Auf Bildern die Welt erahnen – Emil Schumacher in der Galerie Utermann

Von Bernd Berke

Dortmund. Wundersamer Schmelzprozeß: Moderne Form und Urbildnis, Figur und Abstraktion werden nahezu eins. Derlei in ein Bildgeviert zu zwingen, ohne daß es von Widersprochen zerrissen wird, dazu gehört ein großer Künstler. Ein solcher ist Emil Schumacher.

Auch wenn man schon einige Ausstellungen des 82jährigen Hageners gesehen hat, gerät man doch stets aufs neue ins Staunen, so auch jetzt in der Dortmunder Galerie Utermann. Wie dieses Alterswerk nichts an ästhetischer Spannkraft verliert, sondern gar zu neuen Ufern strebt – es ist phänomenal und zeugt von ungebrochenem Lebensdrang.

20 Gouachen (Arbeiten mit deckenden Wasserfarben) aus den letzten drei Jahren und 30 Graphiken seit 1972 sind zu sehen. Das Spektrum der Kaufpreise reicht von 1700 DM bis 46000 DM. Erschwinglich? Ansichtssache beim Blick in den Geldbeutel.

Schumacher nähert sich in den letzten Jahren wieder dem Gegenständlichen, ohne jedoch im landläufigen Sinne realistisch zu werden. Es schimmern im heftigen Flecht- und Linienwerk zunehmend Verweise auf die äußerlich sichtbare Welt auf. Sie engen freilich die Phantasie nicht ein, sondern beflügeln sie. Gar manches kann man vermuten, doch die Ahnung weht einen nur an wie ein Hauch: Hier meint man, einige alpine Berggipfel zu erkennen, dort eine Wüste mit Beduinenzelten, ein andermal karstige Hügel, hin und wieder ein Pferd – oder jene Leitersprossen, die in freie Himmelshöhen zu führen scheinen und die Fläche ins Unendliche öffnen. Wie denn überhaupt der Widerstreit offener und sich schließender Formen diese Bilder strukturiert. Alles in allem: ein Kosmos wie aus vorgeschichtlicher Zeit, mitten ins Jetzt verpflanzt.

Die Farben wirken, als habe Schumacher sie aus tiefen Schichten gewonnen, mit bloßen Händen aus dem Erdreich gegraben. Oft muß man an Höhlenzeichnungen denken. So selbstverständlich sind die Bilder da, als hätte es sie immer schon gegeben.

Emil Schumacher. Galerie Utermann, Dortmund, Betenstraße 12. Eröffnung heute, 25. Jan., 19 Uhr (in Anwesenheit des Künstlers) – Bis 25. Feb, Di-Fr 9-13 und 14-18 Uhr, Sa 9-13 Uhr.




Die Furcht vor der Leere überwinden – Arbeiten auf Porzellan und Keramik sowie Gouachen von Emil Schumacher

Von Bernd Berke

Hamm. Es ist eine allseits beliebte Abfolge bei Ausstellungen moderner Kunst: Am Anfang des Rundgangs kommen gegenständliche Arbeiten, dann wird es zusehends abstrakter. Ganz so, als könne Fortschritt nur in diese eine Richtung laufen. Der Hagener Emil Schumacher entzieht sich solchen Zuweisungen. Das belegt auch seine neue Ausstellung in Hamm.

In Schumachers Werk gibt es gerade in jüngerer Zeit wieder stärkere Andeutungen von Figürlichkeit. Man glaubt zum Beispiel Pferde oder Frauenakte zu erkennen. Nach wie vor aber ist bei Schumacher der körperlich-gestische Prozeß des Malens entscheidend. Ob daraus nun Abstraktionen oder Anklänge ans Gegenständliche entspringen, ist zweitrangig. Alles stammt aus dem gleichen schöpferischen Universum, hat gleiches Recht.

Die Ausstellung in Hamm umfaßt auf zwei Etagen rund 150 neuere Gouachen (Malerei mit speziellen Wasserfarben), dazu bemalte Keramik und Arbeiten auf Porzellan. Hätte Hamm nicht seinen Neubau des Lübcke-Museums, so wäre in dieser Stadt, die nun wieder eine deutliche Markierung auf der Kunst-Landkarte verdient, eine solch großzügige Schau nicht möglich. Zudem handelt es sich um Premieren, denn die Gouachen waren in unseren Breiten noch nicht öffentlich zu sehen, und die Präsentation der Porzellanbilder ist sogar eine „Uraufführung“.

Die Gouachen erinnern vielfach an Ur-Äußerungen des Menschen in der Höhlenmalerei. Solche Bilder altern nicht, denn sie sind nicht zu erschöpfen, sprich: Man kann ihnen immer wieder neue Aspekte abgewinnen. Keine Arbeit trägt einen Titel, der Betrachter wird nirgendwo festgelegt. Vor allem aber: Das ersichtlich Spontane fällt hier mit dem souverän Gelungenen und Gültigen ineins – reife Früchte eines langen Künstlerlebens.

Porzellan als blütenreines Material

Fast noch erstaunlicher ist Schumachers Porzellanmalerei, denn hier hat sich der inzwischen 81jährige auf Ungewohntes eingelassen. Während er – aus Angst vor Leere, vor Vakuum – sonst schneeweiße Malgründe meidet und lieber Unterlagen mit Schlieren oder kleinen Schäden verwendet, mußte er hier mit blütenreinem Material umgehen. Das „weiße Gold“ aus der Staatlichen/Königlichen Forzellan Manufaktur Betlin („KPM“) ist ein makelloses Spitzenerzeugnis. Schumacher wählte nicht die Standardform kreisrunder Schalen, sondern schlanke Ovale, die bereits Spannkraft und Dynamik in sich bergen. Doch nach Schumachers Behandlung werden diese kleinen Flächen zu Ereignissen, ja Dramen aus Linie und Farbe.

Den meisten Künstlern, die für teure Sammlerserien arbeiten, unterläuft auf derlei Material leicht dekoratives Kunstgewerbe. Nicht so Schumacher, Er gelangt mit diesen Unikaten weit übers lediglich Gefällige hinaus, selbst in der Verwendung von Goldfarbe wird er nicht geschmäcklerisch. Er setzt diese kostbare Farbe so ein, daß sie nicht prunkend, sondern ganz selbstverständlich wirkt. Und welch ein ungeheures Blau weiß er, in Gouachen ebenso wie auf Porzellan, zur Geltung zu bringen – ein Durchlaß für Blicke in die Unendlichkeit.

Näher an seinem wohl eigentlichen Element, den sonnengegerbten Erdfarben, ist er bei der Bearbeitung von Keramik. Hier kann er auch das Material selbst formen und sodann beim Bemalen pastoser verfahren, also mächtige Farbspuren ziehen. Es ist, als sei er hier – nach seinem glückhaften Ausflug in die Weiße des Porzellans – wieder ganz bei sich daheim.

Emil Schumacher: Gouachen der 80er Jahre / Arbeiten auf Keramik und Porzellan. Gustav-Lübcke-Museum, Hamm (Neue Bahnhofstraße 9. Bis 12. Juni (di-sa 10-18 Uhr, mi 10-20 Uhr, mo geschlossen). Eintritt 5 DM, zwei Kataloge (55/45 DM).