Faszination der Farbe Grau: Bottrop zeigt Werke des US-Malers James Howell

James Howell, 48.17 bis 73.20 02/16/02, 2002, Acryl auf Leinwand, sechsteilig, 168 × 168 cm, Serie 10© James Howell Foundation / Courtesy Bartha Contemporary, London (Foto: Mareike Tocha, Köln)

Das Josef Albers Museum Quadrat Bottrop zeigt eine Ausstellung mit Werken des Malers James Howell (1935-2014).

Das Museum will die Arbeiten in den Kontext der Bottroper Albers-Sammlung stellen, da Howell, so die Pressemitteilung, wie der 1888 in Bottrop geborene und 1976 in New Haven (Connecticut) gestorbene Albers „die Grenzen von Form und Farbe“ auslotete, um zu einem „erfüllten Ausdruck des Bildes zu gelangen“. Die Ausstellung unter dem Titel „Resolution and Independence“ entstand in Zusammenarbeit mit der James Howell Foundation und ist bis 10. Juli 2022 zu sehen.

James Howell wurde bekannt durch Bilder, in denen er den Übergang von Licht zu Schatten mit mathematischer Präzision konstruierte und dennoch den Eindruck von selbstverständlicher Leichtigkeit zu erzeugen wusste. Zu seinen Schlüsselwerken gehört „Series 10“ (1996). In den Bildern dieser Reihe verschattet sich die Farbe Grau von oben nach unten zunehmend in unmerklichen Schritten. Ein gleichmäßig weicher Farbverlauf lässt die Bilder leicht und ungreifbar erscheinen. „Grau verkörpert für mich Zeitverläufe“, erklärte Howell, „es ist mysteriös … und ich mag seine Weichheit; es ist auch Einfachheit und Raum.“

James Howell, 48.17 08/30/00, 2000, Acryl auf Leinwand, 102 × 102 cm, Serie 10 © James Howell Unifikation / Courtesy Bartha Contemporary, London (Foto: Mareike Tocha, Köln)

Der 1935 in Kansas City geborene Maler interessierte sich schon als Kind für Malerei, erwarb bereits mit 18 Jahren eine Pilotenlizenz und studierte Englische Literatur und Architektur in Stanford. Nach seinen Abschlüssen arbeitete Howell als Architekt in Seattle und Bainbridge Island. Ab 1962 widmete sich der Autodidakt auf den Feldern Malerei und Zeichnen ausschließlich der Kunst.

Unter dem Einfluss von Fairfield Porter (1907-1975), der ihn zur Acrylmalerei ermutigte, arbeitete Howell zunehmend abstrakt. Von seinem Studio auf San Juan Island (Washington) aus konnte er in der Natur die fließenden Veränderungen von Wasser und Licht beobachten, die er in reduzierter Farben- und Formensprache in seinen Bildern reflektiert. 1992 ging Howell nach New York, wo er 2014 mit 78 Jahren starb. Seinen künstlerischen Durchbruch erfuhr Howell erst in den neunziger Jahren; in Deutschland waren seine Bilder zuerst 1997/98 auf Ausstellungen in Köln und Düsseldorf zu sehen.

http://quadrat.bottrop.de




Hauptsache Grau: Kunst in „Black & White“

Jetzt wollen wir mal hoffen, dass der Frühling bald recht kunterbunt aufblüht. Denn solange draußen das Wetter dermaßen die Stimmung trübt, will man drinnen nicht unbedingt auch noch vorwiegend graue Kunst sehen.

Foto: © Museum Kunstpalast - ARTOTHEK/ © Gerhard Richter 2017

Gerhard Richter:
„Helga Matura mit Verlobtem“, 1966, Öl auf Leinwand (Museum Kunstpalast, Düsseldorf – Foto: © Museum Kunstpalast – Artothek / © Gerhard Richter 2017)

Der neutrale Mischton aus Schwarz und Weiß ist, sagte der Maler und Grau-Experte Gerhard Richter 2004 in einem Interview, „die ideale Farbe für Meinungslosigkeit, Aussageverweigerung, Schweigen, Hoffnungslosigkeit“. Auweia. Doch abgesehen von diesen bleischweren Zuweisungen ist die Nicht-Farbe auch schön – wie man in der Ausstellung „Black & White: Von Dürer bis Eliasson“ im Düsseldorfer Kunstpalast erkennen kann.

