Kunst ist verbindlich – Emilio Vedova und Georg Baselitz in der Duisburger Küppersmühle

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Emilio Vedova und Georg Baselitz auf der Documenta in Kassel, 1982. (Foto: Benjamin Katz/MKM)

„Männerfreundschaft“ wäre vielleicht ein zu starkes Wort. Aber Georg Baselitz, der damit berühmt wurde, dass er seine geschundenen Helden gerne kopfüber auf die Leinwand setzte, und Emilio Vedova, der wohl bedeutendste Vertreter eines italienischen abstrakten Expressionismus, kannten und schätzten sich. Mehrfach auch waren Arbeiten von beiden in den selben Ausstellungen zu sehen, etwa auf der Biennale in Venedig 2007. Nie aber gerieten diese Doppelpräsentationen so üppig wie jetzt die in der Duisburger Küppersmühle.

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Emilio Vedovas „Compresenze ’82 – 2“ von 1982, 300 x 190 cm groß, Dispersion, Pastellfarbe, Kohle, Nitrolack und Sand auf Leinwand (Foto: Fondazione Emilio e Annabianca Vedova/Vittorio Pavan/MKM)

Politisches Verständnis

Warum Georg Baselitz, Jahrgang 1938 und der figürlichen Darstellung doch lebenslang verbunden, gerade am Schaffen Vedovas so viel Interesse entwickelte, erschließt sich nicht automatisch. Denn Vedova, 19 Jahre älter als Baselitz und 2006 verstorben, war ein recht typischer Vertreter des Nachkriegs-Informel, gehörte zur Generation von Emil Schumacher, K.O. Goetz oder Fred Thieler auf deutscher Seite.

Doch in der Tat kaufte Baselitz im Jahre 1957, da war er gerade 19 Jahre alt, sich seinen ersten Vedova, das Gemälde „Manifesto Universale“. Woher kam das Interesse? Vielleicht aus einem entschieden politischen Verständnis von Kunst bei beiden, aus einem obsessiven Verhältnis zu Politik und Geschichte, Mythischem und Menschlichem. Beide, ein Indiz vielleicht, ließen sie ihre Arbeiten selten ohne präzise Titel, mochte sich die Bezüglichkeit in den Werken auch auf den ersten Blick nicht darstellen.

Petersburger Hängung

Recht zentral und in gemäßigt ungleichmäßiger „Petersburger Hängung“ begrüßt in Duisburg eine neue Werkreihe von Baselitz das Publikum: „Ma grigio“ (wörtlich „mein Graues“), überwiegend dunkle bis sehr dunkle, farbarme Bilder, die ein Andreaskreuz aus Unterschenkeln zeigen, deren Füße in hochhackigen Schuhen stecken. Das Motiv ist, sieht man von der Dunkelheit der Bilder ab, fast ein wenig neckisch und hat mit einem Hakenkreuz wohl eher nichts zu tun. Wären die Beinchen kreuzförmig angeordnet, sähe das anders aus, so aber herrscht doch die Assoziation „laufen“ vor.

Der Künstler hat den Bildern goldene Rahmen verpasst, und er hat ihnen auch Titel gegeben, die manchmal recht ausführlich und leider auf Italienisch sind: „Oggi è una giornata molto grigia“ („Heute ist ein sehr grauer Tag“) zum Beispiel. Manchmal aber auch geht es um direkte Begegnungen mit Künstlerkollegen, „Lucio getroffen“ zum Beispiel bezieht sich, so Walter Smerling, Chef des Duisburger Hauses, auf den minimalistischen Leinwandschlitzer Lucio Fontana. Auch Vedova sei latent präsent, und die Choreographie der Hängung von „Ma grigio“ folge der Idee eines Besuches in einer Vedova-Ausstellung.

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Georg Baselitz: Kleines Straßenbild 19 (von 28), 1979, aus der 28teiligen Serie, je 70 x 50 cm groß, Tempera und Öl auf Leinwand. (Foto: Sammlung Ströher/Georg Baselitz/Kunstmuseum Bonn/MKM)

Der Künstler kopfüber

Man liegt aber sicherlich auch nicht falsch mit der Annahme, dass das Museum Küppersmühle, das Georg Baselitz seit langen schon intensiv verbunden ist, eine besonders originelle Form für die Präsentation von dessen später, neuer Arbeit suchte und fand. Weitere ausgestellte Baselitz-Zyklen sind unter anderem in 12 Bildern „Ciao America“ von 1988 – große Blätter, denen eigen ist, dass sie sich mit zunehmender Ordnungszahl immer mehr mit Vögeln füllen, sowie die 28-teilige, angenehm informell wirkende, den Pinselduktus des Künstlers eindrucksvoll hervorhebende Reihe „Kleines Straßenbild“ (1979).

