Literarische Verlage und der Literaturbetrieb im Ruhrgebiet: Förderung nur noch für Glamour?

Bücher: verlegt, aber nicht verlegen. Foto: Gerd Herholz

Seitdem der Klartext Verlag sein karges literarisches Programm nahezu ganz einstellte und der Dortmunder Grafit-Verlag nach Köln umzog, existieren nur noch inhabergeführte Klein- und Selbstverlage längs der Ruhr. Von einer Kultur- als Verlagsmetropole kann an deren Ufern wahrlich keine Rede sein. Zudem wird ein jährlich mit 500.000 Euro gesponserter  Show-Platz wie die lit.RUHR von Köln aus bespielt.

Ruhr-Stiftungen, das Land NRW und der Regionalverband Ruhr stecken Millionen an Fördergeldern in Hochglanzbroschüren, Festivals, Galas oder Blenderprojekte der Creative Economy wie das Kreativwirtschaftsorakel „ecce“. Zur Belebung des Literaturmarktes führte das aber hierzulande nirgends.

Auch weil bundesweit stärker ausstrahlende Verlage fehlen (von TV- oder Radiosendern ganz zu schweigen), vermisst man im Revier ein lebendiges literarisches Leben mit Autoren, Literaturkritikern, Lektoren oder Illustratoren. Und der „Kultur & Freizeit“-Teil der zum Verwechseln ähnlichen Funke-Zeitungen ersetzt mit täglich anderthalb Seiten auch zu „Kinder – Wetter – Leute – Panorama“ kein Feuilleton von Rang – an solch eingeschränkten Arbeitsbedingungen in den Redaktionen ändern selbst engagierte Journalisten wenig.

Für 2,95 € im Klartext-Online-Shop: Magnet „Merkse noch wat?“

Nachdem Dr. Ludger Claßen 2016 nach gut drei Jahrzehnten den Klartext Verlag Essen verlassen hatte und der neue Geschäftsführer (auch zuständig für die „Koordination Marken und Events“ der Funke Mediengruppe) das literarische wie das wissenschaftliche Programm des Verlages fast auf null stellte, wird es für junge Autorinnen und Autoren aus dem Ruhrgebiet nahezu unmöglich, ihr literarisches Debüt mit einem regionalen Verlag zu wagen. Klartext verkauft lieber Ratgeber, Reiseführer und Folkloreartikel wie die Brotdose „Kniften“, oder austauschbare Non-Book-Souvenirs wie das Glaslicht „Osnabrück“ (auch in den Varianten „Hamburg“, „Bremen“, „Köln“ …). Und für nur 2,95 € gibt’s einen Magneten mit der Aufschrift „Merkse noch wat?“

Überhaupt Köln: ein starkes Stück Ruhrgebiet

Der Grafit Verlag, einst von Dortmund aus tonangebend im bundesweiten Konzert der Lokal- und Regionalkrimiszenen, ist nach Köln verkauft worden. Mit ihm verließ der letzte halbwegs größere literarische Verlag das Ruhrgebiet. Jetzt gehört Grafit dem kölschen Emons Verlag. Auch vieles andere im Literaturbetrieb Ruhr wird heutzutage von Kölnern gedeichselt. Rainer Osnowski und andere bringen nicht nur die lit.COLOGNE, sondern im Oktober gleich nach der lit.RUHR auch die lit.COLOGNE Spezial auf die Bühnen; manches im Programm überschneidet sich da, nur Stars wie Rusdie oder Colson Whitehead behält man lieber exklusiv Köln vor. Aus der dortigen Maria-Hilf-Straße inszenieren die Festival-Macher all das über die lit.Cologne GmbH oder die „litissimo gGmbH zur Förderung der Literatur und Philosophie“. Und selbst vom Stadtschreiber Ruhr hieß es: „Die Lit.RUHR (also Köln, G.H.) unterstützt die Brost-Stiftung beim Projekt ,Stadtschreiber(in) Ruhr’“.

„Bücher vonne Ruhr“: Bücher von (dieser) Welt

Nur gut, dass es in Bottrop immer noch und zunehmend deutlicher sichtbar den Verlag Henselowsky Boschmann gibt. Verleger (und Autor) Werner Boschmann versucht mit Reihen („Ruhrgebiet de luxe“), Anthologien und starken Einzeltiteln mehr zu bieten als nur einen Kessel Buntes rund ums Ruhrgebiet. Selbstironisch nennt er seinen Verlag „Regionaler Literaturversorger Ruhrgebiet“, doch viele Leser  und Autoren kommen längst nicht mehr nur aus dem Ruhrgebiet, wie man etwa aus den Bio-Bibliografien der Autoren des „Vorbilderbuch. Kleine Galerie der Menschlichkeit“ erfahren kann.

