




„Bella Italia“ wird zwar behauptet, aber leider nicht gezeigt

Grandiose Erwartungen weckt das Wuppertaler Von der Heydt-Museum mit seiner Ausstellung „Bella Italia“: Fotos und Gemälde aus den Jahren 1815 bis 1900 bekommt man in abgedunkelten Räumen zu sehen, aber die versprochenen „Bella Italia“-Gefühle kommen nicht auf.

Ostern auf dem Petersplatz um 1870 (Foto aus der Ausstellung)

Was sieht man? Offensichtlich hat der Sammler Dietmar Siegert seine sicherlich wichtige und wertvolle Kollektion alter Fotografien dem Museum für diese Ausstellung angedient, und dort hat man nun um die Bilder herum diese Ausstellung konzipiert. Entsprechend zufällig wirkt die Zusammenstellung, und wer dem Thema angemessene Gemälde in ausreichender Zahl erwartet hatte, der wird mit einigen kleinformatigen Italien-Motiven aus dem Bestand der Wuppertaler Ständigen Ausstellung (oder aus dem Depot) abgespeist.

Die Bilder sind geographisch gehängt, zeigen also Szenen aus dem alpinen Norden über Venedig und Florenz, Rom und Neapel bis Sizilien. Schrifttafeln an den Wänden zitieren zahlreiche deutsche Dichter und andere Italien-Reisenden mit ihren Berichten über das Land und behaupten eine Sehnsuchtslandschaft, die sich in den Fotos nicht wieder finden lässt – allenfalls in den Gemälden spiegelt sich der romantische Anspruch. Auch der Anspruch im Katalog, den Fokus auf „das Italienbild der Deutschen im 19. Jahrhundert“ gelegt zu haben, zeigt sich nur in den Zitaten, nicht in den Exponaten.

Lohnt sich ein Besuch? Eigentlich nur für Freunde und Fachleute der Fotografiegeschichte. Italienfreunde fahren besser selber in das Land.

Bella Italia. Fotografien und Gemälde 1815-1900. Von der Heydt-Museum Wuppertal. Bis 9. September. Eintritt 7 Euro.




Wilhelm Busch: Ernste Kunst blieb seine Privatsache – Oberhausen zeigt Gemälde des berühmten Humoristen

Von Bernd Berke

Oberhausen. Wenn einem der Ruf des Humoristen anhaftet, gibt es hierzulande schwerlich die höheren Weihen der Kunst. Diese Befürchtung hegte auch Wilhelm Busch, der volkstümlich berühmte Urheber von Comic-Vorläufern wie „Max und Moritz“ oder „Hans Huckebein“. Ernsthafte Tafelmalerei betrieb er daher nur ganz privat.

In Oberhausen kann man jetzt eine breite Auswahl seiner Gemälde und Zeichnungen betrachten. Das Wilhelm-Busch-Museum zu Hannover wird umgebaut, daraus ergab sich die solche Chance der umfangreichen Ausleihe.

Zeitlebens ist Wilhelm Busch (1835-1908) mit diesem Teil seines Werkes nicht an die Öffentlichkeit gegangen. Heimlich, still und leise hat er geübt, hat zahllose Bleistift-Skizzen und Ölbilder gefertigt. Man nimmt an, dass es schließlich 2000, vielleicht auch 4000 Arbeiten gewesen sind. die er hortete – in Wiedensahl bei Hannover, weit abseits der Kunstmetropolen.

Die „Dornröschen“-Szenen von 1855 atmen noch den Geist lieblicher Märchen-Romantik. Aber dann! Es ist unverkennbar, dass um 1870 Anstöße von den alten niederländischen Meistern kamen, besonders Frans Hals ist zu nennen. Auf einem Selbstbildnis zeigt sich Busch als Holländer; auch der „Mann in Tracht mit Glas“ gehört in diesen Kontext. Sogar „Prügelszenen“, die man thematisch den humoristischen Bilderbögen zuordnen würde, kommen in altmeisterlicher Manier daher. Die Farbpalette könnte von Rembrandt stammen.

Abgeschottet vom damaligen Kunstbetrieb

Einerseits bekam er in der Provinz kaum Rückmeldung aus der „Szene“, andererseits musste Busch hier keine öffentlichen Ansprüche bedienen (es war die Zeit der monumentalen Historien-„Schinken“), sondern konnte lustvoll experimentieren. So kam es, dass die ungeheure, schon „filmreife“ Dynamik seiner Bildergeschichten sich als moderner Impuls auf die Malerei übertrug. Die Rasanz der Pinselschläge bekam zunehmend Eigenwert, die Farben verselbstständigten sich als Ausdruck von Stimmungen. Eine Landschaftsskizze wie „Durchblick“ (1890/95) gerät bereits an den Saum der Abstraktion.

Freilich wird man in Oberhausen auch durch diverse Übungs-Stadien geführt. Winzige Skizzen (Busch nutzte noch den letzten Rest vom Bleistiftstummel für derlei Etüden) werden in großmächtigen Rahmungen vorgeführt – ein Effekt, den Busch selbst gewiss bizarr gefunden hätte. Natürlich zeigt die Ludwig Galerie auch etliche Bilderbögen, jene dramaturgisch treffsicheren Klassiker boshaften Witzes. Gerade heraus gesagt: Hierin war Busch wirklich ein Genie und seiner Zeit voraus. Als Maler war er gleichfalls gut, jedoch nicht einzigartig.

Ludwig Galerie Schloss Oberhausen (Konrad-Adenauer-Allee 46). 4. Dez. 1999 bis 19. März 2000. Tägl. außer Mo 11-18 Uhr. Eintritt 8 DM, Familie 15DM, Katalog 38 DM.




