Mit vokalem Volldampf durch Georgien: Der Trinity Cathedral Choir aus Tiflis bei der Ruhrtriennale

 

Der Georgian State Chamber Choir (oder Trinity Cathedral Choir) trat bei der Ruhrtriennale in der Turbinenhalle an der Jahrhunderthalle Bochum auf (Foto: Heinrich Brinkmöller-Becker)

Fraglos erwartet man Außergewöhnliches von einem Chor, der zur Ruhrtriennale eingeladen wird, zumal das Festival mit dem Chorwerk Ruhr einen bewährten Partner mit glänzendem Ruf an seiner Seite hat. Aber die vokale Wucht und die Vielseitigkeit des Georgian State Chamber Choir sprengt dann doch die Vorstellungskraft. Für ihr Konzert in der Turbinenhalle der Jahrhunderthalle Bochum wurden die Gäste aus Tiflis stürmisch gefeiert.

Das Programm konzentrierte sich im ersten Teil auf moderne georgische Chormusik, nach der Pause auf traditionelle polyphone Gesänge. Zwei Dirigenten teilten sich den Abend: Svimon (Jiki) Jangulashvili nahm sich der Moderne an, Giorgi Donadze leitete durch die oft archaisch klingenden Tonfolgen, die nur unzureichend verschriftlicht wurden und daher vom Vergessen bedroht sind. Seit 2001 zählen sie daher zum immateriellen Weltkulturerbe der UNESCO.

Gegründet wurde der Chor 1998 nach dem Neubau der Dreifaltigkeitskirche in Tiflis, die nach dem Zerfall der Sowjetunion errichtet wurde, als Symbol georgischen Kulturbewusstseins. 2001 wurde er in den Rang des „Staatlichen georgischen Kammerchors“ erhoben. Die Pflege der traditionellen georgischen Musikkultur liegt ihm besonders am Herzen.

Georgi Donadze dirigierte die zweite Konzerthälfte, in der die traditionelle georgische Polyphonie im Mittelpunkt stand (Foto: Heinrich Brinkmöller-Becker)

Wer gerne mehr über solche Zusammenhänge erfahren hätte, mehr vor allem auch über die Komponisten, die als wahre Schöpfer im Zentrum jedes ernst zu nehmenden Konzerts stehen sollten, den lässt die Triennale im Regen stehen. Der Flyer, den es statt eines Programmhefts gibt, ist zwar kostenfrei, aber um welchen Preis? Er hätte kaum dürftiger ausfallen können: eine karge Auflistung von Namen und Stücktiteln, schlecht redigiert obendrein, die Umschrift der georgischen Namen ist verwirrend uneinheitlich (Zviad oder Swiat? Kechakmadze oder Kedtschakmadse?). Für die alten Gesänge fällt gerade einmal ein Satz als Inhaltsangabe ab.

Dabei ist es doch die Musik der georgischen Tonschöpfer, die im Mittelpunkt stehen sollte. Sie transportiert uns an diesem Abend in faszinierende Welten. Dirigent Svimon Jangulashvili ist sich dessen bewusst: Als Reaktion auf den begeisterten Beifall hebt er mehrfach die Partituren der Werke hoch über seinen Kopf, um mit dieser Geste auszudrücken, dass die Ehre zuerst den Komponisten gebührt, nicht den Interpreten.

Wie der Chor sich aber für die Musik seines Landes einsetzt, welche Bandbreite des Ausdrucks diese Männerstimmen erreichen, ist – man kann es nicht anders sagen – ein Ereignis. Zu Beginn lässt sich das noch nicht erahnen, denn es dominiert ein sakraler, hymnischer Charakter. Der Poesie der Kompositionen von Zviad Bolkvadze spürt der Chor mit äußerst fein abgestufter Lautstärke nach: singend, mystisch summend, meditativ auf Dauertönen verharrend.

In „Oh, die Kirschblüten“, entstanden nach einem japanischen Volksgedicht, stellt Bolkvadze dem Chor ein Vibraphon an die Seite, dessen Metallplatten auch mit einem Bogen gestrichen werden. Das tönt zart, zuweilen auch ein wenig süßlich. Wer sich davon eingelullt fühlt, wird jäh von einem Schwall knatternder Silbenfolgen geweckt: Ioseb Kechakmadze hat aus Yetim Gurgis Gedicht ein sehr rhythmisches Stück gemacht, das vorwärtsstürmt wie ein Pferd in gestrecktem Galopp. Der Chor schärft seinen Klang jetzt aggressiv, die Akzente sind wie eine Attacke mit dem Florett, gelegentlich vom Aufstampfen mit dem Fuß unterstrichen.

In Kechakmadzes „Übung“ bohren sich die Sänger so lange in die Vokale A, E, I, O, U hinein, bis Obertöne mitschwingen. Das Gesangssolo seines Stücks „Die Welt“ übernimmt der Komponist Zviad Bolkvadze höchstselbst. Er entfaltet dabei Autorität und Modulationsfähigkeit eines Gebetsrufers.

Einige wenige Instrumente kamen bei dem Chorkonzert ebenfalls zum Einsatz (Foto: Heinrich Brinkmöller-Becker)

Was nach der Pause geschieht, gleicht einer aufregenden Reise in eine ferne Kultur. Archaisch klingen Quart- und Quintparallelen in einem vorchristlichen Ritualgesang aus Westgeorgien. Immer wieder treten Vorsänger aus dem Chor: Die Wechselgesänge, die dann angestimmt werden, sind viel körperlicher und erdiger als alles, was europäische Ohren sonst gewohnt sind. Zu bewundern gibt es viel, zum Beispiel eine dem Jodeln ähnliche Gesangstechnik, die fragile Schönheit eines ostgeorgischen Liebeslieds und einen Trinkspruch aus der Region Kachetien, aus dem uns die Weite des Landes anweht.