Auch die Bücher der international ausgezeichneten Kinder- und Jugendbuchautorin Inge Meyer-Dietrich oder die des Filmemachers Adolf Winkelmann verhandeln zwar das Ruhrgebiet und seine Geschichte(n), sind aber frei von jedem Provinzmief. Ein neuer Autor wie Ruhrbarone-Blogger Stefan Laurin hält in „Versemmelt. Das Ruhrgebiet ist am Ende“ Politik, Verwaltung und ihren taumelnden Satelliten drastisch den Spiegel vor: „Das Ruhrgebiet hatte viele Möglichkeiten; die meisten hat es nicht genutzt. Keine Region Deutschlands, ja Europas, von dieser Größe wird dilettantischer regiert. Verantwortlich hierfür waren und sind die Menschen, die all das mitgetragen haben.“

Man kann nur hoffen, dass Henselowsky Boschmann sein freches Programm inhaltlich weiterentwickelt, also die Balance zwischen regionaler Verwurzelung und weltoffenem Horizont immer wieder neu und besser auspendelt. Auf Unterstützung oder kleine Subventionen aus dem kunstfernen Regionalverband Ruhr wird der Verlag dabei erst gar nicht hoffen dürfen.

Jürgen Brôcan: Lyriker, Verleger, Übersetzer, Kritiker. Foto: Jörg Briese

edition offenes feld

Sehen lassen kann sich auch das rein literarische Programm des Dortmunder Verlegers, Übersetzers und Kulturjournalisten Jürgen Brôcan. 2016 erhielt er für sein lyrisches Gesamtwerk den Literaturpreis Ruhr. Über seinen Verlag, der mindestens drei Titel pro Jahr herausbringt, schreibt er:

„Das Programm der „edition offenes feld“ (eof) ist auf Vielfalt der Gattungen und Stile ausgerichtet. Klassiker in Übersetzung, arrivierte Autoren aus verschiedenen Ländern und Entdeckungen in Lyrik und Prosa sollen zum Facettenreichtum der Literatur beitragen.“
Und dass dies Brôcan auch gelingt, dafür bürgen Autoren wie Ranjit Hoskoté, Spoon Jackson oder die Lieder des chinesischen Poeten Zhou Bangyan aus Zeiten der Song-Dynastie.

Last but not least: Rigodon Verlag und andere Solitäre

Ich bin sicher: Einige wenige Special-Interest-, Klein-, Kleinst- und Selbstverleger habe ich aufzuzählen vergessen. Nicht vergessen werden aber darf das aus all dem hervorrragende „Schreibheft“ Norbert Wehrs, das vom Rigodon Verlag in Essen herausgegeben wird und es zu internationaler Geltung gebracht hat. Vergessen sollte man auch nicht die Edition Wort und Bild des Bochumer Dichters und Grafikers H.D. Gölzenleuchter. Seit 1979 gibt Gölzenleuchter Lyrik, Prosa und Mappen mit literarischen Texten und Originalgrafiken heraus. In der Zusammenarbeit von Autoren und Grafiker sind feinste bibliophile Drucksachen entstanden.

Ob nun Norbert Wehr, H.D. Gölzenleuchter, Klauspeter Sachau und sein  ‚vorsatzverlag‘ in Dortmund, ob nun Werner Boschmann oder Jürgen Brôcan: Das finanzielle Risiko der Herausgabe eigener und fremder Texte tragen sie immer ganz persönlich. Glücklich, wer nach Jahrzehnten freier Verlagstätigkeit irgendwo irgendwann einen Preis erhält, an dem auch ein Scheck hängt.

Beim RVR verleiht man gern preiswert Literaturpreise – je mehr, desto besser. Foto: Jörg Briese

Statt Muse: Almosen

Norbert Wehr erhielt 2010 angesichts seiner Lebensleistung fürs „Schreibheft“ den Hauptpreis zum Literaturpreis Ruhr, immerhin mit 10.000 Euro dotiert. Das war damals möglich, weil nicht nur Schriftsteller mit dem Hauptpreis ausgezeichnet werden konnten, sondern gelegentlich auch hochverdiente Verleger, Kritiker, Wissenschaftler und Archivare.

Der Regionalverband Ruhr will auch das nun ändern und hat für Verleger ab 2020 voraussichtlich nur noch einen Talmi- Ehrenpreis übrig. In einer Beschlussvorlage des Ausschusses für Kultur und Sport beim RVR hieß es kürzlich so bürokratisch wie genderkorrekt:
„,Mit dem Ehrenpreis des Literaturpreises Ruhr werden eine oder mehrere Personen oder eine Institution für herausragende Verdienste um die Literatur im Ruhrgebiet oder für das literarische, literaturwissenschaftliche, literaturkritische, organisatorische oder verlegerische Gesamtwerk ausgezeichnet.‘ Dieser Preis ist kein Jurypreis, sondern der RVR bestimmt gemeinsam mit dem Literaturbüro Ruhr den bzw. die Preisträger*in. Der Preis wird nach Bedarf und nicht jährlich vergeben. Der bzw. die Gewinner*in erhält einen Preis in einer noch zu bestimmenden Form. Dieser kann z.B. eine von einem bzw. einer Künstler*in gestaltete Skulptur/Statue sein.“

Ehrloser Ehrenpreis

Ich sehe es schon vor mir und würde mitleiden, falls etwa der virtuose Holzschneider H.D. Gölzenleuchter von einem linkischen Ausschuss-Vorsitzenden eine gemäß Parteien-Proporz gestaltete Stilmix-Statuette in die Hand gedrückt bekäme, die nun wiederum dem HAP Grieshaber-Bewunderer Gölzenleuchter Tränen des Entsetzens in die Augen treiben dürfte.

