Als Natur schon künstlich wurde – Deutsche Graphik der Goethezeit im Wuppertaler Museum

Von Bernd Berke

Wuppertal. „Zurück zur Natur!“ rief Jean-Jacques Rousseau. Um 1800, zur vielbeschworenen Goethezeit, folgten auch viele deutsche Künstler dem Appell. Es war fast zu spät, denn am historischen Horizont dämmerte schon die Industrialisierung herauf und drohte die Idyllen zu zerstören. Wie Graphiker des Klassizismus und der Romantik die Natur sahen, zeigt jetzt ein breiter Überblick Im Wuppertaler Von-der-Heydt-Museum. 260 Arbeiten aus Eigenbesitz sind zu sehen.

Das Verhältnis zur Natur muß schon damals oft recht künstlich gewesen sein. Zahllose Ideallandschaften mit all ihren pittoresk drapierten Zutaten hat es so niemals gegeben. Es waren geschönte Postkarten-Ansichten, aus lauter Versatzstücken gefügt. Hier eine antike Säule, dort ein edel, tugendsam oder heroisch aussehendes Menschlein, und im Hintergrund hatten sich derweil Wald und Flur immer hübsch nach dem goldenen Schnitt zu richten. Wirklich zu schön, um wahr zu sein.

Zudem suchten vor allem einige Romantiker in der Natur noch ganz anderes: nationale Identität etwa. Es war die Zeit, in der man z. B. die Alpen als Ort eines vermeintlich sittsamen Lebens entdeckte und in der das deutsche Mittelalter mitsamt Heldensagen in Naturkulissen verpflanzt wurde. Goethe selbst, dem viele Künstler ehrerbietig Arbeitsproben sandten, bewunderte zwar manch ein Blatt in ästhetischer Hinsicht, aber das nationale Gewese wurde dem Dichterfürsten denn doch etwas unheimlich.

Im Klassizismus wurde auch der Wüstling harmlos

Interessante Blätter sind zu sehen. Beispiele: Die „Faust“-Illustrationen des Peter von Cornelius oder die einlullenden Lieblichkeiten des Ludwig Richter. Sodann finden wir Bonaventura Genellis Zyklus ,Aus dem Leben eines Wüstlings“ (im Vergleich zu William Hogarths berühmter Serie „The Rake’s Progress“: klassizistisch geglättet und verharmlost), die idealisierten italienischen Landschaften von Joseph Anton Koch, die schon der Abstraktion zuneigende Naturmystik Philipp Otto Runges – und auch zwei Blätter von C. D. Friedrich.

Thematisch fallen die außerordentlich lebendigen Tierdarstellungen Johann Christian Reinharts etwas aus dem Rahmen. Sie verraten einen sonst seltenen Drang zum Realismus, dessen Arrangements allerdings gelegentlich unfreiwillig komisch wirken, etwa wenn naturgetreu gezeichnete Kühe oder Ziegen versonnen in künstlich hochgezüchtete Landschaften blicken.

Nicht immer ist die Natur dem Menschen gut. Bei Carl Wilhelm Kolbe („Landschaft mit groteskem Eichenbaum“) zeigt sie auch schon mal eine häßliche Fratze. Und Alfred Rethels Totentänze stehen vollends für die Nachtseiten.

Im Obergeschoß hat man eine zweite Ausstellung installiert: Zeichnungen des französischen Bildhauers Jean-Baptiste Carpeaux (1827-1876), eines Vorläufers von Auguste Rodin. Aufschlußreich der Vergleich mit den Lithographien und Kupferstichen der Goethezeit. Skizzenhaft war Carpeaux‘ Strich, nervös, zuweilen verzerrend bis zur Karikatur. Die Moderne war eben schon zum Anbeginn ein schmerzlicher Abschied von Beschönigungen.

Deutsche Graphik um 1800 – Klassizismus und Romantik / Jean-Baptiste Carpeaux. Von-der-Heydt-Museum. Wuppertal-Elberfeld (Turmhof 8). Bis 12. September. Di-So 10-17, Do 10-21 Uhr. Katalog 28 DM.




Westfalens Gesellschaft zur Goethezeit – auf Bildern von Johann Christoph Rincklake

Von Bernd Berke

Münster. Westfalens Adel ging um das Jahr 1800 mit der Zeit. Man hatte schließlich „seinen“ Rousseau gelesen und kehrte auch dann „zurück zur Natur“, wenn man sich porträtieren ließ: Nun getrauten sich auch Damen von Stand, inmitten ihrer Kinderschar oder gar im „Zustand der Hoffnung“ vor den Maler zu treten.

Es war aber zugleich die Ära, in der das Selbstbewußtsein des westfälischen Bürgertums wuchs. Nur: Statt der Wappen, die die adeligen Herrschaften vorweisen konnten, staffierten sich Bürgersleute fürs Konterfei mit Signalen für erbrachte „Leistung“ aus. Ein wissenschaftliches Buch für den Herrn, ein Strickstrumpf für die Dame – und schon war die Heraldik wirksam ersetzt.

Westfalens wohl bester Porträtmaler zur „Goethezeit“ hieß Johann Christoph Rincklake (1764-1813). Sein Werk wird jetzt in einer Ausstellung des Westfälischen Landesmuseums fur Kunst und Kulturgeschichte dokumentiert (23.9. bis 4.11.). 150 Bilder sind zu sehen, darunter 100 bisher unbekannte Werke, die sich zu 90 Prozent noch in Privatbesitz (meist Nachfahren der Porträtierten) befinden. Die Bilder ergeben ein Panorama der westfälischen Gesellschaft – von Ansichten derer zu Romberg, Westerholt oder Heeremann bis hin zur Wirtstochter und zur Dortmunder Kaufmannsfrau.

Obwohl Rincklake eine Akademieausbildung (Lehr- und Wanderjahre in Dresden, Düsseldorf, Wien) vorweisen konnte, sind die Exponate weniger unter künstlerischen als unter regionalgeschichtlichen Aspekten aufschlußreich. Gesellschaftliche Umbrüche nach der Französisehen Revolution, neue Rituale der Trauer um Verstorbene oder auch das Geschlechterverhältnis jener Zeit können oft anhand unscheinbarer Details nachvollzogen werden. Beispiel: Selbst Schriftstellerinnen wurden damals nicht etwa mit Symbolen intellektueller Betätigung wie Feder und Tintenfaß abgebildet, sondern bestenfalls mit einer Leier.

Pünktlich zur Ausstellung ist ein Buch über Rincklake erschienen (Verfasserin: Hildegard Westhoff-Krummacher; Preis des Bands 98 DM, ab 1985 etwa 120 DM). Der Ausstellungskatalog in Münster kostet 15 DM.