Die Sinnlichkeit der Moderne – ein Konzert ehrt den Triennale-Begründer Gerard Mortier

Große Geste: Sylvain Cambreling dirigiert das Klangforum Wien. Foto: Marcus Simaitis/Triennale

Große Geste: Sylvain Cambreling dirigiert das Klangforum Wien. Foto: Marcus Simaitis/Triennale

Johan Simons, der neue Intendant der Triennale, weiß, wem er zu Dank verpflichtet ist. Dem „Freund und Vorbild“ Gerard Mortier, der, nicht zu vergessen, auch entscheidender Wegbereiter war.

Mortier, Gründungsintendant des Ruhrgebietsfestivals (2002 bis 2004), hat den Jüngeren von Beginn an ins Regieboot geholt, auch und gerade, wenn es um die Inszenierung der neu erdachten „Kreationen“ ging. 2014 starb Mortier; ihm hat Simons nun das erste Konzert der Triennale gewidmet, mit Werken der Moderne, für die sich der Geehrte zu Lebzeiten stets eingesetzt hatte.

Moderne heißt in diesem Fall Musik des 20. Jahrhunderts, der Bogen spannt sich von Ferruccio Busoni über die Zwölftöner Berg und Webern, hin zu Messiaen und Giacinto Scelsi. Überwiegend kammermusikalisch besetzt, erweist sich dabei das Klangforum Wien als Meister farbenprächtiger Vielseitigkeit. In der Duisburger Gebläsehalle tönt es schroff und geschmeidig, dramatisch und bisweilen auch ein wenig kühl. Denn das Orchester mag das Sinnliche hervorheben, kann indes den analytischen Zugang zu dieser Musik nicht überspielen.

Das liegt nicht zuletzt an den beiden Dirigenten, die im Wechsel am Pult stehen. Sylvain Cambreling und Emilio Pomàrico bringen Klarheit ins Notengeflecht, setzen exakte Akzente. Lineare Verläufe können atmen, rhythmische Passagen sind kraftvolle Kontrapunkte, Klangfelder öffnen sich in aller Transparenz.

Entsprechend gelingt es nur bedingt, sich dem klingenden Geschehen ganz und gar hinzugeben. Am liebsten noch lassen wir uns von den süffig morbiden „Altenberg Liedern“ Alban Bergs umspülen. Rausch und Exaltation, aber auch sanfte Elegie inbegriffen. Zumal die Sopranistin Sarah Wegener mit wunderbar warmer Stimme oder geheimnisvollem Flüsterton die Texte Peter Altenbergs interpretiert. Und wenn sie die höchsten Höhen erklimmt, wähnen wir uns ohnehin ins Sphärische katapultiert.

Nicht minder engagiert: Hier steht Emilio Pomàrico am Pult des Orchesters.  Foto: Marcus Simaitis/Triennale

Nicht minder engagiert: Hier steht Emilio Pomàrico am Pult des Orchesters. Foto: Marcus Simaitis/Triennale

Anderes wirkt bodenständiger, dafür mutet es fremd an. Was Wunder, wenn etwa Busoni in seiner Studie für Streicher, sechs Bläser und Pauke indianisches Melos einflicht. „Gesang vom Reigen der Geister“ nennt er dies, 1915 komponiert, eine Musik, die zwischen Exotismus, einem Rest Romantik und neuer Sachlichkeit pendelt. Indisches Couleur wiederum lässt Scelsi knapp 60 Jahre später in „Pranam I“ erklingen, in Form einer virtuosen Lautmalerei, die Natalia Pschenitschnikova gekonnt umsetzt, während ein Tonband percussive Akzente liefert, alles eingebettet in große Klangflächen.

Als Meister der Farbe aber erweist sich zum Schluss der große französische Mystiker Olivier Messiaen, dessen Werk Gerard Mortier immer wieder in den Mittelpunkt der Triennale stellte. In den „Couleurs de la Cité Céleste“ will der Komponist nichts weniger als die Farben des Himmels in Klang umsetzen. Mit Flöten, Trompeten, Posaunen und Tuba, mit Xylophonen und Gongs, Glocken und Klavier. Orchester und Dirigent Cambreling loten sorgsam das dynamische Spektrum aus, arbeiten rhythmisch genau. Die Musik mit ihren stilisierten Vogelgesängen und riesenhaften Spreizklängen ist überwältigend. Großer Beifall.




Klugheit und Kraft bei der RuhrTriennale

Dass der Gründungsintendant Gerard Mortier nicht vergessen wird, dafür sorgte endlich eine Hommage in der Gebläsehalle Duisburg. Der jetzige Intendant Johan Simons hat diesen Abend zu Ehren seines verstorbenen Freundes eingerichtet. Das Klangforum Wien musizierte Werke von Scelsi, Busoni, Berg, Webern und Messiaen, Lieblingskomponisten von Mortier. Es dirigierten Emilio Pomàrico und Sylvain Cambreling.