Sehr viel lieber ist mir daher die Vorstellung, dass ab 2020 niemand diesen Dumping-„Ehrenpreis“ annehmen wird: Deutlicher als mit ihm hätten die hochbestallten Kulturverweser des RVR ihre Geringschätzung editorischer Leistungen in der Verlags-Diaspora des Reviers nicht ausdrücken können. Und wahrscheinlich bemerken sie wieder nicht, was sie da anrichten.




Rutger Booß und seine ungebremste Seniorenbeschimpfung

Mit Dr. Rutger Booß, Gründer und damals auch noch amtierender Chef des Dortmunder Grafit-Verlags (führend im Regionalkrimi-Fach), hatte ich für einige Jahre ein kleines Ritual. Kurz vor Abreise von der Frankfurter Buchmesse habe ich jeweils noch auf einen Kaffee beim Grafit-Stand vorbeigeschaut. Es gehörte irgendwie dazu. Dortmunder müssen zusammenhalten, auch auf kulturellem Gebiet. Jetzt steht Rutger Booß, inzwischen 72, auf seine etwas älteren Tage unversehens auf Platz 9 der „Spiegel“-Bestsellerliste (Rubrik Taschenbücher / Sachbuch), und zwar mit einer als Rundumschlag angelegten Seniorenbeschimpfung. Diese Ausgangslage verlockt zum Lesen.

„Immer diese Senioren! 111 Gründe, warum sie uns in den Wahnsinn treiben“ heißt das naturgemäß (selbst)ironisch eingefärbte, aber nicht etwa durchweg unernst gemeinte Werk. Ich gebe freimütig zu: Diese allfälligen 50-, 99-, 100- oder halt 111-Gründe Bücher gehen mir allmählich auf den Geist. Meistes folgen sie einer Masche. Der Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf preist das Buch denn auch als „Stapeltitel“ an und hat massiv die Buchhandlungen damit geflutet.

Immer in Beige, immer drängeln

Schon klar: Die Senioren werden immer mehr und haben schon jetzt enormen Einfluss auf die Politik. Also muss man sie mal verbal verdreschen. Tatsächlich lässt Rutger Booß kein gutes Haar an seinen Generationsgenoss(inn)en. Hier müssen sich die bedauernswerten Durchschnitts-Senioren alles, aber auch alles zurechnen lassen, was irgendwo alte Menschen verzapfen – seien es nun „Eliten“ und Promis jeder Sorte, Einzelne aus der Menge oder die breite Mehrheit, die dümmlich bis kriminell agiert haben. Nun aber `ran an die Beispiele, Feixen hie und da garantiert:

Der Rentner, der gemeinhin in Beige herumtapert, sich rüpelhaft an der Supermarktkasse vordrängelt und dort umständlichst das Kleingeld abzählt oder zittrig Auto fährt, wird ausgiebig verspottet. Bejahrte Menschen hassen Kinderlärm, werfen aber selbst den Laubsauger an, wann immer sie wollen. Sie hocken ständig beim Arzt und klagen über ihre Wehwehchen, fallen auf dämliche Werbung und Nepper, Schlepper, Bauernfänger herein.

Alte Männer: geil, geizig und gierig

Ältere Polit-Darsteller von hohen Fürchterlichkeits-Graden (z. B. Berlusconi, Robert Mugabe, Erika Steinbach, Gauland, Trump) oder betagtere Sportfunktionäre (Blatter, Beckenbauer, Ecclestone) werden wortreich verdammt. Sie haben es ja allesamt verdient. Doch ich konnte bei der Lektüre nicht umhin, beim Thema Senioren gelegentlich (sozialpolitisch korrekt) auch an Altersarmut, Pflegebedürftige und Demenz zu denken. Solche kleinlichen Bedenken muss man entschlossen beiseite schieben, will man ein solches Buch schreiben. Dabei ist Rutger Booß doch eigentlich eher links gestrickt.

Autor Rutger Booß (Foto: Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf)

Autor Rutger Booß (Foto: Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf)

Doch im Buch mag er’s paukenschlagend pauschal. Senioren machen demnach eigentlich nur dummes Zeug. Sie kommen nicht mit dem Internet klar, verhindern durch ihre schiere Beharrungs-Masse Innovationen bei ARD und ZDF, verdingen sich als quasi untote Gestalten (Gunter Gabriel, Rainer Langhans etc.) im „Dschungelcamp“. Alte Männer sind in der Regel geil, geizig und gierig. Ergraute Schriftsteller wie Roth, Updike, Begley und Martin Walser stier(t)en geifernd jungen Mädchen nach.

„Landplagen“, wohin man auch schaut

Seniorenscharen, die überall die Wege versperren, bevölkern Kreuzfahrtschiffe auf Flüssen und Meeren. Und wenn sie erst auf ihre E-Bikes steigen, ist alles zu spät. Alte Herrschaften verfassen peinliche Memoiren, schreien ihren Unmut im Theater auf offener Szene heraus, besitzen offenbar immens viele Waffen, sind Mitglieder in lachhaft vorgestrigen Schützen- und Gesangsvereinen, sind Geisterfahrer, Rechthaber, Unfallflüchtige und Stalkerinnen. Sie alle sind – so ein Lieblingswort in diesem Buch – eine „Landplage“.

