Die Ausbrüche des Gisbert zu Knyphausen – ein enttäuschendes Konzert im Dortmunder FZW

Kann ich mich denn so vertan haben, oder hat sich (nach meinem Empfinden) sein Schaffen so nachteilig verändert? Vom Auftritt des Gisbert zu Knyphausen im Dortmunder FZW hatte ich mir einiges versprochen. Wie hatte ich aufgehorcht, als 2008 und 2010 seine ersten Platten herauskamen! Da schien er mir durchaus originell zu sein – sowohl textlich als auch musikalisch.

Gisbert zu Knyphausen (voller Name: Gisbert Wilhelm Enno Freiherr zu Innhausen und Knyphausen) 2015 beim "Oper Flair" in Eschwege am Bass für Olli Schulz. (Foto: Franz Deelmann / Wikimedia Commons - Link zur Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)

Gisbert zu Knyphausen, hier 2015 beim „Open Flair“ in Eschwege – am Bass für Olli Schulz. (Foto: Franz Deelmann / Wikimedia Commons – Link zur Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)

Jetzt sieht es so aus, als müsste ich vorerst abschwören. Sieben Jahre lang ist kein neues Knyphausen-Album mehr erschienen, seit Herbst 2017 lässt er – um im Bild zu bleiben – „Das Licht dieser Welt“ aufleuchten. Doch ganz ehrlich: In jener Welt wabert es mir entschieden zu viel.

Ich weiß, es klingt gemein: Im Geiste eines spätpubertären Existenzialismus, wie man es hilfsweise nennen könnte, steigert sich Gisbert zu Knyphausen mit immergleich erscheinenden Formeln in unbestimmte Sehnsüchte hinein, in denen stets eine konturlose Freiheit sowie die Sterne und der Mond beschworen werden, unter denen wir umher irren. Schon nach drei, vier Songs kann man genug davon haben. Immer diese gewollten Ausbrüche und Entgrenzungen!

Als empfindsamen Liedermacher hatte ich ihn in Erinnerung, leider ist er jetzt als Beinahe-Allerwelts-Rocker zurückgekehrt, der mit seiner Band auch schon mal mehr oder weniger gepflegten Krach macht und manche Satzfetzen nur noch herausbrüllt. Warum nur dieser Richtungswechsel? Will er gezielt ein jüngeres Publikum ansprechen? Will er sich nach so langer Pause überhaupt Gehör verschaffen oder einfach aus dem alten Gehege ausbrechen?

Vor allem seine Texte scheinen gelitten zu haben, in einem Song nennt er sich selbst einen „Freund von Klischees“ – und hat damit recht. Mit derlei Selbstironie lässt sich ja nicht alles glattbügeln. Tatsächlich gelangt er vielfach über wohlfeile Sinnsprüche (und Sinnlosigkeitssprüche) kaum wesentlich hinaus. Der Mann, der einst „Ton Steine Scherben“ und „Element of Crime“ als seine Vorbilder genannt hat, erreicht deren Qualitäten bei weitem nicht mehr.

Im Mittelteil des Konzerts erklingen ein paar ältere, leisere Lieder. Und wahrhaftig: Er ist ungleich stärker in diesen Passagen. Es geht einem viel näher, wenn er konkrete Einzelheiten beschreibt und besingt, als wenn er drangvoll ins Allgemeine und Universelle ausgreift. Auch scheint es, als stünde ihm sanftere Melancholie viel besser zu Gesicht als brachiale Verzweiflung, die nicht eben sonderlich authentisch wirkt.

Wie es dann am Ende zuging? Ich weiß es nicht. Wir haben die Stätte früher verlassen – wie einige andere Leute auch. Und bevor sich jemand aufregt: Nein, ich war nicht auf Pressekarte dort, sondern habe die Tickets gekauft. Da kann man gottlob gehen, wann man will.

P.S.: Fahndet doch mal mit der Suchmaschine nach Mark Berube. Der Kanadier aus Montreal ist mit seiner Band vor Gisbert zu Knyphausen aufgetreten – leider nur recht kurz und somit unter Wert präsentiert.




Gisbert zu Knyphausen: Gehen, gehen, gehen

Ach, ach, ach. Die Platte, die ich hier nachdrücklich empfehlen möchte, ist schon im April 2008 erschienen und mir erst jetzt aufgefallen. Eine kleine Ewigkeit im hechelnden Pop-Business. Ja, darf man’s denn wagen und darüber noch schreiben?

Nun, ich bin keiner zeilengeilen PR-Abteilung der Plattenbranche verpflichtet (es stört mich schon, dass diese Fuzzis einen immerzu ungefragt duzen), sondern habe mir die CD neulich selbst gekauft. Niemand drängt mich, diese Rezension zu verfassen. Doch hindert mich auch keiner.

Vor einiger Zeit hat Ingo Juknat, wenn ich mich recht entsinne, in diesem Blog (Westropolis) die deutsche Rock-Szene gescholten. Er hat da sicherlich viel öfter und weitaus aktueller ’reingehört als ich (auch eine Altersfrage). Und es stimmt ja: Glamour und Charisma sind in unseren Breiten kaum zu Hause. Es gibt es aber einige rühmliche Ausnahmen, was die musikalische und textliche Qualität betrifft. Manche werden vielleicht Blumfeld, Tomte und Kettcar nennen. In Ordnung.

