Das Geld frißt alle anderen Werte auf – Carl Sternheims Komödie „Die Kassette“ in Dortmund

Von Bernd Berke

Dortmund. Carl Sternheims böse Komödie „Die Kassette“ hat nicht nur bei der Berliner Uraufführung 1911 für einen Skandal gesorgt. Noch 1960 wurde Rudolf Noelte wegen seiner Inszenierung fristlos entlassen. Jetzt ist die dramatische Zeitbombe auch in Dortmund geschärft worden.

Es geht um die zerstörerische Macht des Mammons. Jene Wertpapiere über 140 000 Mark (damals ein noch viel größeres Vermögen), die in der ominösen Kassette liegen, verätzen jede Liebesbeziehung und unterminieren die bürgerliche Wertordnung samt kulturbeflissener Verbrämung.

Oberlehrer Heinrich Krull (wohlbeleibter Bilderbuch-Spießer: Gerhard Fehn) wird zwischen weiblichen Fronten zerrieben. Seine zweite Frau Fanny (zwischen Domina-Attitüde und Nervenschwäche: Stephanie Japp) verlangt, er möge die betagte Elsbeth Treu (Helga Uthmann) niederhalten. Doch Elsbeth ist die Erbtante, besitzt die Kassette – und somit die Macht, den gierigen Krull wie alle anderen zu nasführen. Ein rechtes altes Aas, nutzt sie dies weidlich aus.

Die Mechanik zwischen den Figuren

Regisseur Harald Demmer gewinnt dem Text etliche groteske (und ein paar alberne) Facetten ab. Manchmal wirkt’s etwas arg exaltiert, aber unterhaltsam ist’s schon. Seelenvolle Menschen erlebt man hier nicht, wohl aber die Mechanik, die zwischen ihnen herrscht. Durchs Bühnenbild (Oliver Kostecka) weht ein Hauch von 50er Jahren und frühem „Wirtschaftswunder“. So rückt uns das Thema noch ein Stück näher.

Besonders Krulls Tochter Lydia (Wiebke Mauss) tut sich als naive Göre hervor – mit schriller Blockflöte, gesanglichen Mißtönen und drolligen Hopsern. Doch schließlich steht sie als graues, von Migräne geplagtes Häuflein Elend herum, geschwängert vom Fotografen Seidenschnur (Michael Masula), der es mit jeder treibt und sogar sein Foto-Stativ wie eine Erektion aufpflanzt.

Fast allen ergeht’s hier ähnlich wie Lydia: Ihre anfangs geschwollenen Selbstbehauptungs-Gesten knicken immer mehr ein, schnurren kläglich in sich zusammen. Fanny stakst am Ende so gebrochen daher, als führe ihr Weg geradewegs in die Psychiatrie.

Sichtbar wird das Gewaltpotential der Geldgeilheit. Jede lüsterne Bewegung kann sich plötzlich ins Rabiate wenden. Im einen Moment lasziv geherzt, im nächsten brutal zu Boden gestoßen. Wie Marionetten zappeln sie zwischen Geld und Eros. Liebster Bettgenosse ist aber stets die Kassette.

Die mal plüschigen, mal stählernen Floskeln wilhelminischer Zeit, die Sternheim so gezielt eingestreut hat, quellen in grandioser Lächerlichkeit hervor. Am Schluß wird’s liturgisch wie bei einem Gottesdienst des Geldes. Diese Meßdiener hole der Teufel!

Herzlicher Beifall für ein beachtliches Ensemble.

Termine: 14., 26. Feb., 12., 25. März.Karten: 0231/50 27 222.




Fröhlicher Ritt durch Ibsens traurigen Text – Carsten Bodinus inszeniert „Die Wildente“ in Oberhausen

Von Bernd Berke

Oberhausen. Die kleine Hedvig hakt sich mit den Beinen an die Treppe und schaukelt kopfüber. Ein Bild der kindlichen Unschuld, bedroht von Sturzgefahr. Von Zeit zu Zeit dringen Stimmen wie aus der Tiefe herein und rufen ihren Namen. Sind’s böse Geister?

