„Unterwerfung“ – Gert Becker setzt Houellebecqs Roman am Westfälischen Landestheater in Szene

Unterwerfung unter die Religion verheißt vollkommenes Glück; Szene aus dem Stück. (Foto: Volker Beushausen/WLT)

Wahlen im Frankreich des Jahres 2022. Der rechtsextreme Front National ist wieder die mit Abstand stärkste politische Kraft geworden, die Machtübernahme droht. Um sie zu verhindern, schließen sich Sozialisten und Muslim-Bruderschaft unter Führung des charismatischen Mohammed Ben Abbes zusammen und bilden eine Regierung. Frankreich wird islamische Republik. Und dann? In seinem Roman „Unterwerfung“ spinnt Michel Houellebecq, einer der bekanntesten und, wie man vielleicht sagen könnte, eigenwilligsten zeitgenössischen Schriftsteller Frankreichs, den Handlungsstrang weiter.

Buch erschien am Tag des Terrors

„Unterwerfung“ wurde schnell als skandalös gebrandmarkt, hat sich irrsinnig gut verkauft und diente mehrfach schon als Vorlage für Theaterstücke. Schlagartige Bekanntheit erlangte das Buch „Unterwerfung“ im Jahr 2015 allerdings auch dadurch, dass es zufällig am selben Tag auf den Markt kam, an dem die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo in Paris von Islamisten überfallen und 12 Menschen, fast die ganze Redaktion, ermordet wurden. Jetzt gibt es auch eine Bühnenfassung im Westfälischen Landestheaters in Castrop-Rauxel zu sehen.

Den Titelhelden und Ich-Erzähler François gibt es vierfach (von links): Franziska Ferrari, Burghard Braun, Maximilian von Ulardt und Mario Thomanek (Foto: Volker Beushausen/WLT)

François ist nicht glücklich

Literaturwissenschaftler François ist Hauptperson und Ich-Erzähler in „Unterwerfung“. Nach bürgerlichen Maßstäben ist er erfolgreich, hat es zum Professor einer Elite-Universität gebracht und es überdies geschafft, alle seine Lehrveranstaltungen auf einen einzigen Tag in der Woche zu legen. Jedes Jahr beginnt er ein neues Verhältnis mit einer Studentin, das jedes Mal zuverlässig mit den Sommerferien endet. Zufrieden stimmt ihn dies alles nicht, Überdruss und Einsamkeit bedrücken ihn. Und sicherlich liegt man nicht falsch, wenn man in diesem François nicht nur die wirklichkeitsnahe Karikatur eines französischen Intellektuellen, sondern auch ein Alter Ego des Autors Houellebecq zu erkennen glaubt, der mit vorgeblicher Unlust an den politischen Verhältnissen beobachtende Distanz wahrt.

Gar nicht so abwegig

Es ist unerhört! In einem „Gottesstaat“ Frankreich, mit Scharia und Polygamie, fühlt François sich deutlich wohler, zumal seine Bezüge gesichert sind und er als Wissenschaftler unerwartete Anerkennung erfährt. Und wer bei dieser Geschichte, deren Gang hier ja nur angedeutet werden kann, „Skandal“ schreit, ist unterschwellig vielleicht auch alarmiert von der Vorstellung, dass all diese klugen, kühlen Houellebecq-Gedanken so abwegig gar nicht sind.

François leidet auf dem Sofa vierfach unter  Fußproblemen (Foto: Volker Beushausen/WLT)

Im Westfälischen Landestheater, in der Inszenierung von Gert Becker, gibt es François gleich vierfach, gespielt von Maximilian von Ulardt, Mario Thomanek, Burghard Braun und Franziska Ferrari. Alle sind sie Ich-Erzähler, und Becker hat den Monolog sinnhaft so unter ihnen verteilt, dass häufig der Eindruck von Dialogen entsteht. Wenn es um das Thema Frauen geht, um die Geringschätzung, die François ihnen entgegenbringt, kommt naheliegenderweise oft die Schauspielerin zum Zuge; die Männer indes verkörpern nicht unterschiedliche Persönlichkeitsmerkmale. Jeder ist François, wenn er einen Schlips trägt.

Verführbare Eliten

Um den Islam, das wird schnell deutlich, geht es in diesem Stück erst in zweiter Linie. Schon deshalb ist der Vorwurf der Islamophobie, gegen Houellebecq hier und da erhoben, nicht sehr sinnvoll. Die Geschichte zielt eher auf Eliten, die allzu schnell bereit sind, westliche Werte, Aufklärung, Liberalität, Freiheit, was auch immer, für persönliche Vorteile zu opfern. Und möglicherweise empfinden auch Intellektuelle Glücksgefühle bei der völligen Unterwerfung unter die Religion, zumal dann, wenn sie mit erheblichen Wohltaten verbunden ist. Der Titel legt den Schluss nahe. Das Stück ist verstörend, zurückhaltend ausgedrückt.