„Das alles und noch viel meheeeer“ wird auf mitunter fast penetrante Weise breitgetreten und ausgewalzt. Hat man einmal den eingefahrenen Duktus intus, reichen hernach vielfach die bloßen Kapitel-Überschriften zur Orientierung. Vieles ist ja richtig, doch gar manches ist auch wohlfeil.

Bei den bunten Seiten bedient

Quellen für die üblen Nachreden sind vorwiegend die vermischten Meldungen aus Tageszeitungen bzw. Online-Auftritten, hinzu kommen Wikipedia und Internet-Posts. Nicht jede Herleitung dürfte formal und inhaltlich einer kritischen Überprüfung standhalten. Egal. Man will sich ja in seiner polemischen Absicht nicht bremsen lassen. Auf den bunten Seiten ist ja alles schon so herrlich zugespitzt. Man muss sich nur umsichtig bedienen, die Stellensammlung ordnen und gut verrühren. Ich behaupte mal frech, dass der ebenso sympathische wie kluge Rutger Booß ein Buch deutlich unterhalb seines eigenen Niveaus geschrieben hat.

Apropos Zeitungen: Das muss ich jetzt auch noch loswerden. Booß, der im beschaulichen Herdecke lebt (wo schon Jürgen Klopp sein Domizil hatte), also in unmittelbarer Nachbarschaft von Dortmund, zitiert sehr häufig ausgerechnet die heimische WR = Westfälische Rundschau. Ich finde das ärgerlich, denn die seit Anfang 2013 redaktionslose Zeitung wird nur noch mit fremden Inhalten (WAZ, Ruhrnachrichten) am zombiehaften Leben erhalten und ist als „WR“ eigentlich gar nicht mehr so recht zitierfähig. Das Blatt ist keine Quelle mehr, sondern nur noch Abfüllstation.

Bleibt eine Frage: Wer ist eigentlich mit dem wohlig kollektiven „Wir“ („Warum sie u n s in den Wahnsinn treiben“) gemeint? Alle unter 80, 70, 65, 60? Alle Menschen, die guten Willens sind? Alle Junggebliebenen und solche, die es werden wollen? Da haben wir jetzt was zum Grübeln.

Rutger Booß: „Immer diese Senioren! 111 Gründe, warum sie uns in den Wahnsinn treiben“. Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf. Taschenbuch, 272 Seiten. 9,99 €.




Privatdetektive auf „Prinzenjagd“ – der neue Krimi von Lucie Flebbe

Flebbe/ Prinzenjagd „Bedenke, einen schönen Mann hast Du nie für Dich alleine“. Diesen auch nur bedingt hilfreichen Ratschlag zur Partnerwahl haben wohl so einige von ihrer Oma mit auf den Weg bekommen.

Aber ist hier vielleicht auch schon das Motiv verborgen für die rätselhaften Morde, die sich innerhalb kurzer Zeit im Bochumer Allee-Hotel ereignen? Denn anscheinend gilt: „Je schöner der Mann, desto brutaler der Mord.

Zuerst erwischt es den Promi-Fernsehkoch Carlo Pfiffhoven, kurz danach den Sänger Marian Mohr, frisch gekürter Castingshow-Gewinner. Nicht nur die Polizei befürchtet den Beginn einer Mordserie, die sich gegen vermeintliche Traumprinzen richtet, auch Hoteldirektor Hans Flegenfeld ist besorgt. vor allem um die bisher untadelige Reputation seines Hauses. Ihm gehen die Ermittlungen nicht schnell genug voran, was auch nicht Wunder nimmt, da vor allem Kommissar Staschek mit jeder Menge anderer Sorgen belastet ist. Der Hoteldirektor engagiert kurzerhand den Privatdetektiv Ben Decker.

Gemeinsam mit der jungen Lila Ziegler, privat und beruflich seine Partnerin, bezieht Decker eine der Nobelsuiten im Hotel. Für Luxusgenuss bleibt leider nur wenig Zeit, denn die Beiden ermitteln sofort mit Hochdruck und fördern auch schnell einige Ungereimtheiten im Betrieb des Hotels zutage.

Nach außen hin gibt das Alleehotel sich gerne einen sozialen Anstrich, indem es auch Behinderten eine Chance auf dem „normalen“ Arbeitsmarkt gibt. Aber ist dieses Engagement wirklich so uneigennützig und klappt das alles wirklich so prima, wie es nach außen hin scheint?

Der Detektiv-Azubine Lila kommt der Auftrag noch aus einem anderen Grunde ganz recht: Ihre Freundin Lena hat sie gebeten, herauszufinden, ob ihr Vater schon wieder fremdgeht und dieser ist niemand anders als der zur Zeit so glücklos agierende Kommissar Staschek. Von diesem „Nebenauftrag“ sollte allerdings Partner Ben besser nichts wissen…. und auch Lila findet so einiges heraus, dass sie lieber hätte eigentlich nicht wissen wollen.

Prinzenjagd“ ist bereits der siebte Fall für Ben und Lila. Für den ersten Band der Reihe wurde die Autorin Lucie Flebbe bereits mit dem Friedrich-Glauser Preis für das beste Krimi-Debut ausgezeichnet. Neben den jeweiligen Fällen ist es in dieser Reihe vor allem auch die Entwicklung der beiden Protagonisten und ihrer Beziehung, welche den Erfolg der Reihe ausmacht. Mit der jungen Nachwuchs-Detektivin Lila Ziegler spricht Lucie Flebbe (nicht nur) aber auch gezielt ein jüngeres Publikum an, die es gerne auch mal ein bißchen actionreicher mögen.

