Der wütende Hrdlicka: Jeder Strich ein Hieb – Zeichnungen des umstrittenen Österreichers in Dortmund

Von Bernd Berke

Dortmund. Manchmal genügt ein Funken, um aus seinem wienerischen Charme die schiere Weißglut strömen zu lassen. Der Künstler Alfred Hrdlicka (66) kann zum Berserker werden – beim Meißeln des Steins und im wirklichen Leben. Gestern war er in Dortmund, zur Eröffnung der bislang größten Ausstellung seines zeichnerischen Werks.

Ungehemmte Kraft und das Leiden an ihr – zwischen diesen Polen bewegen sich seine künstlerischen Arbeiten. Sexuelle Gewalt, ausgeführt bis ins pornographische Detail, ist eines der beherrschenden Themen. Auch mit seinen Boxer-Bildern und biblischen Szenen wirft sich Hrdlicka in furiose Farb- und Formen-Kämpfe. Jeder Strich ein Hieb.

Besonders grimmig verleiht Hrdlicka, der dem Kommunismus nicht abgeschworen hat wie die meisten Ex-Genossen, seiner politischen Mordswut Ausdruck. Ungeheurer drastisch zeichnet er Kriegs- und Folterszenen, so auch serbische Kämpfer beim Grillen nackter Babys. Wenn solche Schrecknisse mit überlieferten religiösen Bildformeln verschnitten werden, so hat man ein wahrhaft explosives Gemisch.

Kaum zu leugnen, daß der Mann, der vornehmlich mit Bildhauerei hervorgetreten ist (und sich über Denkmäler schon mit so mancher Stadt angelegt hat), als Zeichner von etlichem künstlerischen Vermögen zehrt. Doch oft bleibt schon perspektivisch seltsam unklar, mit wem sich Hrdlicka notfalls identifizieren könnte: Mit den Tätern? Mit den Opfern? Mit der Zerrissenheit zwischen beiden?

Verzweifelt aggressiv ist ja auch die Machart. Meist erzeugt gerade der Zwiespalt irritierende Spannung, manches gleitet aber auch in Kolportage ab oder bekommt zweifelhaften Hintersinn. Was Fülle, Vielfalt und vorteilhafte Plazierung der Auswahl betrifft, so hat die Schau im „City-Center“ Museumsqualitäten. Hrdlicka war davon sichtlich angetan.

Der Künstler, notorisch auf alle Formen (oder Deformierungen) des Menschenleibs versessener Naturalist und flammender Feind der Abstraktion, sieht in vielen öffentlichen Museen eine „Gleichschaltung“ (Hrdlicka) am Werke. Mit etlichen arroganten Kunst-Experten, so sagt er selbst, habe er sich mittlerweile überworfen. Verbitterung, weil ihn die Fachwelt nicht genug hofiert?

Eines darf man nicht Verschweigen: Kürzlich hat Hrdlicka, um den PDS-Abgeordneten Gregor Gysi gegen Angriffe Wolf Biermanns zu verteidigen, dem Sänger (dessen jüdischer Vater von den Nazis ermordet wurde) in einer fürchterlichen Aufwallung die „NS-Rassengesetze an den Hals“ gewünscht. Eine durch nichts zu entschuldigende Ungeheuerlichkeit, von der Hrdlicka freilich nicht abrücken mag, wie er gestern bekundete.

Kein Grund, zum Boykott seiner Kunst aufzurufen, wie dies manche getan haben. Doch man kann nicht umhin, daran zu denken, wenn man durch die Ausstellung geht. So spürt man den Schmerz der Bilder doppelt und dreifach.

Alfred Hrdlicka. Zeichnungen. Dortmund, Harenberg City-Center (Königswall 21). Bis 31. März, tägl. (auch Sa/So) 10-18 Uhr. Eintritt frei, Katalog 68 DM.




Ausufernde Collage über Gewalt – „Mama Papa Zombie“ im Jugendtheater

Von Bernd Berke

Dortmund. Eine „Collage“ wollte das Dortmunder Kinder- und Jugendtheater mit „Mama Papa Zombie“ anbieten – 32 Nummern mit rockmusikalischer „power“. Themenkreis: Gewalt von Jugendlichen, unter Jugendlichen, gegen Jugendliche.

Was sich konzentriert anhört, ufert freilich aus. Daß auch eine „Collage“ keine dem Spielglück überantwortbare Zusammenwürflung ist, geriet mitunter in Vergessenheit. Mit gar zu vielen Ausprägungen des Phänomens „Gewalt“ wird man hier theatralisch traktiert.

Da treten auf: Der „Cowboy“, der mit Atom-Keulen jongliert, der Polizist, der die „Notwehrsituation“ fingiert, die Nutte, die in der Heilanstalt ihre erbarmungswürdige Biographie herausschreit, die inhaftierte Ulrike Meinhof usw.

Das Ensemble, so wird’s ehrlicherweise auch im Programmheft angedeutet, war wohl ratlos angesichts der Breite und Fülle ihres Gegenstands. Nun, wer wäre das nicht? Kapituliert hat die Truppe um Klaus D. Leubner, Hannes Sänger und Konrad Schräge aber nicht. Im Gegenteil, sie führt ihren Rundumschlag mit Elan und schauspielerischem Können.

