Schritt für Schritt zur Kunst – Dortmunder Galerie Utermann im neuen Domizil

Von Bernd Berke

Dortmund. Die Dortmunder Galerie Utermann zählt zu den feinen Adressen der Branche. Zumal mit ausgesuchten Expressionisten bewegt man sich im Edel-Segment des Marktes, in dem Preise oft nur „auf Anfrage“ genannt werden. Jetzt verfügt man über ein neues Domizil der Sonderklasse.

Das 1956 errichtete, behutsam und stilsicher umgerüstete Haus Silberstraße 22 bietet im ersten Geschoß einen fünf Meter hohen Ausstellungsraum, der den Kunstwerken auf rund 250 Quadratmetern Luft und „Atem“ verschafft. Zu den von der Ruhrkohle AG langfristig gemieteten Räumen gehört ein riesiger Tresor, der als Depot dient. Clou der Liegenschaft ist ein umfriedeter Garten, der Skulpturen zu besonderer Geltung kommen läßt. Selbst alteingesessene Dortmunder dürften dieses grüne Idyll mitten in der City bislang übersehen haben.

Als Wilfried Utermann und seine Frau vor etwa eineinhalb Jahren an dem Gebäude entlang flanierten, stand sogleich fest: „Dies wäre der ideale Standort für unsere Galerie“. Weil sich die Verhandlungen verzögerten, schaltete sich Oberbürgermeister Günter Samtlebe persönlich zugunsten Utermanns ein.

Samtlebe ist denn auch am Mittwoch, 29. April (18 Uhr), ein Eröffnungsgast der ersten Ausstellung am neuen Platze. Werke zweier Größen der Nachkriegskunst treten in einen subtilen Dialog ein: Ölbilder von Fritz Winter (1905-1976) und Bronzeskulpturen von Karl Hartung (1908-1967). Winters schwebeleicht wirkende Bildräume und Hartungs körperhafte Plastiken markieren zwei Königswege der Formensprache in den 50er Jahren.

Bei der Wandgestaltung ließ sich Utermann von Fotos aus New Yorker Galerien der 30er Jahre anregen. Dem weißen Anstrich zog er eine dezente Leinen-Bespannung vor, denn: „Wir wollten keine Wartesaal-Atmosphäre haben.“ Auch der Treppe zum Ausstellungsraum mißt er Bedeutung zu. Anders als in der bisherigen Ladengalerie an der Betenstraße, wo man sofort „mittendrin“ stand, könne man sich hier – Schritt für Schritt – innerlich auf die Kunst einstimmen.

Galerie Utermann, Dortmund, Silberstraße 22. Tel.: 0231 / 90 63 300). Ausstellung Winter / Hartung: 30. April bis 18. Juli. Di-Fr 10-18, Sa 10-14 Uhr.




Wer den Schattenbereich des Daseins erkundet – Javier Marías nahm in Dortmund den Nelly-Sachs-Preis entgegen

Von Bernd Berke

Dortmund. Bescheidenheit ist eine Zier: Javier Marías (46) gab dafür ein Beispiel, als er gestern den Nelly-Sachs-Preis der Stadt Dortmund entgegennahm. Ein wenig „peinlich“ sei ihm die hohe Auszeichnung, sagte der spanische Autor der versammelten Presse. Denn vor ihm hätten doch wichtigere Schriftsteller diesen Preis bekommen.

Bereits in seiner Dankesrede hatte der Autor des Bestsellers „Mein Herz so weiß“ einen ähnlich tiefen Ton angestimmt. Angesichts der bisherigen Träger des seit 1961 verliehenen Preises fühle er sich nur „wie eine Fußnote am Seitenende“. Das mochte ihm das Publikum denn doch nicht durchgehen lassen. Ein allgemeines „Ooooh“ schallte durch den Saal. Sollte gewiß heißen: Nun aber halblang…

Desto optimistischer preschte Dortmunds Oberbürgermeister Günter Samtlebe vor. Er schloß seine Ansprache mit der unschwer zu entschlüsselnden Anspielung, man hoffe, auch künftig von Marias zu hören – „etwa aus einem skandinavischen Land“.

Nun, der Lorbeer des Literaturnobelpreises mag für Marías einstweilen noch etwas zu hoch hängen, doch die Lobrednerin Sigrid Löffler („Das literarische Quartett“) sprach wohl allen Anwesenden aus dem Herzen, als sie befand: „Einen unwahrscheinlicheren Bestsellerautor hat es lange nicht gegeben.“ Denn Javier Marías stelle ja keine geringen Ansprüche an die Leser, seine Bücher „können nicht einfach weggelesen werden. Ihre Substanz behauptet sich und widersteht dem Verbrauch.“

Tatsächlich ist es ein bemerkenswertes Zusammentreffen, daß man für die weithin renommierte Dortmunder Auszeichnung einen Mann gefunden hat, der hohe literarische Güte inzwischen mit kommerziellem Erfolg verbindet. Ein Umstand, der sicherlich auch für die Kultur des Lesens hoffen läßt.