Ja, etwas gespenstisch ist es schon, wenn man, wie Regisseur Carsten Bodinus am Theater Oberhausen, Henrik Ibsens „Wildente“ völlig vom ersten Akt befreit. Schnapp! Damit ist die gesellschaftliche Sphäre getilgt, verschwunden also die Einbettung des Geschehens. Bodinus hat das Stück auf familiäre Vorgänge verengt, hat ein Psychodrama der Lebenslügen daraus gemacht – und dessen Parodie geliefert.

Fotograf Ekdal (beleibter Gemütsmensch: Gerhard Fehn) lebt in den Tag hinein. Der Faulpelz faselt von einer lukrativen Erfindung, die er „demnächst“ machen werde. Seine treusorgende Gattin Gina (Elenor Holder) hält ihm alle banalen Sorgen vom Hals, der pflegeleichte Opa (Dieter Oberholz) süppelt nur ein bißchen, und die fast 14jährige Tochter Hedvig (Jacqueline Roussety) ist kreuzbrav. Umgeben von lauter sanften Sand-Farbtönen (Bühne: Robert Ebeling) sonnen sie sich im kleinen Glück. Gemeinsam spielen sie ein naiv-harmonisches Blockflötenliedchen. Trautes Heim, niedliches Theater.

Doch Ekdal verdankt sein halbwegs auskömmliches Dasein nur dem Ortspatriarchen, Grubenbesitzer Werle (Hartmut Stanke). Der schanzt Gina insgeheim Geld zu, denn er hat mal was mit der Frau gehabt und dabei wohl auch Hedvig gezeugt. All das erfährt Ekdal von Werles verbittertem Sohn Grcgers (Germain Wagner).

Ein Fall von Tugend-Terror

Miesmacher Gregers stakst schwarz gewandet durch die Szenerie. Er verkörpert das bedingungslose „Rechtschaffenheits-Fieber“, wie es bei Ibsen heißt. Hartnäckig verfolgte Idee: Wenn Ekdal alles wisse, könne er endlich dem reinen Ideal zustreben, seine „gefallene“ Frau gnädig verzeihend zu sich emporheben. Heute würde man so etwas Tugend-Terror nennen.

Die Sympathie des Regisseurs wendet sich denn auch Ekdal zu. Eine Parteinahme fast wie im Kindertheater. Geradezu liebevoll geht Bodinus mit der Männerfigur um, die ihrer Illusionen so schändlich beraubt wurde. Als Ekdal schon zornbebend seine Familie verlassen will, hält er inne angesichts einer leckeren Mahlzeit, die seine Frau rasch bereitet hat. Er ist hin- und hergerissen zwischen Idealismus und Appetit. Man muß ihn einfach bedauern.

Zu sonderlichem Feinsinn versteht sich die Inszenierung nicht. Sie gleicht einem fröhli- chen Ritt durch Ibsens Text und bekümmert sich nicht groß darum, ob er das wohl aushält. Im großen und ganzen macht es freilich Spaß, dabei zuzusehen. Denn gespielt wird mit blanker Lust und achtbarem Können. Nur: Es ist nicht immer Ibsen, was da gegeben wird, sondern auch schon mal Klamotte.

Gelegentlich scheint der Umgang mit der Vorlage allzu sorglos. Oder ist es etwa doch Hinterlist, wenn diese Aufführung gewisse Schwächen und Eigenheiten des Stückes auf fast schon unerhörte Art hervortreibt? Die symbolische Überfrachtung der auf Ekdals Dachboden gehaltenen Wildente und des Blindheits-Motivs ward selten so deutlich. Und wie hohl tönen hier die pathetischen Männersprüche!

Weitere Termine: 3., 19. und 25. Februar. 0208/85 780.