Simons betonte in seiner kurzen Einführungsrede die Klugheit des ersten Triennale-Intendanten, seine umfassenden Kenntnisse in der Musik, der Architektur, der Literatur und auf vielen anderen Gebieten. Er sei ihm immer ein Freund gewesen und einmal sogar Dramaturg bei der Umsetzung des Buches „Milch und Kohle“ von Ralf Rothmann, unterfüttert mit dreizehn Arien von Verdi. „Sentimenti“ ist bis heute in Erinnerung. Es war ein würdevoller Abend und man hatte das Gefühl, gleich käme Mortier, der Meister der Vermittlung, auf die Bühne, um sich bei Künstlern und Publikum zu bedanken.

Tanz-Kreationen im Salzlager

Am Samstagabend kam die Tanzproduktion „Model“ zur Premiere. Richard Siegal bereist die Welt und schöpft daraus. Er konfrontiert das Publikum mit seinen unterschiedlichen und kraftvollen Tanz-Kreationen, dieses Mal im Salzlager auf Zollverein in Essen. Partner ist das Bayrische Staatsballett. Ballett? Ja genau, hier bewegt sich der klassische Tanz in neuen Welten, abseits der Schwäne und ohne Dornröschen.

Model

Szene aus der Produktion „Model“ (Foto: Ursula Kaufmann/RuhrTriennale)

Es ist ein formaler Kraftakt, sieht nach Arbeit aus an einem Ort, der (wie fast alle der RuhrTriennale) dafür einmal vorgesehen war. Es war laut und grell und Schweiß wurde ohne Sonneneinstrahlung produziert.

Zehn Tänzerinnen und Tänzer, naturgemäß eine Verbindung von Grazie und Kraft, machen die Bühne zu einem Exerzierfeld für Bewegungen. Das Publikum ist im Zustand freudiger Erregung, von freudig erregter Zustimmung. Ich bin weniger enthusiasmiert.

Teil zwei warnt vor dem Einsatz von Stroboskop-Licht. Ohrstöpsel kann man sich zum Schutz gegen zu viel Lärm mitnehmen. Es ist aber kein Lärm, sondern eine Puls steigernde Musik, ein Sound, der an Krieg und Zerstörung, an Schwerindustrie und Herzschlag erinnert. Lichteinsätze fliegen durch den Raum und über die Gesichter des Publikums. Es geht zur Sache. Es werden LED-Texte eingeblendet: „For the rejected inferno and for the elected paradise.” Daneben sieht man das Angesicht eines Säuglings. Die Worte „nice“ und „easy“ werden kurz durch die Halle gejagt. Gnadenlos und zornreich geben die Tänzer alles.

Draußen regnet es wie Bindfäden. Die Nacht bricht herein. Das Leben geht weiter, sanft und hässlich, schön und böse – wie immer.

Erstmals ein Festivalzentrum

Zum ersten Mal hat die RuhrTriennale ein Festivalzentrum eingerichtet, das täglich Besucher empfängt. Die Großinstallation vor der Jahrhunderthalle wurde vom Atelier Van Lieshout aus Rotterdam konzipiert und eingerichtet. Verschiedene Skulpturen laden zur Besichtigung.

WCs im Festivalzentrum

WCs im Festivalzentrum (Foto: Rolf Dennemann)

Das Refektorium lädt zu Musik, Film und Performance. „The good, the bad and the ugly“ heißt diese komische und gleichzeitig ernste Installation im Kunstdorf. Sogar die Toiletten haben industrielles Flair. So schnell ist die Vergangenheit Vergangenheit – Schwerindustrie als Folie für modernes Design.




Weltenlauf und Transzendenz – ein Konzert der Triennale in memoriam Gerard Mortier

Voller Einsatz: Bariton Dietrich Henschel, das hr Sinfonieorchester und Dirigent Sylvain Cambreling. Foto: Michael Kneffel

Voller Einsatz: Bariton Dietrich Henschel, das hr- Sinfonieorchester und Dirigent Sylvain Cambreling. Foto: Michael Kneffel

Gerard Mortier ist im März dieses Jahres gestorben. Er war der Gründungsintendant der Ruhrtriennale und hat dort in den Jahren 2002 bis 2004 die „Kreationen“ als neue theatralische, spartenübergreifende Ausdrucksform gewissermaßen erfunden. Manches von dem, was unter der Leitung Heiner Goebbels’ heuer zu sehen ist, darf getrost als Weiterentwicklung dieser Anfänge gewertet werden.

Darüberhinaus war Mortier auch ein Verfechter dessen, was gemeinhin als Neue Musik bezeichnet wird. Für sein erstes Jahr hatte der Intendant entsprechend das SWR-Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg verpflichtet, unter Leitung von Sylvain Cambreling – allesamt höchst versiert in der Interpretation von Werken des 20. Jahrhundert. Auf dem Programm stand damals Olivier Messiaens monumentales, 11teiliges Stück Éclairs sur l’Au-delà (Streiflichter über das Jenseits).