Verstörend und unterhaltsam

Mario Thomanek ist immer François, die anderen drei Darsteller schlüpfen hin und wieder auch in andere Rollen. So ist Burghard Braun auch mal ein launiger Geheimdienstler, und als ebenso klarsichtiger wie zynischer Verführer Rediger zeigt er fast schon diabolische Intensität. Maximilian von Ulardts Figuren wiederum – er spielt den stets bestens informierten Kollegen Lempereur und die Universitätspräsidentin Marie-Françoise – geraten in ihren pantomimischen Passagen etwas zu klamaukig und passen eher ins Kindertheater als zu diesem nicht ganz jugendfreien Abend. Franziska Ferrari schließlich gefällt insbesondere als Aurélie, als (noch nicht so ganz) abgelegte Einjahresfreundin, deren abendlicher Besuch das sexuelle Elend des Protagoisten einmal mehr offenbart.

Einzige Kulisse ist bei alledem ein überdimensionales Sofa, auf dem alle vier Akteure Platz finden. Hier spielt man sitzend, liegend, stehend, auch davor einige Male, mit großem körperlichen Einsatz über die fast zwei Stunden Spielzeit hinweg. Die karge Bühne bietet dem Auge naturgemäß nicht viel, aber der Konzentration auf Houellebecqs unerhörtes Phantasiegebäude tut sie gut. Und sie hat ihren nicht kleinen Anteil daran, dass Gert Becker mit seiner „Unterwerfung“ ein überzeugendes, verstörendes, durchaus aber auch unterhaltsames Stück Theater gelungen ist. Herzlicher, anhaltender Applaus.

  • Weitere Termine:
  • 23.2. Castrop-Rauxel, Stadthalle
  • 2.3. Bocholt, Städtisches Bühnenhaus
  • 10.3. Sulingen, Stadttheater im Gymnasium
  • 19.3. Minden, Stadttheater
  • 20.3. Warendorf, Theater
  • 15.4. Brilon, Kolpinghaus
  • 23.5. Wolfenbüttel, Lessingtheater

Infos:
http://westfaelisches-landestheater.de/repertoire/++/produktion_id/1494/




Hitler als Liebling der Medien: „Er ist wieder da“ im Westfälischen Landestheater

Der Gedanke ist zugegebenermaßen ziemlich absurd, aber als Phantasiespiel nicht ohne Reiz: Wie wäre es, wenn Hitler wieder auftauchte? Wenn er nach 70jährigem Dornröschenschlaf in einer deutschen Gegenwart erwachte, in der es türkische Zeitungen und Comedians gibt und niemand Respekt vor dem Führer hat? Der Autor Timur Vermes hat dieses Spiel vor einigen Jahren in seinem Romanerstling „Er ist wieder da“ gewagt. Jetzt hat das Westfälische Landestheater in der Regie von Gert Becker daraus ein vorwiegend vergnügliches Bühnenstück gemacht und in Castrop-Rauxel uraufgeführt.

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In Pose: Guido Thurk als Hitler 1 (Foto: Westfälisches Landestheater/Volker Beushausen)

Der Zeitungshändler, bei dem dieser merkwürdige Bärtchenträger in seiner abgeranzten, nach Benzin stinkenden braunen Uniform auftaucht, hält ihn für einen Comedian, für einen genialen Hitler-Imitator, der nie aus der Rolle fällt. Er vermittelt ihn an die Agentur „Flashlight“, und eine steile Karriere nimmt ihren Lauf. Jede Woche ist Hitler im Fernsehen zu sehen, seine Klickzahlen im Netz sind atemberaubend, „Youtube-Hitler – Fans feiern seine Hetze“ titelt die Zeitung mit den ganz großen Buchstaben. Bald schon erhält er (Achtung! Satire!) den Grimme-Preis, seit Loriot war kein Humorist so beliebt wie Adolf Hitler.

Und es bleibt nicht bei den im sattsam bekannten martialischen „Führer“-Duktus gehaltenen Reden. Wenn Hitler das NPD-Büro in Köpenick aufsucht und den Vorsitzenden wegen unvölkischer Gesinnung und einem indiskutablen Bekenntnis zur Demokratie vor laufender Kamera zusammenstaucht, feiert das Volk der Medienkonsumenten dies als Protestaktion gegen Rechts; und als er schließlich von Neonazis beschimpft und zusammengeschlagen wird, fliegen ihm endgültig die Herzen der Menschen zu. Es wird Zeit, das gut zweistündige Stück mit seinen monströsen Hitler-Phantasien zu beenden, was nun dankenswerterweise auch recht abrupt geschieht.

