So leicht ist „Warten auf Godot“ – jedenfalls in Wuppertal

Von Bernd Berke

Wuppertal. Im Museum steht ein mit Kinogestühl möblierter Kasten. Darin sitzen zwei schwatzende, brabbelnde Herren. Die Zuschauer nehmen das anfangs durch eine Scheibe wahr, die einer der beiden Männer eifrig glasklar wienert: Keine Unklarheiten also!

Die Herren heißen Wladimir und Estragon, bilden mithin jenes Duo, das in Samuel Becketts Stück so sinn- und endlos auf „Godot“ wartet – eine Tätigkeit, die längst zu einer Vielzahl von (Theater)-Witzen geronnen ist. Zudem hat „Warten auf Godot“ in seiner leerlaufenden Logik gewisse Parallelen zu Komikern vom Schlage eines Karl Valentin. Warum also Beckett nicht als Hochkomiker spielen, statt als Tiefgründler?

So geschieht es in Wuppertal, wo Hans-Christian Seeger das Stück im Forum des Von der-Heydt-Museums inszeniert hat – mitten in der gerade eröffneten Ausstellung „Denk-Bilder“. Szenische Denk-Bilder gibt es auch bei Beckett, doch Seeger hat sie leicht genommen, so leicht wie den berühmten dürren Baum im sonst üblichen Bühnenbild, der hier nur noch ein winziges Bonsai-Exemplar ist. Sieht man etwa auch nur einen Bonsai-Beckett?

Wo nur irgend Komik sich im Text verbergen könnte, wird sie in Wuppertal sogleich ergriffen und rasch ausgespielt. Lachnummern entstehen hier nicht, wie es bei diesem Stück durchaus denkbar ist, aus tiefster Verzweiflung an der Existenz, sondern sind sofort da, Instant-Komik sozusagen. Von Warten kann in dieser Hinsieht keine Rede sein, auch kaum von Tiefsinn.

Doch dann gibt es eine Szene (besser: deren Verweigerung), die nur auf den ersten Blick läppisch wirkt. Nach der Hälfte des Stückes ziehen sich Wladimir und Estragon stumm zurück und lassen die Zuschauer… warten. Und warten. Und warten. Viele Minuten lang. So erfährt jeder einige Momente unerfüllten Wartens — es wirkt womöglich tiefer als bloßes Nachdenken.

Und wie füllen wir heute die Wartezeit, also die Existenz – vielleicht, indem wir uns als Dauer-Konsumenten „zu Tode amüsieren“? Genau darauf könnte die Beendigung der quälenden Wartepause abheben: Regisseur Hans-Christian Seeger, der auch den Wladimir spielt, wird auf einmal zum Muntermacher, verteilt Zeitungen und Getränke an die Zuschauer (beides ist im Eintrittspreis mit drin). So leicht, beinahe wie Äffchen, lassen wir uns also beruhigen?

Der zweite Teil, in dem ja ganz Ähnliches geschieht wie im ersten, wird dann ganz bewußt nur noch wie ein Zitat heruntergespielt. Eigentlich könnte man das ganze Stück zehnmal hintereinander abschnurren lassen, es würde sich nichts ändern am Zustand der Figuren.

Die Darsteller agieren sehr dicht an den Zuschauern; viele Sätze im Stück werden denn auch nach Komiker-Art umgemünzt zur direkten Ansprache ans Publikum. Hans-Christian Seeger und Günther Delarue (Estragon) sind herrlich genau aufeinander eingespiel, man merkt das an vielen Kleinigkeiten, besonders in Slapstick-Szenen. Furios auch Adalbert Stamborskis Auftritt als auf Befehl Pozzos (Gerd Mayen) drauflos „denkende“ Knechtsgestalt Lucky, mit professoral vorgetragenem Schwachsinn.




Dichtes und konzentriertes Schauspielertheater – Ibsens „Gespenster“ in Wuppertal

Von Bernd Berke

Wuppertal. Schon Theatertradition hat die Spöttermeinung, nach der mit dem medizinischen Fortschritt ein Großteil der Konflikte in Henrik Ibsens „Gespenster“-Drama sich von selbst erledigt hätte. Das schlimme Erbteil des alten Lüstlings Alving, der seinem Sohn Osvald Syphillis und Hirnparalyse „vermacht“, hätte quasi ausgeschlagen werden können, und der ganze Familienabgrund, den dieses 1881 uraufgeführte Stück aufrührt, wäre bedeckt geblieben.

Man muß gar nicht an „Aids“ denken, um dem Stück neue Aktualität aufzuzwingen. Es handelt natürlich nur nebenbei auf medizinischer, vor allem aber auf psychologischer und gesellschaftlicher Ebene von den „Gespenstern“ einer Vergangenheit, die „nicht einmal vergangen ist“, mächtig das Heute überschattet und „späte Geburt“ eher zum Fluch macht.

Ulrich Greiffs Wuppertaler Inszenierung riskiert keine Neudeutung, sie ist konventionell wie ihr Bühnenbild (Rosemarie Krines), das Ibsens Anweisungen sehr getreulich folgt und so ähnlich schon vor Jahr und Tag hätte gebaut werden können. Greiff erliegt diesmal nicht den Versuchungen jener Art von Regietheater, mit dem er schon manches Mal Schiffbruch erlitten hat; er stützt sich hier ganz auf die Schauspieler. Und siehe da: es wird gutes Schauspielertheater, wie man es in dieser Dichte und Konzentration in Wuppertal lange nicht gesehen hat. Guten Gewissens kann man diesmal auch von wirklicher „Sprechkultur“ reden, die die Aufmerksamkeit zusätzlich in Bann schlägt.

In einer langen Reibe von „Aussprachen“ wird der Kampf der tödlichen Wahrheiten wider die verlogenen Ideale ausgetragen, wird das Trugbild der gutsituierten Familie Alving gnadenlos demontiert: Hervorragend Lin Lougear als Witwe Helene Alving, die stets bedrohte Balance zwischen Stolz und Verzweiflung haltend; auch Siegfried Maschek als Osvald hütet sich, die Anzeichen seiner Hinfälligkeit zu sehr zur Schau zu stellen. Günther Delarue als „Tischler Engstrand“ – ein Kabinettstück dummschlauer Verschmitztheit, etwas auch von jener Uneindeütigkeit einlösend, die Ibsen mit seiner legendären Antwort auf die Frage erzielte, ob denn Engstrand das Kinderasyl der Helene Alving in Brand gesteckt habe: „Zuzutrauen wär’s dem Kerl schon!“

Gerd Mayen als „Pastor Manders muß eine schwierige Gratwanderung absolvieren; allzu gestrig wirken die ordnungsfrommen Sittenthesen Kirchenmannes, so daß stellenweise Gelächter im Zuschauerraum aufkommt. Doch es wird auch deutlich, daß Manders ein großes Kind ist, das an Idealen hängt wie an Rockzipfeln; nur sind es die falschen, und der ganze Mann ist bemitleidenswert.

Es gab langen, herzlichen, beinahe erleichterten Beifall. Im Publikum klafften größere Lücken. Haben manche, nach der Kündigung des Wuppertaler Intendanten, das Theater bis auf weiteres aufgegeben?