Solche Farben können einen Menschen ändern – Zur grandiosen Cézanne-Ausstellung in Tübingen

Von Bernd Berke

Tübingen. Am Ende scheint diese Frau eine wächserne Maske zu tragen. Immer mehr, von Bild zu Bild, hat sich ihr Gesicht verhärtet. Die Liebe des Malers zum Modell erkaltet zusehends. Auch als Betrachter friert man ein wenig vor diesen eisig-objektiven Porträts.

Die Schrecknisse des genauen Blicks – auch dafür steht das Lebenswerk von Paul Cézanne (1839-1906), der seine Geliebte und spätere Frau Hortense Fiquet derart ansah. In einer grandiosen Überblicksausstellung – seit Paris anno 1936 (!) ist es die umfassendste überhaupt – wird sein malerisches Oeuvre jetzt von der Kunsthalle Tübingen präsentiert.

Kunsthallen-Chef Götz Adriani hat die millionenschwere Schau auch errechnet, nicht nur finanziell: Jedes Genre (ob Landschaft, Porträt, Badeszenen oder Stilleben) ist fast exakt mit dem Prozent-Anteil vertreten, den es im Gesamtwerk einnimmt. Adriani will damit verzerrten Gesamteindrücken vorbeugen. Doch vor allem hat er, der 1978 an gleicher Stelle Cézannes Zeichnungen und 1982 die Aquarelle zeigen konnte, erneut Leihgeber aus aller Welt zu beispielloser Großzügigkeit bewegt. Die 97 Gemälde aus den Jahren 1865 bis 1906 sind fraglos die Krönung der Tübinger Cézanne-Trilogie. Viele Arbeiten waren noch nie in Deutschland zu bewundern, und Schwabens idyllische Uni-Stadt ist die einzige Station. Gründe genug, um auch von weither anzureisen.

War er im Grunde phantasielos?

Cézanne war der wohl wirksamste Geburtshelfer der Moderne überhaupt, obwohl er ein erzkonservativer Traditionalist (und sogar ein schlimmer Antisemit) gewesen ist. Manet, Renoir, Matisse und Picasso besaßen Bilder von ihm. Doch während beim unerschöpflichen Picasso plötzlicher „Wurf“ und Genieblitz kennzeichnend sind, hat sich Cézanne alles mühsam erarbeitet. Seine Bilder wirken wie erkämpft und gebändigt. Oft hat er künstliche Blumen als Vorlage benutzt, denn er malte so langsam, daß die natürlichen vor der Zeit verwelkt wären. Ohne dauerhafte Vorlage ging er selten zu Werke. Adriani: „Im Grunde war Cézanne phantasielos.“

Anfangs überwiegt noch das Erotisch-Anekdotische: Beim Nacktbaden überraschte Frauen oder jener „Nachmittag in Neapel“ – ein schwarzer Diener eilt einem lustvollen Paar zur kulinarischen Hilfe. Unschwer ist das Vorbild Delacroix („Algerische Frauen im Harem“) zu erkennen, dessen Farbskala Cézanne sich zunächst ebenso anverwandelt wie etwa die Dramatik eines Goya (im Bild „Der Mord“, sozusagen einer Vorform des Reality-Fernsehens) oder die Lichtregie eines Caravaggio.

Ein großartiges Selbstporträt von 1875 zeigt dann, wie ernst es um den Meister stand: Da ist er, jener barsche Blick, die unterkühlte Objektivität des von der Mitwelt (einschließlich des Schulfreundes Emile Zola) Enttäuschten und Verkannten. Man meint es mit Händen greifen zu können, obwohl Cèzanne überhaupt nicht psychologisiert. Es ist einfach eine Sache der Farben. Sie sprechen für sich, sie sprechen miteinander. Sie sagen viel. Der Dichter Rilke schrieb seinerzeit gar, es sei, „als ob diese Farben einem die Unentschlossenheit abnähmen ein für allemal“.

Die Gestalten sind einfach da

Auch für die anderen Porträts gilt: Die Gestalten tun oder wollen eigentlich nichts, kein Beiwerk lenkt von ihnen ab; sie sind schlicht ganz und vollends da. Und dann die Landschaften. Mal eng und dunkel unter den Gewölben von Baumkronen, mal endlos weit und ins gleißende Licht der Provence getaucht. Es ist wie Ein- und Ausatmen. Mit kurzen, quer gesetzten Pinselstrichen baut Cézanne die Naturszenen wie Puzzles oder Mosaiken auf. Das Bild erwächst aus kleinen Farbflächen. Im Detail abstrakt und wildwüchsig, sind sie im Ganzen auf wunderbare Weise „richtig“. Man denkt und fühlt: So und nicht anders.

Auch in den Stilleben gibt Cézanne Zentralperspektive und Raumflucht auf, läßt jedem Punkt des Bildes die gleiche Bedeutung angedeihen. Alles tritt rundum überdeutlich hervor und kippt gleichsam auf den Betrachter zu wie eine zweite Natur, die die erste noch überbieten will.

In den Badeszenen versuchte Cézanne eine in Wahrheit längst verlorene Einheit zwischen Mensch und Natur wieder „herbeizumalen“, sie in der Kunst zu retten. Es war eine Arbeit für Jahrzehnte, die immer nur annähernd gelingen konnte. Aber welch eine geradezu heroische Anstrengung steht dahinter!

Paul Cézanne. Gemälde. Kunsthalle Tübingen, Philosophenweg 76. Ab sofort bis 2. Mai (tägl. außer montags 10-20 Uhr). Katalog in der Ausstellung 39 DM (im Buchhandel 86 DM).