Nun hat das hr-Sinfonieorchester, ebenfalls unter Cambrelings Leitung, ein Konzert in Bochums Jahrhunderthalle gegeben, das die Triennale ihrem Gründungsintendanten Mortier gewidmet hat. Auch hier erklingt Messiaen, diesmal das fünfteilige „Et exspecto resurrectionem mortuorum“ (Und ich erwarte die Auferstehung der Toten) für Holz-, Blechbläser und metallisches Schlagwerk. Insofern schließt sich hier ein Kreis. Doch neben Messiaen haben die Interpreten jeweils ein Werk von Luc Ferrari sowie Bernd Alois Zimmermann gesetzt.

Die Auswahl ist kein Zufall, erschließt sich vielmehr aus einem Wort Mortiers, das dem Programm vorangestellt ist. Auferstehung, so heißt es, bedeute für ihn sein Fortwirken in dem, was er realisiert habe. „Paradiese interessieren mich nicht.“ Dazu erweist sich das Werk des gläubigen katholischen Komponisten Messiaen als spannender Kontrapunkt. „Et Exspecto…“ ist eine machtvolle Musik nach dem Prinzip „Durch Nacht zum Licht“, deren gewaltige Klangspreizungen letzthin in erhabenem Leuchten allem Irdischen entfliehen.

Der französische Komponist Luc Ferrari. Foto: Olivier Garros

Der französische Komponist Luc Ferrari. Foto: Olivier Garros

Im Kontrast dazu befasst sich Luc Ferraris ebenfalls gewaltiges, in seinen Strukturen aber weit diffuseres Orchesterstück „Histoire du plaisir et de la désolation“ mit Leidenschaften und der Trostlosigkeit, verwurzelt allein im Weltlichen. Messiaens Transzendenz ist davon ziemlich weit entfernt.

Schließlich Bernd Alois Zimmermanns „Ich wandte mich um und sah alles Unrecht, das geschah unter der Sonne“. Hier regiert, in Anlehnung an das Wort Salomons, die blanke Verzweiflung über die schlechte Welt, imposant herausgerufen von den beiden Sprechern André Jung und Thomas Thieme, noch weit verstörender melismatisch gesungen vom fabelhaften Bariton Dietrich Henschel. Zimmermann hat hier ebenfalls für großes Orchester komponiert, doch ist die Werkfaktur weitgehend transparent, in seinen kommentierenden Klangblöcken aber ungeheuer ausdrucksstark.

Wenn dies alles nun in größtmöglicher Deutlichkeit und Emphase an unser Ohr gelangt, wenn die repetitiven Klangfiguren Messiaens, das Hymnische und Exotische dieser Musik, in purer Schönheit aufleuchten, wenn uns andererseits die düsteren Szenen bei Ferrari und Zimmermann nahegehen, wenn zudem das teils hektische Flirren und Klirren der Instrumente außerordentlich spannend wirkt, dann ist das dem wunderbaren Orchester und seinem wendigem Dirigenten zu verdanken. Sylvain Cambrelings eckige Körperbewegungen geben sich den rhythmischen Finessen der Partituren hin, die Einsätze kommen punktgenau, und niemals will sich hier jemand zur Schau stellen. – Es gibt unglaublich viel Applaus.




Der kleine kluge Mann – Erinnerung an Gerard Mortier

Wir beklagen den Tod von Gerard Mortier. In den meisten Nachrufen wird davon gesprochen, dass er die Oper zu neuem Erwachen geführt habe,  die Salzburger Festspiele nachhaltig geprägt habe. Alles richtig. Nur – sein Wirken als erster Intendant der RuhrTriennale hat zumindest hier eine viel umfassendere Bedeutung. Leider sind und waren die Entscheidungsträger für das Festival nicht auf seiner Erkenntnisstufe. Sie hatten nicht mit seiner Widerspenstigkeit gerechnet und waren am Ende froh, dass er weg war. Welch ein grandioser Fehler!

Als ich ihn 2001 in einem Szenecafé im Dortmunder Norden kennenlernte, traf ich auf einen offenen, charmanten und witzigen Mann, mit dem ich über die Eigenart der Belgier diskutiert habe, über das Publikum im Ruhrgebiet und die Unterschätzung desselben.  Später – bei einem Besuch in Salzburg – sprachen wir über die Dekadenz des dortigen Publikums und die Sehnsucht nach dem Einfachen im scheinbar Komplizierten. Die zahlreichen Gespräche mit ihm – vor allem während seiner Zeit im Ruhrgebiet – gehören zu den prägendsten meines Lebens.

Der Jurist Dr. Mortier, dessen Namen manche flämisch, andere französisch aussprachen, war allzeit auskunftsbereit, sprach und warb für die erste RuhrTriennale an jedem nur denkbaren Ort. Seine Gespräche mit Politikern oder Vertretern der Wirtschaft kosteten ihn Nerven. Er sei „oft von Dummheit“ umgeben gewesen,  sagte er. Nach einer Anlaufzeit mochten ihn die Menschen hier, so wie er die Ruhrgebietler ins Herz schloss. Er machte aus dem Stand das Festival zu einem Highlight, indem er Kreationen entwerfen ließ, die unvergesslich sind, allen voran vielleicht das Werk „Sentimenti“, dass damals vom zukünftigen Triennale-Intendanten Johan Simons in Sezen gesetzt wurde.

