Was Georg Kreisler über Gelsenkirchen sang

Der famose,
unvergleichliche
Liederdichter,
Chansonnier,
Schriftsteller,
Vortragskünstler,
Kabarettist etc. etc.
Georg Kreisler ist mit 89 Jahren gestorben.

Am liebsten würde man sich weigern, diese Tatsache zu akzeptieren. Immer und immerzu diese Zumutungen des Todes, in diesem Falle eine monströse Zumutung. Können die höheren Mächte denn nicht mal über andere Maßnahmen nachdenken?

Wir wollen nicht sagen, er habe ein gesegnetes Alter erreicht, denn das hätte er selbst nicht hören mögen und wahrscheinlich sarkastisch beiseite gefegt. Auch ein schlichtes „Ruhe in Frieden“ hätte ihm wohl nicht gefallen. Überhaupt wollen wir nicht das Offenkundige nachbeten: dass er einer der ganz Großen gewesen ist. Stattdessen hier sein grandioses Lied über Gelsenkirchen.

P. S.: Sehe soeben, dass Stefan Laurin von den Ruhrbaronen auf die (für ein Revierblog) nicht eben fern liegende Idee mit diesem Lied gekommen ist. Manchmal laufen gedankliche Wege eben parallel, dann wieder gar nicht.

Eine von vielen hörenswerten Kreisler-Platten versammelt "Die alten, bösen Lieder" (Kip Records)

Eine von vielen hörenswerten Kreisler-Platten versammelt „Die alten, bösen Lieder“ (Kip Records)




Der Zorn auf den Zustand der Welt – Der Wiener Chanson- und Liederdichter Georg Kreisler wird 80 Jahre alt

Von Bernd Berke

Sein Charakter ist gewiss felsenfest gegründet, doch seine Stimmungen sind schwankend: Mal klingt Georg Kreislers Gesang melancholisch verhangen oder traumverlo, dann wieder wie von aller Welt nur noch angewidert, morbide und todessüchtig nach Wiener Art. Mitunter aber beginnen seine Lieder zu galoppieren wie wütende Rosse.

Dann hämmert das Piano im aggressiven Stakkato, und die Worte sausen durch abenteuerliche Reim-Kurven („In Bochum / gibt es ooch Um- / Sätze“). Durch all die vielen Jahre seines Schaffens ist Kreisler, der heute 80 Jahre alt wird, ein zorniger Mann mit lustvoll anarchistischen Neigungen geblieben; einer, der sich niemals abgefunden hat mit herrschenden Personen und Zuständen. So manche Rundfunkstation hat ihn, so klagt Kreisler, wegen solcher Beharrlichkeit boykottiert.

Einflüsse des amerikanischen Exils

Der Sohn eines jüdischen Rechtsanwalts musste seine Heimatstadt Wien 1938 beim Einmarsch der Nazis verlassen, er emigrierte in die USA. Dort setzte er seine gerade begonnene musikalische Ausbildung fort, Swing-Feeling inklusive. In den frühen 50er Jahren war er u. a. Nachtclub-Sänger in New York. Sinatra hat’s gesungen: Wer es dort schafft, schafft es überall.

1955 kehrte Georg Kreisler nach Wien zurück, wo – vielfach im Duett mit seiner Frau Topsy Küppers – seine wohl erfolgreichste Zeit begann. Heute lebt er mit seiner Bühnen- und Lebenspartnerin Barbara Peters in Basel.

Zahllose Platten hat Krelsler eingespielt, einige verkauften sich weit über hunderttausend Mal. Lieder wie „Geimma Taubenvergiften im Park“, „Zwei alte Tanten tanzen Tango“ oder „Wie schön wäre Wien ohne Wiener“ stehen ehern auf der imaginären Langzeit-Bestenliste deutschsprachigen Sangesgutes.

„Lieder gegen fast alles“

Natürlich hat der allzeit unverwechselbare Kreisler auch etliche Tourneen absolviert. Im kommenden Herbst will der Mann, der sich schon öfter „für immer“ von der Bühne verabschiedet hat, eine weitere Rundreise antreten. Eine bewundernswerte Antriebskraft muss ihn leiten, so unermüdlich gegen die Unbill der Welt anzusingen.

„Lieder gegen fast alles“ heißt denn auch seine neue CD, die gerade frisch aus der Presse kommt (kip records, No. 1024). Sie enthält zumeist ältere, jedoch neu arrangierte, hie und da behutsam umgetextete Lieder, die gleichwohl teilweise etwas Patina angesetzt haben. Manche Widerspenstigkeit wird eben irgendwann von selbst historisch – sei sie auch noch so scharf und trefflich formuliert. Beim besten Willen kann man nicht alle gewesenen oder zu befürchtenden Regierungschefs („Bundeskanzler irgendwer“) in einen Sack stecken und draufhauen.