Eine Serie von Zeichnungen zu „Straßenbild“ bezieht den kopfstehenden Künstler mit ein. Auch ein „Adler“ (1972) ist zugegen, jener nämlich, der stets dem Absturz nah lange im Bundeskanzleramt hing. Festredner Gerhard Schröder, einst Bundeskanzler, wird sich gefreut haben, den Vogel einmal wiederzusehen.

Homogenes Oeuvre

Und Vedova? Seine Bilder stammen aus den 50er, 80er und 90er Jahren, sie zeigen eine frappierende Homogenität. Die formelle Befreiung der späten Jahre, die Fabrizio Gazzari von der Fondazione Vedova in Venedig beschwört, soll nicht bestritten sein, offenbart sich aber auf den ersten Blick nur dem geschulten Auge. Im Gegenteil ist man erstaunt, dass Schwarzweiß-Arbeiten, die man wegen des angegilbt wirkenden Untergrundes für besonders alt halten könnte, aus der Mitte der 90er Jahre stammen. Sie sind, so die Erklärung, „Pastell auf Schaumplatte“; das Trägermaterial dieser Platten ist von vornherein beige-gelblich und an einigen Stellen auch, schaut man genauer hin, so eingerissen, dass Montageschaum hervorquillt.

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Bild aus dem Zyklus „Ma grigio“ von Georg Baselitz: „Mehr oder weniger leise gesungen“ (2015), 203 x 125 cm groß, Öl auf Leinwand. (Foto: Galerie Thaddaeus Ropac/Georg Baselitz 2016/Jochen Littkemann/MKM)

Die Fondazione Vedova und die Küppersmühle, das ist schon beschlossene Sache, wollen weitere Gemeinschaftsprojekte anstoßen, in sinnhafter Bezüglichkeit weitere Künstler präsentieren. Fast so etwas wie der Beginn einer wunderbaren Freundschaft, wie Walter Smerling im Termin nicht gänzlich humorfrei anmerkte. Gerhard Schröder, der Männerfreundschaften bekanntlich schätzt, hat sicher seine Freude daran.

  • „Baselitz – Vedova“
  • MKM Museum Küppersmühle für Moderne Kunst, Duisburg, Philosophenweg 55
  • Bis 29. Jan. 2017
  • Geöffnet Mi 14-18 Uhr, Do-So 11-18 Uhr, Feiertage 11-18 Uhr
  • Eintritt Wechselausstellung 6,00 €, ganzes Haus 9,00 €
  • Katalog dt.-engl. 160 Seiten, 158 Abb., 34,00 €
  • www.museum-kueppersmuehle.de

 




Die Leinwand ist der „Tatort“ des Künstlers – Retrospektive über Hann Trier in Wuppertal

Von Bernd Berke

Wuppertal. Als sein heute hoch gehandelter Schüler Georg Baselitz wegen „obszöner“ Bilder hartnäckig bei der Justiz denunziert wurde, sah Hann Trier buchstäblich „Rot“. Da malte er eine Bilderserie, deren Titel „von Staatsanwälten verstanden werden“ (Trier): „Tatort“, „Lokaltermin“, „In Tateinheit mit Rot“, „Indizienkette“ und „Tatverdacht“. Das war 1963/64, lange bevor es den TV-„Tatort“ gab.

Das Wort weist denn auch weit über kriminologische Bedeutungen hinaus. Hann Trier (75), wichtiger Anreger der Nachkriegskunst im Umkreis des sogenannten „Informel“, nennt die Leinwandfläche eines Bildes überhaupt den „Tatort“ des Künstlers. Bevorzugt beidhändig setzt er dieser Fläche zu. Doch er ist kein Vertreter einer begriffslos zupackenden Aktionskunst, sondern im Gegenteil einer Kunst aus dem Geist der Sprache. Dies macht jetzt mit 75 Exponaten eine Retrospektive in Wuppertal deutlich.

Hann Trier spricht, anders als so viele seiner Kollegen, gut und gern über seine Arbeiten. Kennzeichnend, daß er zwischenzeitlich auf Schrift-Bilder verfiel, in denen einzelne Worte und Ausrufe („Oho!“) sich aus dem abstrakten Urgrund erheben. Doch auch indirekt ist „Schrift“ als Bewegung im Bild präsent. Werke aus den späten 50er Jahren wie etwa „Tageszeitung“ oder „Schlagzeilen“ zeigen Muster, die von fern her an ihre thematischen Ursprünge erinnern. Lineaturen der Schrift, die ja selbst eine hochgradige Abstraktion ist, sind hier zu bildlichen Entsprechungen geronnen.