Damals in Salzburg engagierte er Markus Hinterhäuser und Thomas Zierhofer, um für kleines Geld ein erstes „Festival im Festival“ zu etablieren, genannt „Zeitfluss“, für ein junges, neues Publikum. So förderte er das Festival „Off limits“, dessen Leiter ich habe sein dürfen, als Off-Triennale, eine bis dato einmalige Kooperation. Wiederstände gab es auch damals, aber  er setzte es durch.

Er sah sich nie als Künstler, sondern als Ermöglicher und Vermittler. Er überredete u.a. Alain Platel, für die RuhrTriennale ein Werk zu Mozart zu inszenieren, das danach weltweit Erfolge feierte: „Wolf, oder wie Mozart auf den Hund kam“.  Er verstand es, Menschen zu überzeugen, Publikum wie Künstler.

Als der agile Intendant ging, folgte der joviale Jürgen Flimm und die RuhrTriennale setzte umgehend Staub an, der sich erst wieder mit Heiner Goebbels zart auflöste. Als Mortier sich später anbot, noch einmal eine Intendanz zu übernehmen, winkte man ab. Der kleine Mann ging den Politikern offenbar auf die Nerven.

Überall, wo er war, hat er Eindruck und Nachhaltigkeit hinterlassen. Viele seiner Weggefährten folgten seinen Ideen und sind erfolgreiche Intendanten oder Vermittler. Leider hat das Wirken hier im Revier nur wenig hinterlassen – außer Erinnerung. Man müsste ihm ein Denkmal schaffen.  Ich werde ihn trauernd weiter schätzen.




Jürgen Flimm wird Chef der RuhrTriennale – ab 2005 als Nachfolger von Gerard Mortier

Von Bernd Berke

Im Westen. Der Favorit hat das Rennen gemacht: Jürgen Flimm soll ab 2005 neuer Leiter der RuhrTriennale und damit Nachfolger von Gerard Mortier werden. Der 61-jährige Flimm bleibt bis 2004 Schauspielchef der Salzburger Festspiele. Als Präsident des Deutschen Bühnenvereins war er kürzlich zurückgetreten. Dies hatte bereits Spekulationen über ein Engagement im Ruhrgebiet genährt.

Auf Flimm, den langjährigen Leiter des Hamburger Thalia Theaters, einigten sich alle Gremien: der Aufsichtsrat der Kultur Ruhr GmbH (Rechtsträger der Triennale) hat den einstimmigen Vorschlag der Findungskommission „zustimmend zur Kenntnls genommen“. Gestern gab auch der Aufsichtsrat der Ruhrfestspiele, die künftig unter dem „Dach“ der Triennale angesiedelt sind, grünes Licht. Damit könnte Jürgen Flimm am 11. Juli formell berufen werden.

Enorme Erfahrung in vielen Positionen

Bis auf Gastinszenierungen in Bochum (1974-79, Ära Zadek) hatte Flimm bisher kaum direkte Verbindungen zum Revier. Doch sonst bat er fast alles gemacht, was in der Theaterwelt möglich ist. Am 17. Juli 1941 in Gießen geboren, wuchs der Sohn eines Arzt-Ehepaares in Köln auf – mit evangelischem Hintergrund, zu dem er sich entschieden bekennt. Da sein Vater als Theaterarzt arbeitete, konnte Jürgen Flimm schon als Kind hinter die Kulissen blicken. Dies hat ihn, wie er sagt, fürs ganze Leben „infiziert“.

Neben dem Studium der Theaterwissenschaft, Germanistik und Soziologie in Köln absolvierte Flimm eine Schauspielausbildung und bekam 1968 sein erstes Engagement als Regie-Assistent an den Münchner Kammerspielen. 1972 wurde er Oberspielleiter in Mannheim, 1973 übte er die gleiche Funktion am Hamburger Thalia Theater (unter Boy Gobert) aus. Ab 1979 war er – als Nachfolger von Hansgünther Heyme – Schauspiel-Intendant in Köln. 1985 begann seine glorreiche, bis ins Jahr 2000 währende Ära als Thalia-Intendant. Unter seiner Ägide wurde die Bühne zur Pilgerstätte.

Lieber das „Erbe“ überprüfen, als Uraufführungen zu sammeln

Bei der Jagd auf Uraufführungen hat sich Flimm – anders als z. B. Claus Peymann – stets merklich zurückgehalten. Statt dessen erkundete er die klassischen Stoffe, zumal das Werk Georg Büchners, sorgsam neu. Überhaupt prüfte er am liebsten das „Erbe“: von Shakespeare, Goethe, Schiller, Lessing und Kleist über Schnitzler, Tschechow und Ibsen bis hin zu Brecht.

In den letzten Jahren hat Flimm auch zahlreiche Opern (u. a. Mozart, Wagner) inszeniert, und zwar für die „ersten Adressen“, so beispielsweise an der New Yorker „Met“, in Bayreuth und Salzburg.