Zu meinen heimischen Favoriten der letzten zehn bis fünfzehn Jahre zählen beispielsweise: Element of Crime, Tocotronic, die Frauenband Britta um Christiane Rösinger, Erdmöbel – und Funny van Dannen. Jeweils ganz eigene „Hausnummern“ und Kategorien. Darauf kommt’s ja schließlich auch an: auf unbeirrbare Eigenart.

Zu solchen Original-Könnern gesellt sich also neuerdings der aus dem hessischen Rheingau stammende, heute in Hamburg lebende Mann mit dem nicht gerade rockigen Namen Gisbert zu Knyphausen, dessen ursprüngliches Adelsprädikat noch um einiges länger sein soll. Egal. Er ist jedenfalls ein Singer-Songwriter (vulgo: Liedermacher) von einigen Graden und Gnaden, mit gut und gern ausgelebter Neigung zum Indie-Rock. Insgesamt eher eingängig als sperrig. Doch genauer hinhören muss man schon, es fließt nicht einfach so daher.

Sein erstes Album heißt ebenso wie der Urheber und ist gleich famos geraten. Ja, es dürfte auf diesem Felde hierzulande schwerlich übertroffen werden. Zwar lassen sich einzelne Titel durchaus ausgekoppelt hören, jeder beweist Charakter für sich. Doch zeigt sich hier wieder einmal die Stärke eines gereiften Albumkonzeptes (das ja leider längst von diffusen Einzeldateien abgelöst worden ist): Bei Knyphausen gibt es noch eine Dramaturgie des An- und Abschwellens, der sinnreichen Abfolge.

Die Texte gehören wohl zum Besten, was derzeit auf dem Pop-Sektor in deutscher Sprache vorgetragen wird. Die Worte setzen sich zwar zuweilen nonchalant und rauh-charmant über das Reim- und Rhythmus-Schema hinweg, sie trudeln aber nahezu unfehlbar in poetische Bezirke. Fast absichtslos manchmal, in den allerschönsten Momenten. So ehrlich und authentisch klingt das, dass man fast schon wieder geneigt ist, es für Pose zu halten. Aber das wäre nun wirklich eine Hirnschraubenwindung zu weit gegrübelt.

Das Spektrum reicht vom sanfteren Gitarrenlied beinahe à la Hannes Wader (erinnert Knyphausen nicht auch vom Habitus her ein wenig an diesen Altvorderen?) über geerdeten Blues bis zum strubbligen Geradeaus-Rock, der freilich auch seine Finessen hat. Auf Videos im Netz kann man es sehen: Die Band wirkt so, als seien diese Typen direkt aus den frühen 70er Jahren zu uns gekommen. Doch gestrig sind sie beileibe nicht.

Gisbert zu Knyphausen balanciert wie auf schmaler Kante. So manche Verwundungen, Melancholie und Depression auf der einen Seite, plötzlich unversehens wieder erwachende, wilde und unbekümmerte Lebenslust auf der anderen. Auf einmal doch wieder unterwegs zum unversehenen, ungeahnten Glück: Komm ins Offene!

Aus dieser Gefühls- und Gemengelage unsinnigen Unglücks und unfassbaren Glücks beziehen nicht nur die Texte ihre Impulse, auch die Musik holt daraus ihre Energie. Stichwort-Beispiele: Das Lied „Spieglein Spieglein“ ist eine harsche Absage an alle unnötige (Selbst)-Quälerei, auch in „Der Blick aus deinen Augen“ ist der schöne Schwebezustand nach allzu mühsamer Sinnsuche nahezu erreicht. Die „Kleine Ballade“ scheint sich federleicht über erlittene Mühsal erheben zu wollen. „Sommertag“ begräbt furios all den lang gehegten Pessimismus, der nun endlich in Scherben liege. Da möchte man tatsächlich sogleich aufbrechen und gehen, gehen, gehen (was ja ohnehin ein Grundantrieb hörenswerter Rockmusik ist). Und weiter, weiter bis zu den beiden abschließenden Stücken „So seltsam durch die Nacht“ und „Verschwende deine Zeit“. Songs, die man wieder und wieder hören möchte.

Da geht es – aus persönlich getönter Sicht – fast immer auch ums Ganze, ums Leben, wie man es schlecht und recht oder ein kleines bisschen besser lebt. Manchmal ergeht sich Gisbert zu Knyphausen in kämpferischer Metaphorik und nennt sich an einer Stelle sogar „kriegsgeil“. Etwa in diesem Sinne: Erst aus Trümmern kann das Neue und Künftige entstehen. Nun ja. Dieses „Stirb und werde“ gibt es nicht erst seit Goethe. Und es wird auch so bald nicht aufhören.

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Die CD „Gisbert zu Knyphausen“ ist im April 2008 beim Label „PlayItAgainSam“ erschienen und kostet ca. 17 €.

Zwei Video-Links (Titel „Sommertag“ und „Neues Jahr“) zur Kostprobe:
http://www.youtube.com/watch?v=axWLddS4aUI
und

Die Bandbesetzung: Gisbert zu Knyphausen (Gitarre, Gesang), Gunnar Ennen (Keyboards), Jens Fricke (Gitarre), Sebastian Deufel (Schlagzeug), Frenzy Suhr (Bass).