Manchmal wird er ganz makaber

Doch die Stoßrichtung gegen rabiate Machthaber und Geldsäcke („Sie sind so mies“) stimmt in den Grundzügen noch immer. Und Kreislers Alarmrufe gegen alle antisemitischen Umtriebe sind nicht nur biographisch zutiefst beglaubigt, sondern bestürzend aktuell. Gerade in jüngerer Zeit, so bekannte er, seien ihm seine jüdischen Wurzeln erst wieder auf schmerzliche Weise bewusst geworden.

Leider fehlen auf der neuen Scheibe jene makabren Miniaturen, für die Kreisler zu Recht gerühmt wird. Kaum einen anderen gibt’s, der etwa einen so finsteren Blick auf „Die Ehe“ gerichtet hätte. Der ganze böse graue Alltag misslingender Zweisamkeit wird im gleichnamigen Song durchschritten, bis es auf einmal ganz lapidar heißt: „Dann hört man mit dem Hadern auf / und schneidet sich die Adern auf.“ Schwärzer geht’s nimmer.

 




Was Experten entgeht oder: Blinde Flecken der Kulturgeschichte

Von Bernd Berke

Über Kulturgrößen wie den Komponisten Hanns Eisler, der viel mit Brecht zusammengearbeitet hat, und den Wiener Chansonnier Georg Kreisler („Tauben vergiften im Park“) gibt es jede Menge Literatur – und erst recht über Charlie Chaplin. Aber eine Kleinigkeit hat bisher gefehlt.

Denn manchmal entgehen auch den fleißigsten Deutern und Biographen interessante Details. Die werden dann – beispielsweise – von einer WR-Leserin aus Unna entdeckt. Wir reichen sie nun weltexklusiv weiter. Allein durch intensive Lektüre und Kombinationsgabe hat Tanja Krienen (43) eine Querverbindung zwischen den genannten Namen ziehen können, die bislang offenbar von allen Autoren übersehen worden ist: Eisler und Kreisler (seinerzeit beide im US-Exil) haben gemeinsam für die Musik zu Chaplins Frauenmörder-Film „Monsieur Verdoux“ (1946) gesorgt.

Gewiss: Diese Erkenntnis wird die Welt nicht umstoßen. Doch immerhin hat Kreisler selbst das hübsche Aperçu der Kulturgeschichte brieflich bestätigt, und Eisler-Biograph Jürgen Schebera will es in die nächste Auflage seines Buches einfließen lassen.

Tanja Krienen ist keine Frau vom Fach, keine Filmkundlerin oder dergleichen. Früher arbeitete sie als Erzieherin mit sozial auffälligen Kindern, heute hilft sie, die Firma ihres Mannes zu organisieren. Doch sie liest viel, veranstaltet auch schon mal – nahezu kurios – Nietzsche-Gedenklesungen in Spanien und kennt sich eben hie und da aus. Vorteil solcher Amateur-Forscher(innen): Sie sind nicht mit Fachblindheit geschlagen, sind offen für neue Fragen. Und wenn sie auch noch ein gutes Gedächtnis haben…

Den Ablauf der Episode mit Chaplin, Eisler und Kreisler muss man sich so vorstellen: Im Film gibt es einige Szenen, in denen Chaplin Klavier spielt. Zitat aus Kreislers Brief an Tan ja Krienen: „Dabei spielte er natürlich nicht wirklich, sondern damals wurde das noch so gemacht, dass ein im Film nicht zu sehendes Klavier für mich aufgestellt wurde, und ich spielte die betreffenden Passagen und behielt dabei die Bewegungen Chaplins im Auge“.

Zweite Aufgabe für Kreisler: Chaplin pfiff ihm Melodien vor, die Kreisler in Notenschrift festhielt. Mit diesen Blättern ging er dann zu Hanns Eisler, der Orchestermusik daraus machte. Kreisler, damals 23 Jahre jung, fungierte als musikalischer Bote. Noch heute rätselt er: „Ich weiß nicht, warum Eisler nicht selbst ins Studio zu Chaplin kam, möglicherweise war ihm der Weg zu weit.“ Jedenfalls tauchte weder der eine noch der andere Musikername im Film-Nachspann auf. Die Vertonung galt damals als untergeordnete Tätigkeit.

Es war also ein ziemlich folgenloser Berührungspunkt dreier sehr unterschiedlicher Künstler. Einflüsse im Werk sind nicht einmal beim damals noch prägsamen Kreisler vorhanden. Von Eisler, der später auch die DDR-Hymne („Auferstanden aus Ruinen“) komponierte und dem Weltstar Chaplin ganz zu schweigen. Sie werden den kleinen Vorfall bald vergessen haben.

Aber so kann’s gehen, selbst wenn sich ganz erlauchte Geister treffen: Man weiss, dass die beiden vielleicht größten Romanautoren des 20. Jahrhunderts, Marcel Proust und James Joyce, einander ein einziges Mal begegnet sind. Welch ein funkelnder Dialog über Literatur und Leben hätte daraus werden können! Doch die beiden Genies wussten – bis auf ein paar höfliche Floskeln – einander gar nichts zu sagen. Und wie nennen wir solche fruchtlosen Begebenheiten? Vielleicht sind es die „blinden Flecken“ der Kulturhistorie.