Im siebten Band nun hat Lila komplett mit der vordergründig heilen Welt ihrer Familie gebrochen und lebt mit dem wesentlich älteren Ben über einer Bochumer Traditionskneipe, deren Wirt Molle vor allem für Lila so etwas wie ein Ersatzpapa ist. Die auch seelische Unterstützung der beiden starken Männer an ihrer Seite kann sie gerade in diesem Fall gut gebrauchen.

Darüberhinaus greift „Prinzenjagd“ eine ganze Reihe aktueller Themen auf. Vordergründig nimmt Flebbe erst den Hype um Fernsehköche und Castingshows auf’s Korn, dann geht es schnell auch um Belästigung und Mobbing am Arbeitsplatz, um dann über Umwege zur sozialen Botschaft des Romans zu kommen: der Integration Behinderter in den ersten Arbeitsmarkt,

Bei diesem Füllhorn an Themen kommt Langeweile bei der Lektüre nicht auf, Spannung allerdings auch eher nur so mittel. Der Krimiplot an sich ist mit relativ dünnen Nadeln gestrickt. Der Leser hat sehr schnell einen Verdacht, der sich dann auch als begründet erweist und die Hinführung zur Auflösung ist so manches Mal eher hilflos. Allzu oft fällt den beiden Detektiven allzu Offensichtliches wie zum Beispiel eine Namensgleichheit erst etliche Kapitel später auf als dem Leser. Dafür macht die geschickte Zeichnung der Figuren Spaß. Das augenzwinkernde Ende nach erfolgreicher Lösung des Falls versöhnt auf jeden Fall mit der ein oder anderen Schwäche der „Prinzenjagd“.

Lucie Flebbe: „Prinzenjagd“. Grafit Verlag, Dortmund, 250 Seiten, 10,99 Euro.




Ermittlungen in der „verbotenen Stadt“ – beachtliches Krimidebüt aus dem Ruhrgebiet

Die Abtaucher Als ausgewiesener Schalke-Fan in der „verbotenen Stadt“ Dortmund arbeiten zu müssen, dann noch ein wandelndes Beispiel für die alte Fußballer-Weisheit „Knie heilt nie“ zu sein und als krönende Dreingabe einen Assistenten, der sich trotz oder wegen seines Atze-Schröder-Stylings als unermüdlicher Playboy gefällt – Kriminalkommissar Georg Schüppe hat mehr als ein Problem. Da fällt sein ungeliebter Spitzname „Der Spaten“ schon kaum mehr ins Gewicht.

Derart vom Leben gebeutelt, macht er sich eher widerwillig auf zu seiner neuesten Ermittlung. Ein toter Einbrecher in einem Dortmunder Zechenhaus verspricht nun auch nicht gerade die dollste Ablenkung. Weder für ihn noch für Polizeireporter Tom Balzack, der sich mehr schlecht als recht mit seiner kleinen TV-Firma als Sensations-Zulieferer für den Boulevard durchschlägt. Doch nicht lange und der kleine Routinefall wird undurchsichtig. Drei weitere Morde folgen und an den weit voneinander entfernten Tatorten finden sich DNA-Spuren des Einbrechers aus dem Zechenhaus. Der jedoch befand sich zum Zeitpunkt der drei Morde schon in fortgeschrittener Totenstarre.

Wer legt da eine falsche Fährte und vor allem warum? „Der Spaten“ sieht die Zusammenhänge nicht, vielleicht will er sie auch gar nicht sehen. Die vage Ahnung, dass dieser Fall etwas mit ihm und seiner traurigen Vergangenheit zu tun haben könnte, lässt er zunächst nicht zu. Somit schlägt die Stunde des Reporters. Balzack ist chronisch pleite, der Konkurrenzdruck groß, ihn kann nur noch die eine, die ganz große Geschichte retten. Er erkennt den Zusammenhang zwischen den Morden, er kennt „Die Abtaucher“ aus der sogenannten guten Gesellschaft, die nun in der verqueren Logik eines Killers für einen Augenblick der Unachtsamkeit bezahlen müssen.

„Die Abtaucher“ ist das gelungene Krimi-Debüt des Journalisten Thomas Schweres und weit mehr als nur ein weiterer halbwegs gelungener Regional-Krimi. Der gebürtige Essener Schweres lebt als Schalke-Fan „undercover“ in Dortmund und treibt sich mit seiner TV-Firma vorzugsweise auf dem Boulevard herum. Ähnlichkeiten zum Protagonisten Balzack dürften also nicht rein zufällig sein.