„Grau, teurer Freund, ist alle Theorie“, sprach einst Goethes Faust und mochte das nicht mehr. Die Moderne hingegen verehrt das Grau. Es ist die derzeitige Trendfarbe für Wände und Sitzlandschaften. Seit dem 20. Jahrhundert gilt es erstens als Farbe der vornehmen Zurückhaltung und zweitens als Symbol einer ernsthaften Haltung. Schon der alte Brecht in seinem epischen Theater soll, als es um das Bemalen einer Kulisse ging, gesagt haben: „Jede Farbe ist mir recht, Hauptsache, sie ist grau.“

Spezialeffekte in Schwarz-Weiß

Das war nicht immer so. In der frühen christlichen Kunst, die mit leuchtenden Pigmenten die Heiligkeit feierte, wurde das Farblose bewusst zum Zweck von Buße und Trauer eingesetzt. Abt Bernhard von Clairvaux verordnete den Zisterzienserklöstern im frühen 12. Jahrhundert einen Verzicht auf Farben, um den Brüdern die Sinnlichkeit auszutreiben. Später wurde auch dem Kirchenvolk in der Fastenzeit die Farbe entzogen. Man verhängte die prächtigen Flügelaltäre oder – man ließ die zugeklappten Seitenflügel einfach schwarz-weiß bemalen.

Ein faszinierendes Beispiel für die Technik der Grisaille (von gris, französisch grau) ist die „Verkündigung“ aus der Werkstatt des Marten de Vos (1532-1603). In feinsten Hell-Dunkel-Nuancen erscheint da der Engel auf der einen Seite, die Jungfrau auf der anderen. Und durch die Lücke zwischen den Altarflügeln blitzt von unten die Farbe der Verheißung: Geburt Christi, Kreuzigung, Auferstehung.

Jean-Auguste-Dominique Ingres und Werkstatt Odalisque in Grisaille, um 1824-1834 Öl auf Leinwand, 83,2 × 109,2 cm The Metropolitan Museum of Art, Catharine Lorillard Wolfe Collection, Wolfe Fund, 1938 (38.65) Foto: © bpk ǀ The Metropolitan Museum of Art

Jean-Auguste-Dominique Ingres und Werkstatt:
Odalisque in Grisaille, um 1824-1834 (The Metropolitan Museum of Art, Catharine Lorillard Wolfe Collection, Wolfe Fund, 1938 – Foto: © bpk ǀ The Metropolitan Museum of Art)

Die Fähigkeit der Künstler, mit Ölfarben zu zeichnen, verfeinerte sich. Immer plastischer wurde die Formensprache durch Abstufungen von Schwarz und Weiß. So perfekt gelangen dreidimensionale Effekte, dass man sie „Trompe-l’œil“ nannte: Täusche das Auge. Das gefiel auch den weltlichen Herrschaften im schwelgerischen 18. Jahrhundert. Für ihre Salons bestellten sie Bilder wie die ovale Öl-Raffinesse „Jupiter und Ganymed“ von Jacob de Witt oder „Spielende Kinder“ von Marten Jozef Geeraerts. Die niederländischen Meister erzeugten malerisch die Illusion von Marmor-Reliefs und Skulpturen.

Nur eine Frage der Wahrnehmung

Die barocke Druckgrafik – ein weites Geschäftsfeld von Rembrandt, Rubens und Kollegen – verblasst so ziemlich in der recht nüchtern inszenierten Ausstellung. In der nächsten Abteilung hängt das Plakatmotiv: Ingres’ berühmte „Odalisque“ in einer schmucklosen Grisaille-Version, um 1834 entstanden. 40 Jahre später war der Impressionismus da, und Edgar Degas malte eine „Ballettprobe“ ausnahmsweise ohne die üblichen Pastellfarben und doch so duftig und entzückend.

Allein: Raum für Träumerei gibt es hier nicht. Am Ende der unteren Saalflucht wartet schon die Gegenwartskunst in Gestalt eines monumentalen Männerkopfs, den der Amerikaner Chuck Close von einem Polaroid auf eine zweieinhalb Meter hohe Leinwand übertragen hat. Die klaren Konturen lösen sich auf, wenn man sie aus der Nähe betrachtet. Close hat Rasterquadrate benutzt, die mit malerisch freier Geste ausgefüllt sind. Und mit brauner Farbe, die im schwarz-weißen Gesamteindruck verschwindet.