Behutsamer Umgang mit den Klassikern

Bei all dem betätigte er sich nie, wie etwa Frank Castorf, als „Stücke-Zertrümmerer“, sondern aktualisierte die Werke behutsam, ohne ihren Handlungskern zu beschädigen. Flimm hat immer wieder betont, dass Theater mit Blick aufs Publikum entstehen müsse und nicht fürs eitle Ego der Macher. Auf Erdverbundenheit und „Revier-Tauglichkeit“ deutet auch sein großes Faible für Fußball hin. Flimm ist seit Jahrzehnten Mitglied bei Werder Bremen.

Blättert man in den Annalen, so stößt man auf einen möglichen Reibungspunkt mit dem designierten Leiter der Ruhrfestspiele, Frank Castorf, dessen Vorgesetzter Flimm als Leiter der RuhrTriennale wäre. In Interviews hat sich Flimm recht deutlich von Castorfs oft rabiater Form des „Regietheaters“ abgegrenzt.

Flimm kennt sich bestens in den Fährnissen der KulturpoHtik aus. Das langjährige SPD-Mitglied (Austritt u. a. mit Günter Grass nach der Asyldebatte) ist inoffizieller Kulturberater von Bundeskanzler Schröder. Von Flimm stammte die Anregung, das Amt eines Staatsministers für Kultur zu schaffen. Mit Bundespräsident Rau schuf er zudem ein „Bündnis für Theater“.

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Kommentar:

Eine ideale Wahl

Hätte man seine Wunschkandidaten für die Leitung der RuhrTriennale nennen sollen, so wären fraglos die Namen Claus Peymann und Jürgen Flimm gefallen. Mit anderen Worten: Die gestern getroffene Entscheidung für Flimm ist eine geradezu ideale Wahl.

Der 61-Jährige hat ungeheure, unschätzbar wertvolle Erfahrungen als Regisseur und Theaterleiter angehäuft. Auch in den Feinheiten der Kulturpolitik kennt er sich präzise aus. Zudem ist er in den Sparten Schauspiel und Oper höchst sattelfest. Was will man mehr? Flimm ist ein Theatermacher, der „vom Publikum her“ denkt. Es ging ihm nie, wie leider so vielen anderen Regisseuren, um schrankenlose Selbstverwirklichung auf Kosten der Stücke. Andererseits ist er kein bloßer Traditions-Verwahrer, sondern er schneidet die Stoffe durchaus aktuell zu.

Flimm gilt als gleichermaßen verbindlich wie durchsetzungsfähig und verhandlungssicher. Im politischen Raum pflegt er die allerbesten Kontakte. Nur: Wenn im Gezerre um die Düsseldorfer Koalition auch die RuhrTriennale unter die Räder geraten sollte, hätte selbst er wenig Chancen, den Schaden einzugrenzen.

Jedenfalls kommt es Flimm zugute, dass er sich stets als sehr kostenbewusster Bühnenchef erwiesen hat. Für den Fall einer Etat-Überziehung hat er andernorts sogar schon mal einen Verzicht auf große Teile seiner Gage angeboten.

Im Ruhrgebiet keinesfalls zu unterschätzen: Zu allem Überfluss hat Jürgen Flimm, ein langjähriger Freund des Trainers Otto Rehhagel, auch noch gehörig Ahnung vom Fußball. Auf seinen „Anstoß“ in den Kulturstadien des Reviers darf man sich schon jetzt freuen.

Bernd Berke




„Ich bereue gar nichts“ – Gespräch mit dem scheidenden Ruhrfestspiel-Intendanten Hansgünther Heyme

Von Bernd Berke und Arnold Hohmann

Recklinghausen. Seit 1990 leitet er die künstlerischen Geschicke der Ruhrfestspiele. Jetzt absolviert Hansgünther Heyme seine 13. und letzte Saison in Recklinghausen. Über das Ende dieser Ära, die Zukunft der Festspiele unter dem Dach der RuhrTriennale und über seine persönlichen Vorhaben sprach die Westfälische Rundschau (WR) mit dem Theaterchef.

WR: Spüren Sie so etwas wie Abschiedsschmerz?

Hansgünther Heyme: Eigentlich nicht. Obwohl die künstlerischen Verluste durch die von Gerard Mortiers Gnaden gestoppten Projekte wie „Saul“ spürbar sind. Das hat uns ganz hart getroffen. Insofern ist es auch ein Schmerz: Denn das, was wir in Zusammenarbeit mit Mortiers RuhrTriennale machen wollten, ist fehlgeschlagen. Trotzdem haben wir ein gutes Programm. Und meine Zeit in Recklinghausen war insgesamt gut und sinnvoll. Ich bereue gar nichts.

Die Abgründe der NRW-Kulturpolitik

WR: Haben Sie schon persönliche Pläne für die nächsten Monate?