Thomas Schweres ist ein genauer Beobachter, den versierten Rechercheur merkt man durchgängig. Er weiß genau, worüber er schreibt, in seinen langen Reporterjahren ist er zum genauen Kenner der Ruhrgebiets-Szene geworden. Die Liebe zum Pott schimmert durch, aber auf nett gemaltes Lokalkolorit beschränkt er sich dabei dankenswerterweise nicht. Schweres scheut sich nicht, auch die unangenehmen, schwierigen Seiten des Ruhrgebiets aufzuzeigen. Ob es um Schutzgelderpressungen, den Tagelöhner-Strich, die vergifteten Monte Schlackos geht – Schweres redet Tacheles. Wer jemals länger in einem Stadtteil gearbeitet oder gelebt hat, in dem ganz eigene Gesetze herrschen und der von der Obrigkeit als aufgegeben bezeichnet werden darf, weiß, wovon Schweres redet und liest die entsprechenden Seiten mit einem sonderbares Gefühl der Dankbarkeit dafür, dass es endlich einer ungeschönt ausspricht. Dazu gönnt der Kenner des Boulevards dem Leser amüsante Einblicke in das umkämpfte Geschäft mit dem Sensations-Journalismus.

Thomas Schweres schreibt kurz, knackig und durchgehend flüssig. Wie man einen Plot aufbereitet und den Leser häppchenweise bei der Stange hält, weiß er aus seinem Tagesgeschäft und übertragt das gekonnt und mit gelegentlichem Augenzwinkern in die Romanform. Der Plot an sich ist stimmig, auch wenn man heutzutage anscheinend in keinem einzigen Krimi mehr auf persönliche Involvierung der ermittelnden Kommissare verzichten kann. Alles in allem spannende Lektüre, mit der nicht nur Ruhrgebiets-Liebhaber richtig aus dem Alltag abtauchen können.

Interessanterweise ist unter den Protagonisten kein einziger richtiger Sympathieträger, aber der Autor schafft das Kunststück, dass man dem Kommissar, dem Reporter und seinen Mitstreitern ein gutes Ende wünscht. Den meisten jedenfalls. Wahrscheinlich, weil man sie alle irgendwoher kennt. Im Zweifelsfall aus der Nachbarschaft.

Thomas Schweres: „Die Abtaucher“. Grafit Verlag, Dortmund, 220 Seiten, € 9,99

P.S.: Dass Schweres sich mit medialer Vermarktung auskennt, merkt man auch der professionellen Werbung für das Buch an. Der Song und der Trailer zum Buch machen richtig Spaß und Lust auf das Buch. Zu bewundern auf der Webseite des Grafit-Verlages.




Morden nach Zahlen: Spannende Krimi-Recherche zum „Tod eines Mathematikers“

422_rgbEr verkörpert den Prototyp eines Professors, zumal eines Wissenschaftlers in der Disziplin Mathematik: verschlossen, eigenbrötlerisch und ein wenig vergesslich. Wer sollte schon Interesse haben, einen solchen Mann umzubringen?

Diese Frage stellt sich die Kripo auch, als sie im Fall des Todes von Albert Katzenstein ermittelt – und hat die Antwort schnell parat: Hier handelt es sich nicht um Mord, sondern um einen klaren Fall von Suizid. Der hoch angesehene Experte hat das eigene Ende selbst verbeigeführt. Doch seine Tochter, von Beruf Journalistin, mag daran nicht glauben. Da sie das Recherchieren gelernt hat, beginnt die junge Frau selbst mit der Spurensuche. Ihre Kontakte zur Polizei sind hilfreich, um Beamte von ihrem Zweifel an der Selbstmordversion zu überzeugen.

Kerstin Herrnkind und Walter K. Ludwig haben mit „Tod eines Mathematikers“ einen ungemein spannenden Krimi geschrieben, der vor allem durch überraschende Wechsel und Wendungen überzeugt. Indem das Autorenduo immer wieder neue Nebenschauplätze eröffnet, kommen zusätzliche Motive und Täter in Betracht, die für den Tod des Professors und weitere ungelöste Kriminalfälle aus der Vergangenheit verantwortlich sein könnten. Es gelingt den Verfassern, die einzelnen Handlungslinien geschickt miteinander zu vermischen, ohne dass der Leser den Überblick verliert. Der Roman gewinnt vor allem auch dadurch an Dynamik, dass Romanfiguren in höchste Gefahr geraten, die bis dahin mit einem absolut sicheren Auftreten beeindruckten und nicht für eine Opferrolle geschaffen schienen.

Der Leser erfährt darüber hinaus, das aber eher beiläufig, wie es in Zeitungsredaktionen zugeht. Die Tochter des Mathematikers arbeitet für ein Blatt in Bremen, das, wie viele andere Printerzeugnisse, unter Auflagenschwung leidet und Stellen abbauen muss. Scheinen auch hier und da die Umgangsformen von Journalisten etwas überzeichnet zu sein, ist es amüsant zu lesen, wie es im Redaktionsalltag ab und an zugehen kann. Das gilt ebenso für die Kripo, zu deren Mitarbeitern einige schräge Typen gehören. Ohne sie wäre allerdings die gesamte Geschichte nur halb so unterhaltsam. Zu den Annehmlichkeiten dieser Lektüre gehört ferner eine einfache wie aber auch sehr lebendige Sprache, die durchaus mal ganz derb sein kann.

Wer übrigens meint, man könne gegen Ende das Buch aus der Hand legen, weil alle Unklarheiten beseitigt sind, der sollte sich eines Besseren belehren lassen. Zum Schluss folgt noch ein Clou – vielleicht Stoff für eine Fortsetzung?