Der Preisträger selbst, der zum allgemeinen Erstaunen bekannte, noch niemals einen Computer bedient zu haben, widersprach allen Schwarzsehern, die behaupten, der Roman als Kunstform sei tot. „Ich glaube nicht, daß die Welt darauf verzichten kann… Es gibt viele Dinge, die wir nur wissen, weil die Literatur sie uns gezeigt hat.“ Diese sei lebenswichtig, „wenn wir nicht zu Primitiven werden wollen, vollgestopft mit praktischem Wissen.“ Die Künste allein könnten vordringen in jenen diffusen „Schattenbereich“ des menschlichen Daseins, der dringend erkundet werden müsse.

Die Feierstunde in der vollbesetzten Bürgerhalle des Dortmunder Rathauses besaß – vom Niveau der Reden bis zur dezenten Kammermusik – jene Würde, die man von einer solchen international beachteten Veranstaltung erwartet. Werbung also für eine Stadt, die auf der literarischen Weltkarte sonst keinen zentralen Platz einnimmt.




Kunstwerk für Millionen – HA Schults Auto-Denkmal im Dortmunder Hauptbahnhof

Von Bernd Berke

Dortmund. Da eilte selbst Oberbürgermeister Günter Samtlebe herbei und hielt eine launige Ansprache. Denn nicht alle Tage gibt sich ein so prominenter Aktionskünstler wie HA Schult in Dortmund die Ehre. Mitten in die Empfangshalle des Hauptbahnhofs hat Schult ein Marmor-Auto postiert.

An diesem Kunstwerk werden bis zum 4. August wohl einige Millionen Menschen vorübergehen, denn täglich sind’s im Schnitt rund 120 000, die durch den Bahnhof hasten. Das meiste Aufsehen erregte gestern Schults schrille Muse Elke Koska, die übrigens aus Dortmund stammt und hier das Mallinckrodt-Gymnasium besucht hat. Sinnierte Günter Samtlebe: „Da kann man mal sehen, was aus den Leuten so wird.“

Das gar nicht aus Marmor bestehende, sondern marmorierend bemalte Fahrzeug (besser: „Steh-Zeug“) prangte 1994 als Symbol des politischen Zeitenwandels auf einem Sockel vor dem Marmorpalast in St. Petersburg, wo es einen Panzerwagen Lenins ersetzte. Seither hat das gute Stück eine Tournee durch acht deutsche Städte hinter sich. Nun aber spricht Schult, dem Regionalstolz schmeichelnd: „Das waren nur Fingerübungen, um es endlich in Dortmund zeigen zu können.“

Warum der Bahnhof? Schult: „Weil hier so viele Leute sind, und weil hier auch Nutten oder Penner meine Kunst sehen können.“ Und die Finanzen? Schult läßt sponsern. Denn sein Auto ist nicht irgendeins, sondern ein Mittelklassemodell aus Kölner Fabrikation, welche mit dem Spruch „Die tun was“ beworben wird. Man muß sie nicht nennen, man kann getrost fortfahren…

Nein, man habe sich mit dem Auto keine Konkurrenz ins Haus geholt, meinte gestern Ernst Liedschulte von der Deutschen Bahn AG. Man begreife das Automobil als sinnvolle „Ergänzung“ zur Schiene. Und Dortmunds Oberbürgermeister Günter Samtlebe befand launig, mit HA Schult und Elke Koska habe man sich ein „Power-Paar“ in die Stadt geholt. Ökologisch korrekt, empfahl er Schult jedoch, bald ein Marmor-Fahrrad herzustellen.

Derweil bildete sich beim Eröffnungs-Zeremoniell eine neugierige Menschenmenge, angelockt auch vom gewohnt schrillen Erscheinungsbild Elke Koskas. Die erschien mit einem großen schwarzen Hund und trug statt eines Handtäschchens einen kleinen Silberkessel. Todschick. Mancher Urlauber machte hier gleich beim Reisestart sein erstes Erinnerungsfoto, und auf die Erläuterungstafel zu „Marmorne Zeit“ (Werktitel) hatte schon einer gekritzelt: „Schult, laß dich nicht unterkriegen, deine Kunst ist klasse“.

Stimmt das? Mal ehrlich: Mag das Auto in St. Petersburg noch von historischer Aura profitiert haben, so wirkt es in Dortmund relativ schlicht. Erst wenn Schult und seine Elke live dazu auftreten, wird s spektakulär. Sie selbst sind das Kunstwerk.