Anders als die meisten Nachkriegskünstler, bei denen sich die trostlose Trümmerzeit als Finsternis der Farben niederschlug, verfügte Hann Trier schon 1949/50 über eine helle, man möchte beinahe sagen „zukunftsfrohe“ Palette. Dies verstärkte sich, als der Künstler 1952 für einige Zeit nach Kolumbien auswanderte und seine farbenfrohen Bilder vor allem auf Tänze („Mambo I“) bezog. Es sieht aus, als habe der Pinsel Tänze voller Lebenslust vollführt.

Von Schrift und Worten ausgehend, hat Hann Trier die Titel immer sehr bewußt und treffend gewählt: „Augenblick“ (1967) ist tatsächlich ein „überfallartiges“ Bild, das man im Nu ansehen muß, „Aus dem Blick verlieren“ (1967) hat wirklich etwas Abirrendes, beim „Sommernachtstraum“ (1970) taucht eine sündig-rote Augenmaske, bei „Ikaros“ (1982) eine stürzende Flugfigur schemenhaft auf.

Zu den faszinierendsten Bildern zählen eine 1987 entstandene Serie über Figuren der Commedia dell’Arte („Pulcinella“, „Pantalone“ usw.) und das Breitformat „Das Wandern“ (1981). Diese Strecke aus lichten Farbwolken muß man in der Tat abschreiten, um die Wege im Innern des Bildes verfolgen zu können.

Hann Trier. Retrospektive 1949-89. Von der Heydt-Museum, Wuppertal, Turmhof 8. – Vom 2. 9. bis 14.10. – Di-So 10-17 Uhr, Do 10-21 Uhr. Katalog 42 DM.




Kopfüber ins Leiden – Baselitz im Arnsberger Kunstverein

Von Bernd Berke

Sogar der Adler, gemeinhin als „König der Lüfte“ über allem schwebend, hängt kopfüber. Jämmerlich und bedauernswert wirkt so das seit Jahrtausenden mythologisch „besetzte“ Edel- und Wappentier.

Wenn von „Kopfstand“ in der Kunst die Rede ist, kann es eigentlich nur um Georg Baselitz gehen. Der Star der internationalen Szene, während der letzten Jahre praktisch auf allen wichtigen Überblicksschauen vertreten und dabei oft unter dem irreführenden Etikett „Neuer Wilder“ präsentiert, hat Umkehrungen der erwähnten Art seit Ende der 60er Jahre zu seinem medienwirksamen „Markenzeichen“ gemacht.

Nicht gerade alltäglich, daß Arbeiten von Baselitz fern von den großen Museen zu sehen sind. Zwar keine (inzwischen sündhaft teuren) Gemälde, aber immerhin rund 50 Graphikblätter und Zeichnungen sind ab Sonntag (Eröffnung 11 Uhr) im Kunstverein Arnsberg zu besichtigen.

Das Spektrum reicht von Zeichnungen aus den Jahren 1965/66 (noch aufrechte, aber traurig-ungelenk taumelnde, wie aufgeblasen wirkende „Helden“-Figuren) bis hin zu neuesten Arbeiten. Ein gewisser Überblick zu Grundlinien in Baselitz‘ Schaffen ist also möglich. Dabei zeigt sich einmal mehr, daß die Kopfüber-Darstellungen keineswegs ein purer  sind, Baselitz lenkt mit diesem Kunstgriff vielmehr die Aufmerksamkeit von der dargestellten Figur ab – und hin auf die Art der Darstellung. Trotzdem bleibt das Figürliche erkennbar: ein Vexier- und Wechselspiel zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion.

Überdies erweisen sich die „verkehrten“ Darstellungen zugleich als Bilder einer verkehrten Welt, genauer: als Leidensbilder. Eines der eindrucksvollsten Exponate in diesem Sinne: der „Trinker“, der zwischen schlierig-giftgrün fließenden Linien ins Bodenlose stürzt.

Der Arnsberger Kunstverein, gegründet vor einem halben Jahr, hat inzwischen 140 Mitglieder. Einige Förderer kommen gar aus Städten, die nun wahrlich selbst große und altehrwürdige Kunstvereine haben: Düsseldorf und Münster.

(Kunstverein Arnsberg, Königstraße 24, bis 17. Juli). Mo. bis Fr. 17 -19 Uhr; So. 11-13 Uhr und nach Vereinbarung (Tel. 0 29 31/2 11 22).