Kerstin Herrnkind/Walter K. Ludwig: „Tod eines Mathematikers“. Grafit Verlag, Dortmund. 351 Seiten. 10,99 Euro.




„Zügig ins Jenseits“: Kurzkrimis rund ums Bahnfahren

Zügig.CoverDer Dortmunder hat es bekanntermaßen gerne spannend – nicht nur beim Fußball. Der Spannung verschrieben hat sich folgerichtig der in der Stadt des Champions-League-Halbfinalisten ansässige Grafit Verlag, der jetzt mal wieder eine neue Sammlung von Krimi-Kurzgeschichten herausgegeben hat.

„Zügig ins Jenseits“ nimmt sich all jener an, die während des Schienenverkehrs auf die schiefe Bahn geraten sind. Ort der Geschehnisse ist im vorliegenden Band die Deutsche Bahn. Klar, denn das Unternehmen Zukunft Deutsche Bahn ist ja mehr als fahren. Und vom Wetter reden sie auch nicht. Manch einem mögen beim Anblick der bekannten Werbeslogans gelegentlich die Gesichtszüge entgleisen und mörderische Gedanken kommen.

Immer gut für einen Erregungstumult

Der Ärger über verspätete Züge, ausgefallene Klimaanlagen oder besonders uncharmante Zugbegleiter wächst sich hierzulande gerne zu bemerkenswerten Erregungstumulten aus. Fünfzehn in dem Thema bewanderte Krimiautoren sind nun auf diesen Zug aufgesprungen und quer durchs deutsche Schienennetz gereist. Mitgebracht haben sie abgefahrene Geschichten aus den Abgründen des Zugverkehrs. In dieser Anthologie bleibt keiner verschont: nicht die grölenden Fußballfans, nicht die lümmelnden Berufsjugendlichen, nicht die picknickenden Ehepaare. Auch geraten die Piccolöchen der Keglern öfter unter die Räder.

Der Autorin Nicola Förg reicht die schnarrende Stimme einer Zugbegleiterin, um die arme Frau schnellstens zur Endstation Jenseits zu expedieren. Edgar Franzmann bereitet der BO-Ru-SSI-AAA und einem Sheriff im Ruhestand einen großen Bahnhof, Ella Theiss entzündet in Hamburg eine bombige Fontäne und Stephan Hähnel liest im Beschwerdemanagement auch das Kleingedruckte.

Tempo zwischen Bummelzug und ICE

Manche Geschichten entfalten sich mit dem gemächlichen Thema eines Bummelzuges, wieder andere rasen mit dem mörderischen Tempo eines ICE auf ihr kriminelles Ende zu. Roger M. Fiedler stellt die Weichen für seinen „Zeigersprung“ auf gelungene Satire und ihm gelingt es, zu erklären, was wir immer schon wissen wollten: Theorien sind die Ursachen aller Pannen.

Auch ganz Aktuelles kommt nicht zu kurz, Welpenhändler aus Duisburg möchte man nach der Lektüre nicht unbedingt sein. Und dass die sich neu etablierende Gruppe der Samstagspendler, welche sich das Recht, am Samstag vier Mitfahrer auf ihr Monatsticket mitnehmen zu dürfen, regelmäßig versilbern lassen, nicht ungefährlich lebt, dürfte nach der Lektüre von Niklaus Schmidts Geschichte auch klar sein. Klar wird dem Leser auch so einiges Wissenswerte aus dem Streckennetz, denn als kleine Kulanz ist jeder Geschichte eine „Wussten sie schon, dass…“-Frage“ mit Antwort vorgeschaltet.

Noch eine Besonderheit: Nicht alle Geschichten sind verbrecherisch, eine erzählt von der Liebe. Für „Drück mich jetzt!“ erhielt Alexandra Trudslev den Förderpreis des Literaturpreises Ruhr, sowie sicherlich die Zustimmung vieler Leser, die sich gleich ihrer Heldin schon an störrischen Fahrkartenautomaten abgearbeitet haben.

Fazit: Ohne Zugzwang gut geeignet, sich die Zeit auf Reisen angenehm zu vertreiben und so dazu beizutragen, ein vielbeschworenes Versprechen der Deutschen Bahn einzulösen: Urlaub von Anfang an.

„Zügig ins Jenseits. Mörderische Geschichten für Bahnfahrer“. Grafit Verlag, Dortmund. 224 Seiten. 9,99 Euro.




Recherchen in der Biosuppen-Firma – Krimi „Neben der Spur“ von Ella Theiss

Download Cover des Grafit Verlags, Dortmund  Die Fabrikantenfamilie Hepp bereitet sich auf die Feier eines ganz besonderen Geburtstages vor. Der Seniorchef wird sagenhafte hundert Jahre alt. Karo Rosenkranz, freiberufliche Journalistin, hat in der Redaktion die Niete gezogen und soll über den Geburtstagsempfang berichten. Widerwillig macht sie sich auf den Weg zur Firma, doch plötzlich wird es spannend.