Heyme: Noch nicht viel Konkretes. Es gibt da ein „Prometheus“-Filmprojekt, gemeinsam mit dem Autor Christoph Hein. Ansonsten ist es wegen der Geldknappheit die mieseste aller Zeiten, um wieder ins „freie Wasser“ zu springen. Es ist fürchterlich, dass die Landesmittel für Theater jetzt weiter gekürzt werden. Also, die Kulturpolitik des Landes ist für mich sowieso ein Abgrund. Ganz furchtbar! Ich bin ja einer der alten Kämpen, die sich immer für die Theater der Region eingesetzt haben. Es gab Konfrontationen mit Rau, mit Clement. Daher bin ich gestählt in Gefechten mit Düsseldorf. Und wir haben sehr viel ‚rausgeholt, oder wir haben das Schlimmste verhindert. Aber jetzt ist es noch viel schlimmer. Die „Schlachten“ mit Herrn Vesper (NRW-Kulturminister, d. Red.) müssten geschlagen werden – und zwar ganz groß, von allen Intendanten.

WR: Spüren Sie die Konkurrenz der diesmal zeitlich parallelen RuhrTriennale?

Heyme: Oh ja, sehr. Wir schaffen das zwar; aber nur, weil wir früher mit dem Vorverkauf begonnen haben. Als die bei der Triennale aufgewacht sind, hatten wir bereits viele Karten abgesetzt. Die Auslastung liegt bei 70 Prozent. Aber mit der Triennale ist es derzeit ein feindliches Gegeneinander, kein Miteinander. Auch der Spielplan der „Akzente“ in Duisburg ist eindeutig gegen Recklinghausen gerichtet, denn das Land hat das Zusammengehen der Revierfestivals unter dem Titel „T 7″ zerschmettert. Vernünftige Absprachen zwischen den Festivals gibt es seitdem nicht mehr. Aber man darf nicht nur die Triennale bezichtigen, das wäre lächerlich. Die Krise reicht tiefer: Die Menschen geben nicht mehr so leicht Geld für Theater aus.

„Mortier hatte vom Revier keine Ahnung“

WR: Wie geht es wohl weiter mit den Ruhrfestspielen?

Heyme: Ich wünsche den Ruhrfestspielen die Anwesenheit derer, die hier die Zukunft gestalten. Wenn die aber nie da sind, wird es schwierig. Außerdem hoffe ich, dass eine Art von politischer Theaterarbeit fortgesetzt wird. Frank Castorf (designierter Ruhrfestspiel-Chef, d. Red.) ist das zuzutrauen. Was Mortier betrifft: Wenn die nächsten Ruhrfestspiele beginnen, ist der schon gar nicht mehr da, sondern in Paris. Er kam damals von Salzburg und hatte keine Ahnung, wie teuer es ist, große Hallen im Ruhrgebiet zu bespielen. Teurer jedenfalls, als gemachte Betten in Salzburg zu lüften…

WR: Droht bei den Ruhrfestspielen ein Vakuum?

Heyme: Ja, natürlich. Der eine künstlerische Leiter geht, der andere ist noch nicht da. Dabei müsste Castorf längst am neuen Spielplan arbeiten und die hiesigen Strukturen kennen lernen. Bei mir hat er sich bisher nicht erkundigt.

WR: Haben Sie die Mensehen im Ruhrgebiet so erreicht, wie Sie es wollten?

Heyme: Im Großen und Ganzen ja. Manchmal war es ein schweres Ringen. Fremdsprachige Produktionen sind selten ausverkauft. Aber es ist wichtig, dass diese Theatergruppen zu uns kommen.

WR: Bleiben Sie im Revier?

Heyme: Ich hab‘ Schwierigkeiten mit Städten, in denen ich mal gearbeitet habe. Nach meiner Essener Intendanz habe ich dort nie wieder eine Inszenierung gesehen. Mit Recklinghausen wird es auch so sein. Am liebsten würde ich im Ausland inszenieren. Griechenland. Spanien. Weg vom deutschen Mief.

 




Man muss die Menschen ins Theater locken – Debatte beim „Kulturwirtschaftstag“ in Dortmund

Von Bernd Berke

Derart geballte Expertenschaft in Sachen Theater und Kulturvermittlung dürfte sich in Dortmund noch nie versammelt haben: Rund 500 Fachleute aus der ganzen Republik trafen sich gestern im Opernhaus, um neue Vermarktungs-Chancen für die Bühnenkunst auszuloten. Knapp gefragt: Wie lockt man mehr Publikum ins Theater?

Offiziell hieß das Ganze „Kulturwirtschaftstag Nordrhein-Westfalen“. Theater- und Marketing-Leute machten Bekanntschaft mit der jeweils anderen Mentalität. Mag sein, dass manches Misstrauen sich im Laufe des Tages gemildert hat. Im Prinzip jedoch walten alle ihres Amtes: Theatermenschen halten die Kunst in Ehren, Vermarkter hingegen gieren nach zählbaren Erfolgen. Gegen volle Häuser aber hat wohl niemand etwas einzuwenden. Mit dem auch gestern oft zitierten Goethe („Faust“) zu reden, ist’s halt fein, „wenn sich der Strom nach unserer Bude drängt.“

Jammern helfe nicht weiter, beschied NRW-Ministerpräsident Wolfgang Clement zum Auftakt: „Jammernde Kranke bekommen auch keinen Besuch.“ Analyse sei gefragt. Die ökonomischen Chancen des Theaters seien bisher kaum ausgeleuchtet worden. Dabei erweise sich immer mehr, welch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor die Kultur sein könne – nicht nur die öffentlich finanzierte. Der private Sektor breite sich als belebende Konkurrenz rasant aus.