Das Grau als besondere Mischung offenbart sich auch bei Alberto Giacometti, der seine „Annette, sitzend“ 1957 als dunkle Figur in den Schatten setzte, und bei Picasso, der im selben Jahr die Infantin von Velazquez in einer verschobenen Schwarz-Weiß-Variation malte. Die Auswahl von Fotografien, natürlich unbedingt zum Thema gehörend, ist etwas mager. Überhaupt hätte man sich von manchem mehr gewünscht, auch mehr Atmosphäre, mehr Poesie, mehr Spiele mit Licht und Dunkel. Was gänzlich fehlt, ist das Medium Film.

Doch noch ein Zauber zum Schluss

Besucher in der Installation von Hans Op de Beeck. (Foto: Stefan Arendt / LVR-ZMB)

Besucher in der Installation „The Collector’s House“ von Hans Op de Beeck. (Foto: Stefan Arendt / LVR-ZMB)

Es ist für Direktor Felix Krämer wahrscheinlich nicht ganz einfach gewesen. Die Ausstellung entstand nach einem Plan seines Vorgängers Beat Wismer in Zusammenarbeit mit der Londoner National Gallery. Viele Interessen und wissenschaftliche Stimmen mussten berücksichtigt werden, der umständlich betextete Katalog spricht diesbezüglich Bände.

Zum Glück wartet am Schluss der Ausstellung – nach einer klaren Präsentation schwarz-weißer Abstraktionen – noch ein echter Clou. Wer durch eine graue Schwingtür geht (ja, nur zu!), gelangt in „The Collector’s House“, eine spektakuläre Rauminstallation des Belgiers Hans Op de Beeck. Alle Bilder und Skulpturen (oder etwa Menschen?) in seinem „Haus des Sammlers“ sind so grau und still wie der Zierteich in der Mitte, die Bibliothek, der Flügel, das Kanapee, der Hund und sogar ein paar Damenpumps, zerquetschte Bierdosen und andere ordinäre Dinge des Lebens.

(Foto: Moderna Museet, Stockholm © Olafur Eliasson. Foto: Anders Sune Berg)

Olafur Eliasson:
„Room for one Colour“ 1997 (Installationsansicht aus dem Moderna Museet, Stockholm 2015 – Courtesy of the artist; Tanya Bonakdar Gallery, New York; neugerriemschneider, Berlin
(Foto: Moderna Museet, Stockholm / Anders Sune Berg © Olafur Eliasson)

Alles steht erstarrt, wie von feinster Lava übergossen, in Stein verwandelt, tot. Zu leiser Sphärenmusik bewegt man sich, halb ehrfürchtig, halb amüsiert, durch den Raum und wird selbst zum einzig farbigen, lebendigen Teil der Installation. Das kehrt sich um im allerletzten Raum der Schau, den der Isländer Olafur Eliasson in ein grell-gelbes Monofrequenz-Licht getaucht hat. Farben werden davon geschluckt, die Besucher haben kreidebleiche Gesichter, der rote Rock wirkt grau.

Ist etwa die ganze Realität nur eine Frage der Wahrnehmung? Schon allein für das Finale lohnt sich der Besuch der Schau um „Black & White“.

„Black & White: Von Dürer bis Eliasson“. Bis 15. Juli im Düsseldorfer Museum Kunstpalast, Ehrenhof 4-5. Geöffnet Di.-So. 11 bis 18 Uhr, Do. bis 21 Uhr. Eintritt: 12 Euro. Katalog im Hirmer Verlag: 240 Seiten, 39,90 Euro. Umfangreiches Begleitprogramm unter www.smkp.de




„Grau“ von Jasper Fforde: Ansichten einer künftigen Diktatur

Ein Mann sieht rot.  Das ist auch gut so, denn Eddie Russett lebt in einer Welt, in der Farbe zu einer Ware geworden ist, welche die soziale Hackordnung bestimmt. Eine Welt, in der Machtbefugnisse alleine darauf basieren, welche Farbe man wie gut sehen kann.