Es beginnt konkret: Mit einer Geburt (gewaltsam schon dieser Vorgang) sowie einem Blick in die Kindheit (Kriegsspielzeug) und hätte als Revue einer Biographie fortgesetzt werden können, in der sich Politisches allemal spiegeln ließe.

Außerdem: So naheliegend die vorgeführten Perspektiven scheinen mögen – an maneher Stelle hätte ich mir gewünscht, daß man nicht ein so flinkes und wohlfeiles Einverständnis mit dem Publikum herstellt. Beispiel: Wenn hier Polizist oder Arbeitsamtsleiter die Bühne entern, weiß man gleich, daß sie dem allgemeinen Gelächter anheimfallen sollen. Müßten die Zuschauer nicht auch einmal mit irritierenden Widersprüchen konfrontiert werden?




Haßtiraden gegen die Kunst und Vandalismus bei der Kasseler documenta 7

Van Bernd Berke

Kassel. Das Team des Hessischen Rundfunks traute den Ohren kaum. Sechs Wochen lang hatte man ein „Mecker-Tonband“ auf der Kasseler documenta postiert. Was den Funkleuten beim Abhören der Bander entgegentönte, erinnerte vielfach an längst überwunden geglaubte Zeiten. Da verschaffte sich Besucherzorn mit Haßtiraden gegen ,,entartete Kunst“ Luft. Ein wütender Zeitgenosse wünschte sich die endgültige Aktion von Joseph Beuys: der Künstler moge sich doch vom hohen Dach des Fridericianums stürzen.

Bei den markigen Worten ist es nicht geblieben. Noch nie wurden auf der im Vier-Jahre-Rhythmus stattfindenden Kunstschau dermaßen viele Schäden durch mutwillige Zerstorung angerichtet wie diesmal. Vorsichtige Schätzungen beziffern den materiellen Verlust auf annahernd 100000 DM. Spektakulärster Fall: Ein Jugendlicher ging mit dem Stock auf eine Spiegelplastik Dan Grahams los. Das Kunstwerk ist nur noch als Torso vorhanden, denn weder die documenta GmbH noch der Künstler haben die Mittel für eine Restauration. Da die Plastik unter freiem Himmel stand und nicht bewacht war, winkten auch die Versicherungen ab.

documenta-Pressesprecher Klaus Becker hält die zahlreichen Zerstörungen nicht fur das Werk einzelner Psychopathen, sondern vermutet einen allgemeinen gesellschaftlichen Trend. ,,Die Einstellung zur Gewalt 1st durchweg laxer geworden.“ Auch Gewalt gegen Personen sei auf dieser documenta bereits einige Male vorgekommen. So wurden mehrere der 80 Kasseler Wärter, die die Kunst vor Unbill schützen sollten, von aggressiven Besuchern mit Fausthieben traktiert. Ohnehin konnen die eigens angeheuerten Studenten gegen die Zerstörungswut wenig ausrichten. Fast alle Schäden werden erst bemerkt, wenn die Verursacher längst über alle Berge sind.

Pressesprecher Becker: „Ich habe zwar kein Verständnis, wohl aber eine Erklärung fur diese Vorfälle. Eine ganze Reihe von modernen Kunstwerken besteht aus Alltagsgegenständen, etwa aus Kuchengerät oder Autoschrott. Vor diesen Werken steht man mit weniger Ehrfurcht als vor einem Rembrandt-Bild und deshalb langt mancher auch schon mal eher hin.“ Hinzu komme, daß sich die documenta 7 nicht mehr allzu betrachterfreundlich gebe, sondern ganz bewußt so konzipiert sei, daß das Kunstwerk einen Teil seiner musealen Eigenständigkeit wiedererlange. An das Publikum sei erst in zweiter Linie gedacht worden. Vermutliche Folge: Der Besucher wird mit seinem Unverständnis (wer ist schon Experte für moderne Kunst) alleingelassen und dies Gefühl schlägt häufig in Angriffslust um.

Am kommenden Wochenende ist ,,Halbzeit“ bei der doumenta 7. Der 6,9-Millonen-Etat ist zwar schon jetzt überschntten, doch hofft man, das Defizit durch einen neuen Besucherrekord wettzumachen. 162 000 Menschen sahen das Sektakel schon. Da die zweite Hälfte der Ausstellung erfahrungsgemäß noch mehr Zuspruch findet, hofft man bis zum Ende (28. September) auf 350 000 bis 400 000 zahlende Gäste.

Wären die Zerstörungen nicht, so könnte man von einer recht positiven Halbzeit-Bilanz sprechen. Die internatiole Presse lobte die Ausstellung teilweise über den grünen Klee. US-Journalisten zeigten sich besonders begeistert von den Arbeiten Anselm Kiefers und stellten das KasseIer Ereignis in ihrer Wertung turmhoch über die Biennale in Venedig. Unerbittliche „Verrisse“ gab es nur in wenigen Alternativblättern, die die Exponate elitär und realitätsfern fanden. Der Großteil der Besucher interessierte sich offenbar am meisten für Malerei, weniger für neuere Kunstformen wie Aktionen und Persformance.