Clements Hoffnung auf die kommende Ruhr-Triennale

Rechtzeitig, so Clement, müsse man sich allerseits Gedanken über das „Publikum von morgen“ machen. Die Gesellschaft entwickle sich derart differenziert, dass man eines Tages nicht mehr ein „Theater für alle“ anbieten könne. Als Lokomotive (oder gar als Metrorapid?) der NRW-Bühnenzukunft sieht Clement bekanntlich die kommende „Ruhr-Triennale“ unter Leitung von Gerard Mortier.

Mortier sprach gleich anschließend und dämpfte die etwaige Euphorie: Wirtschaftlieher Erfolg sei eine wünschenswerte Folge von Kultur, nicht aber ihr Ziel. Kunst wiederum sei keine lässliche Freizeit-Beschäftigung, sie solle vielmehr das ganze Leben durchdringen und Freude bringen – nicht etwa bloßen Spaß. Er verstehe die „Vermittlung“ als Chefsache. Zuerst komme allerdings stets das Kunst-Ereignis, dann die Aufgabe, es den Menschen nahe zu bringen. Mortier: „Es bleibt immer eine Gratwanderung.“

Forsch ging Bernd M. Michael von der Düsseldorfer Werbeagentur Grey zur Sache. 15 Millionen Menschen seien in Deutschland für Kultur gewonnen, 50 Millionen könnten es sein. Woher er nur diese phantastische Zahl nimmt?

Angst vor dem Kommerz und „elitäres Denken“

Michael warf den Theatermachern vor, meist immer noch elitär zu denken und höchstens „handgestrickt“ zu werben. Als leuchtende Gegenbeispiele nannte er Konzerte mit Pavarotti oder Theaterauftritte von Harald Schmidt in Bochum; anz so, als könne es jeden Tag „Events“ dieser Sorte geben.

Sein provozierender Vertrag stachelte jedenfalls die Debatten des Nachmittags an. Rolf Bolwin vom Deutschen Bühnenverein stellte klar, dass schwere Kost nicht dem Kommerz geopfert werden dürfe, denn Theater habe einen gesellschaftlichen Auftrag. Nur sollte man eben auch das Schwierige besser „verkaufen“. Und da bot Marketing-Mann Michael, zugleich Vorsitzender eines Agenturen-Verbandes, unverhoffte Hilfe an. Er werde anregen, dass Berufskollegen auch mal kostenlose Werbung für Theater machen. Über Erlöse könne man später reden. Na, bitte. Immerhin ein Ansatz.




Mortier beteuert: Mit ganzer Kraft für die Ruhr-Triennale – Reaktion auf Kritik an seinem Paris-Engagement

Von Bernd Berke

Gelsenkirchen. Auf Kritik reagiert Gerard Mortier, Chef der Ruhr-Triennale, offenbar besonders geschwind. Auf einer eilends einberufenen Pressekonferenz beteuerte er gestern in Gelsenkirchen, er werde sich mit ganzer Kraft der Triennale widmen. Es sei kein Hindernis, dass er soeben einen Vertrag für die Leitung der Pariser Oper (ab September 2004) unterschrieben hat.

„Mein Triennale-Vertrag endet im Juli 2004″, stellte Mortier klar. Da werde er doch das Recht haben, sich für die Zeit danach um eine andere Tätigkeit zu bemühen. Gewiss, er müsse sich schon bald um langfristige Verträge und Spielpläne für seine Pariser Zeit kümmern. Dies schmälere aber keineswegs seinen Einsatz für die Ruhr-Triennale, die im Herbst 2002 an den Start gehen und ihr erstes Schwerpunkt-Jahr 2003 erleben soll. Mortier glaubt durchaus, auf beiden Hochzeiten tanzen zu können: „Ich lebe für meine Arbeit. Ich arbeite 14 bis 16 Stunden am Tag.“

Derzeit hält sich der Belgier meist in Berlin auf. Doch auch dort, so versicherte Mortier, sei er rastlos für die Triennale tätig, er spreche an der Spree mit vielen Künstlern, die dann eines Tages ins Revier kommen sollen. Außerdem gebe es sehr gute Zugverbindungen nach Essen, „wo ich seit Anfang August eine Wohnung gemietet habe“. Der Mann mit dem offenbar bewegten Leben über sich und sein Team: „Gestern haben wir bis nach Mitternacht in Berlin gearbeitet, heute früh um kurz nach sechs saßen wir schon wieder im Zug Richtung Ruhrgebiet.“ Respekt. Schwung und Optimismus vermittelt Mortier ja tatsächlich – schon dann, wenn er zu sprechen anhebt.

Ein Top-Ereignis auch für Dortmund

Man solle doch nicht, bittet er, im Ruhrgebiet schon wieder in den alten Minderwertigkeitskomplex verfallen und sich etwa“ hinter Paris zurückgesetzt fühlen. Im Gegenteil: Die Franzosen seien nun doppelt gespannt aufs Ruhrgebiet. Einmal im Überschwang beseelten Redens, verhieß der jetzt 58-jährige Mortier dem Revier auch noch diese Freude: „Ich werde an der Ruhr meinen 60. Geburtstag feiern.“ Sprach’s, sprang auf und stand schon an zwei Tafeln, um seine großen Pläne zu erläutern, beispielsweise den Umbau der Bochumer Jahrhunderthalle fürs Festival.