Der walisische Autor Jasper Fforde (weltbekannt geworden mit „Der Fall Jane Eyre“ und weiteren „Thursday next“-Romanen) baut in seinem neuen Roman „Grau“ eine perfekt entworfene fiktionale Welt, überbordend vor Ideenreichtum und Phantasie. In seiner Anti-Utopie veranschaulicht er erschreckend, wie eine Diktatur funktioniert, was sie sympathisch macht und was angreifbar. Zum Beispiel die unüberschätzbare Macht der Neugier und der Wahrheit.

Vor kurzem machte das Bochumer Literaturmagazin Macondo sich selbst und zahlreich erschienenen Zuhörern in der Bochumer Rotunde die Freude einer ganz besonderen Lust am Hören. Jasper Fforde, den Macondo seit Anfang begleitet, inszenierte gemeinsam mit dem Schauspieler und Sprecher Oliver Rohrbeck eine bilinguale Lesereise. Fforde las aus der englischen Originalfassung „Shades of grey“ , Rohrbeck aus der von Thomas Stegers klug übersetzten deutschsprachigen Version.

Fforde erzählte eingangs von einem Hamlet-Experiment der besonderen Art. Vor etlichen Jahren habe es ein Treffen zahlreicher Hamlet-Darsteller aus etlichen Ländern gegeben, die jeder in ihrer eigenen Sprache Teile der berühmten Monologe darboten und trotz des babylonischen Sprachgewirrs sich in ihrer Darbietung blind verstanden. In Bochum erlebten wir die Premiere eines ähnlichen Experiments, in dem Fforde und Rohrbeck  einen Dialog aus „Grau“ zweisprachig vortrugen – was in der Tat erstaunlich gut funktionierte. Oliver Rohrbeck – bekannt als deutsche Synchronstimme Ben Stillers und vor allem durch seine Rolle des Detektivs Justus Jonas in der Hörspielserie „die drei ???“ – hat auch das Hörbuch zu „Grau“ eingelesen. Wie sehr ihm der widerspenstige Eddie Russett ans Herz gewachsen ist, zeigte seine wirklich Spaß machende Darbietung, die für mich ruhig hätte länger sein dürfen.

Dafür gab Fforde über die Lesung der grauen Kapitel hinaus spannende Einblicke in sein Schaffen. Die Tatsache, dass das Publikum trotz der Sprachbarriere wie gebannt an seinen Lippen hing, unterstrich eindrucksvoll, dass dieser Mann wahrhaft ein geborener Erzähler ist. So erzählte er von seiner Freude an ausgefallenen Gedankenspielen mit der „cold logic of the nonsense of the world“. In seinen bisherigen Werken habe er immer mit etwas gespielt, was bereits im Kopf der Leser sei und dabei versucht, die Vergangenheit zu ändern. Mit der Trilogie um Eddie Russett versucht er nun erstmals, eine Zukunft zu formen. Erschreckend einfach sei es gewesen, eine Hierarchie zu erfinden. Auf die Farbwahrnehmung als Grundlage für eine neue Gesellschaftsordnung kam er, weil Farben im Grunde nutzlos sind. Nichts als ein gutes Beispiel für „the way, we make a sense of the world“.

So ganz lässt ihn die Vergangenheit jedoch nicht los. Auch in „Grau“ findet man Anspielungen auf frühere Werke, so mit dem „red room/ green room“ auf Jane Eyre. Fforde ist ein Autor , der nicht nur in seinem Romanen gerne zwischen Welten gratwandert. Die vorgeblichen Grenzen zwischen „U“- und „E “ Literatur interessieren ihn nicht,  ein Autor von seiner Belesenheit und seiner Sprachmächtigkeit lässt sich davon nicht im Geringsten beeindrucken. Satz des Abends: „I love silly things. Silly! Not stupid.“

„Grau“ ist ein Buch, welches den Leser zwar so manches Mal in seiner Abstrusität befremdet, in seiner Konsequenz und vor allem in seinem Wiedererkennungswert fast schon genial ist. Darüberhinaus ist Fforde definitiv „einer der Glücksfälle, in denen gute Literatur und sympathischer Autor zusammentreffen.“ (Zitat Macondo).

Stimmungsvolle Bilder des Abends, welche unter anderem auch zeigen,  welche Konzentration unsere  „Revierpassagen“ bei der Widmung erforderten, bei Macondo.

Jasper Fforde: „Grau“. Roman. Eichborn Verlag, 490 Seiten, €19,95