In der Produktionshalle explodieren ganz unfeierlich zwei Sprengsätze. Zu Schaden kommt niemand, die herumfliegenden Kadaver gehören tiefgekühlten Hähnchen. Karo wittert Morgenluft und eine spannende Story. Umso mehr, als Biosuppenhersteller Hepp eigentlich streng vegetarisch produziert. Was also hatten dann die tiefgekühlten Flattermänner dort zu suchen? Und von welchem Krieg brabbelt der Hundertjährige dauernd? Die Zeit des dritten Reiches hat er doch angeblich gut abgeschirmt in einem Sanatorium verbracht. Und wo befindet sich der designierte Firmenerbe, Valentin? Ist er vielleicht der Drahtzieher des Anschlags und gar nicht – wie kolportiert – mal kurz weg auf dem Jakobsweg? Schließlich hat er sich bisher auch eher einen Namen als eifriger Tierschützer gemacht denn als begabter Firmenlenker. Fragen über Fragen. Karo beschließt, es sei Zeit für investigativen Journalismus und tritt mutig in die Fußstapfen Günter Wallraffs. Kurzerhand tritt sie die Stelle einer PR-Beraterin der Suppenköche an und fördert alsbald ein ziemliches Gebräu an übel schmeckenden Ungereimtheiten zu Tage. Ihre Recherchen führen sie bis weit zurück in die Zeit des Zweiten Weltkrieges – und sie selbst in tödliche Gefahr.

„Neben der Spur“, der erste zeitgenössische Roman der Autorin Ella Theiss ist ein mal pikant, mal deftig gewürzter Krimi. Dabei kommt sie ganz ohne Serienmörder, Psychopathen und blutiges Gemetzel aus und vermittelt dem Leser dabei das Gefühl, jederzeit selbst in eine solche Gemengelage hineinstolpern zu können. Sie kocht aus den verschiedensten Zutaten unterschiedlicher Zeiten und Genres ihr ganz eigenes Süppchen. Auch wenn ihre Karo Rosenkranz und erst recht die sich selten mit Ruhm bekleckernden Polizisten gelegentlich „neben der Spur“ liegen, Ella Theiss bleibt gekonnt auf Kurs und schafft es, auch unerwartete Wendungen einzufädeln. Die Grundlagen ihres Krimis – auf der einen Seite die Welt der nicht immer gut meinenden Bio-Produzenten, auf der anderen Seite die bis in die heutige Zeit hineinreichenden Folgen des Dritten Reiches – sind gut recherchiert, ihre Figuren lebensnah entworfen. Der Hintergrund ihres gut recherchierten Krimis ist durchaus ernst, dennoch wird der Ton nie zu bedeutungsschwer, versteht die Autorin es doch, ihr Werk mit einer ordentlichen Prise skurrilen Humors zu würzen.

Das Rezept für einen unterhaltsamen, spannenden Krimi auf einem ordentlichen Niveau hat Ella Theiss somit wohl auf jeden Fall gefunden.

Ella Theiss: „Neben der Spur“. Grafit Verlag, Dortmund. 253 Seiten, € 8,99




In der kleinen Messekoje spürt „Grafit“ den Trend zum Krimi – Verlag aus Dortmund-Hörde auf dem Frankfurter Büchermarkt

Von Bernd Berke

Wie ist das eigentlich – als Kleinverlag unter 8403 Ausstellern der Frankfurter Buchmesse um Aufmerksamkeit zu buhlen? Nun, unter Umständen gar nicht so schlimm.

Rutger Booß, Gründer und Eigner des Grafit-Verlages in Dortmund-Hörde, der sich vor allem auf Revier-Krimis und Hotelführer spezialisiert hat, ist mit dem Messeverlauf zufrieden. Zwar sagt er: „Eine Teilnähme ist so kostspielig, daß sie sich für uns kaum rechnet.“ Doch die Kontakte, die hier geknüpft werden können, sind im Grunde nicht bezahlbar. Allein in der Zeit, als die WR den Stand besuchte, wurden gleich mehrere Projekte angeregt, darunter eine Krimi-Nacht der VHS in Bottrop mit Beteiligung von Grafit-Autoren.

Seit etwa dreieinhalb Jahren gibt es den Verlag. Inzwischen kann Booß samt zwei Mitarbeitern davon leben. Und es stellen sich auch größere Erfolge ein. So hat der Deutsche Taschenbuchverlag (dtv) mehrfach wegen Lizenzen angeklopft, und kürzlich hat Grafit dem ZDF die Verfilmungsrechte an einem Münsterland-Krimi verkaufen können. Allmählich, so scheint es, weiß man auch außerhalb des Ruhrgebiets mit dem Namen Grafit etwas anfangen. Doch nach wie vor verkaufen die Dortmunder den Löwenanteil des Programms rund um Ruhr und Emscher.

Mit der Lage seines Messestandes ist Booß nicht so glücklich. Man ist mit der kleinen Koje zwischen lauter anderen Kleinverlagen gelandet. Durch diese Zeile fließen nicht gerade die großen Publikumsströme. Doch das, so Booß, werde durch einen noch verstärkten Trend zum deutschsprachigen Krimi mehr als wettgemacht: „Diese Sparte läuft spürbar besser als 1992.“ Unterdessen hat man auch die neuesten Zeitzeichen erkannt und ist zusätzlich in der Messehalle 1 vertreten – bei den elektronischen Büchern; freilich nur als Anbieter von Urheberrechten. Grafit sucht nämlich einen Partner, der die Daten seiner Hotelführer auf CDs überspielt.