So reaktionsschnell die Sänger noch auf den kleinsten Fingerzeig von Svimon Jangulashvili reagieren, so bedingungslos vertrauen sie sich der Autorität von Giorgi Donadze an. Unter seiner Leitung gewinnen die Stimmen ein nachgerade triumphales Volumen. Es scheint ein regelrechter Sängerwettstreit auszubrechen, samt einer erregten Diskussion unter Dorfbewohnern. Gerne hätten wir mehr über die Hintergründe erfahren. In Erinnerung bleiben wird auch ein Arbeitslied, das die Fahrt mit einer Dampflokomotive lautmalerisch nachzeichnet. Zischende Laute, maschinenhafte Rhythmik, begleitet von heulend langgezogenen „Au“-Signalen: Es war das pure Hörvergnügen.

(www.ruhrtriennale.de)




Vor 5000 Jahren brüllte der goldene Löwe – Hochkarätige Georgien-Schau im Bochumer Bergbau-Museum

Von Bernd Berke

Bochum. Der kleine goldene Löwe ist rund 5000 Jahre alt. Man mag es kaum glauben, so gut ist das Schmuckstück erhalten. Und so fein ist es ziseliert, dass es nur aus einer Hochkultur stammen kann. Indien, China, Ägypten? Weit gefehlt: Das kostbare Tier entstand dort, wo jetzt Georgien sich erstreckt.

Heute ist die vormalige Sowjetrepublik ein armes Land. Strom oder Wasser fließen oft nur stundenweise. Für die Aufbereitung archäologischer Funde gibt es gar kein Geld. Da traf es sich, dass Forscher vom Deutschen Bergbaumuseum (Bochum) beim Kongress in der Türkei eine Kollegin aus Georgien kennen lernten. Sie erzählte von phantastischen Vorzeit-Schätzen, die man daheim nicht zeigen könne.

Die Bochumer ließen etliche Stücke eigens restaurieren und präsentieren nun die hochkarätige Schau „Georgien – Schätze aus dem Land des Goldenen Vlies“. Schirmherren sind Bundespräsident Rau und Georgiens Präsident Schewardnadse. Eine gute Steilvorlage: Vielleicht kann man die Kleinode nun doch eines Tages in Tiflis zeigen, wo das meiste Kulturgut bislang im Depot verwitterte.

Was verbarg sich hinter dem Goldenen Vlies?

Goldenes Vlies? Da war doch mal was? Genau. Der klassischen Sage nach begab sich Jason mit den Argonauten (Seeleuten) auf die abenteuerliche Suche nach diesem Objekt der Begierde. Es zog sie nach Kolchis – und eben dies war die West-Region des heutigen Georgien. Damals gründeten die antiken Griechen dort Kolonien. Die Gegend war wohlhabend. So vermutet man, dass mit dem Goldenen Vlies letztlich jene Widderfelle gemeint waren, durch die man seinerzeit Goldstaub spülte, so dass er klumpig in den Haaren hängen blieb. Ein Goldrausch.

Zu sehen gibt’s in Bochum rund 1000 Exponate, vor allem reichlich Schmuck für fast alle Körperpartien und Waffen (Streit- und Zieräxte, Schwerter, Dolche) des Zeitraums von5000 vor bis 400 nach Chr. Der Rundgang wird mit aktueller Landeskunde eingeleitet und führt dann in die Tiefe der Zeiten. Es begegnet einem die althergebrachte georgische Schrift, die nichts mit dem Kyrillischen zu tun hat. Auch ist die georgische Sprache allein mit dem Baskischen näher verwandt. Ein großes Rätsel.

Die Priesterin trug eine Sonnenscheibe

Aus Grabbeigaben konnte man praktisch vollständig den Schmuck einer Priesterin aus dem 15./14. Jhdt. vor Chr. retten. Frauen hatten damals . offenbar beachtlichen Gesellschafts-Rang. Die Priesterin trug auch eine jener Sonnenscheiben, deren Grundform häufig wiederkehrt und auf einen Kult um das Zentralgestirn hindeutet. Charakteristisch zudem die Hirsch-Darstellungen, wie sie in dieser Art sonst nirgendwo vorkommen.

Anhand wertvoller Belegstücke erfährt man einiges über frühzeitlichen Erzbergbau, Schmiede- und Guss-Techniken sowie die Materialien Kupfer, Zinn, Antimon,Gold, Bronze und Eisen. In der Behandlung der Erdschätze hat den Vorfahren der Georgier zeitweise niemand etwas vorgemacht. Sogar „Recycling“ haben sie schon betrieben. Für die Wiederverwendung eingeschmolzene Metall-Klumpen zeugen davon.

Chemische Untersuchungen im Vorfeld der Bochumer Schau förderten Frappantes zutage. Die kleinsten Perlen der damaligen Welt bestehen nicht, wie man bis dato dachte, aus Silber, sondern aus Zinn. Das bedeutet keine Wertminderung. Denn dieser Stoff war in der Antike seltener als Silber. Durch Vergleichsproben konnte man die mutmaßlichen Handelswege ermitteln. Der teure Grundstoff wurde wohl aus dem Gebiet des heutigen Afghanistan importiert. Ach, könnte es dort doch wieder eine vergleichbare Handelsblüte geben…

Bis 19. Mai 2002 im deutschen Bergbau-Museum, Bochum. Eintritt 8 DM. Katalog 48 DM.