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Hitler 1 (Guido Thurk, links) und Hitler 2 (Burghard Braun). (Foto: Westfälisches Landestheater/Volker Beushausen)

Doch das mulmige Gefühl, das sich trotz der zahlreichen eingebauten Lacher schleichend einstellte, will nach der letzten Szene nicht recht weichen. Vieles von dem, was Timur Vermes erzählt, könnte sich tatsächlich so abspielen in der Mechanik unserer stets gebannt auf Quote und Umsatz starrenden Medienwelt. Oder spielt es sich, die Frage steht im Raum, nicht auch so schon ab? Gibt es nicht längst schon diese Stars in Comedy und Talkshows, die reden dürfen, wie immer sie wollen, so lange sie nur Quote bringen, von Mario Barth bis Harald Schmidt?

Gewiss, das Grauen über den millionenfachen rassistischen Mord der Nazis und ihres „Führers“ findet in der Inszenierung seinen Platz, was auch zwingend sein muss. Gleichwohl hat Vermes’ Hitler, der darauf besteht, wirklich Hitler zu heißen und Hitler so gut nachmachen kann, dass man glaubt, er wäre Hitler, mit der historischen Person wenig zu tun. Er wird gezeichnet als komische Figur, als Sonderling mit Realitätsverlust, von dem keine politische Gefahr ausgeht. Es sei denn, skrupellose Rampensäue übernähmen die Macht. So wie vor mehr als 80 Jahren? Es zählt fraglos zu den Qualitäten dieser wüsten Geschichte, dass sie ihr Publikum wiederholt und scheinbar spielerisch auf die zentralen Fragen stößt, die die Nazi-Zeit uns hinterlassen hat: Wie konnte es dazu kommen und wie lässt sich eine Wiederholung verhindern?

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Ein respektloser Zeitungshändler (Bülent Özdil, links), zwei Hitler. (Foto: Westfälisches Landestheater/Volker Beushausen)

Die Inszenierung leugnet nicht, dass sie vom Buch abstammt, und besetzt den Hitler doppelt. Guido Thurk ist Hitler 1, der die braune Uniform trägt und in den Szenen mitspielt. Burghard Braun hingegen trägt zivil, ist Hitler 2 und spricht verbindende Texte zwischen den Szenen, irritierenderweise in der Vergangenheitsform. Von welchem historischen Punkt aus blickt er zurück, könnte man sich fragen. Thurk grimassiert und rollt die Augen, Braun pflegt die beherrschte Pose, beides kennt man vom historischen Vorbild. Und beide Schauspieler sind famose „Führer“-Darsteller. In zahlreichen weiteren Rollen sind Julia Gutjahr, Samira Hempel, Vesna Buljevic, Thomas Tiberius Meikl, Bülent Özdil und Thomas Zimmer zu sehen, die einige Male stärker überspielen, als für dieses Stück nötig wäre.

Elke König schließlich schuf das Bühnenbild, eine erkennbar aus Holz gefertigte Betonlandschaft mit Türen, Rampe und Tisch. Nur in einer Nische erfährt es ab und an Veränderungen, die zu den Szenen passen. Mal taucht hier eine der vielen „Spiegel“-Titelseiten mit Hitler-Titelgeschichte auf, mal der Tramp Charlie Chaplin, der die Albernheit des „Führer“-Gehabes zu dessen Lebzeiten schon unübertrefflich entlarvte und für Menschlichkeit warb. Die konzentrierte Ausstattung ruft ins Bewusstsein, dass dieses Theater oft auf Reisen geht und dafür kompakte Kulissen braucht. Die nächsten Stationen dieser Produktion sind Rheine, Bocholt und Hamm.

Viel herzlicher Applaus für Darsteller und Inszenierung.

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Termine: 5.2.2015, 19.30h Rheine, Stadthalle
6.2.2015, 20.00h Bocholt, Städtisches Bühnenhaus
13.2.2015, 19.30h Hamm, Kurhaus
14.2.2015, 19.30h Witten, Saalbau
18.2.2015, 20.00h, Lünen, Heinz-Hilpert-Theater
14.3.2015, 19.30h Sulingen, Stadttheater im Gymnasium
14.4.2015, 19.30h Bottrop, Josef-Albers-Gymnasium.

Ticket-Hotline 02305 / 9780 20

www.westfaelisches-landestheater.de