Und überhaupt: Man habe in der kurzen Vorlaufzeit schon eine ganze Menge bewirkt. Mancher Programmpunkt der Triennale sei bereits geklärt. Gerade eben habe man ein ^ Top-Ereignis „mit einem ganz berühmten Mann“ für die Dortmunder Kulturzeche Zollern II/IV gesichert, mehr dürfe er jetzt noch nicht verraten.

Jedenfalls suche man in Dortmund noch nach einem geeigneten Saal für rund 800 Zu- __ schauer, da gebe es ein gewisses Problem. Mit dem künftigen Dortmunder Konzerthaus (Eröffnung September 2002) werde man kooperieren.

Da merke man doch, bekräftigte Mortier, dass „ich im Ruhrgebiet nichts mit links erledige.“ Übrigens werde man sich im Revier an Intendanten-Wechsel bei der Triennale gewöhnen müssen, dies sei von Anfang an so gedacht gewesen. Mortier: „Auch mein Nachfolger wird schon bald nach seinem Amtsantritt den nächsten Vertrag unterschreiben.“ International gefragte Leute könne man eben nicht ewig halten; nicht einmal mit einem öffentlichen Triennale-Etat von je 42 Millionen DM in den Schwerpunktjahren.




Ruhr-Triennale: Die Euphorie steckt alle an – Kultur-Prominenz diskutierte in Duisburg

Von Bernd Berke

Duisburg. Eigentlich wollten sie über das Globalthema „Das Festival im 21. Jahrhundert“ reden. Aber die hochkarätige Runde im Duisburger Lehmbruck-Museum kreiste denn doch fast nur um „das Eine“: die „Ruhr-Triennale“.

Kein Wunder: Triennale Chef Gérard Mortier saß mit auf dem Podium. Er bat um Geduld: „Richard Wagner hat 20 Jahre lang nachgedacht, bevor er die Bayreuther Festspiele gründete. Gebt mir wenigstens noch Zeit bis Ende dieses Jahres.“ Denn natürlich lechzte man auch hier wieder nach Details zum Festival, welches ab 2003 das gesamte Revier leuchten lassen soll. Manche richten ja geradezu messianische Hoffnungen auf Mortier.

Besonders vorurteilsloses Publikum

Der revanchiert sich mit flammenden Komplimenten. In höchsten Tönen preist er das Ruhrgebiet, das ihn als „sozial-kultureller Raum“ fasziniere. Hier gebe es ein vorurteilsloses Publikum: „Die Leute glauben nicht, schon alles zu wissen.“ Also lasse sich hier das bildungsbürgerliche Inventar („Kanon“) viel besser durchrütteln als andernorts.

Die prominente Kritikerin Sigrid Löffler (ehemals beim „Literarischen Quartett“), die Mortiers Verdienste bei den Salzburger Festspielen bestens kennt, hegt gleichfalls großeErwartungen. Ein solches Festival brauche „eine magnetische Grundidee und eine magnetische Persönlichkeit“. Beides scheine bei der Triennale der Fall zu sein. Diese könne dem Revier einen ungeheuren Zuwachs an „Urbanität“ bescheren, denn Mortier stehe für aufregende ästhetische Herausforderungen.

Zum Leidwesen des Moderators Dietmar N. Schmidt (NRW-Kultursekretariat), der die verbreitete Triennale-Euphorie höchst skeptisch betrachtet, gibt sich auch Jürgen Flimm (Regisseur und Präsident des Deutschen BühnenVereins) zuversichtlich. Er sehe der Triennale mit „neugieriger Solidarität“ entgegen.

„Eine gute Idee findet ihr Geld“

Die Triennale, so Flimm weiter. werde die Kultur wohl ganz allgemein aufwerten und auch bestehenden Bühnen Nutzen bringen. Diese dürften sich allerdings nicht auf alten Lorbeeren ausruhen, sondern müssten sich mitreißen lassen vom neuen Schwung. Manche Sorgen seien kaum angebracht: „Es ist noch kein Stadttheater wegen eines Festivals geschlossen worden.“

NRW-Kulturminister Michael Vesper (Grüne) konnte sich also beruhigt zurücklehnen. Mit dem Slogan „Eine gute Idee findet ihr Geld“ versicherte er abermals, das Festival werde aus zusätzlichen Mitteln bestritten (im Jahresschnitt 40 Mio. DM). Da bleibt auch Norbert Lammert, dem kulturpolitischen Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, nur noch Optimismus übrig: Das Revier besitze viel Kulturvolumen, aber noch nicht genug kulturelle Strahlkraft. Da komme ein solches Festival – auch im „Wettbewerb der Provinzen“ mit der Hauptstadt Berlin – gerade recht.

Eindeutiges Fazit: Friede – Freude – Triennale.